Entscheidungsstichwort (Thema)

Bundeserziehungsgeld für Asylbewerber. Wohnsitz. gewöhnlicher Aufenthalt

 

Orientierungssatz

1. Ausländer, die ihr Kind im Inland erziehen, haben keinen Anspruch auf Erziehungsgeld, wenn ihnen während des möglichen Leistungszeitraums das Wohnen oder Verweilen im Inland aufenthaltsrechtlich nur vorübergehend und nicht rechtlich beständig gestattet ist.

2. Die konkrete normative Bedeutung der Begriffe des Wohnsitzes und des gewöhnlichen Aufenthalts iS des § 30 Abs 3 SGB 1 ergibt sich erst aus dem Gesetz, das sie verwendet und nach dessen Sinn und Zweck sie ausgelegt werden müssen (vgl BSG vom 9.10.1984 - 12 RK 5/83 = SozR 5750 Art 2 § 51a Nr 58).

 

Normenkette

AsylVfG § 19 Abs 1, § 20; AuslG §§ 1, 12 Abs 1, §§ 14, 17, 2 Abs 1, § 5; AuslG 1990 §§ 1, 3 Abs 1 S 1, §§ 30, 42, 55 Abs 1; BErzGG § 1 Abs 1 Nr 1; GG Art 116 Abs 1; SGB 1 § 30 Abs 1; SGB 1 § 30 Abs 3 S 1; SGB 1 § 30 Abs 3 S 2

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 20.06.1989; Aktenzeichen L 13 Kg 12/89)

SG Detmold (Entscheidung vom 15.09.1988; Aktenzeichen S 9 Kg 56/87)

 

Tatbestand

Streitig ist die Gewährung von Bundeserziehungsgeld.

Der 1955 geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger kurdischen Volkstums und jezidischer Religionszugehörigkeit. Er reiste am 24. März 1985 gemeinsam mit seiner Ehefrau und Kindern ohne Einreisesichtvermerk in die Bundesrepublik ein. Sein Antrag auf Asylgewährung ist seit dem 3. Juni 1988 rechtskräftig abgelehnt. Während der Dauer des Asylverfahrens war dem Kläger der Aufenthalt im Bundesgebiet gemäß § 20 des Asylverfahrensgesetzes (AsylVfG) gestattet.

Den im Dezember 1986 gestellten Antrag des Klägers auf Gewährung von Erziehungsgeld für sein am 15. Oktober 1986 geborenes Kind Bobby lehnte das beklagte Land durch den streitigen Bescheid vom 2. Januar 1987, bestätigt durch den Widerspruchsbescheid vom 14. April 1987, ab, da der Kläger aufgrund seines ungesicherten Aufenthaltes in der Bundesrepublik rechtmäßig keinen gewöhnlichen Aufenthalt innehaben könne.

Das Sozialgericht (SG) Detmold hat den Beklagten durch Urteil vom 15. September 1988 verpflichtet, dem Kläger für sein am 15. Oktober 1986 geborenes Kind Erziehungsgeld ab 18. Oktober 1986 zu gewähren. Auf die - vom SG zugelassene - Berufung des beklagten Landes hat das Landessozialgericht (LSG) für das Land Nordrhein-Westfalen das angefochtene Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 20. Juni 1989). Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt, der Kläger habe im streitigen Leistungszeitraum entgegen § 1 Abs 1 Nr 1 Bundeserziehungsgeldgesetz (BErzGG) weder seinen Wohnsitz noch seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Geltungsbereich des BErzGG gehabt.

