Entscheidungsstichwort (Thema)

Rentenzahlung in DDR. Klageänderung

 

Orientierungssatz

1. Ein Anspruch auf Auszahlung der Hinterbliebenenrente in die DDR besteht nicht, weil diese Rente nach § 96 AVG (Fassung: 25.2.1960 = RVO § 1317) ruht. Ruhen in diesem Sinne bedeutet, daß zwar das Stammrecht erhalten bleibt, aber die sich aus ihm während des Ruhens ergebenden Ansprüche auf (monatliche) Einzelleistungen nicht entstehen und auch nach Wegfall des Ruhenstatbestandes nicht nachgezahlt werden (vgl BSG Großer Senat vom 21.12.1971 - GS 6/71 = BSGE 33, 280, 286). Der Ausschluß der Auszahlung verletzt nicht die Grundrechte aus Art 3 Abs 1 GG und Art 14 GG.

2. Zur unzulässigen Klageänderung in der Revisionsinstanz iS von §§ 168 iVm 99 SGG:

(hier: Übergang von dem bisher auf Auszahlung der Rente in die DDR gerichteten Begehrens auf das Verlangen, die Nachzahlung von "Ruhensbeträgen" für den Fall der ständigen Aufenthaltnahme im Bundesgebiet zu bewirken.

 

Normenkette

AVG § 96 Fassung: 1960-02-25, § 98 Fassung: 1960-02-25; RVO § 1317 Fassung: 1960-02-25, § 1319 Fassung: 1960-02-25; GG Art 3 Abs 1; GG Art 14; SGG §§ 168, 99 Abs 3

 

Verfahrensgang

LSG Berlin (Entscheidung vom 11.01.1980; Aktenzeichen L 1 An 73/78)

SG Berlin (Entscheidung vom 14.02.1978; Aktenzeichen S 1 An 2738/77)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Auszahlung einer Hinterbliebenenrente in die DDR.

Die 1902 geborene Klägerin ist die Witwe eines 1975 in München verstorbenen Versicherten. Sie lebt in der DDR und bezieht dort eine eigene Altersrente. Der verstorbene Versicherte hat in der Bundesrepublik Deutschland gelebt und dort aufgrund von überwiegend in der Bundesrepublik Deutschland zurückgelegten Versicherungszeiten ein Altersruhegeld bezogen.

Mit Bescheid vom 4. Mai 1977 und dem dazu ergangenen Widerspruchsbescheid vom 1. November 1977 ist die Auszahlung der - nach Grund und Höhe anerkannten - Hinterbliebenenrente abgelehnt und gemäß § 96 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) das Ruhen dieser Rente festgestellt worden, weil die Klägerin sich außerhalb des Geltungsbereichs des Gesetzes aufhalte und die Voraussetzungen für eine Ermessensleistung nach § 100 AVG nicht vorlägen. Die Bemühungen der Klägerin, in der DDR aufgrund der Versicherungszeiten ihres verstorbenen Ehemannes eine Witwenrente zu erhalten, blieben erfolglos.

Klage und Berufung der Klägerin, mit denen sie sich gegen den Ruhensbescheid wandte, blieben ebenfalls ohne Erfolg. Die Vorinstanzen bestätigten die Auffassung der Beklagten, daß die Witwenrente nicht in die DDR gezahlt werden könne, und hielten die dagegen erhobenen verfassungsrechtlichen Bedenken nicht für gerechtfertigt.

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin hat der erkennende Senat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache im Hinblick auf mögliche Grundrechtsverletzungen zugelassen und nach Einlegung der Revision das Revisionsverfahren ausgesetzt. Er hat dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) die Frage zur Entscheidung vorgelegt, ob § 98 Abs 2 iVm § 96 AVG, beide idF des Fremdrenten- und Auslandsrenten-Neuregelungsgesetzes vom 25. Februar 1960 (BGBl I, S 93), mit dem Grundgesetz (GG) vereinbar seien, soweit sie die Zahlung einer Rente für Zeiten des gewöhnlichen Aufenthalts in der DDR auch dann ausschließen, wenn der Rentenberechtigte aus den der Rente zugrundeliegenden, nach deutschem Recht zurückgelegten Zeiten in der DDR keine Leistung erhält.

