Leitsatz (amtlich)

Zur Anwendung des DV § 30 Abs 3 und 4 BVG idF vom 1961-07-30 § 6 Abs 1 genügt nicht, daß der Beschädigte einen Beruf ausgeübt hat (Fliesenleger), der aus der nach DV § 30 Abs 3 und 4 BVG idF vom 1961-07-30 § 3 maßgeblichen Berufsgruppe (Bauberufe) durch ein erhöhtes Durchschnittseinkommen herausragt. DV § 30 Abs 3 und 4 BVG § 6 erfordert vielmehr den Nachweis eines überdurchschnittlichen Berufserfolges.

 

Leitsatz (redaktionell)

Der individuelle Berufserfolg, dh die im ausgeübten Beruf erlangte Stellung, kann bei den unselbständig Tätigen nicht nur durch eine im Vergleich zu den Angehörigen desselben Berufs höhere, durch DV § 30 Abs 3 und 4 BVG idF vom 1961-07-30 § 3 nicht erfaßte soziale Stellung mit ihren Auswirkungen auf das Einkommen (leitende Angestellte, Abteilungsleiter, Facharbeiter mit Aufsichtsbefugnissen über andere Facharbeiter), sondern auch in einer dem besonderen Fleiß und der Tüchtigkeit entsprechenden höheren Bezahlung zum Ausdruck kommen (Sonderprämien, individueller übertariflicher Lohn, regelmäßige Ableistung von Überstunden im Gegensatz zum Durchschnitt der Berufskollegen), sofern sich hieraus für einen nicht nur vorübergehenden Zeitraum ein höheres Einkommen als das durchschnittliche Einkommen der anderen Berufsangehörigen ergibt.

 

Normenkette

BVG § 30 Abs. 3 Fassung: 1960-06-27, Abs. 4 Fassung: 1960-06-27, Abs. 5 Fassung: 1960-06-27; BVG § 30 Abs 3 u 4 DV § 3 Fassung: 1961-07-30; BVG § 30 Abs 3 u 4 DV § 6 Abs. 1 Fassung: 1961-07-30

 

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 15. September 1965 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Gründe