Der Kläger rügt mit der vom LSG zugelassenen Revision eine Verletzung von § 1 Abs 1 Nr 1 BErzGG iVm § 30 Abs 3 Erstes Buch Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil (SGB I). Er habe im maßgebenden Bezugszeitraum auch bei einem negativen Ausgang des Asylverfahrens damit rechnen können, in der Bundesrepublik Deutschland zu bleiben, und daher keinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet gehabt. In seinem Fall sei die Härteregelung des Innenministers von Nordrhein-Westfalen anzuwenden gewesen. Zwar sei die Wartezeit von drei Jahren zum Zeitpunkt des möglichen Erziehungsgeldbezuges noch nicht erfüllt gewesen. Darauf könne es aber nicht ankommen, weil eine Prognose für die Zukunft zu stellen gewesen sei und Erkenntnisse erst nach dem rechtskräftigen Abschluß des Asylverfahrens hätten gewonnen werden können.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen

vom 20. Juni 1989 aufzuheben und die Berufung des Beklagten gegen das

Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 15. September 1988

zurückzuweisen.

Der Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend und trägt vor, Asylbewerber hätten während des Asylverfahrens im Bundesgebiet grundsätzlich nur einen vorübergehenden Aufenthalt; einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt könnten sie wegen ihres nur vorläufigen Anwesenheitsrechtes in der Regel nicht begründen, weil es an einem realisierbaren Willen, an einem Ort zu wohnen, fehle.

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG).

 

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision des Klägers ist nicht begründet. Das Berufungsgericht hat zutreffend entschieden, daß ihm Bundeserziehungsgeld für sein am 15. Oktober 1986 geborenes Kind nicht zusteht.

Gemäß § 1 Abs 1 BErzGG vom 6. Dezember 1985 (BGBl I S 2154) hat Anspruch auf Erziehungsgeld, wer einen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Geltungsbereich dieses Gesetzes hat (Nr 1), mit einem nach dem 31. Dezember 1985 geborenen Kind, für das ihm die Personensorge zusteht, in einem Haushalt lebt (Nr 2), dieses Kind selbst betreut und erzieht (Nr 3) und keine oder keine volle Erwerbstätigkeit ausübt (Nr 4). Durch das Gesetz zur Änderung des BErzGG und anderer Vorschriften vom 30. Juni 1989 (BGBl I S 1297) ist an § 1 Abs 1 BErzGG mit Wirkung vom 1. Juli 1989 (Art 8 Abs 1 des vorgenannten Änderungsgesetzes) folgender Satz 2 angefügt worden: "Für den Anspruch eines Ausländers ist Voraussetzung, daß er im Besitz einer Aufenthaltsberechtigung oder Aufenthaltserlaubnis ist, die nicht nur für einen bestimmten, seiner Natur nach vorübergehenden Zweck erteilt worden ist". Diese Neufassung des Wortlauts des Gesetzes ist hier noch nicht anzuwenden, weil der Leistungsfall am 15. Oktober 1986 eingetreten ist.

Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats (Urteil vom 27. September 1990 - 4 REg 30/89 - zur Veröffentlichung vorgesehen) gehörte der Kläger nicht zu dem vom BErzGG begünstigten Personenkreis, weil er sich in dem Zeitraum, für den er die Gewährung von Bundeserziehungsgeld begehrt, nur vorübergehend, nicht rechtlich beständig, im Geltungsbereich des BErzGG aufgehalten hat.

Gemäß § 1 Abs 1 Nr 1 BErzGG ist dieses Gesetz nicht auf alle Personen anzuwenden, die sich (faktisch) im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland aufhalten, sondern nur auf diejenigen, die "einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Geltungsbereich dieses Gesetzes" haben. Das bedeutet: Wer sich - unter Umständen auch langdauernd - im Inland aufhält oder wohnt, aber gleichwohl den Schwerpunkt seiner Lebensverhältnisse tatsächlich (faktisch) im Ausland hat, wird grundsätzlich vom BErzGG ebensowenig begünstigend erfaßt wie derjenige, dessen - unter Umständen ausschließliches und zeitlich andauerndes - Wohnen bzw Verweilen im Inland von der materiellen Rechtsordnung nur als vorübergehend, auf Beendigung angelegt und somit rechtlich nicht beständig gebilligt wird. Denn Bundeserziehungsgeld sollen nur diejenigen erhalten, die bei der Erziehung eines Kindes den Schwerpunkt ihrer Lebensverhältnisse materiell-rechtlich berechtigt dauerhaft im Inland haben. Dies ergibt sich aus folgendem:

