Entscheidungsstichwort (Thema)

Angestelltenversicherung. Verzicht. Befreiung. Frist

 

Orientierungssatz

Die Erklärung des Verzichts auf die Befreiung von der Versicherungspflicht gehört zu den Voraussetzungen der in Art 2 § 5a AnVNG geregelten Befugnis zur Beitragsnachentrichtung. Ihre Bedeutung erschöpft sich jedoch darin nicht. Es wird vielmehr hier zugleich mittelbar die Frage geregelt, bis wann derjenige, der von der Versicherungspflicht befreit worden ist, auf diese Befreiung verzichten muß, damit die Versicherungspflicht für ihn wieder auflebt.

 

Normenkette

AnVNG Art. 2 § 5a Abs. 1 S. 1 Fassung: 1967-12-21; ArVNG Art. 2 § 1 Fassung: 1965-06-09

 

Verfahrensgang

LSG Niedersachsen (Entscheidung vom 03.12.1971)

SG Lüneburg (Entscheidung vom 30.10.1970)

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 3. Dezember 1971 wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat dem Beigeladenen zu 1) die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

 

Gründe

I

Die Beteiligten streiten in der Revisionsinstanz noch darüber, ob der Kläger auch nach dem 30. Juni 1968 rechtswirksam auf die Befreiung von der Versicherungspflicht verzichten konnte, um wieder versicherungspflichtig zu werden.

Der am 15. April 1928 geborene Kläger ist am 18. Oktober 1965 nach Art. 2 § 1 des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (AnVNG) in der Fassung des Rentenversicherungs-Änderungsgesetzes (RVÄndG) vom 9. Juni 1965 (BGBl I, 476) mit Wirkung vom 1. Juli 1965 von der Versicherungspflicht befreit worden. Nach den mit der Revision nicht angegriffenen Feststellungen des Landessozialgerichts (LSG) verzichtete er auf diese Befreiung erstmalig in einem Schreiben vom 29. Oktober 1968. Die Beklagte erklärte diesen Verzicht wegen Fristversäumnis für unwirksam; der Widerspruch hatte keinen Erfolg (Bescheid vom 29. November 1968; Widerspruchsbescheid vom 4. Februar 1969). Das Sozialgericht (SG) Lüneburg dagegen stellte fest, der Kläger sei seit dem 1. November 1968 in der Angestelltenversicherung versicherungspflichtig (Urteil vom 30. Oktober 1970). Auf die Berufung der Beklagten hob das LSG dieses Urteil auf und wies die Klage ab (Urteil vom 3. Dezember 1971). Nach Art. 2 § 5 a AnVNG i. d. F. des Finanz-Änderungsgesetzes (FinÄndG) 1967 (vom 21. Dezember 1967; BGBl I, 1259) habe der Kläger nach dem 30. Juni 1968 nicht mehr auf die Befreiung von der Versicherungspflicht verzichten können. Ein solcher Verzicht sei als Ausnahme nur möglich, wenn das Gesetz ihn ausdrücklich zulasse; eine analoge Anwendung des § 7 Abs. 6 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) komme deshalb hier nicht in Betracht.

Mit der zugelassenen Revision beantragt der Kläger (sinngemäß),

das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG zurückzuweisen.

Er rügt eine Verletzung materiellen Rechts. Nach seiner Meinung betrifft die in Art. 2 § 5 a Abs. 1 Satz 1 AnVNG genannte, am 30. Juni 1968 abgelaufene Frist lediglich den für die Beitragsnachentrichtung erforderlichen Antrag; die Verzichtserklärung dagegen werde von dieser Frist nicht berührt, sie sei in analoger Anwendung des § 7 Abs. 6 AVG auch nach dem 30. Juni 1968 noch zulässig.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Die Beigeladenen stellen keine Anträge.

Alle Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

II

Die Revision ist nicht begründet; das LSG hat zu Recht entschieden, daß der Kläger nach dem 30. Juni 1968 auf die Befreiung von der Versicherungspflicht nicht mehr verzichten konnte.

