Leitsatz (redaktionell)

Der im Rahmen eines Personaleinkaufs zurückgelegte Weg ist unfallversicherungsrechtlich nicht geschützt.

 

Normenkette

RVO § 548 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1963-04-30

 

Tenor

Das Urteil des Landessozialgerichts Bremen vom 1. Juli 1965 wird aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Gründe

I

Die Klägerin war seit 1958 bei der Firma D in B als Verkäuferin in der im 2. Stock des Kaufhauses befindlichen Abteilung Damenoberbekleidung beschäftigt. Am 17. Juli 1963 kam sie auf der zum 3. Stock führenden Treppe, in der die Abteilung Herrenkonfektion untergebracht ist, zu Fall und brach den rechten Arm. Die Klägerin hatte im Kaufhaus für ihren Ehemann einen Mantel gekauft; dieser mußte geändert werden. Sie erlitt den Unfall, als sie sich auf dem Weg zur Abteilung Herrenkonfektion befand, um dort die Änderungskarte abzugeben.

Die Beklagte versagte durch Bescheid vom 25. Oktober 1963 die begehrte Unfallentschädigung, weil die Klägerin nicht im Rahmen ihres Beschäftigungsverhältnisses, sondern auf einem Weg verunglückt sei, den sie wie jeder andere Kunde zurückgelegt habe, der bei der Firma D einkaufe und Änderungen an den gekauften Sachen vornehmen lasse.

Mit ihrer Klage hat die Klägerin geltend gemacht, allen Angestellten der Firma D werde die Vergünstigung des sogenannten Personalkaufs, die mit einem Preisnachlaß verbunden sei, für sich und ihre Familienangehörigen gewährt. Bei dem heutigen Personalmangel stelle diese Vergünstigung einen wesentlichen Bestandteil des Arbeitsvertrages dar. Die Einkäufe dürften während der Geschäftsstunden vorgenommen werden, seien aus Gründen des besseren Geschäftsablaufs allerdings auf die Zeit von 9,00 bis 11,00 Uhr außer Samstags beschränkt. An den Personalkäufen habe das Unternehmen ein wirtschaftliches Interesse, weil trotz des Preisnachlasses noch Gewinnspannen vorhanden seien und diese Vergünstigung ein Abwandern des Personals verhindere. Sie habe, als sie die Änderungskarte habe abgeben wollen, somit im Interesse des Unternehmens gehandelt und deshalb unter Versicherungsschutz gestanden.

Klage und Berufung sind ohne Erfolg geblieben (Urteil des Sozialgerichts Bremen vom 14. Dezember 1964, Urteil des Landessozialgerichts - LSG - Bremen vom 1. Juli 1965).

Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im wesentlichen wie folgt begründet: Die Klägerin habe den Unfall nicht im 2. Stock, wo sie ihre unter Versicherungsschutz stehende Beschäftigung einer Verkäuferin verrichte, sondern auf der zu einer anderen Abteilung des Kaufhauses führenden Treppe erlitten. Im Zeitpunkt des Unfalls habe sie nicht die versicherte Tätigkeit einer Verkäuferin ausgeübt, sondern eine private Angelegenheit erledigt. Zwar sei an Personalkäufen auch der Arbeitgeber interessiert, weil zu unterstellen sei, daß trotz des gewährten Preisnachlasses das Unternehmen noch einen Gewinn erziele. Der Kauf eines Mantels für den Ehemann der Klägerin habe jedoch den Interessen des Arbeitgebers nicht wesentlich gedient, denn die Vorteile, welche die Klägerin aus dem Kauf gezogen habe, seien erheblich größer als der Nutzen, den ihr Arbeitgeber gehabt habe. Da die Klägerin den Unfall sonach bei einer ihrem persönlichen Lebensbereich zuzurechnenden Betätigung erlitten habe, liege kein innerer Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit vor. Die vom Arbeitgeber gewährte Vergünstigung des Personalkaufs sei kein wesentlicher Bestandteil des Arbeitsvertrages, auch wenn das Nähere hierüber in der für das Personal verbindlichen Betriebsordnung geregelt sei. Zur Zeit des Unfalls habe die Klägerin ihre versicherte Tätigkeit zu persönlichen Zwecken unterbrochen; diese private Besorgung hätte so viel Zeit erfordert, daß die Unterbrechung nicht als belanglos angesehen werden könne. Der Versicherungsschutz sei während der Unterbrechung, in der sich der Unfall ereignet habe, somit nicht gegeben gewesen.