Abs 1 Nr 1 aaO enthält - anders als die Nrn 2 bis 4 aaO - kein unmittelbar das Sachprogramm des BErzGG (Förderung der Hinwendung zum Kind) ausgestaltendes anspruchsbegründendes Tatbestandsmerkmal, sondern eine den persönlichen Anwendungsbereich des Gesetzes einschränkende Geltungsregel iS einer sog einseitigen Kollisionsnorm als leistungsrechtliche Spezialregelung (§ 37 Satz 1 Halbs 1 SGB I) zu § 30 Abs 1 SGB I, wonach die Vorschriften dieses Gesetzbuches für alle Personen gelten, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in seinem Geltungsbereich haben. Zutreffend ist daher im Gesetzgebungsverfahren zur Begründung von § 1 Abs 1 Nr 1 BErzGG auf § 30 Abs 1 - nicht: Abs 3 - SGB I hingewiesen worden (BT-Drucks 10/3792 S 14). Aufgrund der Gebietshoheit der Bundesrepublik Deutschland gelten die Bundesgesetze - unabhängig von der Staatszugehörigkeit - grundsätzlich für alle Personen, die sich tatsächlich im Staatsgebiet befinden, so daß jedermann erziehungsgeldberechtigt wäre, der sich tatsächlich im Inland befindet und die Voraussetzungen des § 1 Abs 1 Nrn 2 bis 4 BErzGG erfüllt. Vor diesem Hintergrund ist alleiniger Zweck von Abs 1 Nr 1 aaO, diejenigen Personen von der Begünstigung durch Erziehungsgeld auszuschließen, deren Verweilen im Inland wegen einer Auslandsberührung materiell-rechtlich nur als vorübergehend, nicht auf Dauer, dh nicht auf unabsehbare Zeit gebilligt und daher rechtlich nicht beständig ist (stellvertretend zur Problematik der Gebietshoheit, der Kollisionsnorm, insbesondere der zulässigen Anknüpfungspunkte: Burdenski/von Maydell/Schellhorn, SGB-AT, 2. Aufl 1981, § 30 RdNrn 20 ff; Hauck/Haines, Sozialgesetzbuch - SGB I, K § 30 RdNrn 3 ff; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Bd I/1, S 69r I ff; Rauscher in: Entwicklung des Sozialrechts, Aufgabe der Rechtsprechung, Festgabe aus Anlaß des 100jährigen Bestehens der sozialgerichtlichen Rechtsprechung 1984, S 375, 388 f; ders, VSSR 1973, 369, 370 bis 378; alle mwN; zum sog Wohnsitzgrundsatz und Erziehungsortprinzip im BErzGG: BSG SozR 7833 § 1 Nr 6; dazu Hepting IPRa 1990, 222). Liegt - wie im Fall des Klägers wegen seiner türkischen Staatsangehörigkeit - eine rechtliche oder eine tatsächliche Auslandsberührung vor, finden die Vorschriften des BErzGG nur Anwendung, wenn der Betroffene trotzdem im Inland einen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt in dem speziellen kollisionsrechtlichen Sinn von § 1 Abs 1 Nr 1 BErzGG hat.

