Leitsatz (amtlich)

1. Bei nur vorübergehendem Aufenthalt im Ausland findet die Vorschrift des RVO § 1281 über das Ruhen der Rente keine Anwendung. Hält sich demnach ein Rentner besuchsweise für etwa sechs Monate in Amerika auf, so ist ihm die Rente für die Zeit des Auslandsaufenthalts auch zu zahlen, wenn er dem Versicherungsträger seinen Aufenthaltsort nicht mitteilt.

2. Grundbetrag, Rentenzulage (nach dem Rentenzulagengesetz vom 1951-08-10) und Grundbetragserhöhung (nach dem Grundbetragserhöhungsgesetz vom 1953-04-17) dürfen für die Zeit des Auslandsaufenthalts auch dann nicht gewährt werden, wenn die Rente erst nach der Rückkehr in das Inland gezahlt wird.

 

Normenkette

RVO § 1281 Fassung: 1934-05-17, § 1284 Fassung: 1934-05-17; GEG § 2 Abs. 1 Fassung: 1953-04-17; RZG § 1 Abs. 3 Fassung: 1951-08-10

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers werden die Urteile des Sozialgerichts ... vom 2. September 1954 und des Landessozialgerichts ... vom 15. März 1955 aufgehoben.

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger die Invalidenrente für die Zeit vom 1. Oktober 1953 bis 5. Februar 1954 ohne Grundbetrag, Rentenzulage (nach dem Rentenzulagegesetz vom 10. August 1951) und Grundbetragserhöhung (nach dem Grundbetragserhöhungsgesetz vom 17. April 1953) zu zahlen. Der Bescheid der Beklagten vom 8. März 1954 bleibt insoweit bestehen, als der Kläger für verpflichtet erklärt ist, sich den Grundbetrag die Rentenzulage und die Grundbetragserhöhung für die Monate August und September 1953 anrechnen zu lassen; im übrigen wird der Bescheid vom 8. März 1954 aufgehoben.

Die Beklagte hat dem Kläger 2/3 der ihm durch den Rechtsstreit entstandenen Kosten zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Tatbestand

Die Beklagte hat die Zahlung der Invalidenrente des Klägers, der sich vom 13. Juli 1953 bis 5. Februar 1954 zum Besuch von Verwandten in Amerika aufhielt, von Oktober 1953 an auf eine Mitteilung der die Rente auszahlenden Postdienststelle eingestellt. Der Kläger hat der Beklagten erst nach seiner Rückkehr mit Schreiben vom 9. Februar 1954 von seiner Auslandsreise Mitteilung gemacht und gebeten, ihm die während seiner Abwesenheit einbehaltene Rente nachzuzahlen. Unter dem 8. März 1954 hat die Beklagte den Antrag des Klägers ablehnend beschieden und ihm gleichzeitig mitgeteilt, er habe die ihm während seines Auslandsaufenthalts noch für die Monate August und September 1953 gezahlte Rente zu Unrecht erhalten, die Beklagte werde daher die dem Kläger vom 6. Februar 1954 an wieder zu zahlende Rente um die überzahlten Beträge für die Monate August und September 1953 kürzen; das Ruhen der Rente während der Zeit des Auslandsaufenthalts des Klägers sei gerechtfertigt, da er es entgegen der Vorschrift des § 1281 RVO unterlassen habe, der Landesversicherungsanstalt seinen Aufenthaltsort im Ausland mitzuteilen.

Mit der am 26. März 1954 vor dem Sozialgericht ... erhobenen Klage beantragte der Kläger Aufhebung des Bescheides der Beklagten vom 8. März 1954 und Zahlung der Invalidenrente für die Zeit seines Auslandsaufenthaltes, da er nur eine kurze Besuchsreise ins Ausland gemacht habe und sein Rentenbescheid keine Belehrung über eine entsprechende Anzeigepflicht enthalte. Das Sozialgericht ... hat die Klage abgewiesen; die Berufung hat es wegen der grundsätzlichen Bedeutung des Rechtsstreits zugelassen.

