Leitsatz (amtlich)

Ein nach früherem Recht beim Landesversicherungsamt Bayern zulässig eingelegter Rekurs geht mit dem Inkrafttreten des SGG auf das zuständige LSG gemäß SGG § 215 Abs 3 als Berufung über. Deren Zulässigkeit richtet sich nach den SGG §§ 144 bis 150.

 

Normenkette

SGG § 148 Nr. 3 Fassung: 1953-09-03, § 150 Nr. 1 Fassung: 1953-09-03, § 215 Abs. 3 Fassung: 1953-09-03, § 144 Fassung: 1953-09-03, § 145 Fassung: 1953-09-03, § 146 Fassung: 1953-09-03, § 147 Fassung: 1953-09-03, § 149 Fassung: 1953-09-03

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des ... Landessozialgerichts in München vom 24. Februar 1954 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

Der Kläger erhielt nach dem Bescheid des Versorgungsamts ... vom 11. Mai 1951 und dem Umanerkennungsbescheid vom gleichen Tage eine Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE.) von 50 v. H. Auf die Berufung des Klägers gegen diese Bescheide, mit welcher er lediglich eine Erhöhung seiner Rente nach einer MdE. von 70 v. H. begehrte, sprach ihm das Oberversicherungsamt ... mit Urteil vom 18. März 1952 nur für die zurückliegende Zeit vom 1. Februar 1947 bis 31. Dezember 1950 eine höhere Rente nach einer MdE. von 60 v. H. zu. Gegen dieses Urteil legte der Kläger beim Bayerischen Landesversicherungsamt Rekurs ein. In der mündlichen Verhandlung vor dem Bayerischen Landessozialgericht, das den Rekurs nach Inkrafttreten des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) als Berufung behandelte, beantragte der Kläger, ihm die Rente nach einer MdE. von 60 v. H. über den 1. Januar 1951 hinaus weiterzugewähren. Das Bayerische Landessozialgericht verwarf jedoch mit Urteil vom 24. Februar 1954 die Berufung des Klägers als unzulässig. In der Begründung führt es aus, daß der nach früherem Verfahrensrecht zulässige Rekurs nach dem Inkrafttreten des SGG und dem Übergang des Rekurses als Berufung auf das Landessozialgericht nicht mehr zulässig sei. Nunmehr seien die Vorschriften des SGG über die Berufung anzuwenden, und nach dessen § 148 Nr. 3 könnten in Angelegenheiten der Kriegsopferversorgung solche Urteile nicht mit der Berufung angefochten werden, die den Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit betreffen, soweit nicht die Schwerbeschädigteneigenschaft oder die Gewährung der Grundrente davon abhänge. Da sich die Berufung des Klägers gegen ein derartiges Urteil richte, müsse sie als unzulässig verworfen werden. Das Landessozialgericht ließ die Revision zu, da über eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung zu entscheiden war.

Gegen dieses Urteil, das am 11. März 1954 zugestellt worden war, hat der Kläger mit Schriftsatz vom 5. April 1954, eingegangen am 6. April 1954, Revision eingelegt und sie zugleich begründet. Er führt darin aus, daß ein einmal zulässig eingelegter Rekurs beim Übergang als Berufung auf das zuständige Landessozialgericht nicht unzulässig werden könne, da die Zulässigkeit in einem solchen Falle nicht nach den Vorschriften des SGG zu beurteilen sei.

Er beantragt,

das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts in München vom 24. Februar 1954 aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Bayerische Landessozialgericht zurückzuverweisen.

Der Beklagte hält die Auffassung des Bayerischen Landessozialgerichts über die Anwendung der Vorschriften des SGG und insbesondere des § 148 Nr. 3 SGG auf den als Berufung auf das Landessozialgericht übergegangenen Rekurs für zutreffend und beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Im übrigen wird auf den Inhalt der Bescheide des Versorgungsamts ... vom 21. Mai 1951, des Urteils des Oberversicherungsamts ... vom 18. März 1952, des Urteils des Bayerischen Landessozialgerichts vom 24. Februar 1954 sowie der Schriftsätze des Klägers vom 5. April 1954 und des Beklagten vom 8. Januar 1955 Bezug genommen.

Die Revision ist frist- und formgerecht eingelegt und begründet worden. Sie ist statthaft, weil das Landessozialgericht über eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung entschieden und daher mit Recht die Revision gemäß § 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG zugelassen hat. Sie ist jedoch nicht begründet.

