Leitsatz (amtlich)

1. Hat das Landessozialgericht einen Tarifvertrag, dessen Geltungsbereich sich nicht über den Bezirk dieses Gerichts hinaus erstreckt, dahin ausgelegt, daß Arbeitnehmer, die von ihrem Arbeitgeber Kost und Wohnung zu tarifvertraglich festgelegten Sätzen erhalten, einen Anspruch auf Barlohn und Sachbezüge (gespaltener Lohn) haben, so ist dem Revisionsgericht die Nachprüfung dieser Auslegung des Tarifvertrags verwehrt (SGG § 162 Abs 2).

2. Die gemeinsame Bekanntmachung des Oberfinanzpräsidenten Baden und der Vorsitzenden der badischen Oberversicherungsämter über die Bewertung der Sachbezüge für die Zwecke des Steuerabzugs vom Arbeitslohn und der Sozialversicherung vom 1941-09-01 ist eine wirksam erlassene Rechtsverordnung. Die Bekanntmachung ist nach Inkrafttreten des Grundgesetzes Landesrecht geworden (GG Art 125) und ist, da sich ihr Geltungsbereich nicht über den Bezirk des Berufungsgerichts hinaus erstreckt, nicht revisibel (SGG § 162 Abs 2). Sie verstößt nicht gegen GG Art 3.

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Der allgemeine Gleichheitsgrundsatz des GG Art 3 Abs 1 - mit unmittelbar bindender Wirkung für Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung GG Art 1 Abs 3 - gewährleistet allen Menschen die Gleichheit vor dem Gesetz, dh vor den Normen des geltenden Rechts.

2. Das BVerfG hat diese Verfassungsbestimmung in ständiger Rechtsprechung (vgl BVerfG 1955-03-16 2 BvK 1/54 = BVerfGE 4, 144, 155) dahin ausgelegt, daß der Gesetzgeber "weder wesentlich gleiches willkürlich ungleich, noch wesentlich Ungleiches willkürlich gleich behandeln" dürfe: auch wenn der Begriff der Willkür dabei auch nicht im subjektiven Sinne zu verstehen sei - es genüge die eindeutige Unangemessenheit der Regelung in Bezug auf den zu ordnenden Sachverhalt -, so müsse dem Gesetzgeber doch ein weiter Ermessensspielraum bei der Bewertung dessen, was sachgerecht, vernünftig und angemessen sei, erhalten bleiben (vgl BVerfG 1954-07-20 1 BvR 459/54 = BVerfGE 4, 7, 18).

 

Normenkette

SGG § 162 Abs. 2 Fassung: 1953-09-03; GG Art. 3 Abs. 1 Fassung: 1949-05-23, Art. 125 Fassung: 1949-05-23; RVO § 160 Abs. 2 Fassung: 1941-07-01; GG Art. 1 Abs. 3 Fassung: 1949-05-23

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 15. Juli 1954 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger die Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

I

Der Beigeladene H war vom 15. November 1950 bis zum 30. November 1951 beim Kläger, einem Bäckermeister, als Gehilfe beschäftigt. Für dieses Arbeitsverhältnis galt vom 1. Februar 1951 an das "Lohnabkommen für Bäckereien in Württemberg-Baden", das der Badische Bäckerinnungsverband und der Landesfachverband für das württembergische Bäckerhandwerk einerseits und die Industriegewerkschaft Nahrung-Genuß-Gaststätten, Landesleitung Württemberg-Baden, andererseits am 23. Januar 1951 abgeschlossen hatten. Danach belief sich der tarifliche Wochenlohn für einen Gesellen in der Stellung des Beigeladenen auf 45.- DM; im übrigen bestimmte § 2 des Lohnabkommens: "Wird Kost und Wohnung in Anspruch genommen, dann beträgt der Abzug hierfür wöchentlich: für Kost und Wohnung zusammen 17.50 DM ...". Der Beigeladene H hatte von der Möglichkeit der Inanspruchnahme von Kost und Wohnung bei seinem Meister Gebrauch gemacht.