Das Landessozialgericht ... hat die gegen das Urteil des Sozialgerichts ... eingelegte Berufung zurückgewiesen; es hat die Revision zugelassen, weil es sich um eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung handle (§ 162 Abs. 1 Ziff. 1 SGG). Nach der Auffassung des Landessozialgerichts ist die Rechtsprechung des früheren Reichsversicherungsamts zu § 1313 RVO (alter Fassung) überholt, wonach der gewöhnliche Aufenthalt im Inland auch bei längerem Auslandsaufenthalt fortbestehen könne; denn der Wortlaut des § 1313 a. F. (jetzt § 1281 RVO) habe durch das Gesetz vom 19. Juli 1923 (RGBl. I S. 686) eine Änderung erfahren. Hiernach ruhe die Rente nicht mehr - wie es in § 1313 RVO a. F. hieß - allein in den Fällen, in denen sich der Berechtigte "freiwillig gewöhnlich" im Ausland aufhalte, sondern schon dann, wenn er sich dort "aufhalte", ohne der Versicherungsanstalt seinen Aufenthaltsort mitzuteilen; die Rente berechtigter Ausländer ruhe dagegen nach wie vor unter der Voraussetzung, daß sie sich "freiwillig gewöhnlich" im Ausland aufhielten (§ 1282 Nr. 1 RVO). Aus der abweichenden Fassung des § 1281 RVO muß nach Auffassung des Vorderrichters geschlossen werden, daß bei Inländern auch ein kurzfristiger Auslandsaufenthalt das Ruhen der Rente bewirke, sofern sie es schuldhaft unterlassen, der Versicherungsanstalt von ihrem Aufenthaltsort Kenntnis zu geben. Hierbei sei zu berücksichtigen, daß der Inländer nach dem heute geltenden Rechtszustand im Verhältnis zum Ausländer insofern besser gestellt sei; als ihm die Rente bei ordnungsgemäßer Mitteilung seines Aufenthaltsortes auch ins Ausland gezahlt werde. Daß die Beklagte durch den Bruder des Klägers über die Post vom Aufenthalt des Klägers im Ausland erfahren habe, habe den Kläger nicht von seiner Anzeigepflicht entbunden, zumal der tatsächliche Aufenthaltsort dadurch nicht bekannt geworden sei. Ob die Rückseite des Rentenbescheids einen entsprechenden Hinweis enthalten habe, könne dahingestellt bleiben.

Mit der am 27. Juli 1955 beim Bundessozialgericht eingegangenen Revision gegen das dem Kläger am 30. Juni 1955 zugestellte Urteil des Landessozialgerichts begehrt der Kläger,

Aufhebung des Urteils des Landessozialgerichts ... vom 22. März 1955 und des Urteils des Sozialgerichts ... vom 2. September 1954 sowie Verurteilung der Beklagten, dem Kläger auch für die Zeit vom 1. August 1953 bis 5. Februar 1954 Invalidenrente zu gewähren.

In der Revisionsbegründung widerspricht der Kläger der Auslegung des § 1281 RVO durch das Vordergericht. Auch nach der geltenden Gesetzesfassung solle die Unterlassung einer Mitteilung über den Aufenthaltsort nicht bei jedem Auslandsaufenthalt zum Ruhen der Invalidenrente führen. Das Verlangen der Beklagten, auch bei nur besuchsweisem Aufenthalt im Ausland eine Mitteilung über den jeweiligen Aufenthaltsort des Rentners zu erhalten, bedinge einen unverhältnismäßig großen und zudem unnötigen Verwaltungsaufwand. Der Anspruch des Klägers bestehe im übrigen auch deshalb zu Recht, weil er die Mitteilung des Ortes seines Auslandsaufenthaltes nicht schuldhaft unterlassen habe. Es müsse genügen, daß die Beklagte durch den Bruder des Klägers von seinem Auslandsaufenthalt erfahren habe; sie hätte sich bei dem Bruder des Klägers über die näheren Einzelheiten seines Auslandsaufenthalts erkundigen können.

