Entscheidungsstichwort (Thema)

Ersatzzeit. Leistungsbetrag. Anwartschaft

 

Orientierungssatz

1. Für die Kriegszeiten sind nur dann Steigerungsbeträge zu gewähren, wenn eine Versicherung vorher bestanden hat. Dies ist nur dann der Fall gewesen, wenn zu Beginn der Kriegszeiten (Einberufung des Versicherten) nach dem damals geltenden Recht die Anwartschaft aus den zuvor geleisteten Beiträgen erhalten ist oder als erhalten gegolten hat (vgl BSG 1958-12-18 3 RJ 211/55 = BSGE 9, 43).

2. Hat ein Beamter seine von 1924 bis 1938 bestehende Angestelltenversicherung nicht durch freiwillige Beiträge bis zur Einberufung zur Wehrmacht 1940 aufrechterhalten, so war seine Anwartschaft erloschen.

3. Diese erloschene Anwartschaft ist jedoch durch das RVLeistungsVerbG mit Wirkung vom 1.8.1941 wieder aufgelebt. Ab dieser Zeit ist der Kriegsdienst wieder rentensteigernd zu berücksichtigen.

 

Normenkette

RVWehrmV § 3; RVLeistungsVerbG § 3; RVO § 1264 Abs. 1; AVG § 32

 

Verfahrensgang

Schleswig-Holsteinisches LSG (Entscheidung vom 19.12.1962)

SG Itzehoe (Entscheidung vom 01.08.1962)

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 19. Dezember 1962 aufgehoben. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Itzehoe vom 1. August 1962 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Die Klägerin, geboren am 6. Dezember 1908, war seit dem 3. Oktober 1936 mit dem Versicherten G G (G.) verheiratet. G. entrichtete Beiträge zur Angestelltenversicherung vom 1. Januar 1924 bis zum 31. März 1938, später war er als Beamter versicherungsfrei beschäftigt. G. wurde am 2. April 1940 zum Wehrdienst eingezogen, er ist seit August 1944 vermißt, sein Todestag wurde auf den 31. Dezember 1944 festgestellt (§ 48 Abs. 3 des Angestelltenversicherungsgesetzes - AVG -).

Durch Bescheid vom 7. Juni 1961 bewilligte die Beklagte der Klägerin eine Witwenrente ab 1. Januar 1957. Sie berücksichtigte dabei als rentensteigernde Ersatzzeit von dem ab 2. April 1940 geleisteten Wehrdienst des G. nur die Zeit ab August 1941 bis 31. Dezember 1944, weil die Anwartschaft des G. zur Zeit seiner Einberufung in den Wehrdienst erloschen gewesen und erst durch das Gesetz über die Verbesserungen der Leistungen in der Rentenversicherung vom 24. Juli 1941 - RGBl I S. 443 - ab 1. August 1941 wieder aufgelebt sei.

Mit der Klage machte die Klägerin geltend, die Beklagte habe zu Unrecht die Zeit des Wehrdienstes des G. vom April 1940 bis Juli 1941 nicht als Ersatzzeit rentensteigernd berücksichtigt.