Der Kläger ist vor der Einberufung zum Heeresdienst und der im April 1945 erlittenen Verwundung auf Grund seiner Ausbildung als Maurergeselle und Fliesenleger in abhängiger Stellung tätig gewesen, zuletzt in einem Fliesenspezialgeschäft. Als Schädigungsfolge nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) wurde 1961 Verlust des linken Beines im oberen Oberschenkeldrittel nach Gasbrandinfektion anerkannt und ab 1. Oktober 1956 Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 100 v. H. gewährt. Seit 1945 hat der Kläger keinen Beruf mehr ausgeübt. Im Juni 1961 beantragte er Berufsschadensausgleich nach § 30 Abs. 3, 4 BVG. Mit Bescheid vom 9. September 1963 bewilligte das Versorgungsamt (VersorgA) Berufsschadensausgleich ab 1. Juni 1960 und stellte durch die Bescheide vom 9. September 1963 und 17. September 1963 über die Feststellung der vom Einkommen abhängigen Leistungen auch den Berufsschadensausgleich bis 31. Mai 1963 endgültig und ab 1. Juni 1963 vorläufig fest. Mit Bescheid vom 3. Oktober 1964 wurden die vom Einkommen abhängigen Leistungen für die Zeit vom 1. Juni 1963 bis 31. Dezember 1963 endgültig und durch Bescheid vom 29. April 1965 vom 1. Januar 1964 bis 31. Mai 1965 und ab 1. Juni 1965 neu festgestellt. Das VersorgA legte der Berechnung des Schadensausgleichs das nach den amtlichen Erhebungen des Statistischen Bundesamtes für das Baugewerbe (ab 1. Oktober 1964 für den Hoch- und Tiefbau) ermittelte Durchschnittseinkommen der männlichen Arbeiter Tabelle 1, Leistungsgruppe 1 (ab 1. Juni 1960 611,56 DM; ab 1. Oktober 1962 757,12 DM und ab 1. Oktober 1964 895,37 DM zugrunde (vgl. BVBl 1960 S. 162; 1962 S. 132; 1964 S. 153). Mit dem Widerspruch gegen den Bescheid vom 17. September 1963 machte der Kläger geltend, daß von dem durchschnittlichen Bruttoverdienst eines Fliesenlegers auszugehen sei, der nach der Bescheinigung der Firma F K vom 26. September 1963 für 1961 mit 950,00 DM bis 1.000,00 DM, für 1962 mit 1.100,00 DM, für 1963 mit 1.230,00 DM angesetzt werden müsse. Der Widerspruch war erfolglos. Das Sozialgericht (SG) wies mit Urteil vom 24. April 1964 die Klage ab. Auf die Berufung des Klägers änderte das Landessozialgericht (LSG) durch Urteil vom 15. September 1965 das Urteil des SG, hob die Feststellungsbescheide vom 9. und 17. September 1963 idF des Widerspruchsbescheides vom 4. November 1963 und auf die Klage den Bescheid vom 3. Oktober 1964 auf; im übrigen wies es die Klage ab. Bei der Berechnung des Berufsschadensausgleichs gemäß § 30 Abs. 3 und 4 BVG idF des Ersten Neuordnungsgesetzes (1. NOG) vom 27. Juni 1960 sei das derzeitige Einkommen des Klägers mit dem Einkommen zu vergleichen, das er in seiner Berufsgruppe ohne die Schädigung voraussichtlich erhalten würde. Entsprechend sei gemäß § 3 der Verordnung zur Durchführung (DVO) des § 30 Abs. 3 und 4 BVG vom 30. Juli 1961 der durchschnittliche Bruttoverdienst, der vom Statistischen Bundesamt für das Bundesgebiet laufend ermittelt werde, zu berücksichtigen. Sicherlich falle der frühere Beruf des Klägers als Fliesenleger unter die Berufsgruppe Baugewerbe, jedoch könne der Auffassung des Beklagten nicht beigetreten werden, daß das frühere Einkommen des Klägers nur unter Anwendung von § 3 der DVO ermittelt werden könnte. Nach § 30 Abs. 5 BVG habe die DVO gerade auch darüber Bestimmungen treffen müssen, wie der Einkommensverlust ermittelt werden solle, wenn die amtlichen Erhebungen des Statistischen Bundesamtes nicht zum Vergleich herangezogen werden könnten. § 6 DVO sehe ausdrücklich die Möglichkeit einer anderweitigen Berechnung vor, wenn der Beschädigte nachweise, daß er in dem vor Eintritt der Schädigung ausgeübten Beruf eine Stellung erreicht habe, die durch § 3 der DVO nicht ausreichend Berücksichtigung finde. Diese Vorschrift sei nicht nur anzuwenden, wenn ein Beschädigter innerhalb seines Berufes eine besondere Stellung erreicht habe, sondern auch dann, wenn der Beruf als solcher einkommensmäßig derart innerhalb der Berufsgruppe herausrage, daß er bei der Anwendung der §§ 3, 4 DVO nicht ausreichend Berücksichtigung finde. Da § 6 der DVO vom 30. Juli 1961 im Gegensatz zu der Neufassung vom 30. Juli 1964 eine Kannvorschrift sei, habe nur geprüft werden können, ob das Ermessen fehlerfrei ausgeübt worden sei. Ein Fehlgebrauch des Ermessens der Versorgungsverwaltung liege darin, daß sie ihrer Entscheidung eine unrichtige Rechtsauffassung zugrunde gelegt habe. Deshalb seien die angefochtenen Feststellungsbescheide vom 9. und 17. September 1963 aufzuheben gewesen, ebenso der Bescheid vom 3. Oktober 1964, da er eine entsprechende Regelung für die Zeit vom 1. Juni bis 31. Dezember 1963 treffe und daher nach § 96 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) am Verfahren teilnehme, nicht dagegen der Bescheid vom 29. April 1965, der den Anspruch ab Inkrafttreten des Zweiten Neuordnungsgesetzes (2. NOG) regele. Dieser Bescheid betreffe nicht den gleichen Streitgegenstand, da gemäß § 6 der DVO vom 30. Juli 1964 an die Stelle der seitherigen Kannvorschrift eine Mußvorschrift getreten sei. Insoweit habe deshalb die Klage abgewiesen werden müssen.

