Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 18.05.1992)

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 18. Mai 1992 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Revisionsverfahren nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Streitig ist, ob die Klägerin Anspruch auf Anerkennung (Vormerkung) einer Kindererziehungszeit für ihre am 17. November 1961 in Belgien geborene Tochter Renate hat.

Die 1934 geborene Klägerin entrichtete zuletzt im Jahre 1958 Pflichtbeiträge zur deutschen Rentenversicherung. Anschließend war sie bis zur Entrichtung freiwilliger Beiträge im Jahre 1972 nicht versichert. Die Klägerin hatte ihren Wohnsitz seit 1960 bis Ende 1963 in Belgien und kehrte anschließend in die Bundesrepublik zurück. Ihr Ehemann war von 1959 bis 1968 bei einem inländischen Unternehmen als Rationalisierungsfachmann beschäftigt. Seit Anfang 1960 war er für dieses Unternehmen nicht mehr in Belgien, sondern ausschließlich in der Bundesrepublik Deutschland, in Österreich und in der Schweiz mit Beratungsaufgaben bei verschiedenen Unternehmen tätig. Während der Zeit der Kindererziehung war er ausschließlich in der Bundesrepublik Deutschland und in der Schweiz an wechselnden Arbeitsstellen tätig. Den Antrag der Klägerin auf Anerkennung der Zeit vom 1. Dezember 1961 bis 30. November 1962 als Kindererziehungszeit lehnte die Beklagte ab (Bescheid vom 27. Dezember 1988).

Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 10. August 1990) und das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen (Urteil vom 18. Mai 1992).

Gegen das Urteil des LSG richtet sich die Revision der Klägerin. Mit ihrer Revisionsbegründung rügt sie einen Verstoß gegen Art 2 und 3 Grundgesetz (GG). Sie macht geltend, lediglich die Tatsache, daß ihr Ehemann in dem Zeitraum vom 1. Dezember 1961 bis zum 30. Dezember 1962 nicht in Belgien, sondern in der Bundesrepublik Deutschland eine Beschäftigung ausgeübt und dadurch Pflichtbeitragszeiten erworben habe, führe dazu, daß die geltend gemachte Kindererziehungszeit nicht angerechnet werden könne. Es bestehe kein sachlicher Grund für eine ungleiche Behandlung zwischen dem Sachverhalt, daß Pflichtbeitragszeiten in der Bundesrepublik Deutschland bzw in Belgien erworben werden. Durch eine solche Auslegung werde sie in der freien Wahl ihres Wohnsitzes innerhalb der Europäischen Gemeinschaft (EG) eingeschränkt, da durch die Wahl des Wohnsitzes in Belgien ein rentenrechtlicher Nachteil entstehe. Eine ungleiche Behandlung ergebe sich auch gegenüber denjenigen Personen, die ihren Wohnsitz in Belgien hätten und entsprechende Pflichtbeitragszeiten nach deutschem Recht in Belgien erworben hätten.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Köln vom 10. August 1990 sowie des Urteils des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen – L 4 J 201/90 – die Beklagte zu verurteilen, unter Abänderung des Bescheides vom 27. Dezember 1988 die Zeit vom 1. Dezember 1961 bis 30. November 1962 als Kindererziehungszeit in der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung anzuerkennen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das Urteil des LSG für zutreffend.

 

Entscheidungsgründe

II

Der Senat hat nach § 126 Sozialgerichtsgesetz (SGG) nach Lage der Akten ohne mündliche Verhandlung entschieden.

Die Revision ist unbegründet. Das LSG hat die Berufung der Klägerin gegen das klagabweisende Urteil des SG zu Recht zurückgewiesen. Die Klage ist unbegründet, denn die Klägerin hat keinen Anspruch auf Vormerkung der Zeit vom 1. Dezember 1961 bis 30. November 1962 als Kindererziehungszeit.

