Leitsatz (amtlich)

Der Träger der Unfallversicherung ist zwar nach BKVO § 3 Abs 2 - wenn die dort genannten Voraussetzungen vorliegen - verpflichtet, eine Übergangsleistung zu zahlen, er hat jedoch einen Ermessensspielraum dahin, ob er einen einmaligen Betrag oder eine monatlich wiederkehrende Geldleistung gewähren will, außerdem hat er nach seinem pflichtgemäßen Ermessen über die Höhe und Dauer der wiederkehrenden Geldleistung zu entscheiden.

Im Rahmen dieses Ermessens liegt es, wenn der Träger der Unfallversicherung hinsichtlich der Höhe der monatlich wiederkehrenden Zahlung eine Staffelung nach Fünfteln (1. Jahr 5/5, 2. Jahr 4/5 usw des Minderverdienstes) vornimmt. Er muß jedoch in jedem Fall und laufend prüfen, ob nicht besondere Umstände eine andere Beurteilung gebieten.

 

Normenkette

SGG § 54 Abs. 2 S. 2 Fassung: 1953-09-03; BKVO 7 § 3 Abs. 2 Fassung: 1968-06-20

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 10. Mai 1972 wird zurückgewiesen.

Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Die Beteiligten streiten darüber, inwieweit der durch den Arbeitsplatzwechsel des Klägers eingetretene Minderverdienst von der beklagten Berufsgenossenschaft auszugleichen ist.

Der jetzt 51jährige Kläger leidet an einer durch die Berufstätigkeit als Pechaufwärmer in den Jahren 1953 bis 1968 verursachten Hauterkrankung i. S. von Nr. 46 der Anlage zur 7. Berufskrankheiten-Verordnung (BKVO), die ihn dazu zwang, die genannte Tätigkeit aufzugeben und zunächst in der Gießerei und danach als Badewärter zu arbeiten.

Die Beklagte bewilligte dem Kläger mit Bescheid vom 28. Juli 1969 ab 8. Juli 1968 bis auf weiteres, jedoch nicht über den 7. Juli 1973 hinaus, zum teilweisen Ausgleich der durch die Aufgabe der früheren Beschäftigung verursachten Minderung des Verdienstes gemäß § 3 Abs. 2 der 7. BKVO eine "jederzeit widerrufliche Übergangsrente", die im ersten Jahr 5/5 des gerundet mit 109,90 DM festgestellten Minderverdienstes gezahlt werden sollte. Im zweiten Jahr sollte die Übergangsrente 4/5, im dritten Jahr 3/5, im vierten Jahr 2/5 und im fünften Jahr 1/5 der Rente des ersten Jahres betragen. Der Minderverdienst wurde im August 1969 mit nur noch 59,91 DM errechnet. Der Widerspruch (vgl. Bescheid vom 27. Mai 1970) blieb erfolglos, ebenso Klage und Berufung.

Das Landessozialgericht (LSG) hat zur Begründung seiner Entscheidung, mit der auch die Klage gegen die späteren Bescheide vom 27. August 1969, 18. Dezember 1969, 29. Juli 1970 und 4. Oktober 1971 abgewiesen worden ist, u. a. ausgeführt, die Beklagte habe bei der Festsetzung der Übergangsleistung nicht ermessensfehlerhaft gehandelt. Der Kläger, der am selben Wohnort und im selben Betrieb weiter tätig geworden sei, könne keinen vollen Ausgleich seines Minderverdienstes beanspruchen. Das LSG verwies dazu auf die Entscheidung in BSG 19, 157, 159, 160.

Gegen dieses Urteil hat der Kläger Revision eingelegt und sie damit begründet, daß es sich bei der Entscheidung über die Übergangsleistung nicht mehr um eine Ermessensleistung wie früher handele; der Versicherungsträger müsse bei seiner Entschließung über die Höhe der Übergangsleistungen von dem tatsächlich bestehenden Einkommensunterschied ausgehen. Die Staffelung nach Fünfteln entsprechend der Empfehlung des Hauptverbandes der gewerblichen Berufsgenossenschaften sei sachfremd.

Der Kläger beantragt,

die angefochtene Entscheidung, das Urteil des Sozialgerichts München vom 3. November 1970 sowie die Bescheide der Beklagten vom 28. Juli 1969 sowie 27. Mai 1970 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, seinen Minderverdienst während der Zeit vom 8. Juli 1968 bis Juli 1973 in voller Höhe gemäß § 3 Abs. 2 der 7. BKVO auszugleichen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält die Entschließung über die Gewährung einer Übergangsleistung für eine Ermessensentscheidung. Die Staffelung diene nicht erzieherischen Interessen, wie die Revision meine, vielmehr solle dem Versicherten damit der Übergang in die neuen Lebens- und Lohnverhältnisse erleichtert werden.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).