Mit der zugelassenen Revision rügt der Beklagte als Verfahrensmängel Verletzung der §§ 123, 96, 54 Abs. 2 Satz 2 SGG, sachlich-rechtlich Verletzung des § 30 Abs. 3 und 4 BVG und der §§ 3, 6 der DVO zu § 30 Abs. 3 und 4 BVG (1. NOG). Das LSG hätte die Bescheide vom 9. September 1963, 17. September 1963 und 3. Oktober 1964 nicht in ihrer Gesamtheit aufheben dürfen, denn andere Leistungen als der Berufsschadensausgleich seien nicht streitig gewesen. Ob der Bescheid vom 29. April 1965 nach § 96 SGG Gegenstand des Verfahrens geworden sei, hänge nicht davon ab, daß § 6 der DVO aF nur Kannleistungen, diese Vorschrift in der neuen Fassung aber Rechtsansprüche gewähre. Sachlich-rechtlich beruhe das Urteil des LSG auf einer Verkennung des § 30 Abs. 3 und 4 BVG und einer Verletzung der §§ 3 und 6 der DVO. Die Regelung des Berufsschadensausgleichs sei auf eine Typisierung und eine generalisierende Betrachtungsweise abgestellt, wobei es nicht auf die Art der Tätigkeit, also den Beruf im engeren Sinne, sondern auf den Arbeitsplatz ankomme. Deshalb könne § 6 der DVO nicht auf die Fälle angewendet werden, in denen sich der Beruf aus der Berufsgruppe heraushebe. Als eng auszulegende Ausnahmevorschrift gestatte § 6 der DVO nur einen bereits vor der Schädigung erzielten besonderen Erfolg im ausgeübten Beruf abzugelten, womit nicht der Beruf als solcher innerhalb der Berufsgruppe gemeint sei. Die Versorgungsverwaltung habe mit Recht die objektiven Voraussetzungen des § 6 DVO aF verneint. Auch hätte das LSG prüfen und feststellen müssen, ob bei Anwendung des § 6 der DVO überhaupt ein höherer Berufsschadensausgleich in Betracht gekommen wäre. Hierzu hätte es das frühere, vor der Schädigung erzielte Einkommen des Klägers als Fliesenleger ermitteln, dieses Einkommen in die Besoldung eines Reichsbeamten einordnen und nach dem Bundesbesoldungsgesetz (BBesG) umrechnen müssen. Das LSG habe durch Unterlassung dieser Prüfung eine unzulässige Rückverweisung ausgesprochen. Der Beklagte beantragt, das angefochtene Urteil abzuändern und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Dortmund vom 24. April 1964 zurückzuweisen, hilfsweise die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen. Der Kläger beantragt die Revision zurückzuweisen. Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die durch Zulassung statthafte Revision (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG) ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und deshalb zulässig (§§ 164, 166 SGG). Sie ist auch im Sinne der Zurückverweisung begründet.

