Beteiligte

Kläger und Revisionskläger

Beklagte und Revisionsbeklagte

 

Tatbestand

I.

Der Kläger erlitt am 30. September 1964 einen Unfall, den er erst im Jahre 1972 der Beklagten meldete. Die Beklagte erkannte diesen Unfall als Arbeitsunfall an und zahlte dem Kläger Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 50 v.H.

Die private Unfallversicherung (UV) des Klägers hatte wegen der Ansprüche aus dem Unfall vom 30. September 1964 den Kläger im Dezember 1965 aufgefordert, sich in Mainz einer Begutachtung zu unterziehen. Auf dem Weg zu einer hierfür vorgesehenen Untersuchung verunglückte der Kläger am 14. März 1966.

Auf eine Mitteilung und Anfrage des Klägers vom 15. März 1966 bezüglich dieses Unfalles antwortete die Beklagte am 3. Mai 1966 u.a., daß Entschädigungsansprüche an die gesetzliche UV unbegründet seien. Am 22. Dezember 1976 erteilte sie aufgrund eines Vergleiches in der Streitsache betreffend den Unfall aus dem Jahre 1964 den nunmehr angefochtenen Bescheid, mit welchem sie Leistungen mit der Begründung ablehnte, die Aufforderung zur Untersuchung am 14. März 1966 sei von der privaten Versicherung des Klägers und nicht von ihr oder entsprechenden anderen Stellen ausgegangen, so daß die Voraussetzungen des § 555 Abs. 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) nicht erfüllt seien.

Das Sozialgericht (SG) hat die Klage gegen diesen Bescheid durch Urteil vom 18. Mai 1977 abgewiesen. Zum einen, so heißt es in den Urteilsgründen, sei das Schreiben der Beklagten vom 3. Mai 1966 in Rechtskraft erwachsen; zum anderen sei die Fahrt zur Untersuchung, bei welcher sich der fragliche Unfall ereignete, nicht von der Beklagten, sondern von der A…- Versicherung ohne Wissen der Beklagten veranlaßt worden. Die Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben (Urteil vom 24. Oktober 1979). Zwar sei eine Bindungswirkung des Schreibens der Beklagten vom 3. Mai 1966 aus formalen Gründen nicht eingetreten. Jedoch habe die Beklagte am 22. Dezember 1976 zutreffend entschieden, daß eine Entschädigung wegen der Folgen des zweiten Unfalles nicht zu zahlen sei, weil die Anordnung zur Untersuchung von Unfallfolgen den Voraussetzungen des § 555 RVO dann nicht genüge, wenn diese Anordnung von privaten Stellen oder Ärzten außerhalb der Einflußsphäre des Trägers der gesetzlichen UV ausgehe.

Mit der zugelassenen Revision rügt der Kläger eine zu enge Auslegung des § 555 RVO. Diese Vorschrift verlange lediglich eine Anordnung gegenüber dem Verletzten, welche den Interessen des UV-Trägers unmittelbar entspreche. Die am Unfalltage durchgeführten Untersuchungen seien zur Aufklärung des medizinischen Sachverhalts notwendig gewesen. Die Beklagte hätte sich auf ein für sie günstiges Untersuchungsergebnis mit Sicherheit berufen und es auch verwertet.

Der Kläger beantragt, das Urteil des SG Frankfurt vom 18. Mai 1977 sowie das Urteil des Hessischen LSG vom 24. Oktober 1979 und den Bescheid der Beklagten vom 22. Dezember 1976 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, den Unfall vom 14. März 1966 als Folge des Unfalles vom 30. September 1964 zu entschädigen.

Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Nach ihrer Auffassung findet die erweiterte Auslegung, des § 555 RVO durch den Kläger im Gesetz keine Stütze. Das Bundessozialgericht (BSG) habe dies in seinem Urteil vom 15. Mai 1974 - 8/7 RU 5/72 - bereits zum Ausdruck gebracht.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision des Klägers ist nicht begründet.