Die beklagte Krankenkasse ist der Ansicht, die für den Beigeladenen zu entrichtenden Sozialversicherungsbeiträge seien nach dem ungekürzten tariflichen Barlohn (45.- DM) zu berechnen. Sie hat durch Bescheid vom 17. November 1951 die Beiträge für die Zeit vom 1. Februar 1951 bis 31. Oktober 1951 neu berechnet und einen Betrag von 96.80 DM nachgefordert. Der Kläger ist demgegenüber der Auffassung, die Krankenkasse habe die Beiträge für die Bar- und die Sachbezüge (Kost und Wohnung) gesondert zu berechnen. Hinsichtlich der Barbezüge habe sie von einem Tariflohn auszugehen, der um den tariflichen Wert der Sachbezüge gekürzt sei (45.- DM abzüglich 17.50 DM = 27.50 DM). Die Bewertung der Sachbezüge sei nach den Sätzen vorzunehmen, die hierfür in der "Bekanntmachung" des Oberfinanzpräsidenten B und der Vorsitzenden der Oberversicherungsämter F, K, K und M vom 1. September 1941 festgesetzt worden seien. Da die Gewährung freier Station hiernach einen Wert von 8.40 DM in der Woche habe, dürfe der Beitragsberechnung nur ein wöchentliches Gesamtentgelt von 27.50 DM zuzüglich 8.40 DM = 35.90 DM zugrunde gelegt werden.

In diesem Sinne hat das vom Kläger angerufene Versicherungsamt Heidelberg zu seinen Gunsten entschieden. Hiergegen wurde von der beklagten Krankenkasse Beschwerde an das Oberversicherungsamt (OVA.) Karlsruhe eingelegt. Das OVA. gab die Sache durch Beschluß vom 28. Februar 1953 zur Entscheidung an das Landesversicherungsamt (LVAmt) Württemberg-Baden ab, da es von den - mit der Auffassung des Versicherungsamts übereinstimmenden - Grundsätzlichen Entscheidungen des Reichsversicherungsamts Nr. 3922 und 5242 abweichen wollte : Entgegen der Rechtsprechung des Reichsversicherungsamts (RVA.) stelle die Gewährung von freier Station keinen Teil des Arbeitsentgelts dar, sondern beruhe auf einer besonderen Vergütungsvereinbarung. Dem Arbeitnehmer verbleibe daher für seine Arbeit der volle tarifliche Barlohnanspruch, von dem mithin auch die Beiträge zu berechnen seien.

Das Landessozialgericht (LSG.), das nach dem Inkrafttreten des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) an die Stelle des LVAmts trat, wies die Berufung durch Urteil vom 15. Juli 1954 als unbegründet zurück: In Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des RVA. sei § 2 des vorliegenden Lohnabkommens dahin auszulegen, daß ein Arbeitnehmer, der beim Arbeitgeber wohne und verpflegt werde, diese Bezüge als Teil seines Arbeitsentgelts erhalte; sein tariflicher Barlohnanspruch mindere sich dementsprechend. Die Beiträge seien mithin von dem gekürzten tariflichen Barlohn und den nach den Sätzen der "Bekanntmachung" vom 1. September 1941 bewerteten Sachbezügen zu berechnen. Wenn dadurch eine unterschiedliche Beitragsbelastung gegenüber den nur in bar entlohnten Arbeitnehmern eintrete, so beruhe diese - vom Richter nicht zu beseitigende - Ungleichheit auf dem Lohnabkommen, das zwei verschiedene Arten der Entlohnung vorsehe.

Mit der - vom LSG. zugelassenen - Revision wendet sich die Revisionsklägerin vor allem gegen das ihrer Ansicht nach unbillige Ergebnis der angefochtenen Entscheidung. Sie ist der Auffassung, daß Arbeitnehmer, die den gleichen tariflichen Lohn zu beanspruchen hätten, auch gleiche Beitragspflichten und Leistungsansprüche in der Sozialversicherung haben müßten. Sie hat beantragt,

unter Aufhebung des angefochtenen Urteils und des Urteils des Versicherungsamts Heidelberg vom 10. Juli 1952 nach dem Klageantrag zu erkennen.

Die beigeladene Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung hat sich der Auffassung der beklagten Krankenkasse angeschlossen.