Die Beklagte beantragt Zurückweisung der Revision als unbegründet Sie weist in Ergänzung ihres bisherigen Vorbringens darauf hin, daß die Rente des Klägers zwar als Fremdrente i. S. des Fremdrenten- und Auslandsrentengesetzes vom 7. August 1953 (BGBl. I S. 848) anzusehen sei, weil der Kläger seine Beiträge fast ausschließlich an einen nicht mehr bestehenden Versicherungsträger, nämlich an die LVA. Sachsen, entrichtet habe; gleichwohl könne die Bestimmung in § 1 Abs. 4 dieses Gesetzes, die einen Auslandsaufenthalt von weniger als sechs Monaten ausdrücklich von dem Ruhen der Rente ausnehme, hier nicht angewendet werden, da sie im Verhältnis zu § 1281 RVO eine Sondervorschrift sei und das Ruhen der Rente sich bereits aus § 1281 RVO ergebe.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist statthaft, da sie vom Landessozialgericht zugelassen ist (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG). Sie ist auch in rechter Form und Frist eingelegt und begründet worden (§ 164 SGG).

I. Die Entscheidung über die Begründetheit der Revision hängt, wie auch das Vordergericht angenommen hat, von der Auslegung des § 1281 Satz 1 RVO ab. Nach dieser Vorschrift ruht eine Invalidenrente, solange sich der berechtigte Inländer "im Ausland aufhält" und es unterläßt, der Versicherungsanstalt seinen Aufenthaltsort mitzuteilen. Wäre diese Vorschrift mit dem Landessozialgericht dahin zu verstehen, daß jede, auch eine nur vorübergehende Verlegung des Aufenthalts in das Ausland das Ruhen der Rente bewirkt, sofern nicht der Rentenberechtigte persönlich der Versicherungsanstalt seinen Aufenthaltsort mitteilt, dann hätte die Rente des Klägers in der Tat vom Ende des Monats an (§ 1290 RVO), in dem er das Inland verlassen hat, bis zum Tage seiner Rückkehr geruht; denn eine Mitteilung über den Aufenthalt im Ausland ist der Beklagten seitens des Klägers erst nach seiner Rückkehr zugegangen. Für eine solche Auslegung scheint auf den ersten Blick der Wortlaut des § 1281 RVO zu sprechen, insbesondere wenn man ihn zu der in § 1282 RVO getroffenen Regelung in Beziehung setzt, wonach die Rente ruht, solange sich der berechtigte Ausländer "freiwillig gewöhnlich im Ausland aufhält." Gegenüber einer solchen allein dem Wortlaut folgenden Auslegung ist indessen darauf hinzuweisen, daß danach der Inländer bei einem lediglich vorübergehenden Aufenthalt im Auslande hinsichtlich der Rentenzahlung schlechter gestellt wäre als der Ausländer gemäß § 1282 RVO. Dagegen spricht weiter vor allem die vom Landessozialgericht nicht hinreichend berücksichtigte Entstehungsgeschichte des § 1281 RVO.

