Verfahrensgang

LSG Berlin (Urteil vom 23.06.1959)

 

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 23. Juni 1959 aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen.

 

Tatbestand

I.

In dem Versorgungsstreit der Parteien, in dem es sich u.a. um die Anerkennung eines Herz- und eines Bluthochdruckleidens als Wehrdienstbeschädigung handelte, machte der Beklagte im Laufe des Berufungsverfahrens einen Vergleichsvorschlag, der nach einer von dem Beklagten zugestandenen Änderung vom Kläger angenommen wurde. Eine gerichtliche Protokollierung erfolgte nicht, vielmehr sah das Landessozialgericht (LSG) den Rechtsstreit daraufhin als erledigt an. Der Beklagte führte den Vergleich durch einen Bescheid vom 28. Juli 1958 aus.

Am 27. Februar 1959 widerrief der Beklagte den Vergleich, weil er Untersuchungszeugnisse des Klägers aufgefunden habe, nach denen das Bluthochdruckleiden schon vor Eintritt in den Wehrdienst bestanden habe; der Beklagte bat um Fortsetzung des Verfahrens. Das LSG verwarf die Berufung durch Urteil vom 23. Juni l959 als unzulässig, weil der Beklagte das, was er begehre, nämlich die Feststellung der Unwirksamkeit des Vergleichs, ohne Inanspruchnahme des Gerichts durch eigene Maßnahmen erreichen könne. Er habe nicht nur die Möglichkeit, nach § 41 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VerwVG) wegen tatsächlicher und rechtlicher Unrichtigkeit einen neuen Bescheid zu erlassen, sondern auch gemäß § 42 Abs. 1 Ziff. 9 VerwVG von Amts wegen neu zu entscheiden, weil er nachträglich eine zur Zeit der Entscheidung bereits vorhandene Urkunde, die eine andere Entscheidung herbeigeführt haben könnte, gefunden habe. Das LSG ließ die Revision zu.

Der Beklagte legte gegen das am 27. Juli 1959 zugestellte Urteil am 30. Juli 1959 Revision ein und begründete sie am 19. Oktober 1959, nachdem ihm die Begründungsfrist verlängert worden war.

Er meint, über die Anfechtung eines außergerichtlichen Vergleichs müsse in dem ursprünglichen gerichtlichen Verfahren entschieden werden. Der Ausführungsbescheid vom 28. Juli 1958 stelle keinen selbständigen Verwaltungsakt dar, sondern habe nur deklaratorische Bedeutung.

Der Beklagte beantragt,

die Urteile des LSG Berlin vom.23. Juni 1959 und des Sozialgerichts (SG) Berlin vom 5. Juli 1956 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die durch die Zulassung statthafte, auch form- und fristgerecht eingelegte Revision ist begründet.

Das LSG meint, dem Kläger fehle das Rechtsschutzinteresse für eine gerichtliche Entscheidung über die Wirksamkeit des außergerichtlichen Vergleichs, weil er die Möglichkeit habe, ihn nach §§ 41, 42 VerwVG zu beseitigen. Diese Auffassung ist jedoch nicht zutreffend.

Nach § 41 VerwVG können Bescheide über Rechtsansprüche zuungunsten des Versorgungsberechtigten durch neue Bescheide abgeändert oder aufgehoben werden, wenn ihre tatsächliche und rechtliche Unrichtigkeit im Zeitpunkt ihres Erlasses außer Zweifel steht. Mit dieser Vorschrift wird, wie der Senat in seinem Urteil vom 16. November 1961 – 7/9 RV 1454/60 – näher ausgeführt hat, der Versorgungsverwaltung die Möglichkeit gegeben, offensichtlich unrichtige Bescheide, also Verwaltungsakte, wieder zu beseitigen. Es ist aber nicht zulässig, auf diese Weise Anerkennungen, die nicht in einem einseitigen Verwaltungsakt ausgesprochen wurden, unwirksam zu machen. Deshalb kann durch einen Berichtigungsbescheid nicht ein rechtskräftiges Urteil abgeändert werden, da sich dies nicht mit dem Wesen der Rechtskraft eines Urteils verträgt, das die Beteiligten bindet. Ein Urteil kann vielmehr nur im Wege der Wiederaufnahme des Verfahrens unter den dafür besonders bestimmten Voraussetzungen durch gerichtlichen Akt beseitigt werden. Auch ein gerichtlicher Vergleich kann nicht über § 41 VerwVG wieder aus der Welt geschafft werden, vielmehr richtet sich die Entscheidung, ob ein Prozeßvergleich wirksam ist, nach den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches -BGB- (z. B. §§ 119, 123, 779 BGB); hierüber ist in dem alten Verfahren zu entscheiden (vgl. BSG 7, 279; vgl. auch BSG 4, 31, 35). Denn auch ein gerichtlicher Vergleich erledigt den Rechtsstreit und steht insoweit einem Urteil gleich (ebenso Schönleiter/Hennig, Gesetz über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung, § 41 Anm. 1; aA Strack, ZfS 1956, 273). Das gleiche muß bei einem außergerichtlichen Vergleich gelten, wie er hier abgeschlossen wurde (die Vereinbarung der Parteien wurde nicht protokolliert, das Gericht sah vielmehr daraufhin den Rechtsstreit als erledigt an). Ein außergerichtlicher Vergleich beendet zwar nicht das Verfahren wie ein gerichtlicher, sondern gibt wegen seines sachlich-rechtlichen Inhalts dem Beklagten nur eine Einrede gegen den durch die Vereinbarung erledigten Anspruch (RGZ 142, 1; 161, 350). Er ist aber nicht wie ein Bescheid ein einseitiger Verwaltungsakt, sondern eine Vereinbarung der Beteiligten, die für beide Teile bindend ist. Die Versorgungsverwaltung hat hier also keinen Verwaltungsakt erlassen, wie ihn § 41 VerwVG voraussetzt. Sie kann daher den Vergleich auch nicht einseitig beseitigen. Deshalb scheidet eine Anwendung dieser Vorschrift aus.