II

Das Berufungsgericht hat die Berufung mit Recht als zulässig angesehen.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG.) ist die Berufung in Sachen, die, wie hier, nach § 215 Abs. 3 SGG auf die Sozialgerichtsbarkeit übergegangen sind, nur zulässig, wenn vor dem Inkrafttreten des SGG die Anhängigkeit der Sache beim LVAmt zu Recht begründet war und nach dessen Inkrafttreten die Berufung nach neuem Recht zulässig ist (vgl. BSG. 1 S. 204; 2 S. 225 und die Entscheidung des erkennenden Senats vom 21.8.1957 - 3 RK 8/54 -). Im vorliegenden Fall ist das Verfahren beim LVAmt Württemberg-Baden auf Grund eines Abgabebeschlusses des OVA. rechtshängig geworden. Dieser Beschluß war nach §§ 405 Abs. 2, 1799, 1693 der Reichsversicherungsordnung (RVO) a. F. zulässig, da das OVA. von grundsätzlichen Entscheidungen des RVA. abweichen wollte. Das mit dem Inkrafttreten des SGG auf das LSG. übergegangene Verfahren ist auch nach neuem Recht zulässig geblieben. Die Berufung ist insbesondere nicht nach § 144 SGG ausgeschlossen; die von der beklagten Krankenkasse erhobene Beitragsnachforderung betrifft weder einmalige noch wiederkehrende "Leistungen" im Sinne des § 144 SGG (vgl. Urteil des Senats vom 15.10.1957 - 3 RK 80/54 -).

Die beklagte Krankenkasse ist auch - jedenfalls seit dem 1. Januar 1957 - als die richtige Beklagte anzusehen, da sie als Einzugsstelle den angefochtenen Verwaltungsakt - den Beitragsbescheid vom 17. November 1951 - erlassen hat (§ 1399 Abs. 3 RVO n. F.; vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 15.10.1957 - 3 RK 80/55 -). Ob daneben die Landesversicherungsanstalt nach § 75 Abs. 2 SGG beizuladen gewesen wäre, kann dahingestellt bleiben, da die unterlassene Beiladung der Landesversicherungsanstalt von keinem Beteiligten gerügt worden ist (vgl. BSG. 1, 158 (159)).

Die Revision ist nicht begründet.

Das LSG. hat angenommen, daß denjenigen Arbeitnehmern, denen der Arbeitgeber Kost und Wohnung gewähre, nach § 2 des Lohnabkommens vom 23. Januar 1951 als tarifliches Arbeitsentgelt freie Station und ein um den tariflichen Wert von Kost und Wohnung verminderter Barlohn zustehe. Das Berufungsgericht hat sich damit - in Anlehnung an die Rechtsprechung des RVA. (GE. Nr. 3922, AN. 1931 S. 3, und GE. Nr. 5242, AN. 1938 S. 471) - gegen eine Auffassung ausgesprochen, nach der tarifliche Bestimmungen der vorliegenden Art dahin auszulegen seien, daß der Arbeitnehmer auch bei Inanspruchnahme von Kost und Wohnung seinen ungekürzten tariflichen Barlohnanspruch behalte, dem Arbeitgeber jedoch - auf Grund einer Zusatzvereinbarung - für die gewährte Unterkunft und Verpflegung eine besondere, ebenfalls im Tarifvertrag festgelegte Vergütung schulde, die er sich im Wege der Aufrechnung vom Barlohn abziehen lassen müsse. Ob die Auslegung, die das LSG. der in Rede stehenden Bestimmung des Lohnabkommens gegeben hat, richtig ist, kann das Revisionsgericht nicht nachprüfen; denn sie betrifft eine nicht revisible Norm.

Nach § 162 Abs. 2 SGG kann die Revision nur darauf gestützt werden, daß die Entscheidung des Berufungsgerichts auf der Nichtanwendung oder unrichtigen Anwendung einer Vorschrift des Bundesrechts oder einer sonstigen im Bezirk des Berufungsgerichts geltenden Vorschrift beruht, deren Geltungsbereich sich über den Bezirk des Berufungsgerichts hinaus erstreckt. Bei den Bestimmungen des Lohnabkommens handelt es sich zwar um (Rechts-) Vorschriften im Sinne des § 162 Abs. 2 SGG (Dersch/Volkmar, ArbGG, 6. Aufl., § 73 Anm. 3 a u. 14; Dietz/Nikisch, ArbGG, § 73 Anm. 8 ff.; Hueck/Nipperdey/Tophoven, Tarifvertragsgesetz, 3. Aufl., § 1 Anm. 119). Die hier in Betracht kommende Bestimmung des "Lohnabkommens für Bäckereien in Württemberg-Baden" vom 23. Januar 1951 stellt aber weder eine Vorschrift des Bundesrechts noch eine sonstige über den Bezirk des Berufungsgerichts hinaus geltende Rechtsnorm dar, da ihr räumlicher Geltungsbereich sich nach § 1 des Abkommens auf das frühere Land Württemberg-Baden, mithin nur auf einen Teil des dem LSG. zugewiesenen Gerichtsbezirks erstreckt (vgl. § 28 SGG i. V. m. § 2 des Baden-Württembergischen Ausführungsgesetzes zum SGG vom 21.12.1953, GBl. f. Baden-Württemberg 1953 S. 235). Das BSG. kann somit die Auslegung, die der Tarifvertrag durch das LSG. gefunden hat, nicht nachprüfen.

