Verfahrensgang

LSG Berlin (Urteil vom 12.10.1983; Aktenzeichen L 9 Kr 21/82)

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 12. Oktober 1983 – L 9 Kr 21/82 – wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Streitig ist die Gewährung eines über den täglichen Betrag von 25,– DM hinausgehenden Mutterschaftsgeldes.

Die Klägerin hat am 1. Februar 1979 – fünfeinhalb Monate vor der Geburt ihres Kindes – ein auf sechs Monate befristetes Arbeitsverhältnis als wissenschaftliche Mitarbeiterin einer Forschungsgruppe angetreten. Am 4. Mai 1979 teilte sie dem Arbeitgeber mit, daß sie schwanger sei. Dieser hat den Arbeitsvertrag wegen Täuschung und Irrtum angefochten (§§ 119, 123 des Bürgerlichen Gesetzbuches –BGB–). Letzter Arbeitstag der Klägerin war der 25. Mai 1979. Nach ihrer Klageerhebung vor dem Arbeitsgericht –ArbG– (13. Juni 1979) und ihrer Entbindung (18. Juli 1979) hat die Klägerin mit ihrem Arbeitgeber vor dem ArbG einen Vergleich abgeschlossen; die Parteien waren sich einig, daß das Arbeitsverhältnis am 25. Mai 1979 – letzter Arbeitstag – beendet worden ist. Die Beklagte hat mit Bescheid vom 18. Oktober 1979 Mutterschaftsgeld nach § 200 der Reichsversicherungsordnung (RVO) in Höhe von kalendertäglich 25,– DM vom 26. Mai bis 12. September 1979 gewährt. Mit Bescheid vom 29. November 1979 lehnte die Beklagte die Gewährung eines Zuschusses zum Mutterschaftsgeld nach § 14 Abs. 2 des Mutterschutzgesetzes –MuSchG– mit der Begründung ab, daß das Arbeitsverhältnis nicht „vom Arbeitgeber zulässig aufgelöst worden”, sondern ein Vergleich abgeschlossen worden sei. Den Widerspruch der Klägerin hat die Beklagte zurückgewiesen.

Das Sozialgericht (SG) hat den angefochtenen Bescheid aufgehoben und die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Durch die Anfechtung des Arbeitgebers sei das Arbeitsverhältnis „zulässig aufgelöst” worden. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) die Beklagte verurteilt, der Klägerin Mutterschaftsgeld in Höhe des Krankengeldes nach § 200a Abs. 1 RVO abzüglich des bereits gezahlten Mutterschaftsgeldes (von täglich 25,– DM) zu gewähren. Zur Begründung wurde ausgeführt: Die Klägerin habe keinen Anspruch nach § 14 Abs. 2 MuSchG. Die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses durch Anfechtung stehe außerhalb des Kündigungsverbotes des § 9 MuSchG. Der § 14 Abs. 2 MuSchG erfasse nur diejenigen Fälle einer Auflösung, in denen die Beendigungsgründe allein vom Arbeitgeber zu vertreten seien. Ein solcher Fall liege hier aber nicht vor. Der Klägerin stehe jedoch ein Anspruch auf Mutterschaftsgeld in Höhe des Krankengeldes gemäß § 200a RVO zu, da sie in der Zeit zwischen dem 10. und dem 4. Monat (einschließlich dieser Monate) vor der Entbindung mindestens zwölf Wochen in einem Arbeitsverhältnis gestanden habe. Diesen Anspruch habe sie auch dann, wenn man den Beginn der Schutzfrist gemäß § 200 Abs. 1 RVO (§ 200a Abs. 1 RVO: Andere Versicherte, …) nicht nach dem Entbindungstag (18. Juli 1979), sondern nach dem ärztlich festgestellten mußmaßlichen Entbindungstag (5. Juli 1979) berechne. Dann beginne die Schutzfrist bereits am 24. Mai 1979, also zu einem Zeitpunkt, als die Klägerin sich noch in ihrem Arbeitsverhältnis befunden habe. In diesem Falle stehe ihr Mutterschaftsgeld nach § 200 RVO in Höhe von 25,– DM täglich zu. Wie das Bundessozialgericht (BSG) in seinen Urteilen vom 1. Februar 1983 – 3 RK 53/81 und 3 RK 1/82 – entschieden habe, bestehe aber auch insoweit ein Anspruch auf Mutterschaftsgeld in Höhe des Krankengeldes gemäß § 200a RVO. Demnach seien „Andere Versicherte” iS des § 200a Abs. 1 RVO auch solche Versicherte, die bei Erfüllung der Voraussetzungen des § 200 RVO keinen Anspruch auf die Arbeitgeberleistungen nach § 14 MuSchG haben (BSGE 54, 260).

