Leitsatz (amtlich)

1. Gesetzliche Voraussetzungen für den Anspruch auf Heilbehandlung nach BVG § 10 Abs 1 aF sind:

a) die Gewährung einer Versorgungsrente ohne Rücksicht darauf, für welche Schädigungsfolge die Rente bewilligt wurde;

b) das Fortbestehen der Anerkennung des Leidens , für das Heilbehandlung begehrt ist, als Schädigungsfolge;

c) die Möglichkeit, daß wenigstens einer der in BVG § 10 Abs 1 S 2 aufgezählten Zwecke der Heilbehandlung erreicht werden kann.

2. Solange die Anerkennung eines Leidens als Schädigungsfolge besteht, ist bei Beurteilung des Anspruchs auf Heilbehandlung von dieser Anerkennung auszugehen. Das gilt auch, wenn eine Gesundheitsstörung nur im Sinne der Verschlimmerung als Schädigungsfolge anerkannt ist.

3. VV BVG § 10 Nr 3 S 1 , der bei Anträgen auf Heilbehandlung für ein nur im Sinne der Verschlimmerung anerkanntes Leiden eine versorgungsärztliche Überprüfung vorschreibt, ist nicht dahin zu verstehen, daß die Versorgungsbehörde, wenn der Versorgungsarzt den Fortbestand der anerkannten Verschlimmerung verneint, ohne Aufhebung ihrer früheren Anerkennung den Heilbehandlungsanspruch ablehnen darf.

 

Leitsatz (redaktionell)

Begehrt der Beschädigte mit der Klage Heilbehandlung für die Zeit nach Bescheiderteilung, dann handelt es sich nicht um eine Klage auf "künftige Leistungen", sondern um einen im Zeitpunkt der Klageerhebung gegenwärtigen Anspruch, der seiner Natur nach in Zukunft hineinreicht.

 

Normenkette

BVG § 10 Abs. 1 Fassung: 1950-12-20, Abs. 2 Fassung: 1950-12-20, § 10 Nr. 3 S. 1; SGG § 54 Fassung: 1953-09-03

 

Tenor

1. Das Urteil des Landessozialgerichts Schleswig vom 12. November 1959 wird aufgehoben.

2. Auf die Berufung des Beklagten wird Ziffer II des Urteils des Sozialgerichts Schleswig vom 20. September 1957 wie folgt geändert:

Der Beklagte ist verpflichtet, dem Kläger in der Zeit vom 23. November 1956 bis zu seinem Tode Heilbehandlung für Schlagaderverhärtung mit Neigung zu Kreislaufstörungen und zu Anfällen von Herzenge im Sinne der Verschlimmerung zu gewähren.

Im übrigen wird die Berufung des Beklagten zurückgewiesen.

3. Der Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

Die Klägerin ist als befreite Vorerbin Rechtsnachfolgerin des am 15. März 1893 geborenen und während des Revisionsverfahrens am 20. Januar 1961 verstorbenen Oberstleutnants a.D. H... W.... Der Verstorbene bezog bis zu seinem Tode nach der Sozialversicherungsdirektive (SVD) Nr. 27 und nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) Versorgungsrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 60 v.H. wegen folgender Schädigungsfolgens: "Teilversteifung der linken Fußgelenke und Platt-Knick-Fuß links, Bewegungseinschränkung im linken Schultergelenk, Krampfadern rechts, Innenohrschwerhörigkeit rechts, Schlagaderverhärtung mit Neigung zu Kreislaufstörungen und zu Anfällen von Herzenge, letztere im Sinne einer Verschlimmerung". Bis 1956 wurde dem Beschädigten wegen Schlagaderverhärtung antragsgemäß Heilbehandlung gewährt.