Ist hiernach davon auszugehen, daß dem Beigeladenen H, im vorliegenden Fall Kost und Wohnung nicht auf Grund einer besonderen Vergütungsabrede, sondern als Gegenleistung für die Arbeit gewährt worden ist, so kann es rechtlich nicht beanstandet werden, wenn das Berufungsgericht die gewährten Sachleistungen nach den Sätzen der - vom Oberfinanzpräsidenten Baden in Karlsruhe und den Vorsitzenden der Oberversicherungsämter Freiburg, Karlsruhe, Konstanz und Mannheim am 1. September 1941 erlassenen - "Bekanntmachung über die Bewertung der Sachbezüge für die Zwecke des Steuerabzugs vom Arbeitslohn und der Sozialversicherung" bewertet hat. Mit Recht hat das LSG. die Bestimmungen der "Bekanntmachung" als Rechtssätze angesehen, an die auch die Gerichte bei der Bewertung der fraglichen Sachbezüge gebunden sind. Zwar hat der Bundesfinanzhof in einem Urteil vom 26. Mai 1955 (BStBl. 1955 Teil III S. 232) die Ansicht vertreten, die auf Grund der Richtlinien des Reichsministers der Finanzen und des Reichsarbeitsministers vom 1. August 1941 (AN. 1941 S. 317) erlassenen Bestimmungen der Oberfinanzpräsidenten über die Bewertung der Sachbezüge seien nicht als Rechtssätze, sondern als Verwaltungsvorschriften anzusehen : Sie stellten "inhaltlich Ergänzungen" der ministeriellen Richtlinien dar; da diese aber den Verwaltungsanordnungen zuzurechnen seien, könne auch jenen keine größere Rechtswirksamkeit zukommen. Dem vermag der erkennende Senat für den Bereich der Sozialversicherung nicht zu folgen. Er kann sich weder der Auffassung anschließen, daß die von den Oberfinanzpräsidenten und den Vorsitzenden der Oberversicherungsämter gemeinschaftlich erlassenen Bewertungsbestimmungen" auf Grund "der genannten Richtlinien ergangen seien - die Rechtsgrundlage für die Bestimmungen bildeten vielmehr § 160 Abs. 2 RVO a. F. und § 3 Abs. 2 der Lohnsteuer-Durchführungsbestimmungen (LStDB), beide in der Fassung der Ersten Verordnung über die Vereinfachung des Lohnabzugs vom 1. Juli 1941 (RGBl. I S. 362) -, noch kann er dem Bundesfinanzhof darin zustimmen, daß die Bedeutung der Bewertungsbestimmungen sich in einer inhaltlichen Ergänzung der ministeriellen Richtlinien erschöpfe. Zwar enthalten schon die "Richtlinien" für die verschiedenen Arten der Sachbezüge einen bis ins einzelne gehenden Bewertungskatalog, der nur noch in bestimmten Punkten den örtlichen Preisverhältnissen anzupassen war (vgl. Abschn. 1 Abs. 2 der Richtlinien); insofern stellten die regionalen Bewertungsvorschriften der Oberfinanzpräsidenten und der Vorsitzenden der Oberversicherungsämter allerdings nur eine Ergänzung der "Richtlinien" dar. Die Rechtssatzqualität einer Anordnung beurteilt sich indessen weniger nach ihrem Inhalt als nach ihren Adressaten. Zweifel, die in dieser Hinsicht bestehen könnten, werden durch § 3 Abs. 2 LStDB beseitigt, der den Oberfinanzpräsidenten den Auftrag erteilt, den Wert der Sachbezüge nach den Richtlinien des Reichsministers der Finanzen für ihren Bezirk "festzusetzen und bekanntzugeben". Im Gegensatz zu den Richtlinien der Minister, die an bestimmte, im Erlaß vom 1. August 1941 näher bezeichnete Verwaltungsstellen gerichtet waren, hatten die Oberfinanzpräsidenten die von ihnen festgesetzten Sachbezugswerte "bekanntzugeben", d. h. jedenfalls allen der Sache nach betroffenen Bevölkerungskreisen zur Kenntnis zu bringen. Soweit eine solche Bekanntgabe erfolgte, traten die Bestimmungen aus dem internen Raum der Verwaltung heraus; aus den "Richtlinien" an die Verwaltung wurden "Festsetzungen", d. h. allgemein verbindliche Rechtsnormen für alle Staatsbürger, insbesondere für die Arbeitgeber und Arbeitnehmer, die Sachbezüge im Sinne der Bekanntmachung gewähren oder erhalten (vgl. BVerfG. 1, 91 (94) über die Rechtssatzeigenschaft der Festsetzungen nach § 933 RVO). Die "Bekanntmachung" stellt daher eine Rechtsverordnung dar (Schewe, Sozialversicherung 1954 S. 2; v. Altrock, WzS. 1954 S. 76 (77); RVA. in AN. 1931 S. 3 (4); vgl. ferner Kühne/Peters, Handbuch der Krankenversicherung, 1951 § 160 Anm. 2 b unter Hinweis auf die Entscheidung des RVA. in AN. 1944 S. 311).