Nach Art. 2 § 5 a Abs. 1 Satz 1 AnVNG i. d. F. des FinÄndG 1967 konnten auf Antrag u. a. diejenigen Versicherten für die Zeit nach dem 31. Dezember 1955 freiwillige Beiträge nachentrichten, die aufgrund des Art. 2 § 1 AnVNG i. d. F. des RVÄndG vom 9. Juni 1965 von der Versicherungspflicht befreit worden waren und auf diese Befreiung durch schriftliche Erklärung gegenüber der Beklagten bis zum 30. Juni 1968 mit Wirkung vom 1. Juli 1968 verzichteten. Daß es sich bei der hier genannten, am 30. Juni 1968 abgelaufenen Frist entgegen der Auffassung des Klägers nicht um eine den Antrag auf Nachentrichtung von freiwilligen Beiträgen betreffende Frist handelt, ergibt sich bereits aus dem zweiten Satz dieser Vorschrift; dieser Satz lautet nämlich: "Der Antrag kann nur bis zum 31. Dezember 1970 bei der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte gestellt werden". Die Antragsfrist für die Beitragsnachentrichtung lief mithin bis zum 31. Dezember 1970. Die mit dem 30. Juni 1968 endende Frist des ersten Satzes der Vorschrift dagegen betrifft allein die Erklärung des Verzichts auf die Befreiung von der Versicherungspflicht. Diese Erklärung gehört allerdings auch zu den Voraussetzungen der in Art. 2 § 5 a geregelten Befugnis zur Beitragsnachentrichtung. Ihre Bedeutung erschöpft sich jedoch darin nicht. Es wird vielmehr hier zugleich mittelbar die Frage geregelt, bis wann derjenige, der von der Versicherungspflicht befreit worden ist, auf diese Befreiung verzichten muß, damit die Versicherungspflicht für ihn wieder auflebt, damit er also wieder in die Versichertengemeinschaft eingegliedert wird. Wie das Bundessozialgericht (BSG) bereits entschieden hat (Urteil vom 26. Mai 1971 - 12/11 RA 118/70), handelt es sich bei der Frist für die Abgabe der Verzichtserklärung um eine materiell-rechtliche Ausschlußfrist, die dazu diente, die Ungewißheit über die Zugehörigkeit der betroffenen Personen zur Rentenversicherung auf einen von vornherein abgesteckten, festen Zeitraum zu beschränken, um den auf Antrag der Pflichtversicherung wieder unterliegenden Personenkreis alsbald erfassen zu können.

Wäre es - wie der Kläger meint - richtig, daß er auf die Befreiung von der Versicherungspflicht jederzeit hätte verzichten können, dann hätte es dieser Fristbestimmung nicht bedurft, denn die Möglichkeit zur Entrichtung freiwilliger Beiträge wird für alle von Art. 2 § 5 a Abs. 1 AnVNG betroffenen Personengruppen gleichmäßig von der insoweit ausdrücklich vorgeschriebenen, längeren Antragsfrist - bis 31. Dezember 1970 - erfaßt. Selbst wenn aber hier eine Lücke im Gesetz bestünde, könnte entgegen der Auffassung des Klägers diese Lücke nicht durch entsprechende Anwendung des § 7 Abs. 6 AVG geschlossen werden. Eine entsprechende Anwendung dieser Vorschrift hat das LSG mit Recht abgelehnt; die hier normierte Möglichkeit, auf die Befreiung von der Versicherungspflicht zu verzichten, bezieht sich auf einen anderen Befreiungstatbestand (§ 7 Abs. 1 AVG). Auch schließt die einmal rechtmäßig erfolgte Befreiung den betroffenen Angestellten im allgemeinen endgültig aus der Rentenversicherung der Angestellten aus (vgl. BSG 23, 241 = SozR AnVNG Art. 2 § 1 Nr. 3; auch BSG, Urteil vom 17. April 1970 - 3 RK 81/69 mit weiteren Nachweisen). Deshalb ist es nicht zulässig, Verzichtsmöglichkeiten, die für einzelne, bestimmte Befreiungstatbestände normiert sind, auf andere Befreiungstatbestände auszudehnen.

Die Richtigkeit dieser Auffassung bestätigt das Rentenreformgesetz vom 16. Oktober 1972 (RRG, BGBl I, 1965), das unter Änderung des AnVNG bestimmt, daß u. a. Angestellte, die gleich dem Kläger nach Art. 2 § 1 AnVNG idF des RVÄndG vom 9. Juni 1965 von der Versicherungspflicht befreit worden sind, nunmehr (seit dem 17. Oktober 1972) bis zum 31. Dezember 1973 gegenüber der Beklagten schriftlich erklären können, daß ihre Befreiung von der Versicherungspflicht enden soll; ihre Versicherungspflicht beginnt dann mit dem Ersten des Kalendermonats, der auf den Monat folgt, in dem die Erklärung bei der Beklagten eingegangen ist (Art. 2 § 2 Nr. 1 i. V. m. Art. 6 § 8 Nr. 2 RRG). Diese gesetzliche Neuregelung wäre überflüssig, wenn Angestellte wie der Kläger schon bisher jederzeit auf die Befreiung von der Versicherungspflicht verzichten könnten.

Nach alledem ist das Urteil des LSG nicht zu beanstanden Die Revision des Klägers ist mithin unbegründet; sie muß deshalb nach § 170 Abs. 1 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zurückgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1651324

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