Am 8. September 1956 beantragte der Beschädigte erneut, ihm wegen der Schlagaderverhärtung mit Neigung zu Kreislaufstörungen und zu Anfällen von Herzenge Heilbehandlung zu gewähren. Außerdem beantragte er, den Zusatz im Bescheid "im Sinne der Verschlimmerung" zu streichen. Das Versorgungsamt (VersorgA) lehnte es mit Bescheid vom 23. November 1956 ab, die Feststellung des Leidenszustandes zu ändern und in Zukunft Heilbehandlung zu gewähren. weil das Leiden nur im Sinne der einmaligen abgrenzbaren Verschlimmerung anerkannt worden sei. Die Folgen des im Sinne der Verschlimmerung anerkannten Leidens seien zu einem anhaltenden Stillstand gekommen. Nach Nr. 3 Abs. 1 der Verwaltungsvorschriften zu § 10 BVG sei bei Anerkennung des Heilbehandlungsanspruchs für eine Gesundheitsstörung, die im Sinne der Verschlimmerung anerkannt worden ist, von Fall zu Fall versorgungsärztlich zu prüfen, ob der Leidenszustand, der Heilbehandlung erfordere, noch als [Folge einer Schädigung anzusehen sei oder ob er mit Wahrscheinlichkeit und in seinem wesentlichen Teile dem naturgemäßen Verlauf des Grundleidens entspreche und somit Heilbehandlung nach dem BVG nicht bedinge. Anspruch auf Heilbehandlung bestehe nicht mehr, weil eine schicksalsmäßig fortgeschrittene und möglicherweise weiter fortschreitende Entwicklung des Grundleidens nicht mehr dem Wehrdienst zugeschrieben werden könne. Das Landesversorgungsamt (LVersorgA) wies mit Bescheid vom 23. März 1957 den Widerspruch zurück. Die Schlagaderverhärtung sei zweifellos eine reine Alters- und Abnutzungserkrankung des Gefäßsystems. Der heutige Zustand werde nicht mehr wesentlich durch diel als anerkannte Verschlimmerung mitbeeinflußt. Gleichwohl gewährte die Versorgungsverwaltung, wie aus den Bundesbehandlungsscheinen ersichtlich ist, weiterhin Heilbehandlung; so für das zweite Vierteljahr 1957 wegen Kreislaufstörungen, für das dritte Vierteljahr 1957 wegen Herzschmerzen und Angstgefühl, für das erste Vierteljahr 1958 wegen Herzbeklemmung, Schwindel (jedoch nicht wegen Coronarsklerose), für das zweite Vierteljahr 1958 wegen Herzbeklemmung, für das dritte Vierteljahr 1958 wegen Herzbeklemmung, Schwindel, für das vierte Vierteljahr 1958 wegen Herzbeklemmung, für das erste Vierteljahr 1959 wegen Coronarsklerose, für das zweite Vierteljahr 1959 wegen Herzbeklemmung, Atemnot und für das dritte Vierteljahr 1959 wegen Herzschmerzen, allgemeiner Gefäßsklerose und Coronarinsuffizienz. Die Verwaltung stellte bei Erteilung der Bundesbehandlungsscheine fest, daß die Beschwerden und Krankheitserscheinungen, derentwegen Heilbehandlung gewährt wurde, mit der anerkannten Schädigungsfolge im Zusammenhang standen.

Auf die Klage des Beschädigten hob das Sozialgericht (SG) Schleswig mit Urteil vom 20. September 1957 den angefochtenen Bescheid und den Widerspruchsbescheid auf und verurteilte den Beklagten, auch für die im Umanerkennungsbescheid des VersorgA Hildesheim vom 23. Juni 1951 unter Ziffer 5 anerkannten Schädigungsfolgen - Schlagaderverhärtung mit Neigung zu Kreislaufstörungen und zu Anfällen von Herzenge, letztere im Sinne einer Verschlimmerung - Heilbehandlung zu gewähren. Eine Schlagaderverhärtung mit Neigung zu Herzenge beruhe auf der Konstitution. Ihre Verschlimmerung durch den Wehrdienst sei regelmäßig zeitlich abgrenzbar und vorübergehende Herzbeschwerden, die längere Zeit nach Beendigung des Militärdienstes auftreten, beruhten ausschließlich auf der krankhaften Anlage und dem schicksalsmäßigen Verlauf. § 10 BVG, welcher den Anspruch auf Heilbehandlung regele, unterscheide jedoch nicht nach der Art der Verschlimmerung. Bei einer anerkannten Wehrdienstbeschädigung sei die Heilbehandlung die notwendige Ergänzung der Rente. Die Kreislaufstörung auf Grund Schlagaderverhärtung sei eine irreparable Schädigung; der Zustand finde sich auch heute noch beim Beschädigten und lasse keine Besserung erwarten. Dem Beschädigten sei auch für die Zukunft Heilbehandlung zu gewähren. Die Verwaltungsvorschriften Nr. 3 zu § 10 BVG stünden wegen ihrer allgemeinen Fassung in Widerspruch zum Gesetz. Die Feststellung der Rente sei das entscheidende Charakteristikum für die Gewährung von Heilbehandlung.