Das LSG hat zu Recht ausschließlich die Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 22. Dezember 1976 überprüft. Das Schreiben der Beklagten vom 3. Mai 1966 war kein Verwaltungsakt. Die Beklagte reagierte mit diesem Schreiben auf die Mitteilung und Anfrage des Klägers vom 15. März 1966. Der Kläger hatte wissen wollen, ob "ich in diesem Fall versichert" war und "wenn ja", um die Übersendung von Formularen gebeten. Demgemäß enthält das Schreiben der Beklagten vom 3. Mai 1966 die Mitteilung, daß der Unfall am 14. März 1966 nach der Darstellung des Klägers "mit Ihrer beruflichen Tätigkeit nicht im ursächlichen Zusammenhang" stehe und Entschädigungsansprüche demgemäß "unbegründet" seien. Die Beklagte erteilte folglich mit ihrem Schreiben vom 3. Mai 1966 die nach dem Vorbringen und Wunsch des Klägers für richtig und notwendig gehaltene Auskunft. Eine Regelung eines Versicherungsverhältnisses wollte sie nicht vornehmen, zumal auch der Kläger einen Bescheid noch gar nicht erwirken wollte. Hierzu wollte er erkennbar erst nach für ihn günstiger Auskunft formularmäßig die erforderlichen Erklärungen abgeben. Da das Schreiben vom 3. Mai 1966 demgemäß keine Regelung bezüglich der Ansprüche des Klägers wegen der Folgen des Unfalles am 14. März 1966 traf, ist es auch kein Verwaltungsakt. Der angefochtene Bescheid vom 22. Dezember 1976 enthält demgemäß die erste dem Kläger zugegangene Entscheidung über diesen Unfall. Allein auf seine Rechtmäßigkeit kommt es an.

Der Bescheid vom 22. Dezember 1976 ist aus den Gründen, welche das LSG bereits im einzelnen dargelegt hat, nicht zu beanstanden.

Rechtsgrundlage ist § 555 RVO in der bis zur Neufassung durch das Rehabilitations-Angleichungsgesetz (RehaÄngIG) vom 7. August 1974 geltenden Fassung des Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetzes vom 30. April 1963 (BGBl. I S. 241). Danach galt als (weitere) Folge eines Arbeitsunfalles auch ein Unfall, den der Verletzte u.a. auf einem wegen des Arbeitsunfalles zur Aufklärung des Sachverhaltes angeordneten Untersuchung notwendigen Wege erlitt. Diese Vorschrift ist auf Vorschlag des Bundesrates (BT-Drucks. 11/3318 S. 10 und 120) zur Beseitigung "beachtlicher Härten" in das Gesetz aufgenommen worden. Die in des Entwurf der CDU/CSU-Fraktion, in welcher der Vorschlag übernommen wurde, gegebene Begründung (BT-Drucks. IV/120 S. 55) gibt keinen weiteren Aufschluß für die in diesem Verfahren allein interessierende Frage, wann eine zur Aufklärung des Sachverhalts vorgenommene Untersuchung von der zuständigen Stelle "angeordnet" worden ist.

