Verfahrensgang

Schleswig-Holsteinisches LSG (Urteil vom 15.09.1993)

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 15. September 1993 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Der Kläger begehrt von der beklagten Krankenkasse (KK) Pflegegeld wegen Schwerpflegebedürftigkeit iS von § 53 Abs 1 des Fünften Buches des Sozialgesetzbuches – Gesetzliche Krankenversicherung – (SGB V).

Der im Mai 1986 geborene Kläger leidet seit August 1989 an einem Diabetes mellitus Typ I. Seit September 1989 besuchte er den Kindergarten; seit August 1992 besucht er die Schule. Er ist als Schwerbehinderter anerkannt (Grad der Behinderung 50); die Voraussetzungen des Merkzeichens H sind festgestellt. In einem Bericht des den Kläger behandelnden Arztes wird mitgeteilt, daß die Mutter, die von Beruf medizinisch-technische Assistentin sei, die Insulintherapie selbst durchführe. Nach Einholung eines Gutachtens des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) und eines fachärztlichen Zusatzgutachtens, die beide zu dem Ergebnis kamen, daß bei dem Kläger Schwerpflegebedürftigkeit nicht vorliege, lehnte die beklagte KK den im April 1991 gestellten Antrag auf Gewährung von Pflegegeld ab (Bescheid vom 17. Mai 1991; Widerspruchsbescheid vom 12. August 1991). Auf die hiergegen gerichtete Klage hat das Sozialgericht (SG) Lübeck die Beklagte verurteilt, dem Kläger ab April 1991 Pflegegeld zu gewähren (Urteil vom 1. Dezember 1992). Auf die Berufung der Beklagten hat das Schleswig-Holsteinische Landessozialgericht (LSG) das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 15. September 1993). Es hat die Auffassung vertreten, der für die Beurteilung der Schwerpflegebedürftigkeit maßgebende Hilfebedarf bestehe im wesentlichen in den Blutzuckermessungen, den Insulininjektionen und der diätischen Ernährung. Darüber hinaus sei – mit zunehmendem Alter abnehmend – eine allgemeine Verhaltenskontrolle des Klägers durch andere Personen notwendig, um so einer Stoffwechselentgleisung vorzubeugen. Bei den meisten Verrichtungen des täglichen Lebens bestehe danach kein für die Beurteilung der Schwerpflegebedürftigkeit maßgebender Hilfebedarf.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung von § 53 SGB V. Seiner Auffassung nach ist das LSG unzutreffend davon ausgegangen, daß Personen, deren Überwachung ohnehin wegen ihres Alters notwendig sei, nicht zum Adressatenkreis des § 53 SGB V gehörten. Dies ergebe sich weder aus dem Wortlaut dieser Vorschrift, noch sei es ihr bei verfassungskonformer Betrachtung im Hinblick auf Art 6 Grundgesetz (GG) zu entnehmen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 28. September 1993 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 1. Dezember 1992 zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 28. September 1993 zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision des Klägers ist nicht begründet. Das LSG hat seine Klage auf Feststellung von Schwerpflegebedürftigkeit und auf Zahlung von Pflegegeld zu Recht abgewiesen.

Die Klage auf Feststellung von Schwerpflegebedürftigkeit durch die Beklagte ist unzulässig. Insoweit ist auf die Revision des Klägers die vom LSG ausgesprochene Klageabweisung als unbegründet durch eine Klageabweisung als unzulässig zu ersetzen. Für eine isolierte Feststellung der Schwerpflegebedürftigkeit besteht jedenfalls dann kein Rechtsschutzinteresse, wenn der Kläger, wie hier, eine Leistungsablehnung mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 4 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫) bekämpft. Dann ist über das Vorliegen der Schwerpflegebedürftigkeit bereits im Rahmen der weitergehenden kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage zu entscheiden (vgl BSGE 73, 146, 147 = SozR 3-2500 § 53 Nr 4). Daneben ist eine besondere Entscheidung über die Schwerpflegebedürftigkeit entgegen den Einwänden des LSG gegen die angeführte Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) weder rechtsdogmatisch noch aus Gründen der Praktikabilität geboten.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Pflegegeld. Der Anspruch auf Pflegegeld nach § 57 SGB V setzt das Vorliegen von Schwerpflegebedürftigkeit iS von § 53 Abs 1 SGB V voraus. Nach § 53 Abs 1 SGB V ist als schwerpflegebedürftig anzusehen, wer nach ärztlicher Feststellung wegen einer Krankheit oder Behinderung so hilflos ist, daß er für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens auf Dauer in sehr hohem Maße der Hilfe bedarf. „Schwerpflegebedürftigkeit” ist, wie der Senat im Anschluß an die Rechtsprechung des 1. und 4. Senats des BSG (SozR 3-2500 § 53 Nrn 2 und 4) bereits wiederholt (SozR 3-2500 § 53 Nrn 5 und 6; Urteile vom 9. März 1994, 3/1 RK 7 und 44/93 sowie Urteile vom 14. September 1994, 3/1 RK 19/93 und 3/1 RK 35/93) dargelegt hat, ein gerichtlich voll überprüfbarer Rechtsbegriff.