Streitig ist nur, ob die Versorgungsverwaltung bei der Berechnung des Berufsschadensausgleichs ab 1. Juni 1960, nämlich bei der Berechnung des Einkommensverlustes nach § 30 Abs. 3 und 4 BVG idF des 1. NOG vom 27. Juni 1960 (BGBl I, 453) - aF - und (ab 1. Januar 1964) des 2. NOG vom 21. Februar 1964 (BGBl I, 85) - nF - sowie auf Grund der Verordnungen zur Durchführung des § 30 Abs. 3 und 4 BVG vom 30. Juli 1961 (BGBl I, 1115) - DVO aF - und vom 30. Juli 1964 (BGBl I, 574) - DVO nF - mit Recht von dem für den Wirtschaftsbereich Baugewerbe bzw. Hoch- und Tiefbau, Tabelle 1, Leistungsgruppe 1 festgesetzten Durchschnittseinkommen ausgegangen ist. Das LSG hat nur über die Rechtmäßigkeit der Feststellungsbescheide vom 9. September 1963 und 17. September 1963 - idF des Bescheides vom 4. November 1963 - und des Bescheides vom 3. Oktober 1964, somit für die Zeit bis zum 31. Dezember 1963 entschieden, nicht über den Bescheid vom 29. April 1965, der die Ansprüche ab 1. Januar 1964 betraf, da dieser Bescheid nicht Gegenstand des Verfahrens nach § 96 SGG geworden und in § 6 der DVO nF die seitherige Kannvorschrift in eine Mußvorschrift umgewandelt worden sei. Diese gesetzliche Änderung hinderte nicht, daß auch der Bescheid vom 29. April 1965 Gegenstand des anhängigen Verfahrens wurde. Zwar ersetzte er nicht inhaltlich die vorangegangenen Bescheide und änderte sie auch nicht ab, sondern betraf nur den Berufsschadensausgleich für einen weiteren Zeitraum. § 96 SGG ist jedoch nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) nicht eng auszulegen. Es genügte, daß durch den Bescheid vom 29. April 1965 in Ansehung des streitigen Berufsschadensausgleichs die Beschwer des Klägers noch erhöht wurde und daß deshalb dieser Bescheid im Rahmen des Dauerrechtsverhältnisses den Streitstoff des anhängigen Verfahrens beeinflussen konnte (BSG 5, 162; 11, 147; BSG in SozR Nr. 14 zu § 96 SGG sowie Peters-Sautter-Wolff, Komm. zur SGb, 4. Aufl. § 96 Anm. 1 b - II/29 -). Daß der Schadensausgleich nach § 9 DVO aF nur als Kannleistung gewährt werden konnte, nach § 6 DVO nF jedoch eine Pflichtleistung ist, änderte nichts an dem Prozeßziel, das auf die Gewährung eines höheren Berufsschadensausgleichs als Rechtsanspruch gerichtet war und desh lb auch denselben Streitgegenstand betraf. Da das LSG § 96 SGG verletzt und unter Verstoß gegen § 123 SGG nicht über alle rechtshängigen Ansprüche entschieden hat, ist die Entscheidung über den Bescheid vom 29. April 1965, somit über die Ansprüche ab 1. Januar 1964, nachzuholen. Deshalb mußte auf diese Verfahrensrüge das LSG-Urteil aufgehoben und der Rechtsstreit zur Nachholung dieser Entscheidung an das LSG zurückverwiesen werden.

Nach den insoweit von der Revision nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen tatsächlichen Feststellungen des LSG war der erwerbsunfähige Kläger, (der das Maurerhandwerk erlernt und die Gesellenprüfung abgelegt hat) vor der Schädigung als Fliesenleger tätig. Das LSG hat, ohne dies ausdrücklich zu sagen, das besondere berufliche Betroffensein des Klägers angenommen und nicht verkannt, daß Fliesenleger unter die Berufsgruppe Baugewerbe (Bauberufe) im Sinne der vom Statistischen Bundesamt unterschiedenen Wirtschaftsbereiche fallen (vgl. BVBl 1960 S. 162, 1962 S. 132 sowie das systematische und alphabetische Verzeichnis der Berufsbenennungen, herausgegeben von dem Statistischen Bundesamt, Ausgabe 1961 S. 39 - Nr. 2473 - und S. 15/16 - Berufsabteilung 2/3 industrielle und handwerkliche Berufe, Berufsgruppe 24 Bauberufe, Berufsordnung 247, Berufsklasse 2473 -). Es hat jedoch die Feststellungsbescheide vom 9. September und 17. September 1963 idF des Widerspruchsbescheides vom 4. November 1963 und den Bescheid vom 3. Oktober 1964 aufgehoben, weil der Beruf des Fliesenlegers innerhalb der Berufsgruppe Baugewerbe einkommensmäßig so weit herausrage, daß er bei Anwendung des § 3 DVO aF nicht ausreichend Berücksichtigung finde. Deshalb habe der Beklagte das Begehren des Klägers im Rahmen seines Ermessens nach § 6 DVO aF prüfen und diese Vorschrift anwenden müssen.