Für die Entscheidung über den (Vormerkungs-)Anspruch sind gem § 300 Abs 1 des Sozialgesetzbuchs, Sechstes Buch (SGB VI) die Vorschriften des SGB VI anzuwenden (vgl BSG SozR 3-6180 Art 13 Nr 2). Nach § 249 Abs 1 iVm § 56 Abs 1 SGB VI wird für Zeiten der Erziehung eines vor dem 1. Januar 1992 geborenen Kindes einem Elternteil eine Kindererziehungszeit von 12 Kalendermonaten nach Ablauf des Monats der Geburt angerechnet, wenn 1. die Erziehungszeit diesem Elternteil zuzuordnen ist,

2. die Erziehung im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland erfolgt ist oder einer solchen gleichsteht und 3. der Elternteil nicht von der Anrechnung ausgeschlossen ist.

Nach § 56 Abs 3 SGB VI ist eine Erziehung im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland erfolgt, wenn der erziehende Elternteil sich mit dem Kind dort gewöhnlich aufgehalten hat. Einer Erziehung im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland steht gleich, wenn der erziehende Elternteil sich mit seinem Kind im Ausland gewöhnlich aufgehalten hat und während der Erziehung oder unmittelbar vor der Geburt des Kindes wegen einer dort ausgeübten Beschäftigung oder selbständigen Tätigkeit Pflichtbeitragszeiten hat. Dies gilt bei einem gemeinsamen Aufenthalt von Ehegatten im Ausland auch, wenn der Ehegatte des erziehenden Elternteils solche Pflichtbeitragszeiten hat oder nur deshalb nicht hat, weil er zu den in § 5 Abs 1 und 4 SGB VI genannten Personen gehörte oder von der Versicherungspflicht befreit war.

Die Voraussetzungen des § 56 Abs 3 Satz 1 und 2 SGB VI sind nicht erfüllt, denn die Klägerin hatte während der ersten 12 Kalendermonate nach der Geburt des Kindes (im folgenden: Zeit der Kindererziehung) in Belgien gelebt und hatte dort ihren gewöhnlichen Aufenthalt, ohne während dieser Zeit Pflichtbeiträge in der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung entrichtet zu haben.

Die Kindererziehungszeit kann auch nicht nach § 56 Abs 3 Satz 3 SGB VI angerechnet werden. Das LSG hat insoweit die Tatsachen als glaubhaft gemacht und damit nach § 249 Abs 5 SGB VI als ausreichend nachgewiesen angesehen, aus denen es ohne Rechtsfehler geschlossen hat, daß der Ehemann der Klägerin während der Zeit der Kindererziehung auch seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Belgien hatte. Dies allein reicht aber für die Anerkennung einer Kindererziehungszeit nicht aus. Erforderlich ist vielmehr, daß der sich ebenfalls im Ausland gewöhnlich aufhaltende Ehegatte Pflichtbeitragszeiten in der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung hat oder nur deshalb nicht hat, weil er aus bestimmten Gründen nicht versicherungspflichtig oder von der Versicherungspflicht befreit war.

