Entscheidungsstichwort (Thema)

Fremdrentenrecht. Leistungsgruppe. Einstufung

 

Orientierungssatz

Die Rechtsprechung geht mit Recht davon aus, daß das Maß an beruflicher Erfahrung, das für die Einstufung in die Leistungsgruppe B 1 erforderlich ist auch von Akademikern im allgemeinen nicht vor der Vollendung des 45. Lebensjahres erreicht wird; schon angesichts der Dauer ihrer Ausbildung kann es im Alter von 30 Jahren noch nicht gegeben sein (vgl BSG 1967-03-15 1 RA 65/65 = SozR Nr 3 zu § 23 FRG).

 

Normenkette

FRG § 22 Anl 1 Buchst. B Fassung: 1960-02-25

 

Verfahrensgang

LSG Niedersachsen (Entscheidung vom 15.12.1972)

SG Lüneburg (Entscheidung vom 27.10.1971)

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 15. Dezember 1972 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Anläßlich der Herstellung von Versicherungsunterlagen streiten die Beteiligten noch darüber, ob die am 3. Januar 1925 geborene Klägerin für die Zeit vom 1. Januar 1952 bis 31. Juli 1955 in die Leistungsgruppe B 1 der Anlage 1 zu § 22 des Fremdrentengesetzes (FRG) vom 25. Februar 1960 (BGBl I, 93) einzustufen ist.

Die Klägerin schloß ihr Biologiestudium im November 1950 mit der Promotion ab. Anschließend arbeitete sie am Parasitologischen Institut der veterinär-medizinischen Fakultät der Universität L als wissenschaftliche Assistentin. Vom 1. Januar 1952 bis 31. Juli 1955 war sie Oberassistentin dieses Institutes, das damals einschließlich der Laboranten, Tierpfleger und Raumpflegerinnen insgesamt durchschnittlich 25 hauptberufliche Mitarbeiter umfaßte. Außer ihrer wissenschaftlichen Arbeit oblagen der Klägerin die Vertretung des Institutsdirektors, die Organisation des Unterrichts, die Betreuung von Doktoranden, die Wahrnehmung von Lehraufträgen und die Ausarbeitung von Vorschlägen in Haushalts- und Personalfragen. Ihr Grundgehalt betrug anfangs etwa 11.000,- zuletzt etwa 14.000,- DM (Ost).

Im September 1955 siedelte die Klägerin in die Bundesrepublik über. 1970 beantragte sie die Herstellung ihrer Versicherungsunterlagen. Mit Bescheid vom 20. Oktober 1970 erteilte ihr die Beklagte eine Bescheinigung über die anrechnungsfähigen Versicherungszeiten und stufte sie u. a. bis Ende 1951 in die Leistungsgruppe B 3 und für die Zeit ihrer Oberassistententätigkeit in die Leistungsgruppe B 2 ein. Widerspruch und Klage hatten keinen Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 23.3.1971; Urteil des Sozialgerichts (SG) Lüneburg vom 27.10. 1971). Während des Berufungsverfahrens erkannte die Beklagte die Einstufung in die Leistungsgruppe B 2 bereits ab 1. Januar 1951 an. Alsdann wies das Landessozialgericht (LSG) die Berufung zurück. Die Stellung der Klägerin sei keine andere gewesen als etwa die eines Oberarztes. Die Klägerin habe damals kurz nach ihrem Studienabschluß und in einem Alter von nicht einmal 30 Jahren erst am Anfang ihrer beruflichen Laufbahn gestanden und noch nicht über ein durch langjährige Berufstätigkeit erworbenes hohes Maß an Berufserfahrung und beruflichem Können verfügt. Die Voraussetzungen für eine Einstufung in die Leistungsgruppe B 1 seien deshalb nicht erfüllt.

Mit der zugelassenen Revision beantragt die Klägerin,

die vorinstanzlichen Urteile sowie die angefochtenen Bescheide zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, sie für die Zeit vom 1. Januar 1952 bis 31. Juli 1955 in die Leistungsgruppe B 1 einzustufen.

Sie rügt eine Verletzung materiellen Rechts. Als Instituts-Oberassistentin habe sie eine leitende Stellung mit Aufsichts- und Dispositionsbefugnis innegehabt; sie habe eine selbständige wissenschaftliche, verwaltungsmäßige und organisatorische Tätigkeit ausgeübt. Die besonderen Verhältnisse der Hochschulen seien insoweit ebenso zu berücksichtigen wie die Höhe des von ihr bezogenen Gehaltes. "Besondere Erfahrungen" aber könne man sich auf ausgesprochenen Spezialgebieten durch wissenschaftliche Begabung, besonderen Fleiß und intensive Arbeit schon alsbald erwerben; sie müßten nicht erst durch "Zeitablauf ersessen" werden.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Beide Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet.

Ob die von der Klägerin als Oberassistentin ausgeübte Tätigkeit schon die Merkmale der Leistungsgruppe B 2 erfüllte, kann der Senat dahingestellt lassen; die Beklagte hat die Klägerin in diese Leistungsgruppe eingestuft, es besteht insoweit kein Streit. Entgegen ihrer Auffassung hat die Klägerin jedoch keinen Anspruch auf eine höhere Einstufung; das angefochtene Urteil des LSG ist deshalb nicht zu beanstanden.