Der Kläger rügt zu Unrecht, das LSG habe verkannt, daß der angefochtene Bescheid schon deshalb rechtswidrig sei, weil die Entscheidung über das Vorliegen von Schwerpflegebedürftigkeit allein vom MDK und nicht von der Beklagten zu treffen sei. Denn nach den für das Revisionsgericht bindenden Feststellungen des LSG hat der MDK den Kläger gerade nicht als schwerpflegebedürftig angesehen. Im übrigen hat das BSG bereits entschieden, daß der MDK – trotz der insoweit mißverständlichen Formulierungen in den §§ 53 Abs 1 und 275 Abs 2 Nr 2 SGB V – über das Vorliegen der Voraussetzungen der §§ 53 ff SGB V nicht verbindlich zu entscheiden hat (BSGE 73, 146, 157 f). In diesem Zusammenhang rügt der Kläger im Hinblick auf das im erstinstanzlichen Verfahren eingeholte Gutachten von Prof. Dr. K., … das vom Vorliegen von Schwerpflegebedürftigkeit ausgeht, zu Unrecht, allenfalls ein neu einzuholendes Gutachten könne den geltend gemachten Anspruch vernichten. Dieses Vorbringen genügt nicht den Anforderungen, die an eine Verfahrensrüge zu stellen sind. Hierzu hätte der Kläger sich mit den Ausführungen des LSG auseinandersetzen müssen, daß die Ansichten des MDK und des gerichtlichen Gutachters nicht in der Beurteilung der körperlichen Leistungsfähigkeit voneinander abweichen, sondern erst bei der Beurteilung, ob die vorliegenden Einschränkungen Schwerpflegebedürftigkeit begründen. Die Beurteilung, ob die vorliegenden Einschränkungen Schwerpflegebedürftigkeit begründen, gehört zur Rechtsanwendung, die das Gericht vorzunehmen hat. Selbst wenn die Rüge dahin verstanden werden könnte, daß auch hinsichtlich der Beurteilung der körperlichen Leistungsfähigkeit eine unterschiedliche Beurteilung vorliegt, könnte sie keinen Erfolg haben. Zur körperlichen Leistungsfähigkeit hatte das LSG zwar die vorliegenden ärztlichen Gutachten zu berücksichtigen. Es gibt aber keine Beweisregel, daß einem Verwaltungsgutachten stets, also unabhängig von seinem Inhalt und den hiergegen erhobenen Einwänden, ein geringerer Beweiswert zukomme als einem gerichtlichen Gutachten (vgl hierzu BSG SozR 3-5555 § 12 Nr 3). Daß das Gericht bei der Würdigung der Gutachten gegen § 128 SGG verstoßen habe, ist nicht gerügt.

Die für die Beurteilung bei erwachsenen Versicherten zu berücksichtigenden Tätigkeiten des täglichen Lebens hat das BSG, ausgehend von den Richtlinien der Spitzenverbände der KKn, in einem Katalog von insgesamt 18 Verrichtungen zusammengefaßt (vgl hierzu die Urteile des erkennenden Senats SozR 3-2500 § 53 Nrn 5 und 6; Urteile vom 9. März 1994, 3/1 RK 7/93 und 44/93). Der Katalog setzt sich zusammen aus 14 Verrichtungen des Grundbedarfs aus den Bereichen Mobilität, Körperpflege, Ernährung und Kommunikation sowie vier Verrichtungen des hauswirtschaftlichen Versorgungsbedarfs.

