Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 17.05.1991)

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 17. Mai 1991 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten auch des Revisionsverfahrens zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Die Beteiligten streiten um die Höhe des Altersruhegelds (ARG) der Klägerin, im einzelnen, ob eine Kindererziehungszeit rentensteigernd zu berücksichtigen ist.

Die 1921 geborene, mit einem selbständigen Bäckermeister verheiratete Klägerin, Mutter dreier Kinder, hat bis 1957 Beiträge zur Rentenversicherung, zuletzt zur beklagten Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) entrichtet. Auf ihren Antrag hat sie die Beklagte mit Bescheid vom 10. Februar 1970 ab 1. Januar 1967 nach Art 2 § 1 des Zweiten Rentenversicherungs-Änderungsgesetzes (2. RVÄndG) vom 23. Dezember 1966 (BGBl I S 745) wegen Beschäftigung beim Ehegatten von der Versicherungspflicht befreit. Ab 1979 entrichtet sie aber wieder Pflichtbeiträge, die die Beklagte nicht beanstandete.

Mit Bescheid vom 30. Januar 1987 bewilligte die Beklagte der Klägerin ARG. Dabei rechnete sie für den am 16. November 1966 geborenen Sohn E. nur den Monat Dezember 1966 als Kindererziehungszeit an. Nach Widerspruch stellte die Beklagte das ARG unter Berücksichtigung einer Ausfallzeit neu auf einen höheren Betrag fest. Im übrigen hielt die Klägerin den Rechtsbehelf nicht aufrecht.

Am 8. November 1988 beantragte die Klägerin die Neufeststellung ihres ARG unter Berücksichtigung erneut einer Kindererziehungszeit von Januar bis November 1967: Durch Aufnahme einer Beschäftigung ab 1. Januar 1979 habe sie konkludent auf die Befreiung von der Versicherungspflicht verzichtet.

Mit dem streitigen Bescheid vom 23. November 1988 lehnte dies die Beklagte ab, weil die Klägerin den Verzicht auf die Befreiung entgegen Art 2 § 1 Buchst b des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (AnVNG) nicht bis zum 31. Dezember 1978 erklärt habe.