Auf die Berufung des Beklagten hob das Landessozialgericht (LSG) mit Urteil vom 12. November 1959 das Urteil des SG auf und wies die Klage ab. Die als Schädigungsfolge anerkannte Leidensverschlimmerung sei trotz der Bewertung, die sie bei der Einschätzung der MdE gefunden habe, jetzt behoben. Die Herzbeschwerden könnten über die Dauer der Belastungen des Wehrdienstes nicht hinausreichen, während sich der coronarsklerotische Prozeß völlig unabhängig von derartigen Einflüssen weiterentwickele. Der Anspruch auf Heilbehandlung sei dem Zwecke nach beschränkt und hänge nicht bloß von der Anerkennung der Schädigungsfolge ab, sondern auch vom Fortbestehen des wehrdienstbedingten Leidens, das behandelt werden solle. Wo die Gesundheitsstörung nicht mehr existiere, könne auch keine Heilbehandlung beansprucht werden. Dies gelte auch, wenn für das Versorgungsleiden hoch Rente gezahlt werde. Das ergebe sich aus § 10 Abs. 1 Satz 2 BVG. Wie im Parallelfall des § 38 BVG komme es nicht auf die tatsächliche Anerkennung und Rentengewährung für ein Leiden an, sondern auf den Fortbestand des Leidens und seine Behandlungsbedürftigkeit.

Mit der zugelassenen Revision beantragte der Beschädigte, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des SG vom 20. September 1957 als unbegründet zurückzuweisen.

Die Revision rügt Verletzung materiellen und formellen Rechts. Das LSG habe § 10 BVG dadurch verletzt, daß es die im Rentenverfahren geklärte Bejahung des Zusammenhangs zwischen Leiden und Wehrdienst nicht auch für den Anspruch auf Heilbehandlung habe maßgebend sein lassen). Erst der Sachverständige Prof. Dr. ... habe im Gutachten vom 12. November 1959 die mit Bescheid vom 22. November 1947 anerkannte Schlagaderverhärtung als Schädigungsfolge in Zweifel gezogen, ohne sich zu der Frage zu äußern, inwieweit das heilbehandlungsbedürftige Leiden noch auf den Wehrdienst zurückzuführen sei. Diese Sachverständigenaussage könne daher nicht die Grundlage für die Entscheidung abgegeben. Das LSG hätte erst nach Einholung weiterer Gutachten zu der Feststellung kommen können, daß das heute bestehende Leiden mit dem früher festgestellten wehrdienstbedingten Verschlimmerungsanteil an der Schlagaderverhärtung nicht mehr identisch sei. Dadurch habe das LSG auch seine Sachaufklärungspflicht verletzt.

Der Beklagte beantragte, die Revision zurückzuweisen. Er hält das angefochtene Urteil und seine Begründung für zutreffend.

Die durch Zulassung statthafte Revision (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-) ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 164, 166 SGG). Sie ist daher zulässig; sie ist auch sachlich begründet.

Die Klägerin ist als befreite Vorerbin des Beschädigten befugt, über den strittigen Anspruch auf Heilbehandlung unbeschränkt allein zu verfügen (§§ 2112, 2136 Bürgerliches Gesetzbuch -BGB; § 326 der Zivilprozeßordnung -ZPO-) und das durch den Tod des Beschädigten unterbrochene Revisionsverfahren als Rechtsnachfolgerin fortzusetzen (§ 68 SGG; § 239 Abs. 1 ZPO; Palandt, BGB 17. Aufl. 1958 § 2112 Anm. 3).