Ergibt sich bei einer ersten Prüfung ein Hilfebedarf bei 14 oder mehr Verrichtungen, so ist Schwerpflegebedürftigkeit anzunehmen, ohne daß weitere Ermittlungen zur Intensität des jeweiligen Hilfebedarfs erforderlich sind. Den vom Gesetzgeber bewußt hoch angesetzten Maßstab (§ 53 Abs 1 SGB V: Hilfebedarf „in sehr hohem Maße”) für die Gewährung von Leistungen bei Schwerpflegebedürftigkeit erfüllt eine derart hilflose Person ohne weiteres; denn sie kann sich – wie im Gesetzgebungsverfahren vorausgesetzt (BT-Drucks 11/2237, S 183) – in „nahezu allen Bereichen” nicht selbst versorgen. Besteht ein Hilfebedarf bei weniger als 14, aber mehr als 8 Verrichtungen, so kommt die Annahme von Schwerpflegebedürftigkeit nur in Betracht, wenn – was dann in einem zweiten Prüfungsschritt zu beurteilen ist – zusätzliche Umstände eine Gleichstellung des Hilfebedarfs mit demjenigen bei einem eindeutig Schwerpflegebedürftigen rechtfertigen. Besteht ein Hilfebedarf nur bei weniger als 9 Verrichtungen, sind Leistungen wegen Schwerpflegebedürftigkeit nach §§ 53 ff SGB V nicht zu gewähren; auf den Umfang des Hilfebedarfs bei einzelnen Verrichtungen kommt es beim ersten Prüfungsschritt nicht an. Eine derart schematisierte Erfassung und Bewertung des Hilfebedarfs ist angesichts der Vielzahl von Betroffenen zur Gewährleistung einer einheitlichen Rechtsanwendung unabdingbar (vgl hierzu BSGE 73, 146, 155 = SozR 3-2500 § 53 Nr 4; BSG SozR 3-2500 § 53 Nr 6).

Auf die Feststellungen zum Hilfebedarf bei den Katalogtätigkeiten kann auch bei Schwerbehinderten und Beziehern von Pflegegeld nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) nicht verzichtet werden. Das gilt auch für Versicherte, die als hilflos iS des Schwerbehindertenrechts (§ 33b Einkommensteuergesetz ≪EStG≫) anzusehen sind. Denn § 53 Abs 1 SGB V setzt ein gesteigertes Maß der Hilflosigkeit voraus, das anhand der aufgezeigten eigenständigen Kriterien zu ermitteln ist (so auch für die Hilflosigkeit iS des § 69 Abs 3 BSHG: BVerwGE 80, 54, 60). Auch aus der Tatsache, daß der Sozialhilfeträger der Klägerin Pflegegeld nach § 69 Abs 3 BSHG gewährt, kann – wie das LSG zutreffend erkannt hat – nicht der Schluß gezogen werden, daß die Klägerin als schwerpflegebedürftig iS von § 53 Abs 1 SGB V anzusehen ist. Der Gesetzgeber hat den in § 53 SGB V erstmals verwandten Begriff der Schwerpflegebedürftigkeit bewußt selbständig definiert (BSG SozR 3-2500 § 53 Nr 2). Er unterscheidet sich schon durch die an den notwendigen Hilfebedarf gestellten Anforderungen vom Begriff der Pflegebedürftigkeit iS des § 69 Abs 3 BSHG.

Der im Mai 1986 geborene Kläger war im April 1991, dem Beginn des Zeitraums, für den er Pflegegeld begehrt, fast 5 Jahre alt und bei Erlaß des Berufungsurteils (im September 1993) 7 1/2 Jahre. Der Senat sieht bei Säuglingen und Kleinkindern von einer Beurteilung nach Maßgabe der Katalogtätigkeiten ab (vgl Urteil vom 14. Dezember 1994 – 3 RK 9/94, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen); diese sind aber bei der Beurteilung älterer Kinder, wenn auch nur modifiziert, zu berücksichtigen (Urteil vom 14. Dezember 1994 – 3 RK 14/94, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen).