Widerspruch und Klage der Klägerin sind ohne Erfolg geblieben (Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 24. Januar 1989 und Urteil des Sozialgerichts ≪SG≫ vom 3. Dezember 1990). Auf die Berufung der Klägerin hat das Landessozialgericht (LSG) in der angefochtenen Entscheidung vom 17. Mai 1991 das Urteil des SG aufgehoben und die Beklagte unter Abänderung des streitigen Bescheids verurteilt, die Zeit vom 1. Januar 1967 bis 30. November 1967 beim ARG rentensteigernd zu berücksichtigen. In der Begründung heißt es, die Voraussetzungen für die Anrechnung einer Kindererziehungszeit nach § 28a Abs 1 Satz 1 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) seien in bezug auf den Sohn E. der Klägerin erfüllt. Die Anrechnung der noch streitigen Kindererziehungszeit sei auch nicht nach Abs 4 aaO ausgeschlossen. Der Bescheid der Beklagten vom 10. Februar 1970 über die Befreiung der Klägerin von der Versicherungspflicht habe keine rechtsgestaltende Wirkung entfalten können, da mit dem Ehemann ab 1. Januar 1967 bei nicht nennenswerter, unregelmäßiger Tätigkeit wegen Unentgeltlichkeit kein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis bestanden habe. Nur auf ein am 1. Januar 1967 bestehendes versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis habe sich die Befreiung nach Art 2 § 1 Abs 1 2. RVÄndG bezogen. Ein neues versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis habe die Klägerin mit ihrem Ehemann bei durch die Beklagte nicht beanstandeter Beitragsleistung erst ab 1. Januar 1979 begründet, das von der Befreiung nicht erfaßt worden sei. Im übrigen stehe die Begründung dieses neuen Beschäftigungsverhältnisses einem schriftlichen Verzicht auf die Befreiung von der Versicherungspflicht (Art 2 § 1 Buchst b AnVNG) gleich. Der durch § 28a AVG begünstigte Personenkreis brauchte zu keiner Zeit Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung entrichtet zu haben. Nach Sinn und Zweck dieser Vorschrift sei es nicht gerechtfertigt, der Klägerin eine Kindererziehungszeit vorzuenthalten. Es sei kein sachlicher Grund ersichtlich, sie anders zu behandeln als diejenigen Ehegatten, die durch Abgabe der Erklärung gemäß Art 2 § 1 Buchst b AnVNG auf die Befreiung von der Versicherungspflicht verzichtet haben oder als diejenigen, die zu keiner Zeit der Solidargemeinschaft angehört haben. Die Beklagte sei deshalb zum Erlaß des Bescheids nach § 44 des Zehnten Buchs des Sozialgesetzbuches (SGB X) verpflichtet.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision tritt die Beklagte diesem Urteil entgegen. Sie bringt vor, da die Klägerin im streitigen Zeitraum nach Art 2 § 1 des 2. RVÄndG von der Versicherungspflicht befreit gewesen sei, sei die Berücksichtigung einer Kindererziehungszeit durch § 28a Abs 4 Buchst a AVG ausgeschlossen. Der bestandskräftige Befreiungsbescheid vom 10. Februar 1970 könne allenfalls aufhebbar, nicht aber gegenstandslos sein. Ob die vom Bundessozialgericht (BSG) in der Entscheidung vom 1. Februar 1979 – 12 RK 21/77 – aufgestellten Grundsätze unter Berücksichtigung des SGB X Bestand haben, könne fraglich sein. Da die Klägerin und ihr Ehemann bei der Beantragung der Befreiung von der Versicherungspflicht dezidierte tatsächliche Angaben über das Bestehen eines Beschäftigungsverhältnisses gemacht hätten, sei von ihrer Richtigkeit auszugehen. Zur Entkräftigung dieser Indizien hätte das LSG die Leistungskarte von der Barmer Ersatzkasse (BEK) beiziehen oder Einsicht in die Steuerunterlagen nehmen müssen. Das Berufungsgericht habe durch einseitiges Abstellen auf das Zeugnis des Ehemannes die §§ 103, 128 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) verletzt. Die unbeanstandete Entgegennahme von Pflichtbeiträgen vermöge kein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis zu begründen. Der rechtliche Ansatz des LSG gehe fehl. Letztlich werde nur die vom erkennenden Senat im Urteil vom 30. April 1991 – 4 RA 29/90 -aufgezeigte Auslegung des § 28a Abs 4 Buchst a AVG im Sinne einer Systemabgrenzung der Klägerin weiterhelfen können.

Die Beklagte beantragt,

unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Berufung gegen das Urteil des SG vom 3. Dezember 1990 zurückzuweisen.

Die Klägerin ist im Verfahren vor dem BSG nicht durch einen dort zugelassenen Prozeßbevollmächtigten (§ 166 SGG) vertreten.

Beide Beteiligte haben erklärt, daß sie mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden sind (§ 124 Abs 2 SGG).

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision der Beklagten ist nicht begründet.

