Entscheidungsstichwort (Thema)

Versicherungsberechtigung in der freiwilligen knappschaftlichen Krankenversicherung. Betreuungspflicht des Versicherungsträgers. sozialrechtlicher Herstellungsanspruch

 

Orientierungssatz

Hat der Versicherungsträger es unterlassen, den Versicherten auf die ungeklärte Rechtslage bezüglich der Beitragshöhe hinzuweisen, so hat er im Wege des Herstellungsanspruchs den Zustand wieder herzustellen, der ohne diese Pflichtwidrigkeit bestehen würde.

 

Normenkette

RKG §§ 20, 121 Fassung: 1969-07-28; RVO §§ 313, 314 Fassung: 1924-12-15

 

Verfahrensgang

SG München (Entscheidung vom 16.10.1979; Aktenzeichen S 15 Kn 157/77)

 

Tatbestand

I

Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob der Kläger die freiwillige Mitgliedschaft in der Krankenversicherung fortführen kann.

Der Kläger bezieht von der Beklagten ruhegeld und ist in der Krankenversicherung der Rentner als Pflichtmitglied versichert. Die daneben bis zum 28. Februar 1977 bestehende freiwillige Mitgliedschaft in der Krankenversicherung der A und A hat er wegen der Beitragshöhe gekündigt. Seinen am 26. Juli 1977 bei der Beklagten eingegangenen Antrag, ihn als freiwilliges Mitglied wieder in die Krankenversicherung aufzunehmen, lehnte diese durch Bescheid vom 9. August 1977 ab, weil der Kläger in den letzten 12 Monaten nicht im notwendigen Umfang pflichtversichert gewesen sei. Der Widerspruch des Klägers blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 5. Oktober 1977).

Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte mit Urteil vom 16. Oktober 1979 verpflichtet, den Kläger mit Wirkung vom 26. Juli 1977 als freiwilliges Mitglied in die Krankenversicherung der Arbeiter und Angestellten wieder aufzunehmen. Zur Begründung hat das SG im wesentlichen ausgeführt, die Beklagte habe durch die jahrelang zu hoch festgesetzten Beiträge der freiwillig Versicherten, die zudem in der Krankenversicherung der Rentner pflichtversichert seien, zur Aufkündigung der freiwilligen Mitgliedschaft wesentlich beigetragen. Der Gleichheitsgrundsatz des Art 3 Abs 1 des Grundgesetzes (GG) erfordere es, denjenigen Versicherten, die kurz vor der Entscheidung des Senats vom 30. März 1977 (SozR 2600 § 120 Nr 1) aus der freiwilligen Mitgliedschaft ausgetreten seien, ebenso ein Wiedereintrittsrecht einzuräumen, wie es die Beklagte den nach dieser Entscheidung ausgetretenen Versicherten zugestehe. Ein derartiger Anspruch des Klägers bestehe auch in entsprechender Anwendung der Regeln des Folgenbeseitigungsanspruchs wegen der Verletzung von Nebenpflichten aus dem Versicherungsverhältnis durch die Beklagte sowie aus dem Gesichtspunkt des Verstoßes gegen Treu und Glauben (§ 242 des Bürgerlichen Gesetzbuches -BGB-).

Die Beklagte hat mit Zustimmung des Klägers dieses Urteil mit der vom SG zugelassenen Sprungrevision angefochten. Sie rügt eine Verletzung der §§ 176 ff, 313 f der Reichsversicherungsordnung (RVO) sowie des § 41 Abs 8 ihrer Satzung. Die vom SG angesprochene unterschiedliche Behandlung von betroffenen Rentnern sei nicht offenbar sachfremd, weil eine Beratungspflicht und Hinweispflicht auf die Auswirkungen des Urteils vom 30. März 1977 (aaO) für die Beklagte erst nach diesem Zeitpunkt bestanden habe. Auch aus den anderen vom SG aufgezeigten Gesichtspunkten lasse sich der geltend gemachte Anspruch nicht herleiten.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des SG München vom 16. Oktober 1979 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-) einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

II

Die gemäß § 161 SGG statthafte Sprungrevision der Beklagten ist nicht begründet. Das SG hat im Ergebnis zu Recht entschieden, daß der Kläger zur Fortsetzung der freiwilligen Krankenversicherung berechtigt ist, nachdem der Senat mit Urteil vom 30. März 1977 (aaO) die Rechtswidrigkeit der Beitragsfestsetzung in der Satzung der Beklagten entsprechend den Entscheidungsgründen in dem damaligen Berufungsurteil vom 3.März 1976 bestätigt hatte.

Der Senat hat in dem Revisionsverfahren 5 RKn 19/78 mit Urteil vom selben Tage (21. Februar 1980), das zur Veröffentlichung bestimmt ist, bei gleichgelagerter Sach- und Rechtslage folgendes entschieden: Die Beklagte habe aufgrund des zum Berufungsurteil vom 3. März 1976 führenden, eingangs genannten Verfahrens (SozR 2600 § 120 Nr 1) wissen müssen, daß die einschlägige satzungsmäßige Beitragshöhe Gegenstand eines Rechtsstreits sei. Sie sei deshalb verpflichtet gewesen, betroffene Versicherte über diese ungeklärte Rechtslage zu unterrichten, weil die Versicherten nur bei einer dahingehenden Information in die Lage versetzt worden seien, in Kenntnis aller Zusammenhänge eine freie selbstverantwortliche Entscheidung über die Beendigung oder Beibehaltung der freiwilligen knappschaftlichen Krankenversicherung zu treffen. Soweit die Beklagte durch rechtswidriges Verhalten die Versicherten veranlaßt habe, den Austritt aus der freiwillig fortgesetzten Krankenversicherung zu erklären, müsse sie den Zustand wieder herstellen, der ohne ihre Pflichtwidrigkeit bestehen würde. Auf die weitere Begründung der erwähnten Parallelentscheidung des Senats zum Fall des Klägers wird Bezug genommen.

Die Beklagte hat auch den Kläger - wie vom SG bindend festgestellt worden ist - durch die in ihrer Satzung objektiv rechtswidrig festgelegte Beitragshöhe der freiwillig fortgesetzten knappschaftlichen Krankenversicherung veranlaßt, in Unkenntnis dieser Rechtswidrigkeit seine Austrittserklärung zum 28. Februar 1977 abzugeben. Da sie es unterlassen hat, den Kläger auf die ungeklärte Rechtslage bezüglich der Beitragshöhe hinzuweisen, hat sie im Wege des Herstellungsanspruchs den Zustand wieder herzustellen, der ohne ihre Pflichtwidrigkeit bestehen würde. Die Sprungrevision der Beklagten konnte daher keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1657444

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