Entscheidungsstichwort (Thema)

Begriff des "überwiegenden Unterhalts". Änderungs- und Widerrufsvorbehalte in begünstigenden Verwaltungsakten

 

Leitsatz (amtlich)

Der Versicherungsträger, der das Übergangsgeld vor Beginn der Wiederherstellungsmaßnahmen festsetzt, darf sich für den Fall einer bis zu diesem Zeitpunkt eintretenden Änderung in der Zahl oder im Einkommen der unterhaltenen Familienangehörigen die Änderung seiner Leistungszusage vorbehalten.

 

Leitsatz (redaktionell)

Zum Begriff des "überwiegenden Unterhalts" - Änderungs- und Widerrufsvorbehalte in begünstigenden Verwaltungsakten:

1. Ein Versicherter, der ohne weitere Angehörige mit seinem Ehegatten einen gemeinsamen Haushalt führt, hat den Ehegatten nur dann überwiegend unterhalten, wenn sein Beitrag zum gemeinsamen Haushalt nach Abzug der Hälfte des gesamten Unterhaltsbedarfs größer ist als der Beitrag des anderen Ehegatten.

2. Den Sozialversicherungsträgern ist zwar nicht gestattet, sich bei Erlaß von begünstigenden Verwaltungsakten durch den Vorbehalt eines Widerrufs oder einer Änderung gegen mögliche Fehler ihrer Entscheidung abzusichern; es ist ihnen aber nicht verwehrt, in den Verwaltungsakt dann einen Änderungsvorbehalt aufzunehmen, wenn das Ausmaß der Leistungszusage von künftigen Entwicklungen abhängig ist.

 

Normenkette

RVO § 1241 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1957-02-23; SGG § 77 Fassung: 1953-09-03

 

Tenor

Das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt (Main) vom 26. April 1968 wird aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Die Beklagte bewilligte dem Kläger eine stationäre Heilbehandlung und sagte ihm - zwei Monate vor deren Beginn - für jeden Tag der Behandlung ein Übergangsgeld von 20,40 DM sowie ein Taschengeld von 1,- DM, ferner für die im Anschluß an die Kur vorauszusehende Arbeitsruhe ein Schongeld von 21,90 DM zu. Sie gab gleichzeitig dem Kläger auf, jede Änderung seiner Familienverhältnisse oder des Einkommens seiner Familienangehörigen anzuzeigen, weil dann Übergangs- und Schongeld neu berechnet werden müßten.

Wenige Tage vor Anfang der Kur - am 23. August 1967-teilte der Kläger mit, daß seine Frau - andere Angehörige scheiden als Unterhaltsempfänger aus - im Vormonat eine Beschäftigung aufgenommen habe und einen gleichbleibenden wöchentlichen Nettolohn von 65,- DM (monatlich 278,40 DM) erhalte. Er selbst hatte zu der Zeit ein monatliches Arbeitseinkommen von netto 696,89 DM. Bei diesen Einkünften nahm die Beklagte an, daß die Ehefrau des Klägers nicht - wie es § 1241 Abs. 2 Satz 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) voraussetzt - überwiegend von ihm unterhalten worden sei; ihr Einkommen habe nämlich die Hälfte der halben Gesamteinnahmen überschritten. Die Beklagte minderte mit Bescheid vom 24. August 1967 das Übergangsgeld auf 10,50 DM und das Schongeld auf 18,80 DM je Tag.

Der gegen die Herabsetzung der Leistungen gerichteten Klage hat das Sozialgericht (SG) stattgegeben. Es hat angenommen, der Kläger habe darauf vertrauen dürfen, daß die einmal festgesetzten Leistungen nicht mehr geändert werden würden. - Das SG hat die Berufung zugelassen.

Die Beklagte hat Sprungrevision eingelegt. Sie beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen. Sie habe, so hat sie ausgeführt, sich die Neuberechnung der Bezüge für den Fall veränderter Familien- oder Einkommensverhältnisse zulässigerweise vorbehalten. Deshalb sei sie zu einer Änderung ihrer ursprünglichen Zusage berechtigt gewesen.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Die Revision ist begründet.

Die Beklagte hat sich die Neuberechnung des Übergangsgeldes und des Schongeldes wirksam für den Fall einer Änderung der zugrunde liegenden Verhältnisse vorbehalten. Dem Kläger war bei der ersten Festsetzung der künftigen Bezüge bekanntgegeben worden, daß die Zahl und das Einkommen seiner Familienangehörigen für die Höhe der Leistungen erheblich waren und daß er nur bei gleichbleibenden Tatsachen mit den festgesetzten Beträgen werde rechnen können.