Die heute geltende Fassung des § 1281 RVO beruht auf dem Gesetz über Änderungen der Reichsversicherungsordnung vom 19. Juli 1923 (RGBl. I S. 686), Abschn. A, Art. 48. Bis zum Inkrafttreten dieses Gesetzes hatte zuletzt § 1313 der Reichsversicherungsordnung vom 19. Juli 1911 (RGBl. I S. 509) bestimmt: "Die Rente ruht, solange ... der Berechtigte sich freiwillig gewöhnlich im Ausland aufhält." Während es hiernach zweifelsfrei war, daß ein vorübergehender Aufenthalt im Ausland das Ruhen der Rente nicht bewirken konnte, lag dies ursprünglich - nach der Fassung des Gesetzes betreffend die Invaliditäts- und Altersversicherung vom 22. Juni 1889 (RGBl. I S. 97) - nicht so klar zutage, weil hier das Ruhen der Rente vorgeschrieben war, solange der Berechtigte "nicht im Inland wohnt" (§ 34 Nr. 4). Aber schon diese erste, auf das tatsächliche "Wohnen" (nicht den Wohnsitz) abstellende Fassung, die mithin dem heutigen Begriff des (tatsächlichen) Aufenthalts entspricht, ist von der Rechtsprechung dahin ausgelegt worden, daß ein lediglich zufälliger, begrenzter, vorübergehender Aufenthalt kein das Ruhen der Rente bewirkender Sachverhalt im Sinne des Gesetzes sei (Entsch. des RVA. vom 5. Oktober 1898, AN. 1898 S. 633, 635). Führte hiernach in der Invalidenversicherung ein vorübergehender Aufenthalt des berechtigten Inländers im Ausland bis zum Änderungsgesetz vom Jahre 1923 nicht zu einem Ruhen der Rente, so fragt es sich, ob der Gesetzgeber durch das angeführte Änderungsgesetz vom 19. Juli 1923 das Ruhen der Rente auch für einen nur vorübergehenden Auslandsaufenthalt einführen wollte. Die Frage ist in den parlamentarischen Verhandlungen über die Neufassung des § 1313 RVO a. F., die auf eine Anregung des zuständigen Reichstagsausschusses zurückgeht, nicht erörtert worden (Verhandlungen des Reichstags, 1. Wahlperiode 1920, Anlagen zu den Stenografischen Berichten S. 1806 ff. und S. 7359 ff. 7371; Verhandlungen des Reichstags, 1. Wahlperiode 1920, Stenografische Berichte, Band 360 S. 11714 ff., 11718). Offenbar hat dem Gesetzgeber dabei die für die Unfallversicherung geltende Vorschrift des § 615 Abs. 1 Nr. 2 RVO als Vorbild gedient. Das ergibt sich aus einem Vergleich des Wortlautes der beiden Bestimmungen und wird von Hanow-Lehmann (Invalidenversicherung, 4. Aufl. 1925, § 1313 Anm. 1) bestätigt. § 615 Abs. 1 Nr. 2 RVO, der das Ruhen der Unfallrente anordnet, "solange sich der berechtigte Inländer im Ausland aufhält und es unterläßt, der Genossenschaft seinen Aufenthalt mitzuteilen", geht wiederum auf § 94 Nr. 3 des Gewerbeunfallversicherungsgesetzes (GUVG) i. d. F. vom 30.6.1900 (RGBl. S. 585) zurück. Diese Vorschrift hat in Verbindung mit den entsprechenden Bestimmungen in § 100 Nr. 3 des Unfallversicherungsgesetzes für Land- und Forstwirtschaft und § 37 Abs. 1 des Bauunfallversicherungsgesetzes (beide in der Fassung vom 30.6.1900, RGBl. S. 641, S. 698) auf dem Gebiet der Unfallversicherung etwa die gleiche Bedeutung wie der spätere § 1313 RVO i. d. F. des Änderungsgesetzes von 1923 auf dem Gebiet der Invalidenversicherung. Vor der Neuregelung im Jahre 1900 hatte nämlich auch in der Unfallversicherung - soweit dort überhaupt ein Ruhen der Rente bei Auslandsaufenthalt vorgesehen war, also in der Bau- und See-Unfallversicherung, nicht dagegen in der gewerblichen und landwirtschaftlichen Unfallversicherung - die Verlegung des Wohnsitzes (im Sinne des gewöhnlichen Aufenthalts) in das Ausland für Inländer und Ausländer gleichermaßen die Einstellung der Rentenzahlung nach sich ziehen können (§ 39 des Bau-UVG u. § 75 des See-UVG vom 11. bzw. 13.7.1887 RGBl. S. 287, S. 329).