Diese Auffassung ist nicht frei von Rechtsirrtum. Sie verkennt durch eine über den Inhalt des § 6 Abs. 1 DVO aF hinausgehende weite Auslegung das Verhältnis dieser Vorschrift zu § 3 DVO aF und die Bedeutung der der Bundesregierung in § 30 Abs. 5 BVG aF erteilten Ermächtigung. Nach § 30 Abs. 4 BVG ist bei der Ermittlung des Einkommensverlustes das vom Beschädigten derzeit erzielte Bruttoeinkommen zuzüglich der Ausgleichsrente dem Durchschnittseinkommen der Berufsgruppe gegenüber zu stellen, das der Beschädigte ohne die Schädigung nach seinen Lebensverhältnissen, Kenntnissen und Fähigkeiten und dem bisher betätigten Arbeits- und Ausbildungswillen voraussichtlich erhalten würde (Satz 1). Allgemeine Vergleichsgrundlage zur Ermittlung des Durchschnittseinkommens sind die amtlichen Erhebungen des Statistischen Bundesamtes in zweijährigem Zeitabstand (Satz 2). Maßgebend sind die Durchschnittsergebnisse des Bundesgebietes. In § 30 Abs. 5 BVG wird die Bundesregierung ermächtigt, mit Zustimmung des Bundesrates zur Durchführung dieser Vorschrift eine Rechtsverordnung zu erlassen; hierbei kann sie bestimmen, wie der Einkommensverlust ermittelt wird, wenn amtliche Erhebungen des Statistischen Bundesamtes nicht vorliegen oder zum Vergleich nicht herangezogen werden können. Nach § 3 der DVO ist Durchschnittseinkommen der durchschnittliche Bruttoverdienst, der für die in Betracht kommenden Wirtschaftsgruppen (Wirtschaftszweige) vom Statistischen Bundesamt für das Bundesgebiet laufend ermittelt wird. In dem zur Veröffentlichung bestimmten Urteil des erkennenden Senats vom 25. Juli 1967 - 9 RV 892/65 -, das den Anspruch eines voraussichtlich in selbständiger Stellung tätig gewordenen Beschädigten (Bezirksschornsteinfegermeister) auf Berufsschadensausgleich nach § 30 Abs. 3 bis 5 BVG aF und nach § 30 Abs. 3, 4 und 7 BVG nF betrifft, ist eingehend dargelegt, daß beim Berufsschadensausgleich der Gesichtspunkt einer individuellen Entschädigung zu Gunsten eines generalisierten oder pauschalierten Schadensausgleichs zurücktreten mußte, daß auch nach der Entstehungsgeschichte der Vorschriften über den Berufsschadensausgleich für den "fiktiv" zu errechnenden Einkommensverlust ein durchschnittlicher Berufserfolg maßgebend sein sollte, und daß, wenn entsprechend der in § 30 Abs. 5 BVG erteilten Ermächtigung das für die Ermittlung des Einkommensverlustes maßgebliche Durchschnittseinkommen der Berufsgruppe in der DVO bestimmt wurde, auch ein Mehrverdienst, der wahrscheinlich erzielt werden konnte, außer Betracht zu bleiben hat. Die auf der Ermittlung eines Durchschnittseinkommens für eine Berufsgruppe beruhende Einstufung ist die Folge eines gesetzlich zugelassenen Prinzips, das notwendigerweise Begünstigungen oder auch eine weniger vorteilhafte Einstufung für einzelne Berechtigte mit sich bringt. Dem Gesetzgeber steht es jedoch frei, im Interesse der Durchführbarkeit einer systematischen Regelung eine Generalisierung vorzunehmen. Eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes könnte zwar in einer systemwidrigen Belastung Einzelner durch Einfügung von Vorschriften gefunden werden, durch die das System des Gesetzes ohne ausreichende sachliche Gründe verlassen wird (vgl. BVerfG 18, 329, 331, 332, 334). Das ist hier aber bei der Regelung des § 3 DVO nicht der Fall. Zwar ist in § 2 Satz 3 der DVO ausdrücklich bestimmt, daß ein durch die Schädigung verhinderter Aufstieg im Beruf zu berücksichtigen ist. In diesem Fall ist der Berechnung des Berufsschadensausgleichs das vom Statistischen Bundesamt