II

Die Revision ist nicht begründet.

Gemäß § 3 Abs. 2 der 7. BKVO vom 20. Juni 1968 (BGBl I 721) hat der Träger der Unfallversicherung dann, wenn der Versicherte die Tätigkeit einstellt, weil die Gefahr der Entstehung einer Berufskrankheit nicht zu beseitigen ist, zum Ausgleich hierdurch verursachter Minderung des Verdienstes oder sonstiger wirtschaftlicher Nachteile eine Übergangsleistung zu gewähren. Als Übergangsleistung wird ein einmaliger Betrag "bis zur Höhe" der Jahresvollrente oder eine monatlich wiederkehrende Zahlung "bis zur Höhe" der Vollrente, längstens für die Dauer von fünf Jahren, gewährt. Dieser Wortlaut läßt erkennen, daß die Beklagte zwar verpflichtet ist, eine Übergangsleistung zu gewähren, daß deren Höhe und z. T. auch Dauer jedoch im pflichtgemäßen Ermessen des Trägers der Unfallversicherung steht. Denn die Vorschrift bestimmt nicht, daß ein Ausgleich "in Höhe" des Minderverdienstes zu gewähren ist, vielmehr ist der zu zahlende Betrag der Höhe nach nicht irgendwie bestimmt mit der einzigen Ausnahme, daß er den Betrag der Vollrente nicht überschreiten darf. Hinsichtlich der Dauer ist gesagt, daß die Leistung "längstens" für die Dauer von fünf Jahren gewährt wird.

Dies steht auch im Einklang mit der Rechtsprechung des 2. Senats in seinem Urteil vom 29. Mai 1963 (BSG 19, 157, 159 ff). Das Bundessozialgericht (BSG) hat in dieser Entscheidung ausgeführt, daß der Versicherungsträger bei seiner Entschließung über die Höhe der Übergangsleistungen von dem tatsächlich bestehenden Einkommensunterschied ausgehen muß, daß er dabei nicht die Rente abziehen darf, die der Versicherte wegen der durch die Berufskrankheit verursachten Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) erhält. Er hat weiter dargelegt, daß die Entschließungsfreiheit des Versicherungsträgers auch insofern eingeengt ist, als § 5 der 3. BKVO (vom 16. Dezember 1936 - RGBl I 1117 -) bestimmt, daß der Versicherungsträger die dort genannten Maßnahmen "durchführen soll", daß aber die genannte Bestimmung, von der Obergrenze für Übergangsrente und Übergangsgeld abgesehen, keine Vorschriften enthalte, die das Ermessen des Versicherungsträgers bei der Festsetzung der Höhe der Übergangsrente oder des Übergangsgeldes zwingend einengen. Die Worte "zum Ausgleich einer hierdurch verursachten Minderung seines Verdienstes oder sonstiger wirtschaftlicher Nachteile" könnten zwar dahin ausgelegt werden, daß beim Fehlen derartiger Nachteile keine Übergangsrente zu gewähren sei, aus ihnen lasse sich aber kein Anspruch auf einen vollständigen "Ausgleich" innerhalb des durch die Obergrenzen gezogenen Rahmens herleiten. Der Versicherungsträger habe vielmehr nicht nur die Wahl zwischen Übergangsrente und Übergangsgeld, er habe auch nach pflichtgemäßem Ermessen über die Höhe und Dauer der Geldleistungen zu entscheiden.

Diese Entscheidung ist zwar, wie bereits erwähnt, zu § 5 der 3. BKVO ("soll ... gewähren") ergangen, der vorgenannte Grundsatz gilt aber auch für § 3 Abs. 2 der 7. BKVO. Zwar ist die Soll-Leistung des § 5 Abs. 1 der 3. BKVO zu einer Pflichtleistung in § 3 Abs. 2 der 7. BKVO geworden ("hat ... zu gewähren"). Im übrigen entspricht der Text in § 5 Abs. 1 der 3. BKVO dem Wortlaut in § 3 Abs. 2 der 7. BKVO, soweit es dort heißt, daß die Übergangsrente, d. h. die monatlich wiederkehrenden Zahlungen, "bis zur Höhe" eines bestimmten Betrages der Vollrente zu gewähren sind. Damit ist dem Versicherungsträger insoweit nach wie vor ein Ermessensspielraum eingeräumt.