Das Bundessozialgericht (BSG) hat insoweit schon klargestellt, daß auch die Versicherungsfreiheit einer Beschäftigung wegen Überschreitens der früher geltenden Jahresarbeitsverdienstgrenze (JAV-Grenze) nach § 4 Abs 1 Nr 1 Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) in der bis zum 31. Dezember 1967 geltenden Fassung die Anrechnung einer Kindererziehungszeit trotz gewöhnlichen Aufenthalts im Ausland nicht ausschließt, wenn die im Ausland ausgeübte Beschäftigung sonst, dh bei einem Entgelt unter der jeweils geltenden JAV-Grenze, versicherungspflichtig gewesen wäre, dh ein Entsendungsfall iS von § 4 SGB, Viertes Buch (SGB IV) gegeben wäre (BSG SozR 3-2200 § 1251a Nr 14). Voraussetzung für die Anrechnung einer Kindererziehungszeit beim gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland ist aber immer, daß auch die Beschäftigung im Ausland ausgeübt wird und wegen eines Entsendungstatbestandes ungeachtet des Beschäftigungsortes im Ausland Versicherungspflicht in der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung besteht bzw – bei Versicherungsfreiheit – bestehen könnte. Diese Voraussetzung ist bei dem Ehemann der Klägerin nicht gegeben, denn er war, wie das LSG festgestellt hat, während der Zeit der Kindererziehung ganz überwiegend im Inland an wechselnden Beschäftigungsorten tätig. Die Voraussetzung der Auslandsbeschäftigung iS des § 56 Abs 3 Satz 3 SGB VI ist aber auch nicht erfüllt, soweit der Ehemann der Klägerin während der Zeit der Kindererziehung einmal vorübergehend im Ausland, in der Schweiz, tätig war. Der Senat kann dabei offenlassen, ob Kindererziehungszeiten während eines gewöhnlichen Aufenthaltes im Ausland nach § 56 Abs 3 Satz 2 und 3 SGB VI immer nur dann angerechnet werden können, wenn der ausländische Beschäftigungsort und der Aufenthaltsort im selben Staat liegen. Nach § 1227a Abs 5 der Reichsversicherungsordnung (RVO) war eine Kindererziehungszeit bei Erziehung in einem Staat außerhalb des Bundesgebietes nur anrechenbar, wenn wegen einer Beschäftigung oder Tätigkeit in diesem Staat während der Kindererziehung oder unmittelbar vor der Geburt des Kindes Pflichtbeitragszeiten nach diesem Gesetz gegeben waren. § 56 Abs 3 Satz 2 und 3 SGB VI spricht demgegenüber nur von einem gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland und einer Beschäftigung dort – dh im Ausland –. Auch, wenn man davon ausgeht, daß damit der Staat des Aufenthaltsortes und der Staat des Beschäftigungsortes unterschiedlich sein können, wenn beide Staaten nur Ausland sind (aA insoweit Berliner Komm zum RRG 1992 SGB VI § 56 Anm 32 ≪Maier/Költzsch≫), hat die Beklagte im vorliegenden Fall dennoch zu Recht die Anrechnung einer Kindererziehungszeit abgelehnt. Dies ergibt sich aus dem Zweck, den die Anrechnung von Kindererziehungszeiten als Beitragszeiten (§ 55 SGB VI) hat. Kindererziehungszeiten sollen die Lücken in der deutschen Rentenversicherung ausfüllen, die dadurch entstehen, daß während der Kindererziehung eine versicherungspflichtige Beschäftigung nicht ausgeübt werden konnte. Die Anrechnung einer Kindererziehungszeit während eines Auslandsaufenthaltes ist daher nur dann gerechtfertigt, wenn einerseits eine Beschäftigung des Erziehenden bzw des Ehegatten im Ausland vorliegt und andererseits wegen dieser Beschäftigung noch eine Verbindung zur deutschen Rentenversicherung vorliegt, wenn also dem Grunde nach ein Entsendungstatbestand iS von § 4 SGB IV gegeben ist, der grundsätzlich die Beschäftigung in der deutschen Rentenversicherung versicherungspflichtig macht. Wenn das Gesetz aber von dem Entsendungsfall ausgeht, so ist nicht nur eine zeitliche Übereinstimmung von Auslandsaufenthalt und Auslandsbeschäftigung notwendig, sondern der Auslandsaufenthalt muß auch durch den Beschäftigungsort im Ausland bedingt sein. Dies ist im vorliegenden Fall nicht gegeben, soweit der Ehegatte der Klägerin während der Zeit der Kindererziehung in der Schweiz tätig war. Der Wohnort in Belgien war auch für die vorübergehende Beschäftigung an einem Arbeitsort in der Schweiz keineswegs günstiger als ein Wohnort in der Bundesrepublik Deutschland.

Zu Recht hat das LSG festgestellt, daß der Ehemann der Klägerin auch nicht unmittelbar vor der Zeit der Kindererziehung im Ausland beschäftigt war. Dabei kann offenbleiben, ob bei einem Wechsel des Beschäftigungsortes des Ehegatten während der Kindererziehungszeit vom Ausland in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland bei Fortbestehen des gewöhnlichen Aufenthalts im Ausland von diesem Zeitpunkt an überhaupt noch eine Kindererziehungszeit nach § 56 Abs 3 Satz 3 SGB VI anrechenbar ist. Hier war der Ehemann der Klägerin schon mehr als 1 1/2 Jahre vor der Geburt des Kindes nicht mehr in Belgien tätig, sondern ausschließlich im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland und Österreich bzw der Schweiz.