für diese wahrscheinlich erlangte Berufsstellung ermittelte Durchschnittseinkommen zugrunde zulegen, zum Beispiel nicht das eines Arbeiters, sondern eines (technischen) Angestellten der Berufsgruppe bzw. eines selbständigen Handwerkers oder bei unselbständig Tätigen mit wahrscheinlich abgeschlossener Hochschulbildung vom vollendeten 47. Lebensjahr an das Durchschnittseinkommen der Besoldungsgruppe A 14 (§ 3 Abs. 3 DVO). Dagegen ist die Berücksichtigung eines früher erzielten oder ohne die Schädigung wahrscheinlich heute erzielten Einkommens bei der Ermittlung des Durchschnittseinkommens, sofern nicht die Voraussetzungen des § 6 DVO vorliegen, nicht möglich, wenn der Beschädigte in die für ihn zutreffende Berufsgruppe (Wirtschaftsgruppe, Wirtschaftszweig) und in die Leistungsgruppe eingestuft wurde, der er angehört hat oder angehören würde. Der Zweck der in § 3 DVO getroffenen Regelung würde verfehlt, wenn im Einzelfall unbeschränkt der Nachweis zugelassen würde, daß der Beschädigte in seinem Beruf ein höheres Einkommen erreicht hat oder heute erzielen würde, als dem für seine Berufsgruppe maßgebenden Durchschnittseinkommen entspricht. Würde der Kläger heute noch seine Tätigkeit als Fliesenleger (etwa halbtags) ausüben, so müßte er sich ebenfalls grundsätzlich auf dieses Durchschnittseinkommen verweisen lassen. Das Gleiche würde gelten, wenn der Kläger seinen Beruf nach der Schädigung unter Aufbietung außergewöhnlicher Energie zunächst noch voll ausgeübt und danach aufgegeben hätte. Denn die der Bundesregierung in § 30 Abs. 5 BVG aF erteilte Ermächtigung, den Einkommensverlust gemäß § 30 Abs. 4 BVG aF durch Festsetzung eines Durchschnittseinkommens als allgemeine Vergleichsgrundlage zu bestimmen, unterscheidet nicht zwischen dem Einkommen, das der Beschädigte ohne die Schädigung voraussichtlich erhalten würde und dem Einkommen, das er vor oder nach der Schädigung tatsächlich bezogen hat. Auch wer trotz der Schädigung die für ihn gemäß § 2 Satz 1 DVO in Betracht kommende Tätigkeit, wenn auch mit Minderverdienst, noch ausübt, wird hinsichtlich des Durchschnittseinkommens nicht anders behandelt, als derjenige, der sie nicht mehr ausüben kann (§ 2 Satz 2 DVO). Deshalb war die Einstufung des Klägers in die Leistungsgruppe 1 des Baugewerbes mit einem Durchschnittseinkommen von 611,56 DM ab 1. Juni 1960 und von 757,12 DM ab 1. Oktober 1962, wie der Beklagte sie getroffen hat, nicht schon deswegen zu beanstanden, weil der Kläger als Fliesenleger, somit in einem innerhalb der Berufsgruppe Baugewerbe herausragenden und entsprechend höher bezahlten Beruf bereits vor der Schädigung tätig gewesen war. In dem Urteil des BSG vom 16. Februar 1967 - 10 RV 1077/65 -, dem sich der erkennende Senat bereits im Urteil vom 25. Juli 1967 angeschlossen hat, ist eingehend begründet worden, daß in der der Bundesregierung in § 30 Abs. 7 Buchst. a BVG nF erteilten Ermächtigung, zu bestimmen, welche Vergleichsgrundlage und in welcher Weise sie zur Ermittlung des Einkommensverlustes heranzuziehen ist, nicht eine Ermächtigung zum Erlaß von Verfahrensvorschriften, sondern eine Vorschrift zu erblicken ist, die es der Bundesregierung gestattet, alle näheren Bestimmungen zur Feststellung der zu vergleichenden Einkommen zu treffen, somit sachlich-rechtlich nicht nur die Vergleichsgrundlage festzusetzen, sondern auch die zur Bestimmung der zu vergleichenden Einkommen notwendigen Vorschriften zu erlassen. Dasselbe trifft auch für die der Bundesregierung in § 30 Abs. 5 BVG aF erteilte Ermächtigung zu.

