Entscheidungsstichwort (Thema)

Begriff "Beitragszeiten" und Vollanrechnung

 

Leitsatz (amtlich)

Zur Frage des Nachweises von Beitragszeiten, wenn von einer Behörde der Volksrepublik Rumänien Anstellungszeiten bescheinigt sind.

 

Leitsatz (redaktionell)

Als Beitragszeiten iS von § 15 FRG können nur solche Zeiten in Betracht kommen, für die ein irgendwie geartetes Beitragsaufkommen im Herkunftsland vorliegt. Beitragslose Zeiten, die nach innerstaatlichem Recht den Ersatz- und Ausfallzeiten gleichstehen, haben nicht den Charakter von Beitragszeiten.

 

Normenkette

VuVO § 11 Abs. 2 Fassung: 1960-03-03, § 4; FRG § 15 Abs. 1 Fassung: 1960-02-25, § 19 Abs. 2 Fassung: 1965-06-09

 

Verfahrensgang

Hessisches LSG (Entscheidung vom 30.07.1981; Aktenzeichen L 6 An 615/80)

SG Gießen (Entscheidung vom 16.04.1980; Aktenzeichen S 1 An 160/78)

 

Tatbestand

Streitig ist, inwieweit die Beklagte nach § 11 Abs 2 der Versicherungsunterlagen-Verordnung (VuVO) iVm dem Fremdrentengesetz (FRG) Versicherungsunterlagen für den Kläger herstellen muß.

Der 1929 geborene rumäniendeutsche Kläger siedelte 1977 nach Deutschland über; er ist als Vertriebener anerkannt. In einer (in beglaubigter Übersetzung vorliegenden) "Bestätigung" Nr 2419 vom 30. November 1977 hat der Volksrat des Kreises H /Rumänien, jeweils unter Angabe des "Arbeitsplatzes" (Arbeitgebers) und der "Funktion", bescheinigt, daß der Kläger in folgenden Zeitabschnitten "angestellt" war: Vom 15. Januar 1949 bis 28. Mai 1949, vom 1. Juni 1949 bis 31. Dezember 1949, vom 3. Februar 1950 bis 31. Mai 1950, vom 8. Oktober 1956 bis 22. Februar 1977. Diese Zeiten vermerkte die Beklagte als "Beitragszeiten nach § 15 FRG mit Kürzung auf 5/6"; die Kürzung erfolgte gem § 19 Abs 2 FRG mit der Begründung, daß die Beitragsentrichtung mit der Bestätigung nur glaubhaft gemacht sei (Bescheid vom 17. August 1978, Widerspruchsbescheid vom 28. November 1978).

Das Sozialgericht (SG) und das Landessozialgericht (LSG) haben der gegen die Kürzung gerichteten Klage stattgegeben. Im Urteil vom 30. Juli 1981 hat das LSG ausgeführt, nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme (Gutachten des Instituts für Ostrecht München; Aussagen zweier Zeugen) handele es sich bei den bescheinigten Zeiten um nachgewiesene Beitragszeiten, die nicht durch Ausfalltatbestände unterbrochen seien. Nach dem seit 1949/50 geltenden rumänischen Recht seien Grundlage des Rentenanspruchs die Beschäftigungszeiten, ohne daß sich dabei ein Unterbleiben der Beitragszahlung auf die Rechte aus der Sozialversicherung auswirke. Die Zeit einer krankheits- oder unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit werde als Versicherungszeit voll anerkannt; sie unterbreche oder beende erst bei Zuerkennung einer Rente das Arbeitsverhältnis; letzteres hätte man in der Bescheinigung vermerkt. Zeiten des Arbeitsausfalls gälten (ab 1950) als Beschäftigungszeiten, außer bei einer Beschäftigungslosigkeit ohne Arbeitsverhältnis, die nicht bescheinigt werde. Eine Fortbildung werde entweder als Beschäftigungszeit anerkannt oder als Arbeitsunterbrechung vermerkt. Auch Ausfalltatbestände wie Wehrdienst (Wehrübung) oder unbezahlter Urlaub wären bestätigt worden. Hiernach sei während der bescheinigten Anstellungszeiten mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit keine andere Arbeitsunterbrechung als eine vorübergehende Arbeitsunfähigkeit oder ein Arbeitsausfall eingetreten. Da nach rumänischem Recht hierdurch aber die Versicherungszeiten bei dem Träger der Rentenversicherung nicht unterbrochen worden seien, müßten die Zeiten somit unabhängig von einer unterbliebenen Beitragsentrichtung insgesamt als Beitragszeiten nach § 15 Abs 1 FRG ungekürzt angerechnet werden. Insoweit folge der Senat der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts -BSG- (Hinweis auf SozR Nr 16 zu § 15 FRG; SozR 5050 § 15 Nrn 8, 9 und 11).