In diesem Sinn knüpft die Vorschrift an die "Legaldefinition" in § 30 Abs 3 SGB I an (BSGE 65, 261 = SozR 7833 § 1 Nr 7; SozR 7833 § 1 Nr 6). Dort werden die Begriffskerne des Wohnsitzes und des gewöhnlichen Aufenthalts iS des SGB als territoriale (ortsbezogene oder gebietsbezogene Anknüpfungsmerkmale "grundsätzlich" für alle Bücher des SGB einheitlich umschrieben (BSGE 60, 262 = SozR 1200 § 30 Nr 10), jedoch nicht iS einer abschließenden, nur durch Spezialregelungen (§ 37 Satz 1 Halbs 1 SGB I) modifizierbaren Abgrenzung, sondern im Wege einer den Begriffshof öffnenden Typusbeschreibung von "Wohnsitz" bzw "gewöhnlichen Aufenthalt". Dies belegen die dort verwendeten unbestimmten Rechtsbegriffe (ua: "unter Umständen"; "nicht nur vorübergehend") augenfällig. Insoweit ist mit dem 12. Senat des Bundessozialgerichts -BSG- (SozR 5750 Art 2 § 51a Nr 58) festzuhalten, daß sich die konkrete normative Bedeutung auch dieser Begriffe erst aus dem Gesetz ergibt, das sie verwendet und nach dessen Sinn und Zweck sie ausgelegt werden müssen. An dieser Stelle ist nicht darauf einzugehen, welche Konkretisierung diese Begriffe in anderen Regelungszusammenhängen des SGB erfahren; die Rechtsprechung des BSG (stellvertretend: BSGE 57, 93 = SozR 2200 § 205 Nr 56; BSGE 63, 93 = SozR aaO Nr 65; SozR 7833 § 1 Nr 4; BSGE 62, 67 = SozR 7833 § 1 Nr 1; BSGE 65, 84 = SozR 1200 § 30 Nr 17; SozSich 1989, 318; BSGE 63, 47 = SozR 5870 § 1 Nr 14; SozR 5870 § 1 Nr 12; SozR 5750 Art 2 § 51a Nr 58; BSGE 60, 262 = SozR 1200 § 30 Nr 10; SozR 1200 § 30 Nr 9; BSG-Beschluß vom 29. Januar 1990 - 1 BA 235/88; zum kontroversen Meinungsstand im Schrifttum stellvertretend: Wollenschläger/Becker SGb 1989, 317; Wollenschläger/ Kreßel, SGb 1989, 439; Wollenschläger SGb 1987, 479; ders SGb 1986, 119; Moritz, SGb 1988, 45; Hambüchen, ZSR 1986, 165; Bode, Streit 1990, 26; Rittstieg, InfAuslR 1988, 54; Schödel, Mittl LVA Oberfr 1986, 249, Bokeloh, ZSR 1989, 33; alle mwN) sowie die des Bundesverwaltungsgerichts zB zum Begriff des gewöhnlichen Aufenthaltsortes iS der Zuständigkeitsvorschrift des § 11 des Jugendwohlfahrtsgesetzes (JWG; BVerwGE 74, 206) verdeutlichen anschaulich das Erfordernis der sog Einfärbung (Rauscher NJW 1983, 2474) des § 30 Abs 3 SGB I. Im Sachzusammenhang mit der hier anzuwendenden Kollisionsnorm des § 1 Abs 1 Nr 1 BErzGG, die dessen Erziehungsortprinzip einschränkt, erlangt § 30 Abs 3 Satz 1 und 2 SGB I nachfolgende, von der im Einzelfall wirklich gegebenen Auslandsberührung abhängige Bedeutung:

§ 30 Abs 3 Satz 1 und 2 SGB I setzt in dem hier maßgeblichen Zusammenhang neben anderem voraus, daß der Aufenthalt bzw das Innehaben einer Wohnung des im Inland befindlichen Betroffenen von einiger Dauer ist, daß also der ortsgebundene Schwerpunkt der Lebensverhältnisse nicht nur für kurze Zeit im Inland liegt. Dies verdeutlicht das Gesetz durch die Ausdrücke "innehaben", "beibehalten" und "verweilen". Dem genügt - ohne daß das Gesetz eine Mindestverweildauer ausdrücklich festlegt - ein nur kurzzeitiger Aufenthalt im Inland zB zwecks Durchreise oder Nutzung einer Ferienwohnung nicht (zum Ferienaufenthalt eines im Ausland wohnenden Deutschen, der seine inländische Wohnung nur im Urlaub und zu Erholungszwecken aufsucht: BSG SozSich 1989, 318). Die Frage, ob nur ein kurzzeitiger oder aber ein die Verlagerung des Lebensschwerpunkts ins Inland indizierender andauernder Aufenthalt vorliegt, ist unter Berücksichtigung aller tatsächlichen Umstände des Einzelfalles und des Zweckes des jeweils anzuwendenden Gesetzes zu beantworten (BSG SozR 7833 § 1 Nr 4). Da der Kläger in dem hier entscheidungserheblichen Zeitraum, für den er Bundeserziehungsgeld begehrt (1986/87), keine "ortsbezogene" Auslandsberührung hatte, also sich ausschließlich und durchgängig im Geltungsbereich des BErzGG, dem hier maßgeblichen Bezugsgebiet, aufhielt, kann kollisionsrechtlich nicht fraglich sein, daß er damals im Inland "verweilte" (bzw eine Wohnung innehatte und beibehielt).