Da der Kläger jedoch schon vor der Schädigung als Fliesenleger tätig gewesen war, bedurfte es der Prüfung, ob die Voraussetzungen für eine höhere Festsetzung des Durchschnittseinkommens nach § 6 Abs. 1 DVO aF gegeben sind. Diese Kann-Vorschrift setzt voraus, daß der Beschädigte in dem vor Eintritt der Schädigung oder des besonderen beruflichen Betroffenseins ausgeübten Beruf nachweislich eine Stellung erreicht hat, die durch § 3 (oder 4) nicht ausreichend Berücksichtigung findet. In diesem Falle kommt als Durchschnittseinkommen das Endgrundgehalt einer dieser Stellung angemessenen Besoldungsgruppe der Bundesbesoldungsordnung A (BBesO) der BBesG einschließlich des Ortszuschlages nach Ortsklasse A des BBesG in Betracht. Bevor das dem höheren Einkommen des Beschädigten entsprechende Endgrundgehalt des BBesG ermittel werden kann, ist somit zu prüfen, ob der Beschädigte in dem ausgeübten Beruf - hier dem eines Fliesenlegers - eine durch die §§ 3, 4 DVO nicht ausreichend berücksichtigte Stellung gefunden hat. § 6 der DVO knüpft also nicht unmittelbar an das nach § 3 DVO maßgebliche Durchschnittseinkommen der für den Beschädigten in Betracht kommenden Berufsgruppe an und vergleicht dieses Durchschnittseinkommen nicht unmittelbar mit den Bezügen, die der Beschädigte vor der Schädigung bereits erzielt hat. Diese Vorschrift hebt vielmehr auf die im ausgeübten Beruf früher tatsächlich erlangte Stellung ab und berücksichtigt damit nur den individuellen Berufserfolg, den der Beschädigte über den Durchschnitt der Berufsgenossen durch eine in diesem Beruf erreichte besondere Stellung mit ihren Auswirkungen auf das Einkommen erzielt hat (vgl. auch BSG-Urteil vom 17. August 1967 - 8 RV 913/66 -). Deshalb muß zur Anwendung des § 6 DVO zunächst eine solche gehobene Stellung in dem ausgeübten Beruf festgestellt sein, bevor die nach § 6 Abs. 1 DVO in Betracht kommende Besoldungsgruppe ermittelt werden kann (vgl. auch van Nuis-Vorberg, Das Recht der Kriegsbeschädigten und Kriegshinterbliebenen, IV. Teil, 1961 S. 39 g und h; Haack, Der Versorgungsbeamte 1966 S. 2; Wilke KOV 1961 S. 181; andererseits auch Schulz in KOV 1966 S. 130; ferner BMA, Rundschr. vom 25. August 1961 in BVBl 1961 S. 127/128 Nr. 69 und Rundschr. vom 22. März 1966 in BVBl 1966 S. 30 Nr. 21). Die bloße Zugehörigkeit zu einem Beruf, der innerhalb der Berufsgruppe über andere Berufe dieser Gruppe erheblich hinausragt, genügt somit noch nicht zur Anwendung des § 6 DVO. Jedoch wird sich bei diesen überdurchschnittlichen Berufen eher ein grobes Mißverhältnis zwischen der früher erlangten Position und dem nach § 3 DVO maßgeblichen Durchschnittseinkommen ergeben, als bei anderen Berufen der Gruppe, die dem Durchschnittseinkommen der Berufsgruppe näher stehen. Ein solches grobes Mißverhältnis reicht, wenn eine angehobene Stellung im ausgeübten Beruf nachgewiesen werden kann, zur Anwendung des § 6 DVO jedenfalls aus (vgl. auch van Nuis-Vorberg aaO Teil IV S. 39 h). In der Berufsgruppe des Baugewerbes sind ohne jede Differenzierung Berufe von sehr unterschiedlicher Bedeutung zusammengefaßt worden; zu ihnen gehört auch der Beruf des Fliesenlegers. Deshalb dürfen bei diesem Beruf, soweit § 6 DVO in Betracht kommt, an das Erfordernis der gehobenen Stellung im Beruf keine unbilligen Anforderungen gestellt werden. Dies ist schon zur Vermeidung einer Benachteiligung gegenüber den selbständig Tätigen erforderlich. Zwar verlangt § 6 Abs. 2 Satz 1 DVO auch bei diesen eine besondere Stellung im Beruf; der Berufserfolg wird aber dort überwiegend durch den höheren Gewinn als Maßstab des besonderen Berufserfolgs ausgewiesen.