Die Novellengesetzgebung des Jahres 1900 machte nun - ebenso wie später das Änderungsgesetz zu § 1313 RVO vom Jahre 1923 für die Invalidenversicherung - zum ersten Male zwischen Inländern und Ausländern einen Unterschied, indem sie für ausländische Rentenempfänger allgemein, d. h. auch in der gewerblichen und landwirtschaftlichen Unfallversicherung, die bisher nur in der Bau- und See-Unfallversicherung geltende Regelung einführte, Inländer dagegen insgesamt von den Ruhensbestimmungen ausnahm, sofern sie nur bei einem Aufenthaltswechsel in das Ausland dem Versicherungsträger davon Nachricht gaben. Mit dieser Regelung war nach dem Willen der gesetzgebenden Organe beabsichtigt, "die Rechte der deutschen Arbeiter ... für den Fall, daß sie ins Ausland gehen, besser (als die der ausländischen) zu berücksichtigen" (Stenografische Berichte über die Verhandlungen des Reichstags, 10. Legislaturperiode, 1. Session 1898/1900, 7. Band, S. 5776 C, D). Die Gesetzesmaterialien enthalten keine Anhaltspunkte dafür, daß die Inländer gegenüber den Ausländern in irgendeiner Hinsicht schlechter gestellt werden sollten. Eine Schlechterstellung hätte es aber bedeutet, wenn der (auch nach bisherigem Recht der Bau- und See-Unfallversicherung für den Fortbezug der Rente unschädliche) vorübergehende Auslandsaufenthalt - anders als bei Ausländern - anzeigepflichtig gemacht worden wäre. Aus den Verhandlungen des Reichstags ergibt sich ferner, daß die Pflicht, "der Berufsgenossenschaft von Zeit zu Zeit seinen Aufenthalt anzugeben", allein zu dem Zweck eingeführt wurde, den Versicherungsträger in die Lage zu versetzen, "zu kontrollieren, ob der Zustand des Verletzten noch derselbe ist, wie er vorher gewesen war" (a. a. O. S. 5776 D, vgl. ferner a. a. O. S. 5519 D/5520 A und Anlagen zu den genannten Stenografischen Berichten S. 4711).

Dementsprechend hat das Reichsversicherungsamt in den ihm nach § 94 Nr. 3 GUVG vorbehaltenen näheren Bestimmungen über Mitteilung und Vorstellung vom 5. Juli 1901 (AN. 1901 S. 455) nur solchen rentenberechtigten Inländern eine Mitteilungspflicht auferlegt, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland nehmen (§ 1). Wenn das Wort "gewöhnlich" bei der späteren, den Vorschriften der RVO angepaßten Neufassung der Ausführungsbestimmungen vom 2. November 1912 (AN. 1912 S. 976) weggefallen ist, so kann dem angesichts des im entscheidenden Punkt unverändert gebliebenen Gesetzeswortlautes - § 615 Abs. 1 Nr. 2 RVO und § 94 Nr. 3 GUVG sprechen beide nur von Auslandsaufenthalt - sachliche Bedeutung nicht beigemessen werden, zumal an anderer Stelle (§ 5) weiterhin von einem "Wechsel des gewöhnlichen Aufenthalts" die Rede ist. Im übrigen hätte die Anwendung der vom Reichsversicherungsamt eingeräumten, je nach Entfernung des ausländischen Aufenthaltsortes abgestuften Mitteilungsfristen rechtlich zur Folge gehabt, daß Reisen von kürzerer als in den Fristen festgelegten Dauer in jedem Falle von der Anzeigepflicht freigeblieben wären.

Die einschränkende Auslegung des Aufenthaltsbegriffes im Sinne des gewöhnlichen Aufenthalts ist mittelbar bestätigt worden durch § 1116 Abs. 1 Nr. 2 RVO i. d. F. vom 19. Juli 1911. Diese Vorschrift enthält im Gegensatz zu ihrer Vorläuferin im See-UVG 1900 (§ 98 Nr. 3) und abweichend von dem Regierungsentwurf zur RVO (§ 1102 Nr. 2) neben dem Erfordernis des Auslandsaufenthalts ausdrücklich die Worte "freiwillig gewöhnlich"; sie bezieht sich auf sämtliche Berechtigte, also auch auf die inländischen Rentner und lautet in der endgültigen Fassung: "Das Recht auf den Bezug der Rente ruht auch, solange der Berechtigte ... sich freiwillig gewöhnlich im Ausland aufhält und es unterläßt, der Berufsgenossenschaft seinen Aufenthalt mitzuteilen ...". Daß mit der Einfügung der genannten Worte eine materielle Änderung des bestehenden Rechtszustandes bzw. des vorerwähnten Gesetzesentwurfs beabsichtigt war, ist den Materialien zur RVO nicht zu entnehmen (vgl. Bericht der Reichstagskommission über den Entwurf einer Reichsversicherungsordnung, Buch 3 bis 6, S. 254). Die Tatsache, daß die Änderung beiläufig und ohne Aussprache vorgenommen wurde, macht es im Gegenteil wahrscheinlich, daß sie lediglich der Verdeutlichung des ohnehin geltenden Rechts dienen sollte. Wenn die Neufassung der Ruhensvorschriften für Seeleute im übrigen zwischen In- und Ausländern nicht unterscheidet, so wird dadurch die Beweiskraft der Vorschrift nicht gemindert. Die gleichmäßige Befreiung aller Rentenberechtigten von der Mitteilungspflicht im Falle eines nur vorübergehenden Auslandsaufenthalts zeigt im Gegenteil umso eindringlicher, daß auch insoweit eine Benachteiligung der inländischen Rentner gegenüber den ausländischen nicht eintreten sollte.

