Beteiligte

18. Dezember 1996 …, Kläger und Revisionsbeklagter

Berufungsausschuß für Zahnärzte Westfalen-Lippe, Auf der Horst 25, 48147 Münster, Beklagter

1.Kassenzahnärztliche Vereinigung Westfalen-Lippe, Auf der Horst 25, 48147 Münster, 2.AOK Westfalen-Lippe - Die Gesundheitskasse, Nortkirchenstraße 103-105, 44263 Dortmund, 3.IKK-Landesverband Westfalen-Lippe, Albrecht-Thaer-Str...

 

Tatbestand

G r ü n d e :

I

Der Kläger war von Juli 1989 bis Dezember 1991 in Düsseldorf als Kassenzahnarzt niedergelassen. Seine damalige Zulassung endete durch Verzicht. Vorausgegangen war ein staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren wegen Verdachts des Betruges im Zusammenhang mit der Abrechnung zahntechnischer Leistungen, das nach Zahlung einer Geldbuße von 12.000,00 DM gemäß § 153a Strafprozeßordnung eingestellt wurde. Mit Beschluß vom 1. Juli 1992 ließ der Zulassungsausschuß den Kläger antragsgemäß für einen Kassenzahnarztsitz in Gronau zu. Der beklagte Berufungsausschuß wies die dagegen eingelegten Widersprüche, mit denen die beigeladenen Krankenkassen und Kassenverbände unter Hinweis auf die Vorgeschichte Zweifel an der Eignung des Klägers als Kassenzahnarzt geltend gemacht hatten, mit Beschluß vom 23. September 1992 zurück. Den Antrag des Klägers, die ihm durch das Verfahren vor dem Berufungsausschuß entstandenen Kosten den widerspruchsführenden Krankenkassen/Kassenverbänden aufzuerlegen, lehnte er mit Beschluß vom 10. März 1993 ab.

Auf die Klage hat das Sozialgericht diese Entscheidung aufgehoben und die Beigeladenen zu 2., 3., 4. und 5. als Gesamtschuldner verurteilt, dem Kläger die Kosten des Widerspruchsverfahrens zu erstatten. Die Berufungen des Beklagten sowie der Beigeladenen zu 2., 3. und 4. hat das Landessozialgericht (LSG) zurückgewiesen. Es hat sich auf das Urteil des erkennenden Senats vom 11. Dezember 1985 (BSGE 59, 216 = SozR 1300 § 63 Nr 1) bezogen, mit dem entschieden worden ist, daß die dem Kassenarzt durch das Verfahren vor dem Berufungsausschuß entstandenen Kosten von einem widerspruchsführenden Krankenkassenverband in analoger Anwendung des § 63 Abs 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) zu erstatten sind, wenn und soweit das Rechtsbegehren des betroffenen Arztes erfolgreich war, der Widerspruch also zurückgewiesen oder zurückgenommen wurde. Gegen diese Rechtsprechung werde zwar mit guten Gründen eingewandt, daß sie den Rahmen einer zulässigen Analogiebildung sprenge, indem sie nicht allein unter Hinweis auf die Interessengleichheit die erfolgreiche Abwehr eines Drittwiderspruchs dem Erfolg des eigenen Widerspruchs gleichsetze, sondern zugleich ohne erkennbare sachliche Legitimation anstelle der im Gesetz vorgesehenen Kostenerstattungspflicht des Rechtsträgers, dessen Behörde den Verwaltungsakt erlassen hat, eine Kostenerstattungspflicht des Widerspruchsführers begründe. Dennoch sei an ihr festzuhalten, weil sie sich als verfassungsrechtlich zulässiger Akt höchstrichterlicher Rechtsfortbildung darstelle, der, vom Gesetzgeber unbeanstandet, die Rechtslage neu gestaltet und insoweit Rechtssicherheit geschaffen habe.

Mit ihren vom LSG zugelassenen Revisionen rügen die Beigeladenen zu 2., 3., 4. und 5. eine Verletzung des § 63 SGB X. Diese Vorschrift regele nach ihrem klaren und eindeutigen Wortlaut nur die Rechtsbeziehungen zwischen dem Widerspruchsführer und dem Rechtsträger, dessen Behörde den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen habe. Nur der (erfolgreiche) Widerspruchsführer habe einen Kostenerstattungsanspruch, und nur der für den (rechtswidrigen) Verwaltungsakt verantwortliche Rechtsträger sei zur Kostenerstattung verpflichtet. Für eine analoge Anwendung der Regelung auf Fälle, in denen sich der von einem Verwaltungsakt Begünstigte mit Erfolg gegen den Widerspruch eines Dritten zur Wehr setze und von diesem die Erstattung seiner Kosten verlange, sei kein Raum. Es fehle schon an einer planwidrigen Regelungslücke, wie das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) zu der nahezu wortgleichen Vorschrift des § 80 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) entschieden habe. § 63 SGB X normiere ebenso wie § 80 VwVfG eine Ausnahme von dem Grundsatz, daß im Verwaltungsverfahren keine Kostenerstattung stattfinde. Von daher seien beide Bestimmungen einer erweiternden Auslegung von vornherein nicht zugänglich. Zudem sei die jeweilige Interessenlage bei den in Rede stehenden Verfahrenskonstellationen unterschiedlich. Es sei etwas völlig anderes, ob die Kostenerstattungspflicht der den Verwaltungsakt erlassenden Behörde oder ob sie einem anderen Verfahrensbeteiligten auferlegt werde. Die entgegenstehende Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 11. September 1985 (aaO) könne nicht als Ausdruck einer gefestigten Rechtsprechung gewertet werden, zumal ihr die anderslautende Judikatur des BVerwG zu § 80 VwVfG entgegenstehe und für eine unterschiedliche Beurteilung der aufgeworfenen Rechtsprobleme im Verfahren nach dem SGB X einerseits und im Verfahren nach dem VwVfG andererseits kein sachlicher Grund zu erkennen sei.