Die Beklagte hat Revision eingelegt. § 14 Abs. 2 MuSchG liege, wie das LSG mit Recht festgestellt habe, hier nicht vor. Eine Anwendung des § 200a RVO habe aber auszuscheiden; es treffe nicht zu, daß das BSG am 1. Februar 1983 in diesem Sinne entschieden habe.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des LSG Berlin vom 12. Oktober 1983 und das Urteil des SG Berlin vom 8. Januar 1982 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision ist nicht begründet.

1. Nach § 200 Abs. 1 RVO erhalten Mutterschaftsgeld solche Versicherte, die bei Beginn der Schutzfrist nach § 3 Abs. 2 MuSchG in einem Arbeitsverhältnis stehen oder in Heimarbeit beschäftigt sind oder deren Arbeitsverhältnis während ihrer Schwangerschaft vom Arbeitgeber zulässig aufgelöst worden ist dann, wenn in der Zeit zwischen dem zehnten und dem vierten Monat (einschließlich dieser Monate) vor der Entbindung für mindestens zwölf Wochen Versicherungspflicht oder ein Arbeitsverhältnis bestanden hat.

Die letztgenannte Voraussetzung ist bei der Klägerin erfüllt, da sie innerhalb der Zeit vom 10. bis 4. Monat vor der Entbindung unstreitig mindestens 12 Wochen versicherungspflichtig beschäftigt war. Daher war zu prüfen, ob die Klägerin zu Beginn der genannten Schutzfrist in einem „Arbeitsverhältnis” stand oder ob ihr „Arbeitsverhältnis während ihrer Schwangerschaft vom Arbeitgeber zulässig aufgelöst worden ist” (§ 200 Abs. 1 Satz 1 RVO). Die Schutzfrist des § 3 Abs. 2 MuSchG beträgt „sechs Wochen vor der Entbindung”. Berechnet man die Frist nach § 5 Abs. 2 Satz 1 MuSchG unter Zugrundelegung des voraussichtlich mutmaßlichen Entbindungszeitpunkts, als den das LSG den 5. Juli 1979 (– einem Donnerstag –) festgestellt hat, so kommt der Fristbeginn auf den 24. (– Donnerstag –) Mai 1979 und damit auf einen Tag zu liegen, an dem die Klägerin noch bei der obengenannten Firma beschäftigt war. Diesem Fristbeginn ist die Beklagte nicht entgegengetreten.

2. Die zweite, alternativ in Betracht kommende Voraussetzung des § 200 Abs. 1 Satz 1 RVO, daß nämlich das Arbeitsverhältnis während der Schwangerschaft vom Arbeitgeber zulässig aufgelöst worden ist, liegt, wie das LSG zutreffend ausgeführt hat, hier nicht vor. Mit dieser Bestimmung will der Gesetzgeber solche Frauen, die trotz des nach § 9 MuSchG grundsätzlich vorgesehenen Mutterschutzes ihr Arbeitsverhältnis durch (eine rechtlich zulässige) Auflösung seitens des Arbeitgebers verloren haben, so behandeln, als ob das Arbeitsverhältnis zu Beginn der Schutzfrist noch bestanden hätte. Der Senat hat in seinem Urteil vom 10. September 1975 – 3 RK 12/74 – (BSGE 40, 211) entschieden, daß die genannte Bestimmung nicht für Frauen gilt, die an sich Kündigungsschutz genießen, ihn jedoch im Einzelfall verloren haben, weil sie dem Arbeitgeber ihre Schwangerschaft weder vor der Kündigung noch innerhalb von zwei Wochen danach mitgeteilt haben. Eine solche einschränkende Auslegung muß aber auch dann gelten, wenn der Arbeitgeber das aus sachlichen Gründen nur auf wenige Monate befristete Arbeitsverhältnis deswegen angefochten hat, weil ihm bei Vertragsabschluß die Schwangerschaft wider besseres Wissen arglistig verschwiegen worden ist. Deshalb kann hier dahinstehen, ob bei jeder Anfechtung des Arbeitsvertrages, die wegen eines bei seinem Abschluß vorliegenden Willensmangels erfolgt, die genannte Gleichstellung zu verneinen ist (so Bulla/Buchner, Mutterschutzgesetz, 5. Aufl 1981, RdNr. 40 zu § 13 mwN). Wie das LSG rügelos festgestellt hat, wurde von der Klägerin eingeräumt, daß ihrem Arbeitgeber ein Anfechtungsrecht wegen Täuschung zustand. Damit war ihr Arbeitsvertrag, obwohl der Anfechtungserklärung bei vollzogenen Arbeits- und Gesellschaftsverhältnissen entgegen § 142 Abs. 1 BGB keine rückwirkende Kraft zukommt, von Anfang an mit einem derart spezifischen Mangel behaftet, daß jedenfalls aus diesem Vertrag kein Kündigungsschutz nach § 9 MuSchG hergeleitet werden konnte und demzufolge auch keine „zulässige Auflösung” iS des § 200 Abs. 1 RVO vorliegt, die einen solchen Schutz grundsätzlich voraussetzt. Daran wird auch nichts dadurch geändert, daß es über der Anfechtung zu einem arbeitsgerichtlichen Verfahren gekommen ist und ein Vergleich des obengenannten Inhalts abgeschlossen wurde, da auch dann, wenn die Beendigung des Arbeitsverhältnisses im gegenseitigen Einvernehmen erfolgt wäre, keine zulässige Auflösung des Arbeitsverhältnisses iS des § 200 Abs. 1 Satz 1 RVO vorgelegen hätte (Bulla/Buchner, aaO, RdNr. 42).