Die maßgebenden Vorschriften - § 160 Abs. 2 RVO a. F., § 3 Abs. 2 LStDB - enthalten keine näheren Angaben darüber, in welcher Form die Bewertungssätze für Sachbezüge bekanntzugeben sind. Daß hier nicht die strengen Verkündungsgrundsätze des Gesetzes über die Verkündung von Rechtsverordnungen vom 13. Oktober 1923 (RGBl. I S. 959) gelten, ergibt sich schon daraus, daß diese Regelung nur die Rechtsetzung durch Reichszentralbehörden mit Geltungsanspruch für das ganze Reichsgebiet betrifft (vgl. Werner Weber, Die Verkündung von Rechtsvorschriften, 1942, S. 14). Aus der vom Verordnungsgeber gewählten Wortfassung, die den vieldeutigen Begriff "Bekanntgabe" statt des rechtstechnischen, klar umrissenen Begriffs "Verkündung" verwendet, muß gefolgert werden, daß dem Erfordernis der Bekanntgabe jede Kundmachung genügt, die geeignet ist, den Kreis der Normenadressaten sachgemäß über die Rechtsetzung zu unterrichten. Nach Auskunft der Oberfinanzdirektion K ist die "Bekanntmachung" in sieben Tageszeitungen mit Erscheinungsort in verschiedenen Städten Badens veröffentlicht und außerdem in den Amtsräumen der Finanzämter und Bürgermeisterämter ausgehängt worden. Diese Form der Kundmachung genügt den gesetzlichen Erfordernissen. Die "Bekanntmachung" ist somit wirksam in Kraft getreten.

Als Recht, das Gegenstände der konkurrierenden Gesetzgebung des Bundes betrifft (Art. 74 Nr. 12 GG), ist sie mit Inkrafttreten des GG Landesrecht geworden, da die in Art. 125 GG aufgeführten Voraussetzungen für eine Umwandlung in Bundesrecht nicht gegeben sind (vgl. Schewe, Sozialversicherung 1954 S. 2). Der räumliche Geltungsbereich dieses Landesrechts beschränkt sich, wie dem Vorspruch der "Bekanntmachung" zu entnehmen ist, auf das ehemalige Land Baden, mithin auf einen Teil des Bezirks des Berufungsgerichts. Somit ist es nicht revisibel (§ 162 Abs. 2 SGG); die Auslegung, die das LSG. der "Bekanntmachung" bei ihrer Anwendung auf den vorliegenden Sachverhalt gegeben hat, kann vom Revisionsgericht nicht nachgeprüft werden.

Dem Revisionsgericht ist jedoch nicht verwehrt zu prüfen, ob das Berufungsgericht bei Anwendung des nicht revisiblen Rechts revisibles verletzt hat (vgl. BSG. 2 S. 201 (205)). In Betracht kommt unter diesem Gesichtspunkt der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG, der - mit unmittelbar bindender Wirkung für Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung (Art. 1 Abs. 3 GG) - allen Menschen die Gleichheit vor dem Gesetz, d. h. vor den Normen des geltenden Rechts gewährleistet (vgl. Ipsen in Neumann/Nipperdey/Scheuner, Die Grundrechte, S. 158). Das Bundesverfassungsgericht hat diese Verfassungsbestimmung in ständiger Rechtsprechung (vgl. BVerfG. 4 S. 144 (155) mit weiteren Nachweisen) dahin ausgelegt, daß der Gesetzgeber "weder wesentlich Gleiches willkürlich ungleich noch wesentlich Ungleiches willkürlich gleich behandeln" dürfe: Auch wenn der Begriff der Willkür dabei auch nicht im subjektiven Sinne zu verstehen sei - es genüge die eindeutige Unangemessenheit der Regelung in Bezug auf den zu ordnenden Sachverhalt -, so müsse dem Gesetzgeber doch ein weiter Ermessensspielraum bei der Bewertung dessen, was sachgerecht, vernünftig und angemessen sei, erhalten bleiben (vgl. auch BVerfG. 1 S. 275; 3 S. 135; 4 S. 18; Ipsen a. a. O. S. 157 und v. Mangoldt/Klein, Das Bonner Grundgesetz, Art. 3 Anm. III 1 u. 4).