Der individuelle Berufserfolg, d. h. die im ausgeübten Beruf erlangte Stellung, kann bei den unselbständig Tätigen nicht nur durch eine im Vergleich zu den Angehörigen desselben Berufs höhere, durch § 3 DVO nicht erfaßte soziale Stellung mit ihren Auswirkungen auf das Einkommen (leitende Angestellte, Abteilungsleiter, Facharbeiter mit Aufsichtsbefugnissen über andere Facharbeiter), sondern auch in einer dem besonderen Fleiß und der Tüchtigkeit entsprechenden höheren Bezahlung zum Ausdruck kommen (Sonderprämien, individueller übertariflicher Lohn, regelmäßige Ableistung von Überstunden im Gegensatz zum Durchschnitt der Berufskollegen), sofern sich hieraus für einen nicht nur vorübergehenden Zeitraum ein höheres Einkommen als das durchschnittliche Einkommen der anderen Berufsangehörigen ergibt.

Das LSG hat nicht festgestellt, ob der Kläger als Fliesenleger vor der Schädigung einen solchen überdurchschnittlichen Berufserfolg erzielt hat. Es hat weder die Höhe des Einkommens noch die Umstände ermittelt, auf die dieses Einkommen zurückzuführen ist. Es hat nicht auf die Berufsstellung des Klägers in seinem Beruf als Fliesenleger abgehoben, sondern sich damit begnügt, daß der Beruf eines Fliesenlegers innerhalb der Berufsgruppe (Baugewerbe) einkommensmäßig so herausrage, daß er bei Anwendung der Vorschrift des § 3 DVO nicht ausreichend Berücksichtigung finde. Nach der eidesstattlichen Versicherung des A M vom 4. Dezember 1950 hat der Kläger vor der Schädigung als "erster Fliesenleger" bei der Firma M B, einem Spezialfliesengeschäft in K, umfangreiche Fliesenarbeiten ausgeführt und (1941/42) einen Wochenlohn von durchschnittlich 130,- RM bis 140,- RM gehabt. Nach der eidesstattlichen Versicherung des W K vom 26. Oktober 1950 war der Kläger bei dieser Firma von 1934 bis 1942 beschäftigt. Das hohe Einkommen, die langjährige Tätigkeit bei der Firma und die Stellung als "erster Fliesenleger" legen die Vermutung nahe, daß der Kläger vor der Schädigung auf Grund seiner besonderen Berufsstellung ein Einkommen erreicht hat, das über das damalige Durchschnittseinkommen der Fliesenleger nicht unerheblich hinausging. Ob diese besonderen Voraussetzungen hier gegeben sind, bedarf der Feststellung, ebenso, ob der Kläger auf Grund seiner Berufserfahrung auch Aufsichtsrechte gegenüber anderen Fliesenlegern hatte und dadurch etwa in die Nähe eines technischen Angestellten gerückt war.

Da das LSG nicht die zur Anwendung des § 6 DVO erforderlichen Feststellungen getroffen und über die Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 29. April 1965 nicht entschieden hat, war das Urteil aufzuheben und die Sache in vollem Umfang an das LSG zurückzuverweisen. Das LSG wird auch zu beachten haben, daß nur die Höhe des Berufsschadensausgleichs streitig war und deshalb die Bescheide vom 9. September 1963, 17. September 1963 und 3. Oktober 1964 nicht in vollem Umfang aufgehoben werden durften.

Die Kostenentscheidung bleibt der das Verfahren abschließenden Entscheidung vorbehalten.

 

Fundstellen

BSGE, 178

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