Das Sozialgericht (SG) Itzehoe wies die Klage mit Urteil vom 1. August 1962 ab. Auf die Berufung der Klägerin hob das Schleswig-Holsteinische Landessozialgericht (LSG) mit Urteil vom 19. Dezember 1962 das Urteil des SG Itzehoe vom 1. August 1962 auf und verurteilte die Beklagte in Abänderung des Bescheids vom 7. Juni 1961, einen neuen Bescheid zu erteilen, durch den (auch) die Kriegsdienstzeit ihres verschollenen Ehemannes G. vom April 1940 bis Juli 1941 als Ersatzzeit rentensteigernd berücksichtigt wird: Die Anrechnung von Kriegsdienstzeiten als rentensteigernde Ersatzzeiten setze allerdings nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG 4, 186) voraus, daß eine Versicherung vorher bestanden habe und daß zu Beginn der Kriegsdienstzeit die Anwartschaft erhalten gewesen sei oder als erhalten gegolten habe; im vorliegenden Fall sei zwar die Anwartschaft aus den von G. bis März 1938 entrichteten Beiträgen am 2. April 1940 nach § 1264 der Reichsversicherungsordnung (RVO) aF erloschen gewesen, das Versicherungsverhältnis sei damit aber nicht beendet gewesen, denn nach § 1265 RVO aF habe die Anwartschaft als erhalten gegolten, wenn beim Versicherungsfall die Halbdeckung gegeben gewesen sei; das Erlöschen der Anwartschaft nach § 1264 RVO aF sei demnach aufschiebend bedingt gewesen bis zur Nichterfüllung der Halbdeckung im Zeitpunkt des Versicherungsfalles. Bis zum Eintritt des Versicherungsfalles habe ein Schwebezustand bestanden, während dem zwar der Anspruch auf Rente wegen der Ungewißheit, ob die Halbdeckung erreicht werden würde, gefährdet gewesen sei, das Versicherungsverhältnis aber fortbestanden habe. Da hier bei Eintritt des Versicherungsfalles im Dezember 1944 die Halbdeckung erfüllt gewesen sei, habe die Versicherung zu Beginn des Wehrdienstes im April 1940 bestanden im Sinne des § 1263 RVO aF.

Das LSG ließ die Revision zu.

Die Beklagte legte gegen das ihr am 21. Januar 1963 zugestellte Urteil am 7. Februar 1963 Revision ein. Sie beantragte,

das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung der Klägerin zurückzuweisen,

und machte geltend, das LSG habe § 3 der Verordnung vom 13. Oktober 1939 sowie die §§ 1263 a, 1264, 1265 RVO aF unrichtig angewandt.

Die Klägerin beantragte,

die Revision zurückzuweisen.

Die Beteiligten erklärten sich mit einem Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden (§§ 124 Abs. 2, 153 Abs. 1 und 165 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).

II

Die Revision ist nach §§ 162 Abs. 1 Nr. 1, 164 SGG zulässig; sie ist auch begründet.

Streitig ist, ob bei der Berechnung der Witwenrente der Klägerin nach ihrem verschollenen Ehemann (G.) die Wehrdienstzeit vom April 1940 bis Juli 1941 rentensteigernd zu berücksichtigen ist. Dies ist, da der Versicherungsfall (der festgestellte Todestag des G.) am 31. Dezember 1944 eingetreten ist, nach dem vor dem Inkrafttreten des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (AnVNG) geltenden Recht zu beurteilen (Art. 2 §§ 6, 17 AnVNG).

Das BSG hat bereits mehrfach entschieden, unter welchen Voraussetzungen - nach altem Recht - für Kriegsdienstzeiten im 1. und 2. Weltkrieg Steigerungsbeträge nach § 119 Abs. 1 des Rentenausbaugesetzes vom 21. Dezember 1937 - RGBl I 1393 - (für Kriegsdienstzeiten des 1. Weltkrieges) bzw. nach § 3 der Verordnung über die Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten sowie die Knappschaftliche Pensionsversicherung während des besonderen Einsatzes der Wehrmacht vom 13. Oktober 1939 - RGBl I 2030 - (für Kriegsdienstzeiten des 2. Weltkrieges) zu gewähren sind. Der 1., 3. und 4. Senat des BSG haben übereinstimmend die Auffassung vertreten, daß für diese Kriegszeiten nur dann Steigerungsbeträge zu gewähren sind, wenn eine Versicherung vorher bestanden hat, und daß dies nur dann der Fall gewesen ist, wenn zu Beginn der Kriegszeiten (Einberufung des Versicherten) nach dem damals geltenden Recht die Anwartschaft aus den zuvor geleisteten Beiträgen erhalten ist oder als erhalten gegolten hat; dies sei aus dem Wesen der Ersatzzeit und dem Gesetzeswortlaut zu entnehmen (BSG 3, 276, 277; BSG 4, 186, 187, 188; BSG 9, 43, 45, 46). Nach eigener Prüfung der Rechtslage schließt sich der erkennende Senat dieser Auffassung an. Ob G. vor seiner Kriegsdienstzeit versichert gewesen ist, ist mithin nach den Verhältnissen zur Zeit seines Kriegsdienstes zu beurteilen. G. ist bei Beginn seines Kriegsdienstes im April 1940 nicht versichert gewesen; er hat nur (von Januar 1924) bis zum 31. März 1938 Beiträge zur Angestelltenversicherung entrichtet; danach ist er als Beamter nicht mehr versicherungspflichtig gewesen und hat auch keine freiwilligen Beiträge geleistet. Im Zeitpunkt des Beginns seines Kriegsdienstes im April 1940 ist daher seine Anwartschaft erloschen und damit seine Versicherung beendet gewesen (§ 1264 Abs. 1 RVO aF i.V.m. § 32 AVG aF; BSG 4, 186, 188).