Das LSG hat die Revision zugelassen.

Die Klägerin hat dieses Rechtsmittel eingelegt. Ihre Prozeßbevollmächtigten haben es wie folgt begründet: Für die Klägerin sei nicht nur der Verkaufsraum im 2. Stock, sondern das gesamte Kaufhaus als Arbeitsstätte anzusehen. Für einen Bauarbeiter sei die "ganze" Baustelle die Betriebsstätte und nicht bloß der Teil, in dem er gerade tätig sei; mit dem Betreten "seiner" Betriebsstätte begebe er sich in deren Gefahrenbereich. Neben dem örtlichen und zeitlichen Zusammenhang sei auch der innere Zusammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit gegeben, obwohl die Klägerin den Weg zum 3. Stock aus privaten Gründen zurückgelegt habe. Entscheidend sei, daß die Klägerin auf einer Treppe gestürzt sei. Diese stelle zweifellos eine besondere Art von "Betriebseinrichtung" dar. Habe deren Gefährlichkeit aber in besonderem Maße bei der Entstehung des Schadens mitgewirkt, sei die Betriebseinrichtung eine wesentliche Teilursache für das Unfallgeschehen. Die Frage, ob sich der Unfall in gleicher Art und Schwere auch ohne die betriebliche Tätigkeit ereignet hätte, müsse nach den Umständen des Falles ohne nähere Begründung verneint werden.

Die Beklagte hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Es sei ein natürliches Entgegenkommen des Arbeitgebers gegenüber seinen Beschäftigten, wenn er diesen gestatte, während der Arbeitszeit billiger einzukaufen. Dadurch werde ein Kauf für private Zwecke noch nicht zu einer betrieblichen Tätigkeit. Andernfalls komme es zu einer ungerechtfertigten Bevorzugung der in einem Kaufhaus Beschäftigten gegenüber den in Einzelhandelsgeschäften tätigen Angestellten.

Die Klägerin beantragt,

unter Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen sowie des Bescheides der Beklagten diese zu verurteilen, ihr wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 17. Juli 1963 Rente zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

II

Die Revision ist insofern begründet, als das angefochtene Urteil aufzuheben und der Rechtsstreit zu erneuter Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen war.

Nach der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats reicht ein örtlicher und zeitlicher Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit nicht aus, um den Unfallversicherungsschutz zu begründen; es ist vielmehr ein rechtlich wesentlicher - innerer - Zusammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit erforderlich. Dies hat das Berufungsgericht auch nicht verkannt. Es hat mit Recht angenommen, daß es sich bei der Besorgung, in deren Ausführung die Klägerin verunglückt ist, um eine Tätigkeit gehandelt hat, die - wie auch die Revision einräumt - der Erledigung einer privaten Angelegenheit dienen sollte. Sie ist deshalb dem unversicherten persönlichen Lebensbereich zuzurechnen und vermag einen inneren Zusammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit im allgemeinen nicht herzustellen.