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Bescheid des VersorgA vom 23. November 1956 in der Passung des Widerspruchsbescheides vom 23. März 1957 rechtmäßig ist. Die Entscheidung hängt davon ab, ob der Beklagte verpflichtet ist, dem Beschädigten für die im Umanerkennungsbescheid des VersorgA Hildesheim vom 23. Juni 1951 im Sinne der Verschlimmerung anerkannte Schädigungsfolge "Schlagaderverhärtung mit Neigung zu Kreislaufstörungen und zu Anfällen von Herzenge" Heilbehandlung über den 23. November 1956 (Tag der Bescheiderteilung) hinaus zu gewähren. Den weiteren Antrag auf Abänderung der im Sinne der Verschlimmerung anerkannten Schädigungsfolge "Schlagaderverhärtung usw." in ein Versorgungsleiden im Sinne der Entstehung hat die Klagepartei im Laufe des Verfahrens fallen gelassen.

Mit der Klage begehrt der Beschädigte zwar Heilbehandlung für die Zeit nach Bescheiderteilung; hierbei handelt es sich jedoch nicht um eine Klage auf "künftige Leistungen", deren Zulässigkeit zweifelhaft sein könnte, sondern um einen im Zeitpunkt der Klageerhebung gegenwärtigen Anspruch, der seiner Natur nach in die Zukunft hineinreicht.

Nach § 10 Abs. 1 Satz 1 BVG in der zur Zeit der Bescheiderteilung (23. November 1956) geltenden Fassung ist die Gewährung von Heilbehandlung - von den in Abs. 2 aaO aufgeführten, hier nicht in Betracht kommenden Sonderfällen abgesehen - davon abhängig, daß die Gesundheitsstörung, für die Heilbehandlung begehrt wird, als Schädigungsfolge anerkannt und daß der Anspruch auf Versorgungsrente festgestellt ist. Da nach Satz 2 aaO die Heilbehandlung gewährt wird, um "die Gesundheitsstörung oder die dadurch bewirkte Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit zu beseitigen oder wesentlich zu bessern, um eine Verschlimmerung zu verhüten oder um körperliche Beschwerden zu beheben", ist als dritte Voraussetzung für die Heilbehandlung noch zu fordern, daß wenigstens die Möglichkeit besteht, mit der Heilbehandlung einen der genannten Zwecke zu erreichen. Zur Behebung körperlicher Beschwerden als Zweck der Heilbehandlung genügt es dabei nach der Entstehungsgeschichte des Gesetzes, wenn das körperliche und geistige Wohlbefinden durch die Heilbehandlung gehoben wird (vgl. Verhandlungen des 26. Ausschusses des Deutschen Bundestages, 1. Wahlperiode 1949 S. 15 B).

Dagegen kann der Auffassung des LSG nicht gefolgt werden, Heilbehandlung des i.S. der Verschlimmerung anerkannten Leidens setze auch voraus, daß der Verschlimmerungsanteil des Leidens im Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag tatsächlich noch fortbestehe. Diese Auslegung steht mit dem Gesetz nicht im Einklang; denn sie übersieht die Bindungswirkung des Bescheides, in dem anerkannt ist, daß das Leiden durch schädigende Vorgänge i.S. des BVG verschlimmert worden ist.