Mit Bescheid vom 30. Januar 1987 hat die Beklagte der Klägerin ARG bewilligt, ohne für den im November 1966 geborenen Sohn E. eine Kindererziehungszeit über Dezember 1966 hinaus zu berücksichtigen. Den gegen diesen Bescheid – insoweit – erhobenen Widerspruch hat die Klägerin nicht aufrechterhalten, so daß der Bescheid in der Sache bindend geworden ist (§ 77 SGG). Die Klägerin verlangt indessen die Rücknahme dieses Bescheids und die volle, auch rückwirkende Anrechnung der Kindererziehungszeit für ihren Sohn E. beim ARG mit der Begründung, daß bei Erlaß des Bescheids vom 30. Januar 1987 iS von § 44 Abs 1 Satz 1 SGB X das Recht unrichtig angewandt und deshalb höheres ARG nicht erbracht worden sei. Nach § 300 Abs 3 Satz 1 iVm Abs 2 SGB VI erfolgt die Neufeststellung einer bereits vor dem Inkrafttreten des SGB VI geleisteten Rente noch nach dem bis dahin geltenden alten Recht. Da es um die Neufeststellung einer 1987 bestandskräftig festgestellten Rente geht, ist der streitige Anspruch nach dem bis zum 31. Dezember 1991 geltenden Recht zu beurteilen. Dieses Recht hat die Beklagte im Falle der Klägerin unrichtig angewendet.

Nach § 28a Abs 1 Satz 1 AVG werden für die Erfüllung der Wartezeit Müttern und Vätern, die nach dem 31. Dezember 1920 geboren sind, Zeiten der Kindererziehung vor dem 1. Januar 1986 in den ersten 12 Kalendermonaten nach Ablauf des Monats der Geburt des Kindes angerechnet, wenn sie ihr Kind im Geltungsbereich dieses Gesetzes erzogen und sich mit ihm dort gewöhnlich aufgehalten haben. Haben Mutter und Vater ihr Kind gemeinsam erzogen, werden die Zeiten der Kindererziehung der Mutter angerechnet, sofern Mutter und Vater nicht gegenüber dem zuständigen Rentenversicherungsträger übereinstimmend erklären, daß der Vater das Kind überwiegend erzogen hat (Abs 2 Satz 1 aaO). Nach den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts liegen alle diese gesetzlichen Voraussetzungen für den Anspruch der Klägerin vor; darüber streiten die Beteiligten auch nicht.

Entgegen der Ansicht der Beklagten schließt § 28a Abs 4 AVG die Anrechnung der Kindererziehungszeit nicht aus. Nach dieser Bestimmung gelten die Ab-sätze 1 bis 3 aaO nicht für Mütter und Väter, die während der Kindererziehung a) zu den in § 6 oder entsprechenden früheren Regelungen genannten Personen gehören oder von der Versicherungspflicht befreit waren, es sei denn, daß eine Nachversicherung durchgeführt oder an deren Stelle eine Abfindung gezahlt oder auf die Befreiung von der Versicherungspflicht verzichtet worden ist, oder b) Abgeordnete, Minister oder Parlamentarische Staatssekretäre waren, es sei denn, daß sie ohne Anspruch auf Versorgung ausgeschieden sind.

Der erkennende Senat hat bereits in seiner Entscheidung vom 30. April 1991 – 4 RA 29/90 (in SozR 3-2200 § 1251a Nr 16) – zu dieser Vorschrift bemerkt, daß mit der Begrenzung auf die Personen, die wegen und während der Zugehörigkeit zu einem anderen Versicherungs- oder Versorgungssystem von der Versicherungspflicht befreit sind, auch das sonst schwer verständliche Ergebnis vermieden werde, denjenigen Personen Kindererziehungszeiten zuzubilligen, die nie zuvor eine Verbindung zur gesetzlichen Rentenversicherung hatten, sie aber denjenigen zu versagen, die sich aus einem vom Gesetz als wichtig angesehenen Grund, und zwar nicht notwendig auf Dauer, von der Versicherungspflicht haben befreien lassen. Im Urteil vom 27. Juni 1991 – 4 RA 5/91 (BSGE 69, 101 = BSG SozR 3-2200 § 1251a Nr 19) – hat der erkennende Senat diese Rechtsauffassung bekräftigt und ausgeführt:

§ 28a Abs 4 AVG schließe nur drei Gruppen von – nach 1920 geborenen – Vätern oder Müttern von der Anrechnung von Versicherungszeiten wegen Kindererziehung vor dem 1. Januar 1986 in der gesetzlichen Rentenversicherung aus: Eltern, die „während der Kindererziehung” und bei Eintritt des Versicherungsfalles durch ein anderes, in den §§ 6 Abs 1 Nr 2 bis 6, 8 Abs 1 und Abs 3 AVG genanntes soziales Sicherungssystem geschützt waren; Väter und Mütter, die während der Kindererziehung bereits wegen Eintritts des letzten Versicherungsfalles (Alter) weitere Rentenanwartschaften nach versicherungsrechtlichen Grundsätzen nicht mehr erwerben konnten (ARG-Bezieher iS von § 6 Abs 1 Nr 1 AVG und entsprechenden früheren Vorschriften); schließlich ausländische oder staatenlose Besatzungsmitglieder deutscher Seefahrzeuge (§ 8 Abs 2 AVG), die während der Kindererziehung aufgrund der für sie ausgesprochenen Befreiung schlechthin von der Anwendung deutschen Rentenversicherungsrechts ausgeschlossen waren. Der Kläger des seinerzeit entschiedenen Falles gehöre keiner dieser Gruppen an, weil er niemals wegen der Zugehörigkeit zu einem anderen sozialen Sicherungssystem iS der §§ 7 oder 8 AVG, sondern ausschließlich aus übergangsrechtlichen Gründen im Blick auf seine zuvor versicherungsfreie Beschäftigung „von der Versicherungspflicht befreit” worden sei.

Dieses Ergebnis folge aus dem Normprogramm (Systematik und Zweck) von § 28a AVG (= § 1251a der Reichsversicherungsordnung ≪RVO≫). Nach den Absätzen 1 bis 3 und 5 aaO würden Kindererziehungszeiten grundsätzlich allen Vätern und Müttern im Geltungsbereich der deutschen Rentenversicherungsgesetze angerechnet, ohne daß dies von versicherungsrechtlichen Voraussetzungen abhänge, das heißt, ohne daß der Berechtigte vor, während oder nach der Zeit der Erziehung jemals der Versichertengemeinschaft angehört und auch nur einen – pflichtigen oder freiwilligen – Beitrag entrichtet haben müßte.

Diese Versicherungszeiten eigener Art begründeten aus sich heraus die Versicherteneigenschaft; sie seien geeignet, die Wartezeit zu erfüllen, und dadurch – ohne jede Beitragsleistung – bei Eintritt eines Versicherungsfalles einen Rentenanspruch zu begründen. Soweit während der Kindererziehungszeit Beiträge aus versicherungspflichtiger Beschäftigung oder Tätigkeit oder freiwillige Beiträge entrichtet worden seien, die den Wert 6,25 im Monat nicht erreichten, wirkten sie rentenerhöhend bis zu diesem Wert (§ 32a Abs 5 AVG).

Diese Vorschriften gehörten – wie der Senat bereits mehrfach ausgeführt habe – zum rentenversicherungsrechtlichen Teil eines umfassenden Gesetzgebungsprogramms, das die Hinwendung zum Kind zukunftsgerichtet fördern und die in der Vergangenheit erbrachte Erziehungsleistung anerkennen wolle. Zukunftsbezogen solle ab Januar 1986 durch das Bundeserziehungsgeldgesetz, die Pflichtversicherung bei Kindererziehung sowie durch das beamtenversorgungsrechtliche Kindererziehungszuschlagsgesetz die Hinwendung zum Kind in dessen erster Lebensphase gefördert werden. § 28a AVG und die Regelung über die Leistung für Kindererziehung an Mütter der Geburtsjahrgänge vor 1921 (Art 2 §§ 61 ff AnVNG) dienten der Abrundung dieses Sachprogramms durch leistungsrechtliche Anerkennung der Erziehungsleistung derjenigen, die in der Vergangenheit, das heißt vor dem 1. Januar 1986, ihre Kinder erzogen haben.