Zwar hat der Kauf eines Mantels für ihren Ehemann auch im wirtschaftlichen Interesse des Arbeitgebers der Klägerin gelegen. Personalkäufe tragen nicht unerheblich zum Umsatz eines Unternehmens bei. Sie wirken außerdem der Neigung des Verkaufspersonals entgegen, während der Arbeitszeit oder schon vor Arbeitsende die Arbeitsstätte zwecks Erledigung privater Besorgungen zu verlassen. Das wirtschaftliche Interesse des Arbeitgebers an solchen Personalkäufen nimmt indessen der von der Klägerin beabsichtigten Besorgung nicht den privaten Charakter. Sie hat den Mantel nicht in der Absicht gekauft, das Unternehmen ihres Arbeitgebers zu fördern (Lauterbach, Gesetzliche Unfallversicherung, 3. Aufl., Anm. 46 zu § 548 RVO), sondern um eigene Bedürfnisse zu befriedigen, wobei dieser Kauf außerdem mit einem wirtschaftlichen Vorteil (Preisnachlaß) und Annehmlichkeiten anderer Art (Einkaufsmöglichkeit während der Arbeitszeit, uneigennützige Beratung durch Arbeitskollegen) verbunden war. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts spricht nichts dafür, daß der Arbeitgeber einen gewissen Zwang, dem sich die Klägerin schwerlich hätte entziehen können, ausgeübt hat, Einkäufe in seinem Haus zu tätigen. Deshalb kann dahinstehen, ob dies genügen würde, einen inneren Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit herzustellen (vgl. SozR Nr. 71 zu § 542 RVO aF). Der Umstand, daß das Unternehmen Personalkäufe dadurch begünstigt, daß diese während bestimmter Arbeitszeiten vorgenommen werden dürfen, reicht nicht aus, ihnen den Charakter einer zum unversicherten Lebensbereich gehörenden Betätigung zu nehmen. Allein eine zeitliche und örtliche Verbindung mit der betrieblichen Beschäftigung vermögen den für den Versicherungsschutz nach § 548 Abs. 1 Satz 1 RVO erforderlichen inneren Zusammenhang nicht zu begründen (vgl. auch RVO-Gesamtkommentar zu § 548, S. 22; Lauterbach, aaO., Anm. 83 zu § 548 RVO).

Der Senat geht allerdings in ständiger Rechtsprechung davon aus, daß der Versicherungsschutz nicht entfällt, wenn eine private Besorgung derart ist, daß sie nach natürlicher Betrachtungsweise nur zu einer geringfügigen Unterbrechung der versicherten Tätigkeit führt. In diesem Fall bleibt nach der Auffassung des Senats der Versicherungsschutz erhalten (BSG 20, 219; vgl. ferner die Urteile des erkennenden Senats vom 9.12.1964 - 2 RU 133/63 - und vom 28. 10. 1966 - 2 RU 234/63 -).

Diese rechtlichen Erwägungen hat das Berufungsgericht im angefochtenen Urteil zwar angestellt, wie u. a. sein Hinweis auf das Urteil des erkennenden Senats vom 9. Dezember 1964 zeigt. Ob die rechtliche Wertung, die das LSG hierbei vorgenommen hat, zutreffend ist, vermag der erkennende Senat indessen nicht nachzuprüfen, weil das Berufungsgericht in seinem Urteil keine ausreichenden tatsächlichen Feststellungen getroffen hat. Das LSG hat nur festgestellt, daß die Klägerin die Änderungskarte in der im 3. Stock gelegenen Abteilung Herrenkonfektion abgeben wollte. Dieser Vorgang kann unter Umständen nur wenige Minuten beansprucht haben. Es erscheint dem Senat aber nicht ausgeschlossen, daß sich an die Abgabe der Änderungskarte, die wohl zu dem Zweck erfolgen sollte, den geänderten Mantel abzuholen, noch weitere Vorgänge angeschlossen hätten, beispielsweise eine nochmalige Anprobe des Mantels durch den Ehemann im Beisein des Schneiders und der Klägerin. Der Sachverhalt bedarf somit noch weiterer Aufklärung. Es ist nicht allein entscheidend, wie lange die Wegstrecke ist, welche die Klägerin zwecks Erledigung ihrer privaten Angelegenheit hätte zurücklegen müssen. Rechtlich wesentlich ist vielmehr auch die Zeit, welche die Klägerin für die Besorgung selbst voraussichtlich hätte aufwenden müssen. Erst nach Aufklärung sämtlicher, für die Beurteilung des Einzelfalls maßgeblicher Umstände, für die sich angesichts der Vielfalt des Lebens nur einige allgemeine Regeln aufstellen lassen, kann die Frage entschieden werden, ob durch die von der Klägerin beabsichtigte private Besorgung nur eine geringfügige Unterbrechung der versicherten Tätigkeit eingetreten wäre.

Deshalb war das Urteil des Berufungsgerichts aufzuheben und die Sache zu erneuter Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuverweisen.

Die Kostenentscheidung bleibt dem Urteil des LSG vorbehalten.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2380262

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