§ 1 Abs 1 Nr 1 BErzGG iVm § 30 Abs 3 Satz 1 und 2 SGB I verlangt jedoch weiterhin, daß das im maßgeblichen Zeitraum andauernde Wohnen bzw Verweilen im Inland "nicht nur vorübergehend" ist. Im Blick auf den gewöhnlichen Aufenthalt ergibt sich dieses Erfordernis unmittelbar aus dem Gesetzeswortlaut (Abs 3 Satz 2 aaO). Es gilt ebenso für die Wohnsitznahme (Abs 3 Satz 1 aaO). Es klingt noch hinreichend deutlich in der Formulierung an, daß Umstände darauf schließen lassen, daß die Wohnung "beibehalten ... wird". Ein sachlicher Grund, ein nur vorübergehendes Wohnen anders zu behandeln als einen nur vorübergehenden Aufenthalt, ist nicht ersichtlich. Dieses (bewertende, normative) Merkmal schließt kollisionsrechtlich die Geltung des BErzGG auch für solche Personen aus, die zwar faktisch den Schwerpunkt ihrer persönlichen, familiären und wirtschaftlichen Bindungen - unter Umständen zeitlich langdauernd - ins Inland verlegt haben, deren Verbleib während des entscheidungserheblichen Zeitraums aber nach materiellem Gesetz nur als vorübergehend gebilligt, dh auf Beendigung ausgerichtet, also rechtlich nicht beständig ist. In den Fällen, in denen die kollisionsrechtlich relevante Auslandsberührung allein darin besteht, daß der Betroffene - wie hier der Kläger - eine ausländische Staatsbürgerschaft hat und deswegen in einem besonderen Rechtsverhältnis zum Heimatstaat steht, das ihn grundsätzlich unter dessen Schutz und Fürsorge (Personalhoheit) stellt und ihm die jederzeitige Heimkehr erlaubt, kommt der aufenthaltsrechtlichen Bewertung des Verbleibs im Inland ausschlaggebende Bedeutung zu. Ist der Betroffene bereits kraft Gesetzes (materiell-rechtlich) ausreisepflichtig (§ 12 Abs 1 des Ausländergesetzes -AuslG- vom 28. April 1965; Art 1 § 42 des Gesetzes zur Neuregelung des Ausländerrechts vom 9. Juli 1990 - AuslRNG), greift der Vorbehalt des berechtigten Aufenthalts (BSGE 65, 261, 263 f = SozR 7833 § 1 Nr 7) auch dann ein, wenn die Ausländerbehörde die Durchsetzung dieser Pflicht zeitweilig aussetzt (§ 17 AusG; Art 1 § 55 Abs 1 AuslRNG); ein solcher Aufenthalt ist nur formell rechtmäßig, materiell-rechtlich aber unberechtigt und auf Beendigung ausgerichtet. Ebenfalls rechtlich unbeständig ist ferner ein materiell-rechtlich berechtigter Aufenthalt, der nur zu einem bestimmten vorübergehenden Zweck erlaubt worden ist (§§ 5, 14 AuslG; Art 1 §§ 28, 30 AuslRNG). Wird also der Verbleib des Ausländers im Inland längstens bis zur Erreichung eines bestimmten Zwecks erlaubt oder bis zum Fortfall von Gründen, die einer Ausreise oder Abschiebung entgegenstehen, gestattet und ist materiell-rechtlich vorgeschrieben, daß er in seinen Heimatstaat zurückkehren muß, sobald der Aufenthaltszweck erreicht ist oder die Umstände es erlauben, hat sein - unter Umständen zeitlich lang andauernder - Verbleib im Inland nur vorübergehende Natur iS von § 1 Abs 1 Nr 1 BErzGG iVm § 30 Abs 3 Satz 1 und 2 SGB I. MaW: Der Ausländer, dem der Inlandsverbleib - ungeachtet, ob er befristet oder unbefristet - nur zu einem seiner Natur nach vorübergehenden Zweck erteilt worden ist (so "jetzt ...ausdrücklich" § 1 Abs 1 Satz 2 BErzGG nF, zutreffend BT-Drucks 11/4776 S 2), hat, weil er das Inland wieder verlassen muß, weder Wohnsitz noch gewöhnlichen Aufenthalt im Geltungsbereich des BErzGG.