Das BVerfG hat mit Beschluß vom 22. Oktober 1985 (1 BvL 2/82) entschieden, daß die genannten Vorschriften mit dem GG vereinbar waren. Insbesondere ist der mit der Revision geltend gemachte Verstoß gegen Art 3 und Art 14 GG verneint worden.

Die Klägerin beantragt nunmehr, a) - Hauptantrag - unter Abänderung des Bescheides der Beklagten vom 4. Mai 1977 idF des Widerspruchsbescheides vom 21. Oktober 1977 die Urteile des Landessozialgerichts Berlin vom 11. Januar 1980 und des Sozialgerichts Berlin vom 14. Januar 1978 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr die Hinterbliebenenrente aus der Versicherung ihres verstorbenen Ehemannes in vollem Umfang in die Deutsche Demokratische Republik, hilfsweise auf ein von ihr in der Bundesrepublik Deutschland zu errichtendes Bankkonto auszuzahlen, b) - 1. Hilfsantrag - die Beklagte unter Abänderung bzw Aufhebung der im Hauptantrag genannten Entscheidungen zu verurteilen, die Hinterbliebenenrente nach Wegfall eines etwaigen Auszahlungshindernisses ab 1. Juli 1976 in vollem Umfange auszuzahlen, c) - 2. Hilfsantrag - für den Fall der Nichterfüllung des bindend anerkannten Anspruchs der Klägerin auf Witwenrente die Beklagte zur Zahlung einer angemessenen Entschädigung zu verurteilen.

Zur Begründung trägt sie vor, die Beklagte gehe zu Unrecht davon aus, daß das Ruhen der Rente einem gesetzlichen Zahlungsverbot gleichkomme und eine Rentenzahlung in jeder Form - zB auf ein in der Bundesrepublik errichtetes Sperrkonto - ausschließe. Auch verstoße es gegen geltendes Recht, daß die Beklagte in dem angefochtenen Bescheid selbst für den Fall des Wegfalls des Ruhensgrundes (zB Verlegung des gewöhnlichen Aufenthalts in die Bundesrepublik Deutschland und Berlin-West) eine Nachzahlung für Ruhenszeiten ablehne. Das Ruhen dürfe nicht mit dem Fehlen der Rentenberechtigung gleichgesetzt werden. Sei - wie im vorliegenden Fall - eine Rentenberechtigung nach Grund und Höhe anerkannt, könne das Ruhen nicht den generellen Ausschluß der Auszahlung der Rente, jedenfalls der Nachzahlung nach Wegfall des Ruhenstatbestandes bedeuten. Andernfalls sei die Beklagte verpflichtet, für die Beiträge, die vom Versicherten für die Hinterbliebenenversorgung aufgebracht worden seien und die insoweit ihren Zweck nicht erfüllen könnten, eine angemessene Entschädigung wegen Nichterfüllung ihrer Leistungspflicht zu gewähren. Die hilfsweise gestellten Anträge seien in dem bisherigen, auf Auszahlung der Rente in die DDR gerichteten Hauptantrag im Sinne eines "weniger im Mehr" enthalten und bedeuteten keine Klageänderung.

Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin ist unbegründet.

Nachdem das BVerfG mit Beschluß vom 22. Oktober 1985 entschieden hat, daß die hier anzuwendenden Rechtsnormen - § 98 Abs 2 iVm § 96 AVG aF - mit dem GG vereinbar waren, insbesondere nicht gegen Art 3 Abs 1 GG und Art 14 GG verstoßen haben, kann die Klägerin mit ihrem auf Verletzung dieser Grundrechtsnormen gestützten Revisionsbegehren keinen Erfolg haben. Ein Anspruch auf Auszahlung ihrer Hinterbliebenenrente in die DDR besteht nicht, weil diese Rente nach § 96 AVG aF ruht. Ruhen in diesem Sinne bedeutet, daß zwar das Stammrecht erhalten bleibt, aber die sich aus ihm während des Ruhens ergebenden Ansprüche auf (monatliche) Einzelleistungen nicht entstehen und auch nach Wegfall des Ruhenstatbestandes nicht nachgezahlt werden (BSG Großer Senat in BSGE 33, 280, 286). Davon, daß mit der Regelung des § 96 AVG aF (und § 100 AVG aF) der Ausschluß der Auszahlung einschließlich der Nachzahlung der Rente nach Wegfall des Ruhenstatbestandes verbunden ist, geht auch das BVerfG aus (vgl auch den Beschluß vom 7. Oktober 1980 in SozR 2200 § 1317 Nr 8). Durch diesen Ausschluß wird die Klägerin nicht in ihren Grundrechten aus Art 3 Abs 1 GG und Art 14 GG verletzt. Eine Auszahlung ihrer Rente an ein in der Bundesrepublik eröffnetes Konto während des Fortbestehens des Ruhenstatbestandes kommt daher ebensowenig in Betracht wie eine Nachzahlung der Rente nach Wegfall dieses Tatbestandes. Die Revision der Klägerin ist daher hinsichtlich des Hauptantrages zurückzuweisen.