Zutreffend führt das Landessozialgericht zunächst aus, daß der vom Kläger gegen das Urteil des Oberversicherungsamts ... vom 18. März 1952 eingelegte Rekurs nach den bis zum Inkrafttreten des Sozialgerichtsgesetzes geltenden Vorschriften zulässig war. In dem Rechtsstreit handelte es sich um den Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit des Klägers, und in diesem Falle war der Rekurs gemäß §§ 1699, 1700 RVO in Verbindung mit Art. 33 Abs. 1 Bayer. Gesetz über Leistungen an Körperbeschädigte (KBLG) und § 84 Abs. 3 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zulässig. Mit dem Inkrafttreten des Sozialgerichtsgesetzes am 1. Januar 1954 war dieser Rekurs, wie das Landessozialgericht weiterhin zutreffend ausführt, vom Landesversicherungsamt als Berufung auf das Landessozialgericht übergegangen und nun nicht mehr zulässig, da die Zulässigkeit von diesem Zeitpunkt an nach den Vorschriften des Sozialgerichtsgesetzes zu beurteilen war, dessen § 148 Nr. 3 die Berufung dann ausschließt, wenn das angefochtene Urteil, wie im vorliegenden Falle, lediglich den Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit betrifft, ohne daß die Schwerbeschädigteneigenschaft oder die Gewährung der Grundrente davon abhängt.

Der gegenteiligen Ansicht des Klägers, daß der ursprünglich zulässig eingelegte Rekurs nicht nach den für die Berufung geltenden Vorschriften des Sozialgerichtsgesetzes mit dessen Inkrafttreten zu beurteilen sei, kann nicht gefolgt werden. Diese Frage haben bereits der 8. Senat in seinen Urteilen vom 16. Juni 1955 (8 RV 223/54 u. 8 RV 461/54) und der 9. Senat in seinem Urteil vom 20. September 1955 (9 RV 78/54), deren Ausführungen der erkennende Senat sich im vollen Umfang anschließt, in dem gleichen Sinne entschieden wie das angefochtene Urteil. § 215 Abs. 3 SGG, der den Übergang der beim Inkrafttreten des Sozialgerichtsgesetzes bei dem Landesversicherungsamt ... rechtshängigen Sachen auf das zuständige Landessozialgericht, in diesem Falle das Bayerische Landessozialgericht, vorschreibt, sagt zwar nicht ausdrücklich, daß diese Sachen als Berufungen übergehen. Da jedoch die Landessozialgerichte, wie aus den §§ 143, 29 SGG hervorgeht, grundsätzlich - bei Urteilen - nur über das Rechtsmittel der Berufung entscheiden, so muß mangels einer ausdrücklichen abweichenden Vorschrift jeder Rechtsstreit, mit dem sich das Landessozialgericht zu befassen hat, auch eine Berufung sein. Daß dies auch der Wille des Gesetzgebers gewesen ist, ergibt sich aus der amtlichen Begründung des Entwurfs eines Gesetzes über das Verfahren in der Sozialgerichtsbarkeit (Bundestagsdrucksache Nr. 4357) zu § 154, der dem derzeitigen § 215 SGG entspricht, wo es heißt: "Die bisher als "Revision" oder "Rekurs" bezeichneten Rechtsbehelfe können daher künftig nur als Berufung im Sinne dieses Gesetzes angesprochen werden." Sind aber die früheren Rekurse als Berufungen im Sinne des Sozialgerichtsgesetzes anzusprechen, so müssen sie folgerichtig auch nach den Bestimmungen des Sozialgerichtsgesetzes über die Berufung behandelt werden. Diese Folgerung muß auch nach dem allgemein im Prozeßrecht geltenden Grundsatz gezogen werden, wonach neues Verfahrensrecht grundsätzlich auf alle anhängigen Sachen anzuwenden ist, soweit nicht besondere Vorschriften etwas anderes vorschreiben oder reine Rechtswirkungen vergangener Handlungen in Fragekommen (RGZ. 8 S. 110; 16 S. 396; 48 S. 404; 101 S. 423; 103 S. 303; 107 S. 305; 110 S. 367; 146 S. 244; 149 S. 385; 168 S. 175 und RAG. 26 S. 343). Diesen Grundsatz hat weder das Reichsgericht noch später der Bundesgerichtshof in seiner Rechtsprechung jemals durchbrochen. Wenn das Reichsgericht in einer anderen Entscheidung (RGZ. 135 S. 121) zur Anwendung des alten Verfahrensrechts kam, obwohl inzwischen neues Verfahrensrecht Geltung erlangt hatte, so war dies dadurch begründet, daß dort das neue Verfahrensrecht ausdrücklich die Anwendung des alten Verfahrensrechts auf die anhängigen Verfahren vorschrieb. Den Vorbehalt, daß das alte Verfahrensrecht dann anzuwenden sei, wenn dies im neuen Verfahrensrecht ausdrücklich bestimmt sei, hat das Reichsgericht aber ständig gemacht, ohne damit den erwähnten Grundsatz aufzugeben. Auch der Beschluß des Großen Senats des Reichsgerichts vom 10. Dezember 1941 (RGZ. 168 S. 355) und das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 19. Dezember 1950 (BGH. 1 S. 29) können nicht dafür herangezogen werden, daß jener Verfahrensgrundsatz durchbrochen worden sei; denn in beiden Fällen handelte es sich nicht um die Frage, ob die anhängigen Sachen durch neue Prozeßgesetze eine andere prozeßrechtliche Beurteilung zu erfahren hatten, sondern darum, ob durch tatsächliche Änderungen (Änderung des Streitwertes) eine prozeßrechtliche Änderung eingetreten war. Beide Entscheidungen befassen sich auch nicht mit dem erwähnten Grundsatz, was sicher geschehen wäre, wenn er damit hätte beeinträchtigt werden sollen.