§ 3 Abs. 2 der 7. BKVO ist also dahin auszulegen, daß der Versicherungsträger, wenn die in der genannten Bestimmung erwähnten Voraussetzungen vorliegen, verpflichtet ist, eine Übergangsleistung zu gewähren. Der Versicherungsträger hat aber die Wahl, ob er einen einmaligen Betrag zahlen will oder eine monatlich wiederkehrende Leistung; zum anderen hat er nach seinem pflichtgemäßen Ermessen über die Höhe und Dauer der Wiederkehrenden Geldleistung - die Dauer dieser Geldleistung ist auf fünf Jahre beschränkt (§ 3 Abs. 2 Satz 2 letzter Halbs. der 7. BKVO) - zu entscheiden. Bei der Ausübung dieses Ermessens ist er allerdings insoweit gebunden, als er bei der Berechnung der Minderung des Verdienstes nicht nur den tatsächlichen Einkommensunterschied rechnerisch berücksichtigen oder zB eine Rente nicht von vornherein "abziehen" darf, auf die der Verletzte wegen der durch die Berufskrankheit verursachten MdE auch ohne Vorliegen des konkreten wirtschaftlichen Nachteils Anspruch hat (vgl. jetzt § 3 Abs. 3 der 7. BKVO und BSG 19, 157, 159). Er muß vielmehr bei seiner Entschließung über die Höhe der Übergangsleistung von dem tatsächlich bestehenden Einkommensunterschied ausgehen. Er hat weiter auch sonstige wirtschaftliche Nachteile, die der Erkrankte durch den Arbeitsplatzwechsel erlitten hat, zu beachten. Tut er dieses nicht, so geht er bei der Ausübung seines Ermessens von einer fehlerhaften Grundlage aus, die vom Gericht voll auf ihre Richtigkeit überprüfbar ist. Daß die Beklagte insoweit von unzutreffenden Voraussetzungen ausgegangen sei, ist jedoch nicht dargetan oder ersichtlich.

Es liegt auch noch im Rahmen des der Beklagten eingeräumten und vom Gericht nur nach § 54 Abs. 2 Satz 2 SGG überprüfbaren Ermessens, wenn sie hinsichtlich der Höhe der Übergangsleistung eine Staffelung in der Art vornimmt, daß sie für die fünfjährige Bezugsdauer der dem Kläger zugestandenen Übergangsrente nur im ersten Bezugsjahr einen vollen Ausgleich des Minderverdienstes vornimmt und diesen in den darauf folgenden Jahren jeweils um 1/5 kürzt. Die Beklagte hat für diese Regelung zur Begründung ausgeführt, die allgemein geübte Staffelung solle dem Versicherten den Übergang in die neuen Lebens- und Lohnverhältnisse erleichtern, weil sonst eine erhebliche, von dem Versicherten möglicherweise nur schwer in zumutbarer Zeit zu überwindende, plötzliche wirtschaftliche Zäsur eintreten würde. Diese Staffelung sei dazu geeignet, die Anpassung an den eines Tages unvermeidbar eintretenden Wegfall der Übergangsrente zu erleichtern. Damit hat die Beklagte den Sinn dieser "Übergangs"-Leistung zutreffend erkannt (vgl. BSG in SozR Nr. 1 zu § 5 der 3. BKVO). Diese Begründung der Beklagten läßt deshalb nicht erkennen, daß sie in grundsätzlicher Hinsicht die gesetzlichen Grenzen ihres Ermessens überschritten oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat. Es ist auch nicht gerechtfertigt, eine solche Staffelung von vornherein als zur Erfüllung des vom Gesetz verfolgten Zwecks - Gewährung eines gewissen Ausgleichs für wirtschaftliche Nachteile, die mit der Aufgabe der gefährdenden Beschäftigung verbunden sind - als zu schematisch und daher als unzureichend zu bezeichnen (vgl. BSG in SozR Nr. 1 zu § 5 der 3. BKVO). Allerdings haben die Träger der Unfallversicherung, wenn sie eine solche Staffelung vornehmen und jahrelang aufrechterhalten, in jedem Fall und laufend zu prüfen, ob nicht besondere Umstände eine andere Beurteilung bzw. ein Abgehen von der sonst gerechtfertigten allgemeinen Praxis gebieten. Nach den mit der Revision nicht angegriffenen Feststellungen des LSG liegen hier jedoch keine besonderen Umstände wie etwa eine unverschuldete beträchtliche Erhöhung des Mindereinkommens im Lauf der fünf Jahre oder dergleichen vor. Auch hat die Revision in dieser Hinsicht nichts vorgetragen. Aus den vom LSG mit überprüften weiteren Bescheiden der Beklagten ergibt sich, daß der Minderverdienst in der späteren Zeit immer unter 100 DM monatlich geblieben ist. Die von der Beklagten vorgenommene Fünftelung ist daher unter den Umständen des vorliegenden Falls nicht zu beanstanden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1668815

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