Mit der vom LSG zugelassenen Revision beantragt die Beklagte, die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Das LSG habe die Zeiten einer vorübergehenden Arbeitsunfähigkeit, die es offensichtlich für möglich halte, rechtlich unzutreffend gewürdigt. Insoweit habe es die Entwicklung der BSG- Rechtsprechung in SozR 5050 § 15 Nrn 14, 18 und 21 nicht berücksichtigt, sonst hätte es in Anbetracht der Tatsache, daß solche Zeiten im deutschen Recht Ausfallzeiten darstellen, sie nicht als Beitragszeiten iS des § 15 Abs 1 FRG behandeln und demzufolge alle Zeiten durchgehend zu sechs Sechsteln anrechnen dürfen.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist mit der Maßgabe begründet, daß das Urteil des LSG aufzuheben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückzuverweisen ist (§ 170 Abs 2 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-); denn die bisher getroffenen tatsächlichen Feststellungen lassen eine abschließende Entscheidung über die vom Kläger begehrte ungekürzte Anrechnung der ihm bescheinigten Zeiten nicht zu.

Das LSG hätte diese Zeiten nur dann in vollem Umfang für nachgewiesene Beitragszeiten halten dürfen, wenn es sich nach dem vom LSG festgestellten Sachverhalt in vollem Umfang um Beitragszeiten iS des § 15 Abs 1 FRG gehandelt hätte. In seinen Ausführungen hat jedoch das LSG es zumindestens für möglich erachtet, daß in die streitigen Zeiten auch Zeiten einer Arbeitsunfähigkeit oder einer sonstigen Arbeitsunterbrechung fallen, für die der Arbeitgeber anders als bei den Beschäftigungszeiten keine Beiträge zur rumänischen Rentenversicherung entrichten mußte. Das LSG hielt eine nähere Aufklärung hierüber für entbehrlich, weil auch solche Zeiten Beitragszeiten iS des § 15 Abs 1 FRG seien. Dem vermag der Senat nicht zu folgen.

Für seine Auffassung beruft sich das LSG zu Unrecht auf die von ihm zitierten Entscheidungen des BSG (vgl ferner Urteil des 5b-Senats vom 9. September 1982, 5b/5 RJ 168/80). Bereits im Urteil vom 19. März 1980 (SozR 5050 § 15 Nr 14) hat der erkennende Senat es für die Annahme von Beitragszeiten iS des § 15 Abs 1 FRG nicht als ausreichend bezeichnet, daß die in Frage stehenden Zeiten nach dem Recht des Herkunftslandes beim Eintritt des Versicherungsfalles als Versicherungszeiten anzurechnen wären; solche Zeiten seien keine Beitragszeiten iS des § 15 Abs 1 FRG, wenn es an einem irgendwie gearteten Beitragsaufkommen für sie fehle und ihre Anrechnung der Anrechnung von Ersatz- und Ausfallzeiten nach innerstaatlichem Recht entspreche oder ihr zumindestens nahekomme. Der Senat hat dort zugleich dargelegt, daß darin kein Widerspruch zu den vom LSG angeführten früheren Entscheidungen liegt, die andere Sachverhalte betrafen. Der Ansicht des erkennenden Senats sind der 4. und der 1. Senat des BSG gefolgt (SozR 5050 Nrn 18 und 21; Urteil vom 21. April 1982 - 4 RJ 33/81 -, DAnV 1982, 355); auch sie haben betont, die deutsche Rentenversicherung kenne die Einbeziehung beitragsloser Zeiten (Ersatzzeiten und Ausfallzeiten) in den Rentenanspruch, messe ihnen gleichwohl aber nicht den Charakter von Beitragszeiten zu. Der vorliegende Fall gibt keinen Anlaß, von dieser Rechtsprechung abzuweichen.