Auch § 42 VerwVG kann nicht zum Zuge kommen. Er zählt im wesentlichen die Wiederaufnahmegründe der §§ 579, 580 der Zivilprozeßordnung (ZPO) auf und ermächtigt die Versorgungsverwaltung, auf diese Weise zustande gekommene Verwaltungsakte wieder zu beseitigen (hier wäre an § 42 Abs. 1 Nr. 9 VerwVG zu denken). Wenn es in § 42 heißt, die Verwaltungsbehörde habe “erneut zu entscheiden”, so bedeutet dies nicht, daß sie in den hier aufgeführten Fällen frühere Entscheidungen jeder Art aufheben darf, sondern nur, daß sie ihr eigenen Entscheidungen, also Verwaltungsakte, die auf diese Weise zustande gekommen sind, aufheben und einen neuen Bescheid erlassen muß (ebenso Schönleiter/Hennig aaO § 42 Anm. 1). § 42 VerwVG ist daher ebenfalls nicht anwendbar, wenn Grundlage der Anerkennung eines Leidens als Schädigungsfolge ein Urteil, ein gerichtliches Anerkenntnis, ein gerichtlicher oder außergerichtlicher Vergleich war. Daß in Ausführung des Vergleichs ein Bescheid erlassen worden ist, ändert daran nichts, da dieser kein selbständiger Verwaltungsakt ist, sondern nur die Erfüllung der durch den Vergleich übernommenen Verpflichtung darstellt.

Unter diesen Umständen hat der Beklagte ein rechtliches Interesse an einer gerichtlichen Entscheidung darüber, ob der Vergleich wirksam ist, da er ihn nicht durch eine eigene Maßnahme aus der Welt schaffen kann. Hierin unterscheidet sich dieser Fall von dem durch das Bundessozialgericht (BSG) in BSG 3, 135, 140 entschiedenen, in dem die Beklagte in der Lage war, einen Bescheid zu erlassen und deshalb fehlendes Rechtsschutzinteresse an einer Klage angenommen wurde.

Der Senat hat weiterhin darüber zu befinden, in welcher Weise über den von dem Beklagten ausgesprochenen Widerruf des außergerichtlichen Vergleichs zu entscheiden ist. Das BSG hat bereits in BSG 7, 279 ausgesprochen, daß bei gerichtlichen Vergleichen nicht durch einen Bescheid des Versicherungsträgers entschieden werden könne, sondern daß zuständig für die Entscheidung ausschließlich dasjenige Gericht sei, vor dem der Prozeßvergleich abgeschlossen worden sei; dabei sei das alte Verfahren fortzusetzen, eine neue Klage sei unzulässig (ebenso Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 16. März 1961 – JZ 1961, 452). Zu der Frage, wie bei Anfechtung oder Widerruf eines außer gerichtlichen Vergleichs zu verfahren ist, hat das BSG bisher noch nicht Stellung genommen. Das Reichsgericht hat in RGZ 142, 1 ausgeführt, der außergerichtliche Vergleich beende das Verfahren nicht unmittelbar, sondern gewähre vermöge seines sachlich-rechtlichen Inhalts dem Beklagten eine Einrede wider den durch die Vereinbarung erledigten Anspruch. Ob ein wirksamer Vergleich zustande gekommen sei und ob die gegen einen außergerichtlichen Vergleich ausgesprochene Anfechtung wegen Irrtums oder arglistiger Täuschung durchgreife, könne daher in dem laufenden Verfahren geprüft werden.

Der Senat schließt sich dieser Auffassung an, weil das bisherige gerichtliche Verfahren nicht abgeschlossen ist, vielmehr der Rechtsstreit jederzeit wieder aufgenommen werden kann, wenn sich über den Inhalt oder die Auswirkungen des Vergleichs Streitigkeiten ergeben.

Das LSG muß daher darüber entscheiden, ob die außergerichtliche Vereinbarung der Beteiligten wirksam ist oder nicht, also, als was sich der von dem Beklagten ausgesprochene Widerruf darstellt und ob er durchgreift.

Da tatsächliche Feststellungen des LSG fehlen, die dem Senat eine abschließende Entscheidung ermöglichen, muß das angefochtene Urteil aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen werden (§ 170 Abs. 2 SGG).

Diesem bleibt auch die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens überlassen.

 

Unterschriften

Dr. Berndt, Sonnenberg, Dr. Krebs

 

Fundstellen

NJW 1962, 366

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