Nach § 77 SGG i.V.m. § 24 Abs. 1 Verwaltungsverfahrensgesetz (VerwVG) wird, soweit durch Gesetz nichts anderes bestimmt ist, der der sozialgerichtlichen Nachprüfung unterliegende Verwaltungsakt für die Beteiligten in der Sache bindend, wenn ein Rechtsbehelf nicht oder erfolglos eingelegt wird. Als Verwaltungsakt i.S. dieser Bestimmung ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) auch die Feststellung der Schädigungsfolgen - i.S. der Verschlimmerung - anzusehen (BSG 9, 80; 12, 25). Die Bindung bewirkt, daß die im Verwaltungsakt aus dem Sachverhalt gezogene Rechtsfolge für die Beteiligten unabänderlich wird, soweit das Gesetz nichts anderes bestimmt. Diese Bindung hat die Versorgungsverwaltung auch bei dem Verwaltungsakt über die Heilbehandlung, die für das anerkannte Leiden begehrt wird, zu beachten. § 77 SGG verbietet es, bei der Regelung der verschiedenen Versorgungsleistungen für das gleiche Leiden - Feststellung des Leidens und Rentengewährung einerseits, Heilbehandlung andererseits - in einem Fall den Bestand des Leidens zu bejahen, im anderen ihn zu verneinen.

Ergibt sich daher bei der aus Anlaß des Heilbehandlungsantrags vorgenommenen ärztlichen Untersuchung, daß das anerkannte Versorgungsleiden tatsächlich nicht mehr besteht, so muß die Versorgungsverwaltung zunächst die Anerkennung dieses Leidens durch Neufeststellungsbescheid nach § 62 BVG aufheben und darf erst dann Heilbehandlung wegen Wegfalls des Versorgungsleidens ablehnen. Läßt sie die Anerkennung bestehen, so muß sie davon auch bei der Entscheidung über den Antrag auf Heilbehandlung ausgehen.

Nr. 3 der Verwaltungsvorschriften (VV) zu § 10 Abs. 1 und 2 BVG aF, auf die sich das LSG beruft, sprechen - richtig verstanden - nicht für die Auffassung des Berufungsgerichts. Zwar enthält die genannte VV die Anweisung an die Versorgungsbehörde, bei einem Heilbehandlungsantrag für eine i.S. der Verschlimmerung anerkannte Gesundheitsstörung zu prüfen, ob der Leidenszustand noch als Folge der Schädigung anzusehen ist. Sie besagt aber nichts darüber, wie die Versorgungsverwaltung zu verfahren hat, wenn die ärztliche Untersuchung ergibt, daß der Leidenszustand nicht mehr als Folge der Schädigung anzusehen ist, sondern "mit Wahrscheinlichkeit und in seinem wesentlichen Teile dem naturgemäßen Verlauf des Grundleidens entspricht". Nur wenn die VV in dem Sinne gemeint wäre, daß diese ärztliche Feststellung allein und ohne Aufhebung der bescheidsmäßigen Anerkennung der Leidensverschlimmerung die Versorgungsbehörde berechtigen würde; Heilbehandlung wegen des i.S. der Verschlimmerung anerkannten Leidens abzulehnen, würde dies allerdings eine unzulässige Einschränkung des Gesetzes bedeuten. In diesem Sinne ist aber die VV nicht zu verstehen.

Die vom LSG weiter für seinen Standpunkt angeführte Rechtsprechung, wonach nachträglich geltend gemachte Folgen eines Versorgungsleidens - weitere Leidensverschlimmerung und höherer Grad der MdE - stets auf ihren ursächlichen Zusammenhang zu prüfen sind (SozR BVG § 1 Bl. Ca 5 Nr. 15; Beschluß des BSG vom 27. Dezember 1957 - 10 RV 925/55 - in Kriegsopferversorgung -KOV- 1958 Rechtspr. 3/58 Nr. 762), betrifft andere Tatbestände als den hier zu beurteilenden. Hier hat der Beschädigte keine weitere Leidensverschlimmerung behauptet, sondern den Anspruch auf Heilbehandlung aus einer anerkannten Schädigungsfolge abgeleitet. Dieser Anspruch ist mit dem Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung nach § 38 BVG schon deshalb nicht vergleichbar, weil bei letzterem eine vom Beschädigten verschiedene Person eigene Versorgungsansprüche geltend macht.