Der damit ausgesprochene Änderungsvorbehalt war zulässig. Zwar hatte der Kläger für die Zeit der Gesundheitsmaßnahmen einen Anspruch auf die Gewährung von Übergangsgeld (§ 1241 Abs. 1 Satz 1 RVO). Es war jedoch der Beklagten nicht verwehrt, die Leistungen mit der erwähnten Einschränkung zu bewilligen. Denn auch in einen Verwaltungsakt, auf dessen Erlaß der einzelne ein subjektives Recht hat, kann dann eine einschränkende Nebenbestimmung rechtswirksam aufgenommen werden, wenn dadurch lediglich sichergestellt wird, daß die rechtlichen Voraussetzungen des Verwaltungsakts erfüllt werden (dazu H. J. Wolff, Verwaltungsrecht I, 7. Aufl. 1968 § 49 II). Dadurch versucht die Verwaltung nicht, sich durch den Vorbehalt eines Widerrufs oder einer Änderung gegen mögliche Fehler ihrer Entscheidung abzusichern.

Das wäre ihr nicht gestattet. Sie vermag aber auf diese Weise solchen künftigen ungewissen Umständen Rechnung zu tragen, welche für den Fortbestand und das Ausmaß einer Leistungszusage maßgebend sind (vgl. BGH RzW 1969, 208; ferner BSG 20, 287). Die Befugnis zu einem solchen Handeln muß der Verwaltung zustehen, wenn sie Verwaltungsakte im Vorgriff auf eine entwicklungsfähige, von ihr nicht vorauszuerkennende Sach- und Rechtslage zu erlassen hat. So ist es in den Fällen des § 1241 RVO. Die Belange der durch Wiederherstellungsmaßnahmen Betreuten gebieten es, daß die Verwaltung mit der Festsetzung des Übergangsgeldes nicht bis zu dem Zeitpunkt wartet, der für die Rechtsanwendung maßgeblich ist, nämlich bis zum Beginn dieser Maßnahmen. Die Verwaltung muß bereits vorher die Höhe der Bezüge bekanntgeben, weil nur dann die Betreffenden sich auf die bevorstehende wirtschaftliche Situation einrichten können und weil nur so eine pünktliche Auszahlung des Übergangsgeldes gewährleistet werden kann. Der Betreffende wird auch nicht von einer Rücknahme oder Teilrücknahme des ihm erteilten Leistungsversprechens überrascht. Er ist davon unterrichtet, daß eine günstigere Entwicklung der Wirtschaftslage seiner Familie den Umfang der ihm zugestandenen Geldleistungen beeinflussen kann. Wenn die Versicherungsträger sich in Anbetracht dieser Interessenlage eine - abgegrenzte - Änderung ihrer Entscheidungen offenhalten, so haben sie damit eine Rechtsgestaltung gefunden und getroffen, die sachgerecht ist. Gegen sie können keine rechtlichen Bedenken erhoben werden.

Ob der Änderungsvorbehalt befristet gilt und ob Tatsachen, die "nach Beginn der Maßnahmen" (§ 1241 Abs. 2 RVO) eintreten, nicht beachtet werden dürfen, ist hier nicht zu entscheiden. Ein Sachstand, der sich vor Beginn der Rehabilitationsmaßnahmen, wenn auch nach Festsetzung der zu erwartenden Bezüge entwickelte und vom Versicherungsträger nicht vorausgesehen werden mußte, ist auch nachher zu berücksichtigen; dies jedenfalls dann, wenn auf eine solche Möglichkeit von vornherein hingewiesen worden ist. Für eine starre zeitliche Zäsur in bezug auf die vorbehaltene Änderung bietet das Gesetz keine Handhabe. Unabhängig von dem Beginn der Maßnahmen ist dem Versicherungsträger für ein Tätigwerden in dem hier besprochenen Sinne eine angemessene Zeit nach Kenntnisnahme von der neuen Tatsachenentwicklung einzuräumen. Diese Frist ist im gegenwärtigen Streitfalle, in dem der Versicherungsträger sogleich tätig wurde, nicht überschritten.

Richtig ist, daß der Kläger seine Ehefrau in der fraglichen Zeit nicht überwiegend unterhalten hat. Sie trug aus eigenen Einkünften mehr als die Hälfte zu dem auf sie entfallenden Anteil am Gesamtaufwand der Familie bei. Dem Zweipersonen-Haushalt standen im Monat insgesamt 696,89 DM + 278,40 DM = 975,29 DM zur Verfügung. Davon diente mangels besonderer Umstände die Hälfte, also 487,65 DM, jedem Ehegatten. Dieser Betrag wurde mit 278,40 DM aus Mitteln der Frau und damit zu mehr als 50 v. H. ausgeglichen. Diese Berechnungsweise hat die Beklagte zu Recht angestellt. Sie befindet sich in Übereinstimmung mit den Richtlinien, die in der Rechtsprechung zu dem Begriff der überwiegenden Unterhaltsgewährung erarbeitet worden sind (BSG SozR Nr. 14 zu § 1241 RVO; BSG 25, 157).

Hiernach erweist sich die angegriffene Verwaltungsentscheidung als zutreffend. Das angefochtene Urteil muß dagegen aufgehoben werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 124

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