Wenn § 28a Abs 4 AVG einigen Gruppen von Eltern unabhängig davon, ob sie kraft Beitragsleistung Versicherte sind oder nicht, die Anerkennung ihrer Erziehungsleistung in der gesetzlichen Rentenversicherung versage, sei Sachgrund hierfür nicht, daß sie gewisse versicherungsrechtliche Bedingungen nicht erfüllten; auf diese komme es, wie ausgeführt, für die Anrechnung von Kindererziehungszeiten gerade nicht an. Ausschlaggebende Rechtfertigung des Ausschlusses dieser Eltern sei allein, daß bei ihnen Gründe vorlägen, welche die Annahme rechtfertigten, daß sie durch die Beanspruchung mit der Kindererziehung keine Einbußen beim Aufbau von Rentenanwartschaften in der gesetzlichen Rentenversicherung erlitten haben. Diese Ausschlußgründe gestalte Abs 4 aaO wie folgt:

Wer schon „während der Kindererziehung” als ARG-Empfänger den Erwerb von Rentenanwartschaften endgültig abgeschlossen gehabt habe (Versicherungsfreiheit nach § 6 Abs 1 Nr 1 AVG und entsprechenden früheren Vorschriften), habe nach Eintritt des letzten Versicherungsfalls schon nach allgemeinen versicherungsrechtlichen Grundsätzen keine erziehungsbedingten Nachteile für seine Altersversorgung erleiden können. Entsprechendes gelte für jene ausländischen und staatenlosen Seeleute, auf die infolge ihrer Befreiung von der Versicherungspflicht nach § 8 Abs 2 AVG während der Kindererziehung das deutsche Rentenversicherungsrecht insgesamt nicht anwendbar gewesen sei.

§ 28a Abs 4 AVG habe, worauf der Senat bereits hingewiesen habe, auch im Blick auf den Ausschluß der anderen dort genannten, versicherungsfreien oder von der Versicherungspflicht befreiten Eltern (§ 6 Abs 1 Nr 2 bis § 8 Abs 3 AVG) systemabgrenzende Natur. Deren Ausschluß rechtfertige sich nämlich daraus, daß sie in aller Regel wegen ihrer Zugehörigkeit zu einem in diesen Vorschriften als dem AVG grundsätzlich gleichwertig anerkannten sozialen Sicherungssystem keine rentenversicherungsrechtlichen Einbußen durch Kindererziehungszeiten hinnehmen hätten müssen. Ihnen hätten allenfalls erziehungszeitbedingte Nachteile in ihrem jeweils anderen Sicherungssystem entstehen können.

Soweit Mütter und Väter bei der Kindererziehung schon Empfänger einer Versorgung nach beamtenrechtlichen oder entsprechenden Grundsätzen und deswegen versicherungsfrei oder von der Versicherungspflicht befreit gewesen seien (§§ 6 Abs 1 Nr 7, 7 Abs 1 AVG), hätten sie ihre Bemühungen um eine Sicherung für Alter und Invalidität bereits außerhalb der gesetzlichen Rentenversicherung in einem anderen Schutzsystem beendet. Die nach § 6 Abs 1 Nr 2 bis 6 AVG Versicherungsfreien (Beamte und vergleichbare öffentlich Bedienstete), ebenso Abgeordnete, Minister und Parlamentarische Staatssekretäre (§ 28a Abs 4 Buchst b AVG), gleichfalls Lehrer und Erzieher, die auf Antrag eines öffentlichen Arbeitgebers iS von § 8 Abs 1 AVG, sowie satzungsmäßige Mitglieder geistlicher Genossenschaften und nach § 2 Abs 1 Nr 7 AVG gleichstehende Personen, die nach § 8 Abs 3 AVG von der Versicherungspflicht befreit worden seien, hätten erziehungsbedingte Nachteile iS von § 28a Abs 1 bis 3 AVG bei ihrer Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung typischerweise nur dann haben können, wenn sie im Zeitpunkt des Versicherungsfalls nicht mehr durch eines der anderen sozialen Versorgungssysteme geschützt gewesen, sondern dort unversorgt ausgeschieden wären. In einem solchen Fall wären sie gemäß § 9 AVG in der gesetzlichen Rentenversicherung nachzuversichern, so daß § 28a Abs 4 AVG allen vorgenannten Personengruppen die Anrechnung von Kindererziehungszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung nur, aber auch immer zustünde, wenn sie aus dem anderen Schutzsystem unversorgt ausgeschieden seien.