Dieselbe Rechtslage, wie sie sich hiernach seit dem Jahre 1900 für die Unfallversicherung ergibt, besteht nach Anpassung der Fassung der Ruhensvorschriften der Invalidenversicherung an die der Unfallversicherung durch das Änderungsgesetz vom 19. Juli 1923 allgemein auch in der Invalidenversicherung. Insbesondere ist der frühere Rechtszustand, wonach ein nur vorübergehender Aufenthalt im Ausland keinen Einfluß auf den Bezug der Rente hatte - trotz Änderung des Wortlauts des Gesetzes - insoweit nicht geändert worden, als es sich um rentenberechtigte Inländer handelt. Diese unterliegen daher bei nur vorübergehendem Auslandsaufenthalt nicht der Mitteilungspflicht nach § 1281 RVO. Ein Ruhen der Rente wegen angeblicher Verletzung dieser Pflicht kann deshalb nicht eintreten ( ebenso für § 1313 RVO a. F. Hanow-Lehmann, Invalidenversicherung 4. Aufl. 1925 Anm. 3; Reichsversicherungsordnung mit Anmerkungen, herausgegeben von Mitgliedern des Reichsversicherungsamts, Bd. IV 2. Aufl. 1930 Anm. 2; Krohn-Zschimmer, Handkommentar zur RVO, 1931 Anm. 1; RVA. in AN. 1930 S. 384; für § 1281 RVO Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 1.-4. Aufl., S. 719; Koch-Hartmann, Kommentar zum AVG, Stand 1.3.1938, S. 247, anders aber wohl 2. Aufl., Stand Mai 1955, Bd. 1 S. 480; Allendorf-Haueisen, Kommentar zum AVG 1938, S. 164; Sozialgericht Karlsruhe in Breithaupt 1955, S. 964 und anscheinend auch Bayer. Landessozialgericht in Breithaupt 1954, S. 1028, 1030; anderer Ansicht Verbandskommentar zur RVO 5. Aufl. 1954, § 1281 Anm. 3; Dersch, Kommentar zum AVG 3. Aufl. 1926, § 73 Anm. 3 b mit Ausnahme "ganz kurzer" Auslandsreisen; Barth, Mitteilungen der LVA. Württemberg 1954 S. 117).

Ein Grund für die Annahme einer Mitteilungspflicht bei lediglich vorübergehendem Auslandsaufenthalt ist schließlich auch nicht aus § 1284 RVO zu entnehmen, der die Einbehaltung des Grundbetrags bei den ins Ausland gezahlten Renten vorsieht. Zwischen §§ 1281 und 1284 RVO bestehen keine inneren Zusammenhänge, insbesondere ist die Mitteilungspflicht nach § 1281 RVO, wie schon dargelegt, nicht zu dem Zweck eingeführt worden, um den Versicherungsträger in die Lage zu versetzen, die Vorschrift des § 1284 RVO überhaupt erst wirksam werden zu lassen. Andernfalls hätte die Mitteilungspflicht, was nicht geschehen ist, auch auf Ausländer mit vorübergehendem Auslandsaufenthalt erstreckt werden müssen. Im übrigen wird der Versicherungsträger über die Ortsabwesenheit eines Rentenberechtigten in der Regel bereits durch eine (formularmäßige) Mitteilung des Zahlpostamtes hinreichend unterrichtet.