3. Der von der Klägerin geltend gemachte – zusammen mit dem Anspruch aus § 200 RVO gegenüber dem Anspruch aus § 200a RVO grundsätzlich höhere – Anspruch aus § 14 MuSchG ist nicht begründet. Nach § 14 Abs. 2 MuSchG erhalten Frauen, deren Arbeitsverhältnis während ihrer Schwangerschaft oder während der Schutzfrist des § 6 Abs. 1 (– Beschäftigungsverbot nach der Entbindung –) vom Arbeitgeber zulässig aufgelöst worden ist, den Zuschuß nach Absatz 1 (anstelle vom Arbeitgeber) von der für die Zahlung des Mutterschaftsgeldes zuständigen Kasse (zu Lasten des Bundes). Wie oben dargelegt, liegt ein Fall der „zulässigen Auflösung” hier aber nicht vor, so daß die Beklagte nicht anstelle des Arbeitgebers verpflichtet werden konnte.

Ein Anspruch gegen den Arbeitgeber nach § 14 Abs. 1 MuSchG besteht aber deshalb nicht, weil der Ausnahmefall vorliegt, daß die Klägerin zu Beginn der nach dem mutmaßlichen Entbindungstag berechneten Sechswochenfrist (– am 24. Mai 1979 –) nach § 200 Abs. 1 Satz 1 RVO zwar noch in einem Arbeitsverhältnis gestanden hat, das Arbeitsverhältnis aber während der Schutzfrist (– nämlich am nächsten Tag –) endete ohne vom Arbeitgeber „zulässig aufgelöst” worden zu sein (vgl. Bulla/Buchner, aaO, § 14 RdNr. 37 am Ende; Peters, Handbuch der Krankenversicherung, Stand 1.1.1986, § 200, Anm. 12e am Ende).

Für einen solchen Fall hat der Senat in seinem Urteil vom 1. Februar 1983 – 3 RK 53/81 – (BSGE 54, 260) die Vorschrift des § 200a RVO mit der Begründung für analog anwendbar erklärt, daß diejenigen Frauen, die bei Beginn der Schutzfrist noch in einem Arbeitsverhältnis gestanden haben, deren Arbeitsverhältnis aber während der Schutzfrist endet, ohne daß eine „zulässige Auflösung” nach § 14 Abs. 2 MuSchG vorliegt (– so daß diese Vorschrift aus den genannten Gründen, die Vorschrift des Absatz 1 aber deshalb ausscheidet, weil das Arbeitsverhältnis nicht über die gesamte Schutzfrist hinweg bestanden hat; vgl. Schmatz/Fischwasser, Vergütung der Arbeitnehmer bei Krankheit und Mutterschaft, Stand: Juni 1986, Anm. III, 2 zu § 14 MuSchG; Gröninger/Thomas, Komm zum Mutterschutzgesetz, Stand März 1985, Anm. 3a zu § 14), nicht schlechter gestellt sein können als diejenigen, welche (nach § 200a RVO anspruchsberechtigt sind, obwohl sie bei Beginn der Schutzfrist in keinem Arbeitsverhältnis mehr zu stehen brauchen, die also) „schon vor Beginn der Schutzfrist aus dem Arbeitsverhältnis ohne zulässige Auflösung ausgeschieden waren”.

In § 200a RVO wird bestimmt: „Andere Versicherte, die bei Arbeitsunfähigkeit Anspruch auf Krankengeld haben, erhalten Mutterschaftsgeld in Höhe des Krankengeldes nach § 182, wenn in der Zeit zwischen dem zehnten und dem vierten Monat einschließlich dieser Monate vor der Entbindung mindestens zwölf Wochen versichert waren oder in einem Arbeitsverhältnis standen”. Diese Voraussetzungen sind hier gegeben.

Aus diesen Gründen steht der Klägerin, wie das LSG zutreffend entschieden hat, zwar kein Ergänzungsanspruch nach § 14 MuSchG zu, wohl aber ein solcher nach § 200a RVO.

Die Revision war daher als unbegründet zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI921530

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