Da der § 215 Abs. 3 SGG keinen Vorbehalt nach der Richtung hin macht, daß das alte Verfahrensrecht beim Übergang anhängiger Sachen anzuwenden ist, und da durch die Anwendung der Berufungsvorschriften des Sozialgerichtsgesetzes auch keine Rechtswirkungen vergangener Handlungen in Frage gestellt werden - die aus der Tatsache der Rekurseinlegung hervorgehende Rechtswirkung der Rechtshängigkeit der Sache wird im § 215 Abs. 3 gerade zugrundegelegt -, so muß nach dem Grundsatz der Anwendbarkeit neuer Prozeßgesetze auf anhängige Verfahren, den übrigens auch das frühere Reichsversorgungsgericht vertreten hat (RVG 1 S. 266), ebenfalls die Berufung des Klägers nach den Vorschriften des Sozialgerichtsgesetzes beurteilt werden.

Dem kann nicht entgegengehalten werden, daß das Sozialgerichtsgesetz deshalb eine andere Regelung getroffen habe, weil es bei der Regelung des Übergangs der bei den allgemeinen Verwaltungsgerichten anhängigen Sachen im § 215 Abs. 7 und 8 und bei der Regelung der gegen Entscheidungen der Oberversicherungsämter außerhalb des Landes Bayern und des früheren Landes Baden-Württemberg eingelegten Rekurse im § 214 Abs. 4 ausdrücklich auf die Anwendbarkeit der Vorschriften des Sozialgerichtsgesetzes für das weitere Verfahren hingewiesen habe, nicht aber bei der Übergangsregelung gemäß § 215 Abs. 3, woraus geschlossen werden müsse, daß in diesen Übergangsfällen nicht das Sozialgerichtsgesetz, sondern weiterhin die früheren Verfahrensbestimmungen und insbesondere die früheren Zulässigkeitsbestimmungen anzuwenden seien.