Im übrigen hängt der Anspruch auf Heilbehandlung entgegen der Auffassung des LSG auch nicht vom Vorliegen einer richtungsgebenden Verschlimmerung ab. Zur Begründung des Heilbehandlungsanspruchs für ein i.S. der Verschlimmerung anerkanntes Leiden genügt neben den sonstigen Voraussetzungen die Feststellung im Sinne der Verschlimmerung. Das Gesetz fordert auch nicht, daß der Verschlimmerungsanteil "die Fortentwicklung des gesamten Leidens offensichtlich nachhaltig beschleunigt und gefördert hat". Soweit dies aus der Fassung der VV Nr. 3 Abs. 1 Satz 2 zu § 10 BVG entnommen werden sollte, würde diese Auslegung das Gesetz in unzulässiger Weise einschränken und deshalb unzutreffend sein.

Das LSG hat sonach bei seiner Entscheidung § 10 BVG, § 77 SGG und § 24 Abs. 1 VerwVG verletzt. Das rügt die Revision dem Sinne nach zutreffend. Da die Entscheidung bei richtiger Gesetzesanwendung anders ausgefallen wäre, ist die Revision begründet. Deshalb unterliegt das Urteil des LSG der Aufhebung. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob auch die von der Revision hilfsweise geltend gemachten Verfahrensrügen begründet sind; denn das Urteil des LSG beruht jedenfalls auf der Verletzung materiellen Rechts.

Der Senat konnte in der Sache selbst entscheiden.

Daß im vorliegenden Fall die ersten beiden Voraussetzungen für die Heilbehandlung - Anerkennung des Leidens, für das Heilbehandlung begehrt wird und Gewährung einer Versorgungsrente - im Zeitpunkt der Bescheiderteilung erfüllt waren, hat das LSG zutreffend festgestellt. Bezüglich der Versorgungsrente enthalten der nach der SVD Nr. 27 ergangene Bewilligungsbescheid vom 22. November 1947 und der Umanerkennungsbescheid nach dem BVG vom 23. Juni 1951 zwar keine Feststellung darüber, in welchem Umfang das i.S. der Verschlimmerung anerkannte Leiden an der Gesamt-MdE von 60 v.H. beteiligt ist. In der vorausgegangenen ärztlichen Untersuchung ist dafür eine MdE um 40 v.H. begutachtet. Nach Auffassung des Senats kommt es darauf jedoch nicht an. Da Grundlage des Rentenanspruchs nicht das Einzelleiden, sondern der durch den gesamten wehrdienstbedingten Leidenszustand verursachte Grad der MdE ist, stellt das Gesetz nicht darauf ab, in welcher Höhe das einzelne anerkannte Leiden, für das Heilbehandlung begehrt wird, die Gesamt-MdE beeinflußt. Dies bringt das Gesetz dadurch zum Ausdruck, daß es nicht nur in § 10 Abs. 1 Satz 1 BVG idF vom 1. Juli 1957 (BGBl I, 661), sondern auch in Abs. 2 aaO die Mehrzahl - anerkannte Folgen - gebraucht, obwohl hier die - früher - eingeschränkte Heilbehandlung bei fehlendem Rentenbezug geregelt ist. Der Wortlaut "rechtfertigen die anerkannten Folgen einer Schädigung den Bezug einer Rente nicht..." macht deutlich, daß auf alle anerkannten Schädigungsfolgen insgesamt abzustellen ist.

Auch die dritte für den Anspruch auf Heilbehandlung erforderliche Voraussetzung ist erfüllt. Da sowohl das Grundleiden wie auch die Anerkennung der Verschlimmerung fortbestehen, ist die Möglichkeit nicht auszuschließen, daß durch die Heilbehandlung einer der in § 10 Abs. 1 Satz 2 BVG genannten Zwecke - ihre Hebung des körperlichen und geistigen Wohlbefindens - erreicht werden konnte.

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des SG Schleswig vom 20. September 1957 war daher im Ergebnis als unbegründet zurückzuweisen. Im Ausspruch des SG-Urteils war zu berücksichtigen, daß der strittige Anspruch auf Heilbehandlung erst für die Zeit nach Erteilung des Bescheids vom 23. November 1956 erhoben wurde und durch den Tod des Beschädigten zeitlich begrenzt ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 228

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