Für eine Beschränkung des § 1281 RVO auf Fälle des gewöhnlichen Auslandsaufenthalts spricht auch die Regelung in § 1 Abs. 4 des Fremdrenten- und Auslandsrentengesetzes vom 7. August 1953 (BGBl. I S. 848). Nach dieser Bestimmung, für deren Anwendung auf den vorliegenden Fall die das Revisionsgericht bindenden tatsächlichen Feststellungen des Vorderrichters keine hinreichende Grundlage bilden, ruhen die Leistungen nach dem Fremdrentengesetz, "solange sich der Berechtigte freiwillig nicht nur vorübergehend außerhalb des Bundesgebiets und des Landes Berlin aufhält". Was der Gesetzgeber dabei in jedem Falle noch als einen vorübergehenden Aufenthalt angesehen wissen will, ergibt der nachfolgende Satz, der das Ruhen der Rente von einem Auslandsaufenthalt von sechs Monaten oder weniger ausschließt. In welcher Weise die Grenze bei einem längeren Auslandsaufenthalt zu ziehen ist, hat der Gesetzgeber hier wie sonst (§ 1281 RVO) der Rechtsprechung überlassen, um den Umständen des Einzelfalles gerecht werden zu können. Dabei mögen nicht selten Zweifel bestehen, ob eine Verlegung des Aufenthalts in das Ausland noch als vorübergehend anzusehen ist. Für die Entscheidung des vorliegenden Falles genügt die Feststellung, daß jedenfalls eine von vornherein zeitlich begrenzte Besuchsreise nach Amerika keinen Aufenthalt im Auslande i. S. des § 1281 RVO darstellt. Der Rentenanspruch des Klägers hat also während der Zeit seines Auslandaufenthaltes, d. h. vom 13. Juli 1953 bis zum 5. Februar 1954, nicht gemäß § 1281 RVO geruht. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob der Anwendung des § 1281 RVO nicht außerdem die Tatsache entgegensteht, daß die Beklagte von der Abwesenheit des Klägers, wenn auch nicht durch diesen persönlich, bereits im Dezember 1953 Kenntnis erlangt hat. Unentschieden kann ferner bleiben, ob dem Kläger unter Berücksichtigung aller Umstände - so auch des fehlenden Hinweises in dem Rentenbescheid - die Unterlassung der Mitteilung zum Verschulden anzurechnen ist. Ein Ruhen der Rente nach § 1281 RVO ist schon deswegen nicht eingetreten, weil der Kläger sich nur vorübergehend im Ausland aufgehalten hat.

II. Der Zahlung der vollen Rente für die Zeit des Auslandsaufenthalts steht jedoch die Vorschrift des § 1284 RVO entgegen, wonach der Grundbetrag bei den ins Ausland gezahlten Renten, soweit die oberste Verwaltungsbehörde keine Ausnahmen zugelassen hat, außer Ansatz bleibt. Der eindeutige Zweck der Vorschrift des § 1284 RVO liegt darin, die Abwanderung von Mitteln ins Ausland zu verhindern, die nicht auf Beiträgen beruhen, sondern von der Allgemeinheit aufgebracht worden sind (vgl. Grunds. E. des RVA. Nr. 2978 vom 19. Mai 1926, AN. S. 380). In diesem Sinne hat das frühere RVA. entschieden, daß das Verbot der Zahlung des Grundbetrages in das Ausland auch Platz greift, wenn die Rentenbeträge nicht an den im Ausland befindlichen Rentenberechtigten gesandt werden, sondern - bei Zahlung an einen im Inland Empfangsberechtigten - im Inland verbleiben. Nach einer weiteren Entscheidung des RVA. vom 5. Januar 1927 Nr. 3055 (AN. S. 336) gilt das Auszahlungsverbot auch, wenn der Berechtigte, wie hier, aus dem Ausland zurückgekehrt ist und nunmehr im Inland - für die Dauer des Auslandsaufenthalts - die Zahlung (Nachzahlung) des früheren Reichszuschusses - jetzigen Grundbetrages - verlangt. Es macht also keinen Unterschied, ob die Rente tatsächlich "ins" Ausland gezahlt wird, oder an einen Empfangsberechtigten im Inland oder den Rentenberechtigten selbst nach seiner Rückkehr in das Inland. Eine andere Auslegung des § 1284 RVO würde, wie das RVA. in den angeführten Entscheidungen zutreffend dargelegt hat, der Gesetzesumgehung Tür und Tor öffnen. - Die Rentenzulage und die Grundbetragserhöhung werden nach ausdrücklicher und eindeutiger Gesetzesvorschrift "nur gewährt, wenn und solange sich der Berechtigte im Bundesgebiet oder im Land Berlin aufhält" (§ 1 Abs. 3 des Rentenzulagengesetzes vom 10. August 1951, BGBl. I S. 505; § 2 Abs. 1 des Grundbetragserhöhungsgesetzes vom 17. April 1953, BGBl. I S. 125). Der Wegfall der Rentenzulage bei jeglichem Aufenthalt außerhalb der genannten Gebiete beruht nach dem Willen des Gesetzgebers auf dem Gedanken, daß diese Zulagen "auf die Veränderungen der wirtschaftlichen Verhältnisse im Bundesgebiet abgestellt sind und ... aus Bundesmitteln gedeckt werden" (Begründung zu § 1 des Entwurfs eines Rentenzulagegesetzes, Verhandlungen des Deutschen Bundestages, 1. Wahlperiode 1949, Drucks. Nr. 2390). Die gleichen Erwägungen gelten für die auch dem Wortlaut nach übereinstimmende Vorschrift in § 2 Abs. 1 des Grundbetragserhöhungsgesetzes.