Im § 215 Abs. 3 brauchte das Sozialgerichtsgesetz nicht besonders hervorzuheben, daß die neuen Verfahrensvorschriften in diesen Übergangsfällen anzuwenden sind, weil nach Aufhebung der alten Verfahrensvorschriften über den Rekurs durch § 224 Abs. 3 Nr. 1 SGG überhaupt nur noch die neuen Verfahrensvorschriften des Sozialgerichtsgesetzes zur Verfügung stehen. Dagegen mußte das Gesetz beim Übergang der bei den allgemeinen Verwaltungsgerichten anhängig gewesenen Sachen auf die Anwendung der Vorschriften des Sozialgerichtsgesetzes hinweisen, weil die für das verwaltungsgerichtliche Verfahren geltenden Vorschriften auch nach dem Inkrafttreten des Sozialgerichtsgesetzes noch weiterhin Geltung behielten. Im § 214 Abs. 4 SGG war ein Hinweis auf die Vorschriften der §§ 143 bis 159 deshalb erforderlich, um damit klarzustellen, daß diese Rekurse nicht den engeren Beschränkungen des Abs. 1 des § 214 unterliegen sollten, welche Annahme ohne diesen Hinweis nahegelegen hätte. Geht man von dem anerkannten Grundsatz des Gesetzgebers aus, daß er alle gleichgelagerten Fälle auch gleich behandeln wollte, so zwingt gerade die im § 214 Abs. 4 SGG ausgesprochene Anwendbarkeit der §§ 143 bis 159 SGG dazu, diese Vorschriften auch bei den Übergangsfällen des § 215 Abs. 3 anzuwenden; denn es kann nicht angenommen werden, daß die Rekurse verschieden behandelt werden sollen, je nachdem ob sie gegen Entscheidungen der Oberversicherungsämter in dem Land Bayern und dem früheren Land Baden-Württemberg oder gegen Entscheidungen der Oberversicherungsämter anderer Länder eingelegt worden waren. Finden demnach auch bei den als Berufung von den Landesversicherungsämtern Bayern und Württemberg-Baden gemäß § 215 Abs. 3 SGG übergegangenen Sachen die Vorschriften des Sozialgerichtsgesetzes über die Berufung Anwendung, so war die Berufung des Klägers gemäß § 148 Nr. 3 SGG unzulässig, da Urteile, die lediglich den Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit betreffen, wie hier das Urteil des Oberversicherungsamts ... vom 18. März 1952, nicht mit der Berufung angefochten werden können.

Daran ändert auch nichts der Umstand, daß eine nach § 148 SGG an sich unzulässige Berufung dann zulässig ist, wenn das Sozialgericht sie gemäß § 150 Nr. 1 SGG zugelassen hat oder, wie der 8. Senat in seinem Urteil vom 16. Juni 1955 (8 RV 461/54) für die Übergangsfälle nach § 215 Abs. 3 ausgeführt hat, das Oberversicherungsamt anstelle des Sozialgerichts sie hätte zulassen müssen. Zutreffend ist in jener Entscheidung ausgeführt, daß die allgemeine Anwendung der Berufungsvorschriften auch die Anwendung des § 150 Nr. 1 erfordert; denn der Berufungskläger würde bei Nichtanwendung dieser Vorschrift in Übergangsfällen eine schlechtere Rechtsstellung erhalten, als er tatsächlich nach dem Sozialgerichtsgesetz erhalten soll. Da in den Übergangsfällen der Vorderrichter aber keine Entscheidung über die Zulassung treffen konnte - für die Oberversicherungsämter bestand diese Möglichkeit damals nicht - so muß beim Fehlen entsprechender Gesetzesvorschriften diese Lücke dadurch geschlossen werden, daß das mit der Berufung befaßte Landessozialgericht selbst zu prüfen hat, ob eine Zulassung hätte erfolgen müssen, und bei entsprechendem Ergebnis dieser Prüfung die Berufung wie eine zugelassene zu behandeln hat.

Das Bayerische Landessozialgericht hat zwar die Berufung des Klägers nicht daraufhin geprüft, ob sie in entsprechender Anwendung des § 150 Nr. 1 SGG als Rechtsmittel in einer Rechtssache von grundsätzlicher Bedeutung oder als Rechtsmittel gegen eine Entscheidung, die von der Auslegung einer Rechtsvorschrift durch ein übergeordnetes Gericht abweicht, hätte zugelassen werden müssen. Das Landessozialgericht hätte bei einer entsprechenden Prüfung aber auch nicht dazu kommen können, in diesem Falle die Berufung wie eine zugelassene Berufung anzusehen. Die Rechtssache, in der es allein um die Frage des Grades der Minderung der Erwerbsfähigkeit unter den ganz besonderen Verhältnissen des Klägers ging, hat weder grundsätzliche Bedeutung, noch war das Oberversicherungsamt ... mit seinem Urteil in der Auslegung einer Rechtsvorschrift von einem Urteil des im Rechtszuge seinerzeit übergeordneten Landesversicherungsamts abgewichen.

Mithin hat das Landessozialgericht, da im vorliegenden Falle eine Zulassung der Berufung in entsprechender Anwendung gemäß § 150 Nr. 1 SGG nicht angenommen werden konnte, die unter diesen Umständen nach § 148 Nr. 3 SGG unzulässige Berufung mit Recht verworfen. Die gegen das Urteil gerichtete Revision ist daher unbegründet und war gemäß § 170 Abs. 1 Satz 1 SGG mit der Kostenfolge aus § 193 SGG zurückzuweisen.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2373394

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