Verfahrensgang

SG Berlin (Urteil vom 23.11.1994; Aktenzeichen S 71 Ka 64/93-W 93)

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 23. November 1994 aufgehoben.

Es wird festgestellt, daß der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt ist.

Die Beklagte trägt vier Fünftel, der Kläger ein Fünftel der Kosten des Klageverfahrens. Der Kläger hat der Beklagten deren Aufwendungen für das Revisionsverfahren zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Der Kläger ist als Arzt für innere Krankheiten zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Er besitzt die grundsätzliche Genehmigung zur Durchführung von Drogensubstitutionsbehandlungen gemäß Ziff 2.8 der Anlage 1 zu den Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über die Einführung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden (NUB-Richtlinien). Seinen am 20. September 1992 gestellten Antrag, die Zustimmung zu einer Substitutionstherapie mit L-Polamidon (Wirkstoff: Methadon) bei der Patientin M. … E. (E.) zu erteilen, lehnte die beklagte Kassenärztliche Vereinigung (KÄV) mit Bescheid vom 23. November 1992 und Widerspruchsbescheid vom 5. April 1993 zunächst ab, weil die Voraussetzungen nach Ziff 2.3 der Anlage 1 zu den NUB-Richtlinien nicht erfüllt seien. Während des nachfolgenden Klageverfahrens und nach Eingang weiterer Unterlagen zur Krankengeschichte der Patientin änderte sie ihren Standpunkt und erteilte die begehrte Zustimmung mit Wirkung ab 22. Januar 1993 (Bescheid vom 13. September 1993).

Bereits vor dem Erlaß des förmlichen Abhilfebescheides hatte die Beklagte dem Sozialgericht (SG) am 25. August 1993 schriftlich mitgeteilt, daß sie dem Antrag auf Substitutionsbehandlung nunmehr zustimme. Der Kläger hatte daraufhin mit Schriftsatz vom 17. September 1993 beantragt, „der Beklagten nach Klaglosstellung des Klägers die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen”. Im weiteren Verlauf hat er demgegenüber geltend gemacht, die Hauptsache sei noch nicht erledigt, nachdem die begehrte Zustimmung erst ab 22. Januar 1993 und nicht bereits ab dem Zeitpunkt der Antragstellung am 20. September 1992 erteilt worden sei. Das SG ist dem in prozessualer Hinsicht gefolgt; in der Sache hat es die Klage abgewiesen, weil eine rückwirkende Genehmigung der Substitutionsbehandlung nicht zulässig sei.

Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts. Eine Genehmigung, wie sie für die Drogensubstitution im Bereich der vertragsärztlichen Versorgung verlangt werde, wirke nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen auf den Zeitpunkt der Antragstellung zurück, so daß der Rechtsstandpunkt des SG nicht haltbar sei. Die rückwirkende Zustimmung könne auch nicht mit der Begründung versagt werden, die Voraussetzungen für die beantragte Therapie seien erst für die Zeit ab 22. Januar 1993 nachgewiesen worden; denn die Regelung unter Ziff 2.5 der Anlage 1 zu den NUB-Richtlinien, die die Entscheidung über die Indikation für eine Substitutionsbehandlung der KÄV im Zusammenwirken mit der Methadon-Kommission übertrage, sei durch die Ermächtigung in § 135 Abs 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch nicht gedeckt.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 23. November 1994 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 13. September 1993 zu verurteilen, die Zustimmung zur Behandlung der Patienten M. … E. mit L-Polamidon rückwirkend ab 20. September 1992 zu erteilen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision hat im Ergebnis keinen Erfolg.

Der Kläger kann allerdings entgegen dem angefochtenen Urteil mit seinem Begehren schon aus prozessualen Gründen nicht durchdringen. Über den in der mündlichen Verhandlung vom 23. November 1994 aufrechterhaltenen Sachantrag hätte das SG nicht mehr entscheiden dürfen, weil der Rechtsstreit aufgrund der zuvor abgegebenen Prozeßerklärungen der Beteiligten in der Hauptsache erledigt war. Nachdem über den Inhalt und die Wirksamkeit dieser Erklärungen Streit besteht, war die Erledigung durch Urteil festzustellen.

Die den Rechtsstreit beendende Prozeßhandlung findet sich in dem Schriftsatz vom 17. September 1993, mit dem der Kläger beantragt hat, der Beklagten, nachdem er klaglos gestellt sei, die Verfahrenskosten aufzuerlegen. Diese Äußerung kann nach Wortlaut und Sinnzusammenhang nur als prozessuale Erledigungserklärung verstanden werden. Der Kläger hatte mit ihr auf die am 25. August 1993 beim SG eingegangene Mitteilung der Beklagten reagiert, daß die den Gegenstand des Prozesses bildende Zustimmung zur Behandlung der Patientin E. mit L-Polamidon nunmehr erteilt werde. Da die Frage nach dem Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Zustimmung zuvor im gesamten Verfahren keine Rolle gespielt hatte und weder im Antrag des Klägers noch in dem erwähnten Schriftsatz der Beklagten angesprochen worden war, ging der objektive Erklärungswert der umstrittenen Äußerung dahin, daß der Rechtsstreit insgesamt und ohne Einschränkung als erledigt angesehen werde. In diesem Sinne hat, wie den Gründen der angefochtenen Entscheidung zu entnehmen ist, offenbar auch das SG die Ausführungen des Klägers verstanden. Seine Auffassung, an der abgegebenen Erklärung brauche sich der Kläger nicht festhalten zu lassen, nachdem sich später herausgestellt habe, daß das Klagebegehren tatsächlich nicht vollständig erledigt worden sei, ist rechtsirrig.

Im Unterschied zum Zivil- und Verwaltungsprozeß führt im sozialgerichtlichen Verfahren bereits die einseitige Erledigungserklärung des Klägers, die jederzeit auch schriftlich gegenüber dem Gericht abgegeben werden kann, zur Beendigung des Rechtsstreits in der Hauptsache. Die Erledigungserklärung hat hier (anders als nach § 91a Abs 1 Zivilprozeßordnung oder § 161 Abs 2 Verwaltungsgerichtsordnung) keine eigenständige, insbesondere kostenrechtliche Bedeutung; sie stellt sich je nach prozessualer Konstellation entweder als Klagerücknahme oder – wie im vorliegenden Fall – als Annahme eines von der Beklagten abgegebenen Anerkenntnisses dar. In beiden Fällen führt die Abgabe der entsprechenden Prozeßerklärung zur Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache (§ 101 Abs 2, § 102 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫). Die Erledigungserklärung ist eine Prozeßhandlung, die das Gericht und die Beteiligten bindet, auch wenn der Rechtsstreit materiell nicht erledigt wurde. Sie kann grundsätzlich nicht widerrufen oder wegen Irrtums angefochten werden (Meyer-Ladewig, SGG-Komm, 5. Aufl, § 102 RdNr 7 mwN). Damit war für eine Fortführung des Hauptsacheverfahrens und eine Entscheidung über den vom Kläger gestellten Sachantrag kein Raum.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 und 4 SGG, wobei der Senat berücksichtigt hat, daß die Klage in erster Instanz in ihrem wesentlichen Teil Erfolg gehabt hat.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1174310

SozSi 1997, 240

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