Mit dieser Rechtsprechung weicht der erkennende Senat nicht iS von § 42 SGG von der Rechtsprechung anderer Senate des BSG ab, sondern führt sie mit Bezug auf den Anwendungsbereich des BErzGG fort. Der 11. Senat des BSG, der im übrigen für Streitigkeiten nach dem BErzGG nicht mehr zuständig ist, hat zu der Frage, ob und ggf in welchem Sinne die Begriffe "Wohnsitz" und "gewöhnlicher Aufenthalt" in § 1 Abs 1 Nr 1 BErzGG nach Sinn und Zweck dieser Vorschrift auszulegen und deswegen die Elemente der "Legaldefinition" des § 30 Abs 3 SGB I "einzufärben" sind, nicht entschieden. Der 3. Senat des BSG (BSGE 97, 93 = SozR 2200 § 205 Nr 56) und der 8. Senat (BSGE 63, 93 = SozR 2200 § 205 Nr 65) haben den Begriff des "Sich-Gewöhnlich-Aufhaltens" iS von § 205 Reichsversicherungsordnung (RVO) im Schwerpunkt nach Sinn und Zweck der Familienkrankenhilfe inhaltlich bestimmt. Eine "Einfärbung" hält - wie ausgeführt - auch der erkennende Senat für möglich und ggf geboten. Mit der Rechtsprechung des 12. Senats des BSG (SozR 5750 Art 2 § 51a Nr 58; BSGE 60, 262 = SozR 1200 § 30 Nr 10) stimmt der erkennende Senat im oben dargelegten Sinne überein. Auch der 5b-Senat des BSG (SozR 1200 § 30 Nr 9) hat eine dem jeweiligen Gesetzeszweck Rechnung tragende Konkretisierung des § 30 Abs 3 SGB I für geboten erachtet. Mit dem 1. Senat (Beschluß vom 29. Januar 1990 - 1 BA 235/88) stimmt der erkennende Senat darin überein, daß es für die Frage, wo jemand im kollisionsrechtlichen Sinn seine Wohnung dauernd beibehalten bzw wo er dauernd verweilen wird, auf die Stetigkeit und Regelhaftigkeit des Wohnens bzw Verweilens und den Schwerpunkt der Lebensverhältnisse ankommt. Soweit der 10. Senat des BSG in letzter Zeit (BSGE 65, 84 = SozR 1200 § 30 Nr 17 mwN) dafür, ob jemand seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt iS von § 1 Nr 1 des Bundeskindergeldgesetzes (BKGG) im Geltungsbereich des BKGG hat, darauf abstellt, ob eine später nicht mehr korrigierbare Prognose zu dem Ergebnis führt, daß der Antragsteller für unabsehbare Zeit nicht zwangsweise aus dem Geltungsbereich des BKGG entfernt wird, liegen dem anscheinend Besonderheiten des Kindergeldrechts zugrunde, welche die ausdehnende Auslegung des § 1 Abs 1 Nr 1 BKGG zu tragen vermögen. Kindergeld, das - anders als grundsätzlich Bundeserziehungsgeld (§ 8 BErzGG) - sozialhilferechtlich als anspruchsminderndes Einkommen (§§ 76 ff Bundessozialhilfegesetz) anzurechnen ist, dient der Minderung der durch Unterhaltsleistung entstehenden wirtschaftlichen Belastungen (§ 6 SGB I). Bei der Bestimmung des persönlichen Anwendungsbereichs des BKGG ist deswegen zu berücksichtigen, daß - soweit der Barunterhalt vom örtlichen Träger der Sozialhilfe über den Haushaltsvorstand oder unmittelbar an das Kind zu leisten ist - der Bund und die Länder durch ausländerrechtliche Regelungen und Maßnahmen erhebliche Unterhaltslasten auf die Träger der Sozialhilfe verlagern könnten, wenn Ausländern, die zwar nur vorübergehend im Inland verbleiben dürfen, sich aber faktisch auf unabsehbare Zeit hier aufhalten, der Kindergeldanspruch versagt würde. Dem hat der Gesetzgeber durch Art 1 Nr 1 des Zwölften Gesetzes zur Änderung des Bundeskindergeldgesetzes vom 30. Juni 1989 (BGBl I S 1294) klarstellend (so BT-Drucks 11/4765 S 5) durch Ergänzung des § 1 BKGG um einen Abs 3 Rechnung getragen. Danach können auch Ausländer, die sich materiell unerlaubt im Geltungsbereich dieses Gesetzes aufhalten, den "für die Kindergeldberechtigung erforderlichen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt begründen", wenn nach der ausländerbehördlichen Praxis ihnen gegenüber bis auf weiteres von Maßnahmen abgesehen wird, die den Aufenthalt beenden, mangels rechtlich gesicherten Aufenthaltes aber erst nach einer einjährigen Verweildauer (so BT-Drucks 11/4765 S 5).