Ebenso sei schließlich der Schutz durch eine berufsständische Versicherungs-oder Versorgungseinrichtung der Sachgrund dafür, den nach § 7 Abs 2 AVG von der Versicherungspflicht Befreiten Kindererziehungszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung grundsätzlich nicht anzurechnen. Weil der Kläger des seinerzeit entschiedenen Falles niemals einem solchen Versorgungssystem angehört habe, gebe der vorliegende Fall keinen Anlaß, der Frage näherzutreten, ob solche Eltern, die während der Kindererziehung nach § 7 Abs 2 AVG befreit gewesen, aber nachher ohne Versorgungsansprüche ausgeschieden seien und deren Befreiung von der Beklagten ab Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses aufzuheben gewesen sei, Kindererziehungszeiten in der Angestelltenversicherung anzurechnen seien; ein Sachgrund, diese Eltern schlechter zu stellen als Abgeordnete, Minister oder Parlamentarische Staatssekretäre oder als nach § 7 Abs 1 AVG befreite Versorgungsempfänger, sei nicht ersichtlich.

Entgegen der Ansicht der Beklagten sei § 28a Abs 4 AVG nicht auf solche Eltern anzuwenden, die – wie der Kläger des seinerzeit entschiedenen Falles -lediglich nach übergangsrechtlichen Regelungen von der Versicherungspflicht befreit worden seien. Zwar schließe dies der Wortlaut des Gesetzes nicht von vornherein eindeutig aus. Andererseits enthalte der Text des § 28a Abs 4 AVG keinen Hinweis dafür, unter „von der Versicherungspflicht befreit” solle anderes und mehr zu verstehen sein, als die in demselben Gesetz im ersten Abschnitt Teil B, unter Abschnitt 2 d grundsätzlich abschließend geregelten Befreiungstatbestände. Daß § 28a Abs 4 AVG nur die in diesem Gesetz geregelten Befreiungstatbestände meine, werde dadurch nahegelegt, daß der Text nur im Blick auf die nach § 6 AVG Versicherungsfreien auch auf andere Vorschriften ua als die des AVG, nämlich auf „entsprechende frühere Regelungen” ausdrücklich Bezug nehme.

Gegen eine weite Auslegung des „Befreiungsbegriffs” spreche ferner, daß einerseits § 28a AVG eine auf Dauer angelegte allgemeine Sachnorm mit Rückwirkung enthalte, die Erziehungsleistungen, welche Eltern in mehr als einem halben Jahrhundert erbracht haben, – wie ausgeführt: ohne versicherungsrechtliche Voraussetzungen – durchgängig in grundsätzlich gleicher Weise anerkennen will. Demgegenüber bezwecken übergangsrechtliche Befreiungstatbestände, jemandem einen Gestaltungsspielraum zu eröffnen, der durch Gesetzesänderungen versicherungspflichtig geworden sei, unabhängig davon, ob er zuvor jemals – freiwillig oder pflichtig – Versicherter geworden war; denn in nicht wenigen Fällen konnte sich die Einbeziehung in den Schutz der Pflichtversicherung in einer vom Gesetz nicht beabsichtigten Weise für den Betroffenen übermäßig belastend auswirken (zB Doppelbeiträge in der Rentenversicherung und in der privaten Lebensversicherung). Keinesfalls war mit einer solchen Befreiung ein völliger Ausschluß aus dem Anwendungsbereich der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung verbunden.