Die Anwartschaft des G. aus den Beiträgen von 1924 an ist jedoch am 1. August 1941 wieder aufgelebt; an diesem Tage ist § 3 des Gesetzes über die Verbesserung der Leistungen in der Rentenversicherung vom 24. Juli 1941 - RGBl I 443 - in Kraft getreten, wonach die Anwartschaft aus allen Beiträgen, die für die Zeit ab 1. Januar 1924 geleistet worden sind, bis Ablauf des auf das Kriegsende folgenden Kalenderjahres als erhalten gilt. Mit dem Wiederaufleben seiner Anwartschaft aus den Beiträgen ab 1924 hat auch die Versicherung wieder bestanden; G. ist seit dem 1. August 1941 wieder Versicherter gewesen (BSG 4, 186, 189; 9, 43, 46). Dem hat auch die Beklagte dadurch Rechnung getragen, daß sie die Kriegsdienstzeit des G. vom 1. August 1941 bis 31. Dezember 1944 rentensteigernd angerechnet hat. Dagegen haben die Voraussetzungen einer solchen Anrechnung für die Kriegsdienstzeit des G. vom April 1940 bis Juli 1941 nicht vorgelegen, weil vor und in dieser Zeit keine Versicherung bestanden hat. Die Auffassung des LSG, die Versicherung habe (zu Beginn des Wehrdienstes des G. im April 1940) auch dann bestanden, wenn die Anwartschaft nach der Vorschrift über die Halbdeckung (§ 1265 RVO aF i.V.m. § 32 AVG aF) im Zeitpunkt des Versicherungsfalles als erhalten galt, trifft nicht zu. Die Vorschrift des § 1265 RVO aF kann für die rechtliche Beurteilung der Versicherteneigenschaft des G. bei Beginn seines Kriegsdienstes nicht herangezogen werden, weil sie - was hier nicht der Fall gewesen ist - den Eintritt des Versicherungsfalles voraussetzt (BSG 9, 43, 46). Die Halbdeckung hat ihre Wirkung erst bei Eintritt des Versicherungsfalles geäußert; ob sie vorhanden gewesen ist und damit Leistungen aus den entrichteten Beiträgen zu gewähren waren, hat erst in diesem Zeitpunkt festgestellt werden können; sie hat nicht bewirkt, daß die Versicherung des G. trotz (nach § 32 AVG i.V.m. § 1264 RVO aF) erloschener Anwartschaft fortbestanden hat und daß G. deshalb schon zu Beginn seiner Kriegsdienstzeit Versicherter gewesen ist.

Da das LSG somit die Rechtslage nicht zutreffend beurteilt hat, ist das Urteil des LSG aufzuheben. Die Klägerin hat keinen Anspruch darauf, daß auch die Wehrdienstzeit ihres verschollenen Ehemannes vom April 1940 bis Juli 1941 rentensteigernd berücksichtigt wird. Ihre Klage ist unbegründet.

Ihre Berufung gegen das klagabweisende Urteil des SG ist sonach zurückzuweisen.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2304806

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