Hiernach kann der Kläger von der Beklagten die Zahlung der Rente, vermindert um den Grundbetrag, die Rentenzulage und die Grundbetragserhöhung, für die Zeit vom 13. Juli 1953 bis zum 5. Februar 1954 beanspruchen. Da er die Rente nach den unangefochtenen Feststellungen des Vordergerichts bis Ende September 1953 erhalten hat, ist sein Rentenanspruch insoweit erfüllt; die Zahlungspflicht der Beklagten beschränkt sich auf die Zeit vom 1. Oktober 1953 an. Hinsichtlich der für die Monate August und September 1953 in voller Höhe, d. h. einschließlich Grundbetrag, Rentenzulage und Grundbetragserhöhung gezahlten Rente ist die in dem Bescheid der Beklagten vom 8. März 1954 festgestellte Rückzahlungspflicht nur hinsichtlich des auf diese Zeit entfallenden Grundbetrags, der Grundbetragserhöhung und der Rentenzulage begründet.

Nach allem war die Beklagte zur Zahlung der Rente abzüglich Grundbetrag, Rentenzulage und Grundbetragserhöhung für die Zeit vom 1. Oktober 1953 bis zum 5. Februar 1954 zu verurteilen und der Rückforderungsbescheid der Beklagten vom 8. März 1954 insoweit aufzuheben, als er nicht den Grundbetrag, die Rentenzulage und die Grundbetragserhöhung betrifft. Dabei ist der Senat davon ausgegangen, daß die Beklagte den genannten Rückforderungsbescheid - entsprechend der Vorschrift des § 97 Abs. 1 Nr. 2 SGG, der die aufschiebende Wirkung der Klage bei der Rückforderung von Leistungen anordnet - noch nicht vollzogen hat. Sollte dies indessen doch der Fall sein und der Bescheid im Wege der Aufrechnung gegen die laufende Rente schon vollzogen sein, dann ergibt sich für die Beklagte die Pflicht zur Nachzahlung der zu Unrecht gekürzten Rentenleistungen aus der - teilweisen - Aufhebung des Rückforderungsbescheides.

Die Beklagte hat dem Kläger die Kosten des Rechtsstreits insoweit zu erstatten, als er mit der Klage Erfolg gehabt hat (§ 193 Abs. 1 SGG). Es erschien daher unter Berücksichtigung des Wertes der einzelnen im Streit befangenen Rentenleistungen angemessen, der Beklagten die Erstattung von 2/3 der dem Kläger durch den Rechtsstreit entstandenen Kosten aufzuerlegen.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2373464

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