Der Senat braucht aus Anlaß des vorliegenden Falles nicht zu entscheiden, ob die Anordnung der UV-Träger zu treffen hat oder ob sie auch z.B. von dem Durchgangsarzt, Beratungs-, Facharzt, Gewerbearzt oder vom Sozialgericht ergehen kann (s. Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 1. - 9. Aufl., S., 488 i; Lauterbach, Gesetzliche Unfallversicherung, 3. Aufl., § 555 Anm. 9 Buchst c; Plagemann/Plagemann, Gesetzliche Unfallversicherung, 1981 9 S. 57, Rdnr. 114; Podzun, Der Unfallsachbearbeiter. 3. Aufl., Kennzahl 090, S. 2 b). Eine Anordnung im Sinne des § 555 RVO muß jedenfalls "wegen des Arbeitsunfalles" zur Aufklärung des Sachverhalts erfolgen. Eine Anordnung im Sinne dieser Vorschrift liegt deshalb nur dann vor, wenn sie die Aufklärung des Sachverhalts zur Entscheidung darüber bezweckt, ob ein Arbeitsunfall vorliegt oder welche Folgen ein Arbeitsunfall hat. Insoweit hat aber für die Fahrt des Klägers nach Mainz am 14. März 1966 überhaupt keine Anordnung im Zusammenhang mit der Aufklärung des Sachverhalts darüber vorgelegen, ob der Unfall des Klägers am 30. September 1964 ein Arbeitsunfall war. Vielmehr hat die Fahrt der Feststellung der Leistungspflicht des privaten Unfallversicherers gedient. Die Fahrt nach Mainz am 14. März 1966 erfolgte in einem Zeitpunkt, in dem der Beklagten der Unfall des Klägers vom 30. September 1964 überhaupt noch nicht bekannt war und weder von der Beklagten noch einer anderen Stelle das Vorliegen eines Arbeitsunfalles geprüft wurde. Das BSG hat bereits in seinem Urteil vom 15. Mai 1974 (8/7 RU 5/72) einen Versicherungsschutz nach § 555 RVO verneint, weil der verstorbene Ehemann der damaligen Klägerin von seinem behandelnden Arzt in das Krankenhaus eingewiesen worden war und sich der Verdacht auf das Vorliegen einer Berufskrankheit erst nach der Untersuchung im Krankenhaus herausgestellt hatte (ebenso Brackmann aaO). Der 8. Senat des BSG hat es demnach ebenfalls als entscheidend angesehen, daß die Einweisung des Versicherten in das Krankenhaus nicht die Aufklärung des Sachverhalts bezweckte, ob eine Berufskrankheit vorlag, oder nicht. Der 8. Senat hat außerdem darauf hingewiesen, daß es sich bei der Einweisung des Versicherten um eine Maßnahme eines Arztes handelte, die jeder Einflußmöglichkeit des UV-Trägers entzogen war. Dies trifft auch hier zu.

Entgegen der Auffassung des Klägers sind die Voraussetzungen des § 555 RVO, insoweit nicht schon dann erfüllt, wenn die Ergebnisse einer von einem privaten Unfallversicherer veranlaßten Untersuchung zur Feststellung seiner Leistungspflicht für den Träger der gesetzlichen UV objektiv nützlich und verwertbar sind. Dies folgt, wie bereits dargelegt, schon aus dem Wortlaut der Norm. Danach muß die Anordnung der Untersuchung "wegen des Arbeitsunfalles zur Aufklärung des Sachverhalts" erfolgt sein. Wollte man die objektive Nützlichkeit und Verwertbarkeit des Ergebnisses bei der Entscheidung über das Vorliegen des Arbeitsunfalles als das hier entscheidende Kriterium ansehen, würde dies letztlich dazu führen, daß auch bei einer ohne jede Anordnung durchgeführten Maßnahme nachträglich - der Versicherungsschutz anzunehmen wäre; sofern sie sich für die Entscheidung des UV-Trägers als nützlich und verwertbar erweist. Eine Anordnung ist jedoch Voraussetzung des Versicherungsschutzes nach § 555 - letzte Alternative - RVO. Deshalb kann eine Untersuchung, mag sie für die Entscheidung des UV-Trägers über das Vorliegen eines Arbeitsunfalles später noch so wesentlich sein, den Versicherungsschutz im Sinne dieser Vorschrift nicht zu begründen, wenn sie nicht auf einer Anordnung beruht. Schließlich entspricht es auch Sinn und Zweck des § 555 RVO, den Versicherungsschutz nicht auf Untersuchungen zu erstrecken, die zur Klärung von Ansprüchen gegen private Unfallversicherer durchgeführt werden.

Die Revision konnte demnach keinen Erfolg haben; sie war zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.

 

Fundstellen

Haufe-Index 518530

BSGE, 16

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