Auch Säuglinge und Kleinkinder können zu dem nach § 53 Abs 1 SGB V leistungsberechtigten Personenkreis zählen. Ein Gesetzeswille, Säuglinge und Kleinkinder generell von den Leistungen wegen Schwerpflegebedürftigkeit auszunehmen, kann weder den §§ 53 ff SGB V noch den Vorschriften des BSHG über Pflegegeld entnommen werden. Säuglinge und Kleinkinder bedürfen indes bei den Katalogtätigkeiten, unabhängig von ihrer Krankheit oder Behinderung, allein aufgrund ihres Lebensalters in vollem Umfang fremder Hilfe. Dabei werden als Säuglinge Kinder unter 12 Monaten und als Kleinkinder Kinder zwischen ein und drei Jahren bezeichnet (entsprechend den Begriffsdefinitionen im Säuglingsnahrungswerbegesetz vom 10. Oktober 1994 ≪BGBl I 2846≫). Bei ihnen konzentrieren sich die nach § 53 Abs 1 SGB V maßgebenden „gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen” auf wenige Verrichtungen des Grundbedarfs. Die ergänzenden Arbeitshilfen des Medizinischen Dienstes der Spitzenverbände der KKn zur Begutachtung der Schwerpflegebedürftigkeit bei Kindern sowie bei Personen mit psychischen Störungen (WzS 1993, 280) vergleichen den Mehrbedarf an Hilfeleistungen bei Säuglingen und Kleinkindern nur in bezug auf die Verrichtungen Füttern bzw Nahrungsaufnahme, Wickeln bzw An- und Auskleiden und Körperpflege sowie (bei Kleinkindern:) „Auf den Topf setzen”. Die Empfehlung berücksichtigt damit zutreffend, daß diese Verrichtungen für den Lebensrhythmus eines Säuglings bzw Kleinkindes entscheidend sind. Sie setzt zutreffend eine Zäsur bei der Vollendung des dritten Lebensjahres. Behinderungen oder Krankheiten, die sich in diesen für die ersten drei Lebensjahre elementaren Bereichen durch vermehrt anfallende Hilfeleistungen der Pflegeperson auswirken, prägen die pflegerische Gesamtsituation des Kleinkindes maßgebend. Eine Einbeziehung auch solcher Verrichtungen, die von Kleinkindern aufgrund ihres Entwicklungsstandes noch gar nicht oder allenfalls ansatzweise eigenständig ausgeführt werden, würde dagegen nicht zu sachgerechten Ergebnissen führen, da Schwerpflegebedürftigkeit nach dem von der Rechtsprechung entwickelten Konzept voraussetzt, daß der Betroffene bei einem bestimmten prozentualen Anteil der Verrichtungen einen (zusätzlichen) Hilfebedarf hat.

Bei Kindern mit einem Lebensalter von mehr als drei Jahren ist dagegen im Grundsatz von dem für Erwachsene aufgestellten Katalog von Verrichtungen (vgl BSGE 73, 146, 154 ff = SozR 3-2500 § 53 Nr 4 und BSG SozR 3-2500 § 53 Nr 6) auszugehen. Der Katalog ist jedoch für die Anwendung auf Kinder zumindest bis zum Alter von 8 Jahren (vgl Urteil vom 14. Dezember 1994, 3 RK 14/94) insoweit zu modifizieren, als die Verrichtungen des hauswirtschaftlichen Bedarfs bei der Erfassung der Verrichtungen, bei denen ein krankheits- bzw behinderungsbedingter Pflegemehrbedarf besteht (erste Stufe der Ermittlung des Pflegebedarfs), unberücksichtigt bleiben. Bei Erwachsenen hat die Erfassung der Katalogtätigkeiten, bei denen ein Pflegebedarf besteht, den Sinn, diejenigen Fälle von einer weiteren, ins Detail gehenden Ermittlung des Hilfebedarfs auszunehmen, bei denen entweder schon die große Zahl der hilfebedürftigen Verrichtungen den Schluß zuläßt, daß Schwerpflegebedürftigkeit in jedem Fall vorliegt oder bei denen wegen der geringen Zahl solcher Verrichtungen die Notwendigkeit von Pflege „in sehr hohem Maße” von vornherein ausgeschlossen werden kann. Der Katalog nennt nur Verrichtungen, die von einem gesunden Erwachsenen ohne fremde Hilfe erbracht werden. Die Verrichtungen des hauswirtschaftlichen Bedarfs werden jedoch auch bei gesunden Kindern von den Betreuungspersonen und nicht von den Kindern selbst ausgeführt. Die Einbeziehung des hauswirtschaftlichen Bedarfs würde deshalb die Gewichtung zwischen den Verrichtungen, bei denen ein Mehrbedarf besteht und solchen, bei denen dies nicht der Fall ist, sachwidrig zu Lasten kranker bzw behinderter Kinder verschieben. Bei Kindern ist deshalb in der ersten Stufe zu prüfen, bei welchen der verbleibenden 14 Katalgotätigkeiten ein behinderungsbedingter Pflegemehrbedarf besteht. Ist bei Kindern behinderungsbedingt auch bei den vier Tätigkeiten des hauswirtschaftlichen Bereichs ein höherer Aufwand erforderlich als bei gleichaltrigen gesunden Kindern, so muß der entsprechende Zeitbedarf im Rahmen der Gleichstellungssachverhalte, also auf der zweiten Stufe der Ermittlung des gesamten Pflegebedarfs, berücksichtigt werden.