Mit ihren Hilfsanträgen kann die Klägerin schon deshalb keinen Erfolg haben, weil eine Klageänderung in der Revisionsinstanz unzulässig ist (§ 168 SGG iVm § 99 SGG). Um eine solche handelt es sich hier.

Entgegen der Ansicht der Klägerin ist ihr mit dem "ersten Hilfsantrag" bezeichnetes Begehren nicht von ihrem bisherigen Klagebegehren, das allein auf Auszahlung ihrer Rente in die DDR gerichtet war, mitumfaßt. Sie verlangt damit die Nachzahlung der "Ruhensbeträge" für den Fall ihrer ständigen Aufenthaltnahme im Bundesgebiet. Darin kann weder eine zulässige Erweiterung des Klageantrages iS von § 99 Abs 3 Nr 2 SGG noch eine zulässige Modifikation ihres Begehrens aufgrund einer später "eingetretenen" Veränderung iS von § 99 Abs 3 Nr 3 SGG gesehen werden. Dem geänderten Klagebegehren liegt nicht der gleiche Lebenssachverhalt - Aufenthalt in der DDR - zugrunde; vielmehr ist mit dem Begehren auf Auszahlung (Nachzahlung) der Rente in die Bundesrepublik bei Wegfall des Auszahlungshindernisses der Klagegrund iS von § 99 Abs 3 SGG - und damit die Klage - geändert worden. Abgesehen davon liegen auch die speziellen Voraussetzungen des § 99 Abs 3 Nr 3 SGG schon deshalb nicht vor, weil nicht statt der ursprünglich geforderten Leistung eine andere Leistung wegen einer später "eingetretenen" Veränderung verlangt wird. Die der Änderung des Auszahlungsbegehrens zugrundeliegende Veränderung betrifft den Eintritt eines zukünftigen, ungewissen Ereignisses, nämlich eine "etwaige" Verlegung des Aufenthalts von der DDR in die Bundesrepublik Deutschland, die die Klägerin nach Angaben im Schriftsatz vom 8. April 1986 bisher weder vollzogen noch konkret in Aussicht genommen hat.

Auch wenn insoweit davon auszugehen wäre, daß die Klägerin eine sog vorbeugende Feststellungsklage erheben oder Erteilung einer Zusicherung erreichen will (vgl BSG SozR 5750 Art 2 § 9a Nr 13), um einem künftigen nachteiligen Verwaltungsakt vorzubeugen, ergibt sich nichts anderes. Ein Übergang von der bisher auf Auszahlung in die DDR gerichteten kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage zu einer Feststellungs- oder Zusicherungsklage im vorgenannten Sinne müßte im Hinblick auf den veränderten Klagegrund - Verlegung des Aufenthaltes in die Bundesrepublik Deutschland - im Rahmen von § 168 iVm § 99 Abs 3 SGG ebenfalls als unzulässige Klageänderung gewertet werden. Im Hinblick hierauf kann dahingestellt bleiben, ob die Klägerin für eine der vorgenannten Klagearten überhaupt ein Rechtsschutzbedürfnis hätte, wenn nicht ersichtlich und auch nicht vorgetragen ist, daß sie jemals die Absicht hatte oder derzeit hat, ihren ständigen Aufenthalt in die Bundesrepublik Deutschland zu verlegen.

Soweit schließlich die Klägerin mit ihrem "zweiten Hilfsantrag" Verurteilung der Beklagten begehrt, ihr für den Fall der Nichterfüllung des bindend anerkannten Rentenanspruchs eine angemessene Entschädigung zu gewähren, ist ihr Antrag ebenfalls wegen § 168 iVm § 99 SGG unzulässig.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1664037

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