Hiernach hat das LSG zu den Beitragszeiten iS des § 15 Abs 1 FRG auch Zeiten gerechnet, die keine solchen sind. In den vom LSG für möglich gehaltenen Zeiten der Arbeitsunfähigkeit oder sonstigen Arbeitsunterbrechung hat es an einem irgendwie gearteten Beitragsaufkommen gefehlt; die Anrechnung dieser Zeiten nach rumänischem Recht entsprach der Anrechnung von Ausfallzeiten nach innerstaatlichem Recht oder kam ihr doch zumindest nahe (vgl § 36 Abs 1 Nrn 1 und 3 AVG). Infolgedessen können die genannten Zeiten in den herzustellenden Versicherungsunterlagen allenfalls als Ausfallzeiten (§§ 14 FRG, 36 AVG, 29 FRG), nicht aber als Beitragszeiten vorgemerkt werden.

Aufgrund dieses Rechtsfehlers muß das Urteil des LSG aufgehoben und der Rechtsstreit an dieses Gericht zurückverwiesen werden. Für den Erfolg der Klage kann nicht ungeklärt bleiben, ob und inwieweit in die bescheinigten "Anstellungszeiten" Zeiten einer Arbeitsunfähigkeit oder sonstigen Arbeitsunterbrechung ohne Beitragsleistung fallen. Die Beklagte hat zwar für alle bescheinigten Zeiten es als glaubhaft gemacht, dh überwiegend wahrscheinlich (§ 4 FRG) erachtet, daß sie Beitragszeiten iS des § 15 FRG sind; nach § 19 Abs 2 FRG werden jedoch "für das einzelne Jahr nicht nachgewiesener Zeiten" nur fünf Sechstel als Beitragszeit (oder Beschäftigungszeit) angerechnet; die nur als glaubhaft erachteten Beitragszeiten wurden hiernach von der Beklagten um ein Sechstel gekürzt. Infolgedessen kann der Kläger mit seinem Begehren auf ungekürzte Anrechnung als Beitragszeiten nur dann ganz oder wenigstens teilweise durchdringen, wenn für die bescheinigten Zeiten in vollem Umfang oder doch über fünf Sechstel hinaus Beitragszeiten iS des § 15 Abs 1 FRG nachgewiesen, dh mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit festgestellt werden.

Eine solche Feststellung läßt sich hier nur treffen, wenn in die bescheinigten Zeiten keine Zeiten einer Arbeitsunfähigkeit oder sonstigen Arbeitsunterbrechung ohne Beitragsentrichtung fallen oder sie nicht ein Sechstel der Zeiten erreichen. Hierfür kann die Bestätigung des Volksrates nach dem vom LSG festgestellten Aussagewert derartiger Bestätigungen kein zureichender Beleg sein. Es kommt also darauf an, ob sich die behaupteten Beitragszeiten bei einer - von Amts wegen vorzunehmenden - Sachaufklärung aufgrund der gegebenenfalls dann vorliegenden Verfahrensergebnisse, einschließlich des Vorbringens des Klägers, erweisen lassen. Das muß der Senat dem LSG überlassen.

Sollte das LSG bei seiner neuen Entscheidung annehmen, daß die bescheinigten Zeiten beitragslose Zeiten unter einem Sechstel umschließen, die sich zeitlich nicht genau bestimmen lassen, so hielte es der Senat (in Rechtsanalogie zu den §§ 3 ff VuVO) für sachgerecht, die beitragslosen Zeiten nach dem wahrscheinlichsten Zeitraum, notfalls nach dem letzten Zeitraum der jeweiligen "Anstellungszeit" (vgl SozR 5050 § 15 Nr 16) zu datieren; Unsicherheiten in der zeitlichen Festlegung von Beitragszeiten und beitragslosen Zeiten müssen jedenfalls nicht dazu führen, dann die festgestellten Beitragszeiten stets nur für glaubhaft zu erachten (vgl §§ 7 und 8 VuVO).

Die - weitere - Frage, ob bei fehlgeschlagenem Nachweis von Beitragszeiten das letzte Sechstel mit nachgewiesenen Beschäftigungszeiten aufgefüllt werden kann (s SozR 5050 § 15 Nr 16 und DAnV 1982 aa0), dürfte sich dem LSG kaum stellen, weil Zeiten vorübergehender Arbeitsunfähigkeit und einer sonstigen Arbeitsunterbrechung auch keine Beschäftigungszeiten iS des § 16 FRG darzustellen vermögen.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens bleibt der abschließenden Entscheidung vorbehalten.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1660276

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