Ein Hilfebedarf „in sehr hohem Maße”, wie ihn § 53 Abs 1 SGB V für den gegen den Träger der gesetzlichen Krankenversicherung gerichteten Anspruch auf häusliche Pflegehilfe voraussetzt, liegt – bei einer Fortentwicklung der von der Rechtsprechung aufgestellten Voraussetzungen – bei Kindern dann stets vor, wenn bei 11 oder mehr (etwa 80 und mehr vH) Verrichtungen ein zusätzlicher Hilfebedarf von erheblichem Gewicht gegenüber gleichaltrigen gesunden Kindern besteht. Tritt ein derartiger Mehraufwand bei 7 bis 10 Verrichtungen (50 bis etwa 80 vH) auf, liegt ein Hilfebedarf in sehr hohem Maße nur dann vor, wenn besondere Gleichstellungssachverhalte erfüllt sind, die den Schluß zulassen, daß der Pflegeaufwand ebenso gewichtig ist wie bei einem eindeutig Schwerpflegebedürftigen. Als Gleichstellungssachverhalte kommen insbesondere in Betracht:

  • der zeitliche Umfang des Pflegebedarfs sowie
  • die körperliche und psychische Belastung der Pflegeperson.

Der zeitliche Mehraufwand für Pflegeleistungen kann in diesem Bereich die Annahme von Schwerpflegebedürftigkeit nur dann rechtfertigen, wenn er den täglichen Hilfebedarf gesunder Kinder um etwa 3 Stunden übersteigt. Besteht ein Hilfebedarf nur bei weniger als 7 Verrichtungen, sind Leistungen wegen Schwerpflegebedürftigkeit nach §§ 53 ff SGB V nicht zu gewähren.

Den Feststellungen des LSG läßt sich mit hinreichender Deutlichkeit entnehmen, daß beim Kläger in den Bereichen Mobilität, Körperpflege und Kommunikation kein Mehrbedarf an Pflege gegenüber einem gleichaltrigen gesunden Kind besteht. Ein Pflegemehrbedarf besteht nur bei der diätischen Ernährung und bei den täglichen Insulinspritzen. Beide Verrichtungen können nur mit Schwierigkeiten einer der Katalogtätigkeiten zugerechnet werden. Der Senat kann unterstellen, daß beide Verrichtungen der Ernährung iS der Nahrungsaufnahme zuzuordnen sind. Es kann auch unerörtert bleiben, ob der Diätaufwand zur hauswirtschaftlichen Versorgung, und die täglichen Insulinspritzen zur Behandlungspflege (§ 37 Abs 2 SGB V) gehören und deshalb unberücksichtigt bleiben müssen. Denn der Pflegemehraufwand bei der diätischen Ernährung und bei den täglichen Insulinspritzen kann schon deshalb keine Schwerpflegebedürftigkeit begründen, weil er allenfalls zwei der für Kinder einschlägigen 14 Katalogverrichtungen betrifft.

Überdies erreicht die täglich erforderliche Pflegezeit nicht drei Stunden. Das läßt sich bei allgemeiner Beschreibung des Hilfebedarfs im Urteil des LSG mit hinreichender Sicherheit entnehmen. Der zeitliche Aufwand für die Insulinspritzen (zwei mal täglich) ist gering. Der Zeitaufwand für die Anlernung von Betreuungspersonen fällt nicht regelmäßig an und kann schon deshalb nicht den täglichen Verrichtungen zugeordnet werden. Für die Ernährung bei Diabetes werden zahlreiche Fertignahrungsmittel angeboten. Anhaltspunkte dafür, daß der erforderliche Zeitaufwand dennoch täglich mindestens drei Stunden betrage, sind weder festgestellt noch vom Kläger geltend gemacht. Überdies hat das LSG auf eine eigene Entscheidung hingewiesen, in der es bei einem täglichen Pflegeaufwand von 4 bis 6 Stunden Schwerpflegebedürftigkeit angenommen hat, und hierzu ausgeführt, ein solcher Pflegeaufwand sei beim Kläger, der ohnehin den halben Tag den Kindergarten beziehungsweise die Schule besuche, nicht notwendig.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1173622

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt SGB Office Professional . Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge