Entscheidungsstichwort (Thema)

Mitgliederkreis der Hamburg-Münchener Ersatzkasse (Schwesternschülerinnen)

 

Leitsatz (amtlich)

Der Senat hält daran fest, daß der Mitgliederkreis der - am 1934-04-01 neu zugelassenen - Hamburg-Münchener Ersatzkasse sich nach der Satzung vom gleichen Tage, nicht nach der ihrer Vorgängerin (Gedag-Kasse) vom 1927-10-01 bestimmt (vergleiche BSG 1968-08-28 3 RK 70/65 = SozR Nr 7 zu MitgliederkreisVO Allg vom 1938-10-26).

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Schwesternschülerinnen, die bei einem privaten Arbeitgeber versicherungspflichtig beschäftigt sind, können nicht Mitglieder der Hamburg-Münchener Ersatzkasse werden. Die Beitrittsberechtigung der fachlichen Hilfskräfte von Ärzten, wie sie in der vom OVA genehmigten Satzung der Hamburg-Münchener Ersatzkasse vom 1954-01-01 festgelegt worden ist, ist wegen Verstoßes gegen SVAufbauV 12 Art 2 § 4 Abs 1 S 2 (Fassung: 1937-04-01) unwirksam, weil die Satzung der Ersatzkasse vom 1.4.1934 eine solche oder vergleichbare Berufsgruppe nicht zu dem Kreis der Beitrittsberechtigten zählt.

2. Maßgebend für den Mitgliederkreis der Hamburg-Münchener Ersatzkasse ist deren Satzung vom 1.4.1934; die Aufnahme von Versicherungsberechtigten aufgrund einer späteren Satzungsbestimmung, die diesen Mitgliederkreis erweitert, ist unwirksam , auch wenn diese Satzungsbestimmung von der Aufsichtsbehörde genehmigt worden ist.

 

Normenkette

SVAufbauV 12 Art. 2 § 4 Abs. 1 S. 2 Fassung: 1937-04-01; ErsKV Fassung: 1938-10-26; GG Art. 129

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 23. November 1972 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Der Rechtsstreit wird um die Frage geführt, ob die beigeladenen Schwesternschülerinnen, die bei einem privaten Arbeitgeber (Beigeladenen zu 11) versicherungspflichtig beschäftigt sind, Mitglieder der beklagten Ersatzkasse geworden oder Mitglieder der klagenden Allgemeinen Ortskrankenkasse geblieben sind.

Das Sozialgericht Würzburg hat der Klage stattgegeben und festgestellt, daß die Schwesternschülerinnen nicht zum Mitgliederkreis der Beklagten gehören (Urteil vom 21. Oktober 1969). Das Bayerische Landessozialgericht (LSG) hat dieses Urteil bestätigt und sich auf das Urteil des erkennenden Senats vom 28. August 1968 (SozR Nr. 7 zu Mitgliederkreis-VO Allg. vom 26.10.1938; teilweise veröffentlicht in BSG 28, 208) berufen, wonach die Beklagte nur die Personen aufnehmen darf, die im Zeitpunkt der Aufnahme zu dem in der Satzung vom 1. April 1934 beschriebenen Personenkreis gehören. Zu diesem Personenkreis gehören die Schwesternschülerinnen - unbestritten - nicht.

Die Beklagte hat die zugelassene Revision eingelegt und beantragt, unter Aufhebung der Urteile der Vorinstanzen die Klage abzuweisen. Sie ist der - in einem Gutachten von Prof. Dr. B. vom 5. September 1970 näher begründeten - Auffassung, der Senat habe in dem vorgenannten Urteil § 4 Abs. 1 Satz 2 der 12. Verordnung zum Aufbau der Sozialversicherung vom 24. Dezember 1935 (RGBl I 1537) idF der 15. Verordnung zum Aufbau der Sozialversicherung vom 1. April 1937 (RGBl I 439) - im folgenden 12./15. Aufbau-VO genannt - nicht richtig ausgelegt. Die beklagte Ersatzkasse sei "als solche" im Sinne dieser Vorschrift 1927 zugelassen worden, so daß unter der den Mitgliederkreis umschreibenden Satzung - Ursprungssatzung - diejenige Satzung zu verstehen sei, die damals gegolten habe. Zu dem dort beschriebenen Personenkreis seien die beigeladenen Schwesternschülerinnen zu rechnen, zumal im Jahre 1931 Berufsverbände von Krankenschwestern dem Gesamtverband Deutscher Angestelltengewerkschaften (Gedag) beigetreten seien, für den die Beklagte damals - unter dem Namen Gedag-Kasse - zuständig gewesen sei. Die Beklagte sei mit dieser Kasse und mit der von 1934 an als Ersatzkasse der Berufsgemeinschaft der Büro- und Behördenangestellten (Geda-Kasse) bezeichneten Kasse identisch. Abgesehen davon müsse unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes berücksichtigt werden, daß die beigeladenen Schwesternschülerinnen aufgrund einer von der Aufsichtsbehörde genehmigten neuen Satzung aus dem Jahre 1954 beigetreten seien, von der auch fachliche Hilfskräfte angestellter Ärzte ausdrücklich erfaßt würden. Diesem Gedanken entspreche die Verordnung über den Mitgliederkreis der Ersatzkassen der Krankenversicherung (Mitgliederkreis-VO) vom 26. Oktober 1938 (RGBl I 1519), die entgegen der Auffassung des erkennenden Senats (BSG 24, 266) gültig sei.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Die Beigeladenen - auch die Bundesrepublik Deutschland - haben keine Stellung genommen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet. Der Senat hält auch nach erneuter Prüfung an der Auffassung fest, die er in dem Urteil vom 28. August 1968 aaO in einem vergleichbaren Fall vertreten hat: Maßgebend für den nach § 4 Abs. 1 Satz 2 der 12./15. Aufbau-VO beitrittsberechtigten Mitgliederkreis der Beklagten sind - vorbehaltlich einer Anpassung an technisch-wirtschaftliche Änderungen - die Berufsgruppen, wie sie in der Satzung vom 1. April 1934 unter Anführung der entsprechenden "Berufsgemeinschaften" bezeichnet sind. Die Aufnahme von Versicherungsberechtigten aufgrund einer späteren Satzungsbestimmung, die diesen Mitgliederkreis erweitert, ist unwirksam, auch wenn diese Satzungsbestimmung von der Aufsichtsbehörde genehmigt worden ist. Die dieser Auffassung entgegenstehende Mitgliederkreis-VO vom 26. Oktober 1938 (RGBl I 1519) ist unwirksam.

Nach § 4 Abs. 1 Satz 2 der 12./15. Aufbau-VO dürfen Ersatzkassen nur Personen aufnehmen, die "dem Mitgliederkreis angehören, für den die Ersatzkasse als solche zugelassen ist". Die Beklagte ist zwar aus einer der 1927 als Ersatzkassen zugelassenen Berufskrankenkassen hervorgegangen. Auf die damalige Satzung, die - wegen der historischen Verbundenheit der Beklagten mit dieser Kasse - als "Ursprungssatzung" bezeichnet werden mag, kann aber bei Anwendung des § 4 der 12./15. Aufbau-VO nicht zurückgegriffen werden, weil die Beklagte vor Inkrafttreten dieser Vorschrift neu - 1934 - zugelassen worden war. Die durch Erlaß des Reichsarbeitsministers vom 29. März 1934 (RVA AN 1934 IV S. 134) ausgesprochene Zulassung der Geda-Kasse für den Personenkreis, wie er durch die am 1. April 1934 in Kraft getretene Satzung bezeichnet wird, bedeutet nicht - wie die Beklagte offenbar meint - eine heute unbeachtliche Einschränkung des beitrittsberechtigten Personenkreises der in ihrer Identität sonst nicht betroffenen Kasse. Abgesehen davon, daß der vorgenannte Erlaß ausdrücklich unter Hinweis auf das Gesetz über die Zulassung von Ersatzkassen der Krankenversicherung vom 5. Dezember 1933 (RGBl I 1037) von Zulassung spricht, war eine Zulassung auch nach der damaligen Sachlage erforderlich. Denn nach Auflösung des Trägerverbandes, der nach der Satzung von 1927 zugleich den beitrittsberechtigten Personenkreis umfaßte, war offen, welchen Personenkreis die Kasse nunmehr aufnehmen könne. Dieser, die Existenz der damaligen Kasse in Frage stellende, Zustand wurde durch den Erlaß in der Weise beendet, daß die Kasse für einen neu bestimmten Personenkreis zugelassen wurde.