Gerade deshalb würde es – und das spricht entscheidend gegen die Ansicht der Beklagten – einen unauflösbaren Wertungswiderspruch in § 28a AVG selbst bedeuten, wenn nach Abs 4 aaO die Anrechnung von Kindererziehungszeiten nur bei „befreiten” Eltern von der versicherungsrechtlichen Voraussetzung abhängig gemacht würde, daß sie hätten pflichtversichert sein können, als sie ihre Kinder erzogen; denn diese Bedingung müßten die übrigen Eltern nach der Grundregel von § 28a Abs 1 bis 3 und 5 nicht erfüllen, wie zB die Anrechnung von Kindererziehungszeiten vor 1973 bei ausnahmslos allen selbständig Erwerbstätigen zeige.

Der Gedanke, die „übergangsrechtlich Befreiten” hätten sich von der gesetzlichen Rentenversicherung gelöst, rechtfertige ihren Ausschluß von der Anrechnung von Kindererziehungszeiten nicht. Dies ergebe sich schon daraus, daß nach § 28a Abs 1 bis 3 und 5 AVG die Anrechnung von Kindererziehungszeiten gerade nicht von irgendeiner rechtlichen oder sonstigen Verbindung mit der Versichertengemeinschaft abhänge. Gerade der in der früheren Entscheidung des erkennenden Senats gegebene Fall des Klägers, der noch viele Jahre nach seiner Befreiung durch freiwillige Beiträge die Lasten der Versichertengemeinschaft mitgetragen habe, verdeutliche, daß auch eine „übergangsrechtliche Befreiung” von der Pflichtversicherung keine Lösung von der gesetzlichen Rentenversicherung bedeuten müsse. Auch die Bewertungsnorm des § 32a Abs 5 AVG, nach dem während der Kindererziehungszeit entrichtete freiwillige Beiträge uU anzuheben sind, zeige, daß das AVG gerade nicht voraussetze, die Eltern müßten bei der Kindererziehung versicherungspflichtig gewesen sein können; denn freiwillige Beiträge dürften grundsätzlich nur von Personen entrichtet werden, die nicht versicherungspflichtig seien.

Diese Ausführungen des erkennenden Senats in der Entscheidung vom 27. Juni 1991 gelten uneingeschränkt auch für den vorliegenden Fall. Die durch Bescheid der Beklagten vom 10. Februar 1970 verfügte Befreiung der Klägerin von der Versicherungspflicht geschah ersichtlich aufgrund einer „übergangsrechtlichen” Norm: Nach Art 2 § 1 Abs 1 2. RVÄndG sind auf Antrag für die Dauer der Beschäftigung beim Ehegatten von der Versicherungspflicht diejenigen Ehegatten zu befreien, die am 31. Dezember 1966 bei ihrem Ehegatten in Beschäftigung standen und für die aufgrund des Art 1 am 1. Januar 1967 Versicherungspflicht eintritt. Was der erkennende Senat in der Entscheidung vom 27. Juni 1991 zur Frage der Zugehörigkeit zur gesetzlichen Rentenversicherung ausgeführt hat, gilt auch hier. Die Klägerin hat bis 1957 Pflichtbeiträge zur Rentenversicherung entrichtet und diese Pflichtbeitragsentrichtung ab 1979 wieder aufgenommen. Auch hier läßt sich mithin eine Distanzierung von der gesetzlichen Rentenversicherung schlechthin nicht belegen.

Da nach alledem § 28a Abs 4 AVG auf nur übergangsrechtlich Befreite – wie die Klägerin – nicht anwendbar ist, diese also weder während der Kindererziehungszeit noch bei Eintritt des Versicherungsfalles nach §§ 7, 8 AVG von der Versicherungspflicht befreit gewesen waren, ist ihr Begehren auf Anrechnung einer Kindererziehungszeit begründet. Das Urteil des LSG trifft mithin zu, so daß das Rechtsmittel der Beklagten hiergegen als unbegründet zurückzuweisen war.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1173791

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