Der Kläger hatte im entscheidungserheblichen Zeitraum (1986/87) keinen gewöhnlichen Aufenthalt (bzw Wohnsitz) im Geltungsbereich des BErzGG. Nach §§ 1, 2 Abs 1 AuslG (vgl Art 1 §§ 1, 3 Abs 1 Satz 1 AuslRNG) bedürfen Ausländer, die in den Geltungsbereich dieses Gesetzes einreisen und sich darin aufhalten wollen, einer Aufenthaltserlaubnis, soweit dieses Gesetz auf Ausländer, dh jede Person, die nicht Deutscher iS des Art 116 Abs 1 Grundgesetz (GG) ist, Anwendung findet (§ 49 AuslG, vgl Art 1 § 2 AuslRNG) und soweit kraft Gesetzes keine Befreiung von diesem Erfordernis erfolgt ist (§ 2 Abs 2 und 3 AuslG iVm § 1 der Verordnung zur Durchführung des Ausländergesetzes - DVAuslG). Keiner Darlegung bedarf, daß der Kläger im Jahr 1986/87 keine Aufenthaltsberechtigung (§ 8 AuslG) und auch keine Aufenthaltserlaubnis (§§ 2, 5 AuslG) hatte. Ihm war gemäß § 19 Abs 1 iVm § 20 Abs 1 AsylVfG der Aufenthalt lediglich zur Durchführung des Asylverfahrens und damit nur zu einem vorübergehenden Zweck, rechtlich also nicht beständig, gestattet. Insoweit ist es für den hier maßgeblichen Zeitraum ohne Bedeutung, daß die Ausländerbehörde nach der rechtskräftigen Ablehnung seines Asylantrages von einer Abschiebung des Klägers abgesehen, seinen Aufenthalt somit "geduldet" hat. Mithin hielt sich der Kläger während des maßgeblichen Zeitraumes nicht rechtlich beständig im Bundesgebiet auf, so daß ihm schon aus diesem Grunde Bundeserziehungsgeld nicht zusteht.

Nach alledem war die Revision des Klägers zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs 1 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1650656

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