Nach diesen in der Rechtsprechung des Senats bereits anerkannten Grundsätzen (vgl. BSG. 2 S. 201 (217)) ist die besondere Bewertung der Sachbezüge gegenüber der Erfassung der Barbezüge mit dem Nominalwert im Rahmen des gesetzlichen Lohnabzugs nicht als willkürlich ungleich anzusehen. Zwar sind die in der "Bekanntmachung" festgesetzten Werte für Sachbezüge offensichtlich niedrig. Daß sie wesentlich unter den Bewertungssätzen des Lohnabkommens vom 23. Januar 1951 liegen, ist dabei nicht entscheidend; denn abgesehen davon, daß auch den Tarifpartnern bei der Bewertung Fehler oder Irrtümer unterlaufen sein können, brauchen die Gesichtspunkte, von denen sie bei der Bewertung ausgegangen sind, nicht notwendig mit denen identisch zu sein, die der "Bekanntmachung" vom 1. September 1941 zugrunde liegen (vgl. auch §§ 934, 1069 Abs. 3 RVO). Die Ermächtigungsnorm des § 160 Abs. 2 RVO a. F. spricht - im Gegensatz zu ihrer Neufassung durch Art. 3 § 4 des Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der Rentenversicherung der Arbeiter vom 26. Februar 1957 (BGBl. I S. 45), in der auf den "tatsächlichen Verkehrswert" abgestellt wird - nur eine Bindung an die Richtlinien des Reichsarbeitsministers aus, enthält aber keinen materiell-rechtlichen Gesichtspunkt, nach dem sich die Bewertung der Sachbezüge für Zwecke der Sozialversicherung auszurichten hätte. Es muß demnach als zulässig erachtet werden, daß bei der Wertfestsetzung nach § 160 Abs. 2 RVO a. F. noch andere Gesichtspunkte als der objektive Verkehrswert Berücksichtigung fanden (vgl. v. Altrock, Wege zur Sozialversicherung 1954 S. 76 f.). Dabei mag der Gedanke mitgesprochen haben, daß es unbillig wäre, einem Arbeitnehmer Sachbezüge, an deren Erzeugung er unmittelbar beteiligt ist, zu einem höheren als dem Erzeugerpreis anzurechnen. Außerdem könnte für eine - unter dem Marktpreis liegende - Festsetzung der Sachbezugswerte mitbestimmend gewesen sein, die Steuer- und Beitragsbelastung der Landwirtschaft, in der die Gewährung von Sachbezügen die größte Bedeutung hat, in erträglichen Grenzen zu halten. Welche Erwägungen nun aber im vorliegenden Falle auch immer für die Festsetzung des Oberfinanzpräsidenten und der Vorsitzenden der Oberversicherungsämter maßgebend gewesen sein mögen, "eindeutige" Anhaltspunkte dafür, daß diese Behörden sich bei der Aufstellung der Bewertungssätze von sachfremden Gesichtspunkten haben leiten lassen, liegen jedenfalls nicht vor. Selbst wenn demnach die Bewertungssätze der "Bekanntmachung" von Anfang an nicht den jeweiligen Marktpreisen entsprochen haben sollten - die Möglichkeit, daß sich erst durch spätere Änderungen des Preisgefüges Verzerrungen ergeben haben, erscheint nicht ausgeschlossen -, so könnten die Bestimmungen der "Bekanntmachung" mit Rücksicht auf den Ermessensspielraum, der den Behörden bei der Festsetzung der Sachbezugswerte zugestanden werden muß, unter dem Blickwinkel der Verletzung des Gleichheitssatzes nicht als unwirksam angesehen werden. Demnach hat das Berufungsgericht bei der Anwendung der "Bekanntmachung" auf den vorliegenden Fall revisibles Recht nicht verletzt.

Die Revision der beklagten Krankenkasse ist somit als unbegründet zurückzuweisen (§ 170 Abs. 1 SGG). Die Kostenentschädigung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 41

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