Die Beigeladenen zu 2., 3., 4. und 5. sowie der Beklagte, der sich der Revision angeschlossen hat, beantragen,

die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 25. April 1995 und des Sozialgerichts Münster vom 4. August 1994 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger sowie die zu 1. beigeladene Kassenzahnärztliche Vereinigung (KZÄV) beantragen,

die Revisionen zurückzuweisen.

Sie halten das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Beigeladene zu 6. hat keinen Antrag gestellt und sich nicht zur Sache geäußert.

II

Die Revisionen sind unbegründet.

Zutreffend haben die Vorinstanzen den beigeladenen Landesverbänden der Krankenkassen unter Berufung auf § 63 SGB X die Kosten auferlegt, die dem Kläger durch die Rechtswahrnehmung im Verfahren vor dem Berufungsausschuß entstanden sind.

Nach seinem Wortlaut regelt § 63 Abs 1 Satz 1 SGB X allerdings nur den Fall, daß der Adressat eines Verwaltungsaktes mit seinem Widerspruch gegen eine ihn belastende Regelung Erfolg hat und daraufhin von dem Rechtsträger, dessen Behörde den Verwaltungsakt erlassen hat, die Erstattung seiner zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung im Vorverfahren notwendigen Kosten verlangt. Der Senat hat jedoch mit Urteil vom 11. Dezember 1985 (BSGE 59, 216 = SozR 1300 § 63 Nr 7) entschieden, daß die Vorschrift analog anzuwenden ist, wenn der durch einen Bescheid des Zulassungsausschusses begünstigte Arzt sich vor dem Berufungsausschuß erfolgreich gegen den Widerspruch einer der in § 96 Abs 4 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) genannten Körperschaften verteidigt und erreicht, daß deren Widerspruch zurückgewiesen oder zurückgenommen wird. Anstelle des Zulassungsausschusses, der den Verwaltungsakt erlassen hat, ist in diesen Fällen der mit seinem Rechtsbehelf unterlegene Widerspruchsführer gehalten, dem Arzt die zur Rechtsverteidigung erforderlichen Kosten zu erstatten. Die Notwendigkeit und Zulässigkeit einer erweiternden Auslegung des § 63 Abs 1 SGB X, die hinsichtlich des Kostenerstattungsanspruchs die erfolgreiche Abwehr eines Drittwiderspruchs dem Erfolg des eigenen Widerspruchs gleichstellt, ist in einem späteren Urteil des Senats vom 15. Dezember 1987 (SozR 1300 § 63 Nr 12 S 42) für das Verfahren der kassenärztlichen Wirtschaftlichkeitsprüfung bekräftigt worden. An dieser Rechtsprechung ist auch in Ansehung des jetzigen Revisionsvorbringens festzuhalten.

Der Haupteinwand der revisionsführenden Krankenkassenverbände geht dahin, daß mit der Ausdehnung der Kostenerstattungspflicht auf andere Verfahrensbeteiligte als die den Verwaltungsakt erlassende Behörde der Rahmen einer rechtsstaatlich zulässigen Analogiebildung überschritten worden sei. Das BSG habe in Wirklichkeit nicht § 63 Abs 1 Satz 1 SGB X auf einen vergleichbaren, vom Regelungszweck der Vorschrift mitumfaßten Sachverhalt entsprechend angewandt, sondern am Gesetz vorbei eine eigene Kostenerstattungsregelung geschaffen und sich damit unzulässigerweise an die Stelle des Gesetzgebers gesetzt. Dieser Einschätzung kann nicht gefolgt werden. Die Rechtsprechung des Senats gründet auf der Überzeugung, daß es für das Bestehen eines Kostenerstattungsanspruchs im Widerspruchsverfahren keinen sachlichen Unterschied machen kann, ob der (Zahn-)Arzt mit seinem Widerspruch die Aufhebung einer für ihn ungünstigen Entscheidung des Zulassungsausschusses erreicht oder ob er umgekehrt eine für ihn günstige Entscheidung des Zulassungsausschusses erfolgreich gegen den Widerspruch einer Krankenkasse oder der K(Z)ÄV verteidigt. Der in den Fällen des erfolgreichen eigenen Widerspruchs und der erfolgreichen Abwehr eines Drittwiderspruchs bestehenden Interessengleichheit und dem daraus folgenden Gebot der Gleichbehandlung beider Sachverhalte in bezug auf die Kostenerstattung kann danach sachgerecht nur in der Weise Rechnung getragen werden, daß im zuletzt genannten Fall die Kosten dem unterlegenen Widerspruchsführer auferlegt werden. Diese Lösung entspricht der verfassungsrechtlichen Wertentscheidung des Art 3 Abs 1 Grundgesetz und folgt zugleich der allgemeinen verfahrensrechtlichen Regel, daß derjenige, der ohne Erfolg einen Rechtsbehelf ergreift, dem zur Verteidigung seiner Rechtsposition gezwungenen Verfahrensgegner die dadurch entstehenden Aufwendungen zu ersetzen hat. Sie hält sich damit in dem Rahmen, der den Gerichten unter Beachtung des Gewaltenteilungsgrundsatzes für eine sachlich gebotene Lückenfüllung zur Verfügung steht (vgl dazu Kopp, VwVfG-Komm, 6. Aufl, § 80 RdNr 43 mwN).