Es entspricht auch erkennbar dem Sinn und Zweck des § 4 der 12./15. Aufbau-VO, die Beitrittsberechtigung auf den Personenkreis zu beschränken, wie er in der Satzung umschrieben ist, mit der die Beklagte 1934 neu zugelassen worden war. Denn nur wenn dieser Personenkreis - wie auch bei den meisten Ersatzkassen, die auf 1927 zugelassene Berufskrankenkassen zurückgehen - nicht mehr nach der weitgehend im Belieben stehenden Zugehörigkeit zu einem Verband, sondern nach Berufsgruppen abgegrenzt ist, ist die Beschränkung praktisch wirksam. Die Wirksamkeit der Beschränkung steht in Verbindung mit der ebenfalls durch die 12. Aufbau-VO (vgl. § 30) erfolgten Aufhebung der zugunsten der regionalen Kassen geschaffenen Schutzvorschrift des § 516 Abs. 3 Reichsversicherungsordnung (RVO idF des Gesetzes vom 15. Dezember 1927 - RGBl I 219). Hiernach war, solange die 1927 zugelassenen Ersatzkassen für "wirtschaftliche Verbände von Arbeitnehmern" (§ 503 Abs. 3 RVO, der ebenfalls von der 12. Aufbau-VO - vgl. § 18 - aufgehoben wurde) zugelassen waren, der Widerruf der Zulassung schon dann möglich, "wenn der weitere Bestand der Berufskrankenkasse den berechtigten Interessen der Allgemeinen Orts- oder der Landkrankenkassen zuwiderläuft". Der Zusammenhang des § 4 Abs. 1 Satz 2 der 12./15. Aufbau-VO mit dem ersatzlosen Wegfall der Schutzvorschrift des § 516 Abs. 3 RVO macht auch deutlich, daß an eine Erweiterung des Mitgliederkreises im Sinne der für praktisch alle Berufsgruppen der Angestellten offenen Satzung von 1927 etwa unter dem Gesichtspunkt der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts (in diesem Sinne Schreiben des Bundesversicherungsamts vom 29. August 1960, Anlage 1 zu Anlage IX des Gutachtens Bogs) für sich allein, d. h. als isolierte Maßnahme nicht gedacht werden kann. Wenn auch nicht alle Ersatzkassen der Beschränkung auf bestimmte Berufsgruppen unterworfen sind, wäre doch die unbeschränkte Zugangsmöglichkeit zu der Beklagten und damit auch zu den anderen Kassen, die aus den 1927 erstmals zugelassenen Ersatzkassen hervorgegangen sind, nicht ohne Erwägungen darüber möglich, ob eine § 516 Abs. 3 RVO (in der obengenannten Fassung) entsprechende Schutzvorschrift wieder geschaffen werden müßte.

Wie der Senat schon mehrfach (vgl. BSG 24, 266; Urteil vom 28. August 1968 aaO) auch unter Würdigung der Einwendungen von Bogs (in seinem vorliegenden Gutachten und in ErsK 1971, 109, 118, 165 ff, vgl. Urteil vom 23. Juni 1971 in BSG 33, 26 = SozR Nr. 12 zu § 4 der 12. Aufbau-VO vom 24. Dezember 1935) entschieden hat, ist eine über § 4 der 12./15. Aufbau-VO in Verbindung mit der maßgebenden Satzung hinausgehende Erweiterung des Mitgliederkreises im Einzelfall gegenüber der Allgemeinen Ortskrankenkasse unwirksam. Den Interessen des einzelnen Versicherten ist durch § 518 Abs. 1 RVO genügend Rechnung getragen.

Die Mitgliederkreis-VO vom 26. Oktober 1938 (RGBl I 1519) ist jedenfalls seit dem Zusammentritt des Bundestages unwirksam (Art. 123, 129 Abs. 3 Grundgesetz - GG -). Nach dieser Vorschrift ist Mitgliederkreis im Sinne des § 4 der 12./15. Aufbau-VO der Personenkreis, der in der von der Aufsichtsbehörde genehmigten Satzung festgelegt ist, die im Zeitpunkt der Aufnahme des Versicherungsberechtigten in Kraft war. Damit werden im Ergebnis die Ersatzkassen ermächtigt, mit Genehmigung der jeweiligen Aufsichtsbehörde eine Norm - Satzung - zu schaffen, die ein Gesetz - § 4 der 12./15. Aufbau-VO - inhaltlich durchbricht. Daß die Mitgliederkreis-VO der Verwaltung die - gerichtlich unüberprüfbare - Befugnis erteilt, § 4 der 12./15. Aufbau-VO nicht nur auszulegen und anzuwenden, sondern diese Vorschrift - die ein Gesetz im Sinne des § 129 Abs. 3 GG darstellt (vgl. BVerfG 22, 1, 12) - zu ändern, zeigt gerade der vorliegende Fall: Wäre die Mitgliederkreis-VO gültig, so wäre die Beitrittsberechtigung nicht auf den Personenkreis beschränkt, den § 4 der 12./15. Aufbau-VO erkennbar meint. Die Beitrittsberechtigung könnte vielmehr nach der Vorstellung der Verwaltung praktisch unbeschränkt ausgedehnt werden.

Die Beitrittsberechtigung der fachlichen Hilfskräfte von Ärzten, wie sie in der genehmigten Satzung der Beklagten vom 1. Januar 1954 festgelegt worden ist, ist wegen Verstoßes gegen § 4 Abs. 1 Satz 2 der 12./15. Aufbau-VO unwirksam, weil die Satzung der Beklagten vom 1. April 1934 eine solche oder vergleichbare Berufsgruppe nicht zu dem Kreis der Beitrittsberechtigten zählt. Da für die Beitrittsberechtigung der beigeladenen Schwesternschülerinnen - unbestritten - nur diese Satzungsvorschrift hätte in Betracht kommen können, ist kein Mitgliedschaftsverhältnis zu der Beklagten entstanden.

Da die Vorinstanzen diese Rechtsfolge auf Antrag der Klägerin festgestellt haben, war die Revision der Beklagten als unbegründet zurückzuweisen (§§ 170 Abs. 1 Satz 1, 193 Sozialgerichtsgesetz).

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1647461

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