Die Leistungsgruppe B 1 umfaßt "Angestellte in leitender Stellung mit Aufsichts- und Dispositionsbefugnis". Diese Definition ist zwar - wie alle allgemeinen Leistungsgruppendefinitionen der Anlage 1 zu § 22 FRG - auf Arbeitnehmer der Privatwirtschaft ausgerichtet und muß deshalb den Eigenarten des von der Klägerin geleisteten öffentlichen Dienstes angepaßt werden (BSG in SozR Nr. 3 zu § 22 FRG). Wie der erkennende Senat bereits entschieden hat, gilt das jedoch hauptsächlich für diejenigen Merkmale, die der Beschäftigung als solcher anhaften; weniger dagegen für jene, die die persönliche Qualifikation des Versicherten kennzeichnen (SozR Nr. 4 zu § 22 FRG). Dabei ist eine Tätigkeit, deren Ausübung eine abgeschlossene Hochschulausbildung voraussetzt, nicht allein deshalb schon der Leistungsgruppe B 1 zuzuordnen (BSG in SozR Nr. 3 zu § 22 und Nr. 3 zu § 23 FRG sowie Urteil vom 16.2.1971 - 1/11 RA 234/69 -); denn die Leistungsgruppen stehen zueinander in einem Stufenverhältnis derart, daß die Beschäftigungsmerkmale sich von Stufe zu Stufe steigern. Die Angehörigen der Leistungsgruppe B 1 müssen also durch ihre Tätigkeit über die Angehörigen der Leistungsgruppe B 2 herausragen (BSG in SozR Nrn. 2, 3, 4 zu § 22 FRG). Bereits die Zugehörigkeit zur Leistungsgruppe B 2 setzt aber "besondere Erfahrungen" voraus, was mehr bedeutet als die "mehrjährige Berufserfahrung" der Leistungsgruppe B 3 (BSG in SozR Nr. 4 zu § 22 FRG). Deshalb kann der Klägerin nicht dahin gefolgt werden, man könne auf einem Spezialgebiet derartige "besondere Erfahrungen" durch wissenschaftliche Begabung, besonderen Fleiß und intensive Arbeit "schon alsbald" erwerben. Auch kann bei Angestellten des öffentlichen Dienstes auf berufliche Erfahrungen nicht verzichtet werden; solche Erfahrungen haben hier keine geringere Bedeutung als in der privaten Wirtschaft (BSG in SozR Nrn. 4, 6 zu § 22 FRG). Über eine "mehrjährige Berufserfahrung" hinausgehende "besondere Erfahrungen" wird ein Angestellter aber in aller Regel erst im Alter von 45 Jahren besitzen; davon geht auch der Gesetzgeber selbst aus (BSG in SozR Nr. 4, 6 zu § 22 FRG). Allerdings kann bei Angestellten, deren berufliche Tätigkeit eine abgeschlossene Hochschulausbildung erfordert, diese Altersgrenze durchaus unterschritten werden; ihnen wird man nicht selten "besondere Erfahrungen" auch schon in jüngeren Jahren zubilligen können, weil davon ausgegangen werden darf, daß sich derartige Erfahrungen auf der Grundlage einer abgeschlossenen Hochschulausbildung schon in verhältnismäßig kürzerer Zeit sammeln lassen. Für diese Auffassung spricht auch, daß in dem Berufskatalog der Leistungsgruppe B 2 der Oberarzt, also ein Angestellter mit abgeschlossener Hochschulausbildung, ohne die Angabe einer Altersgrenze genannt ist. Hieraus läßt sich jedoch nicht schließen, Akademiker könnten infolge ihrer Ausbildung die für die Leistungsgruppe B 2 erforderlichen "besonderen Erfahrungen" schon bei Aufnahme der ihrem Studienabschluß folgenden ersten beruflichen Tätigkeit besitzen; erforderlich ist auch für sie das Sammeln von Erfahrungen in ihrem Beruf, das notwendigerweise stets eine gewisse Zeit erfordert. Jedenfalls geht die Rechtsprechung mit Recht davon aus, daß das Maß an beruflicher Erfahrung, das für die Einstufung in die Leistungsgruppe B 1 erforderlich ist, auch von Akademikern im allgemeinen nicht vor der Vollendung des 45. Lebensjahres erreicht wird (BSG in SozR Nr. 3 zu § 23 FRG); schon angesichts der Dauer ihrer Ausbildung kann es im Alter von 30 Jahren noch nicht gegeben sein. Die Klägerin war aber, als sie am 1. Januar 1952 Oberassistentin wurde, erst 13 Monate in ihrem Beruf tätig; sie beendete ihre Ausbildung erst mit der im November 1950 erfolgten Promotion. Auch hatte sie bei Beendigung ihrer Oberassistententätigkeit ihr 30. Lebensjahr nur um wenige Monate überschritten. Die Höhe des von ihr während dieser Tätigkeit bezogenen Gehaltes jedoch ist entgegen ihrer Auffassung für die Einstufung in die Leistungsgruppen der Anlage 1 B zu § 22 FRG rechtlich ohne Bedeutung; das hat der erkennende Senat wiederholt entschieden (BSG 22, 284 und SozR Nr. 6 zu § 22 FRG).

Nach alledem bedarf es keiner Erörterung der übrigen Beschäftigungsmerkmale, weil diese den hier bestehenden Mangel der für eine Einstufung in die Leistungsgruppe B 1 vorausgesetzten besonderen beruflichen Erfahrungen nicht ausgleichen können (BSG in SozR Nr. 4 zu § 22 FRG). Das LSG hat mithin eine derartige Einstufung der Klägerin für die noch streitige Beschäftigungszeit zu Recht abgelehnt. Ihre Revision muß als unbegründet zurückgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1651356

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