Mit dem Argument, die Rechtsprechung des BSG zu § 63 SGB X weiche ohne sachlichen Grund von der Judikatur des BVerwG (vgl insbesondere BVerwGE 70, 58 = DVBl 1985, 167 = NVwZ 1985, 335; Buchholz 316 § 80 VwVfG Nr 22 = NJW 1987, 1716) zu der weitgehend inhaltsgleichen Vorschrift des § 80 VwVfG ab, hat sich der Senat bereits in den angeführten Entscheidungen vom 11. Dezember 1985 (BSGE 59, 216, 218 = SozR 1300 § 63 Nr 7) und 15. Dezember 1987 (SozR 1300 § 63 Nr 12 S 42) auseinandergesetzt. Er hat darauf verwiesen, daß die für das Gerichtsverfahren vorgesehenen Kostenregelungen des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) und der Verwaltungsgerichtsordnung erhebliche Unterschiede aufweisen und daß deshalb auch die Kostenregelungen für das vorgeschaltete Widerspruchsverfahren nicht zwangsläufig übereinstimmend ausgelegt werden müssen. Die besondere Ausgestaltung des Verfahrens vor den Berufungs- und Beschwerdeausschüssen als eigenständiges, dem gerichtlichen Rechtsmittelverfahren nachgebildetes Verwaltungsverfahren (vgl dazu BSG SozR 3-2500 § 96 Nr 1; BSGE 74, 59 = SozR 2500 § 106 Nr 22) rechtfertigt eine abweichende Interpretation der für den Bereich des Sozialgesetzbuchs geltenden Kostenerstattungsregelung jedenfalls insoweit, als es um die Anfechtung von Entscheidungen der Gremien der gemeinsamen Selbstverwaltung von Ärzten und Krankenkassen durch die dazu kraft Gesetzes (§ 96 Abs 4 Satz 1; § 106 Abs 5 Satz 4 SGB V) berechtigten Körperschaften geht.

Die Angriffe der Revision gegen eine analoge Anwendung des § 63 Abs 1 Satz 1 SGB X auf Fälle, in denen nicht der Widerspruch, sondern das Rechtsbegehren des die Zulassung erstrebenden Arztes erfolgreich war, verlieren letztlich dadurch an Gewicht, daß sie sich gegen eine seit mehr als zehn Jahren existierende, gefestigte Rechtsprechung richten. Das Berufungsgericht weist mit Recht darauf hin, daß die höchstrichterliche Rechtsprechung ihrerseits die Rechts- und Gesetzeslage mitgestaltet, indem sie den Streit über die Auslegung einer Rechtsvorschrift bereinigt, das Recht fortentwickelt und Zweifelsfragen im Interesse der Einheit des Rechts und der Rechtsprechung über den zur Entscheidung stehenden Einzelfall hinaus grundsätzlich klärt. Sie dient damit der Verwirklichung des Verfassungsgebots der Rechtssicherheit und begründet namentlich im Bereich des Verfahrensrechts einen Vertrauensschutz, auf den sich der Betroffene berufen kann (vgl BSGE 72, 148, 156 = SozR 3-2500 § 15 Nr 1 S 9; BSG SozR 3-1500 § 161 Nr 3). Die Aufgabe einer langjährigen Rechtsprechung, die der Gesetzgeber nicht beanstandet hat und der in Literatur und Praxis kein nachhaltiger Widerstand entgegengesetzt worden ist, kann deshalb nicht allein mit Zweifeln an der Richtigkeit und Tragfähigkeit der bisherigen Rechtsauffassung gerechtfertigt werden, sondern bedarf zwingender Gründe, die hier nicht ersichtlich sind.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.BUNDESSOZIALGERICHT

 

Fundstellen

AusR 1998, 17

SozSi 1997, 438

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