Die Klägerin kann demgegenüber auch nicht einwenden, der von ihr und ihrem Ehemann bereits geplante Umzug habe sich wegen der Verzögerung eines Hausbaus bis 1963 hinausgeschoben. Das Gesetz stellt für die Anrechnung von Kindererziehungszeiten bei Auslandsaufenthalt ausschließlich auf die Zurücklegung von inländischen Pflichtbeitragszeiten bzw vergleichbaren Tatbeständen an einem ausländischen Beschäftigungsort während der Zeit der Kindererziehung bzw unmittelbar vor der Geburt des Kindes ab, es verknüpft also Beschäftigungsort im Ausland und Aufenthaltsort im Ausland zwingend. Liegen Aufenthaltsort und Beschäftigungsort nicht beide im Ausland bzw Inland, so sind die Gründe, weshalb Aufenthaltsort (noch im Ausland) und der Beschäftigungsort (schon im Inland) auseinanderfallen, unerheblich. Dies ist eine notwendige Folge des Territorialitätsprinzips, das der Anrechnung von Kindererziehungszeiten zugrunde liegt. Dieses Prinzip wird nur durchbrochen, soweit beim Erziehenden oder dessen Ehegatten ein Entsendungsfall vorliegt, und ein gewöhnlicher Aufenthalt im Ausland angenommen wurde. Primärer Anknüpfungspunkt ist aber weiterhin der Aufenthalts- und Erziehungsort. Bei einem gewöhnlichen Aufenthalt des Erziehenden im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland und Beschäftigung im Ausland (des Erziehenden oder des Ehegatten) ist deshalb allein wegen des Aufenthaltsortes im Inland eine Kindererziehungszeit anrechenbar. Dann ist es nur folgerichtig, daß bei Aufenthaltsort im Ausland und Beschäftigungsort im Inland der Aufenthaltsort im Ausland das entscheidende Anknüpfungskriterium für die Nichtanrechenbarkeit einer Kindererziehungszeit ist.

Die Kindererziehungszeit kann auch nicht nach überstaatlichen Vorschriften angerechnet werden. Insoweit kommen allein Vorschriften des EG-Rechts in Betracht. Die Voraussetzungen, unter denen nach Anhang VI C Nr 19 der EWG-Verordnung 1408/71 die Anrechnung einer Kindererziehungszeit bei Aufenthalt im EG-Ausland über § 56 SGB VI hinaus in Betracht kommt, sind hier nicht gegeben. Die Klägerin unterlag weder einem Beschäftigungsverbot nach § 6 Mutterschutzgesetz noch hatte sie Erziehungsurlaub nach § 15 Bundeserziehungsgeldgesetz.

§ 56 Abs 3 Satz 2 und 3 SGB VI verstoßen auch nicht gegen höherrangige Vorschriften, soweit sie die Anrechnung von Kindererziehungszeiten während des gewöhnlichen Aufenthalts im Ausland von den dort genannten Voraussetzungen abhängig machen. Soweit das Gesetz die Anrechnung von Kindererziehungszeiten nach dem Territorialitätsprinzip regelt und beschränkt, ist dies nicht verfassungswidrig, insbesondere verstößt dies nicht gegen Art 3 GG. Dies hat das BSG bereits mehrfach entschieden (BSGE 63, 282 = SozR 2200 § 1251a Nr 2; SozR 3-2200 § 1251a Nr 11). Der Ausschluß der Anrechnung von Kindererziehungszeiten bei Auslandsaufenthalt in einem EG-Staat verstößt auch nicht gegen Vorschriften des EWG-Vertrages. Auch dies hat das BSG bereits mehrfach entschieden (Urteil vom 25. April 1990 – 4 RA 48/89 – SozSich 1991, 30 f – und SozR 3-2200 § 1251a Nr 20).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1174126

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