Entscheidungsstichwort (Thema)

Ausschluß der Berufung. Zulässigkeit der Berufung. wesentlicher Verfahrensmangel

 

Orientierungssatz

1. Die Klage gegen die Verhängung einer Sperrfrist nach den AVAVG §§ 78 ff betrifft nur den Anspruch auf eine wiederkehrende Leistung für einen Zeitraum bis zu 13 Wochen iS des SGG § 144 Abs 1 Nr 2, so daß die Berufung ausgeschlossen ist (Anschluß an BSG 1963-02-19 GS 1/61 = SozR Nr 22 zu § 144 SGG).

2. Soweit das Sozialgericht in den Fällen der §§ 144 bis 149 SGG die Berufung nach § 150 Nr 1 zulassen will, muß es diese Zulassung im Urteil eindeutig aussprechen. Der bloße Hinweis in der Rechtsmittelbelehrung, daß "die Entscheidung mit der Berufung angefochten werden könne", ist hierfür nicht ausreichend (vgl BSG 1955-12-14 7 RAr 69/55 = BSGE 2, 121).

3. Hat das Gericht keine Entscheidung darüber getroffen, ob die Berufung nach § 150 Nr 1 SGG zuzulassen war, so liegt darin kein wesentlicher Verfahrensmangel (vgl BSG 1963-05-09 7 RAr 15/61 = DSb 1964, 72).

 

Normenkette

SGG § 144 Abs. 1 Nr. 2 Fassung: 1958-08-23, § 150 Fassung: 1958-08-23; AVAVG § 78 Fassung: 1957-04-03

 

Verfahrensgang

LSG Bremen (Entscheidung vom 15.11.1961)

SG Bremen (Entscheidung vom 19.01.1961)

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Bremen vom 15. November 1961 aufgehoben.

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Bremen vom 19. Januar 1961 wird als unzulässig verworfen.

Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

Die Klägerin war bis zum 30. Juni 1960 als Kontoristin in Berlin tätig. Nachdem sie im Mai 1960 den in - Bremen wohnhaften und beschäftigten Ingenieur Lothar B geheiratet hatte, kündigte sie ihr Arbeitsverhältnis zum 30. Juni 1960, um nach Bremen überzusiedeln und die eheliche Gemeinschaft mit ihrem Ehemann zu begründen. Das Arbeitsamt bewilligte der Klägerin zwar Arbeitslosengeld, verhängte aber gleichzeitig eine Sperrfrist von 12 Wochentagen, da die Klägerin ihren Arbeitsplatz ohne wichtigen oder berechtigten Grund aufgegeben habe. Der Widerspruch blieb erfolglos. Das Sozialgericht (SG) gab der Klage auf Aufhebung der Bescheide statt; in der Rechtsmittelbelehrung heißt es, daß gegen dieses Urteil das Rechtsmittel der Berufung zulässig sei. Das Landessozialgericht (LSG) wies die Berufung der Beklagten zurück, weil der Klägerin ein wichtiger Grund zur Aufhebung des Arbeitsverhältnisses zur Seite gestanden habe. Es ließ die Revision zu.

Die Beklagte legte gegen das am 19. Dezember 1961 zugestellte Urteil am 11. Januar 1962 Revision ein und begründete sie im gleichen Schriftsatz.

Sie trägt vor, auch wenn die Berufung in Sperrfristsachen nach § 144 Abs. 1 Nr. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ausgeschlossen sei, so sei sie im vorliegenden Falle nach § 150 SGG statthaft. Das Verfahren des SG leide an einem wesentlichen Mangel. Das SG habe nicht geprüft, ob die Berufung zuzulassen sei, das LSG habe diese Prüfung ebenfalls zu Unrecht nicht nachgeholt und daher seinerseits gegen Verfahrensvorschriften verstoßen. Die Beklagte habe auch keinen Anlaß gehabt, Verfahrensverstöße in der Berufungsinstanz zu rügen, weil sie sich auf die Richtigkeit der Rechtsmittelbelehrung habe verlassen können.

In der Sache selbst wendet sich die Beklagte gegen die Auffassung des LSG zu § 80 des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG).

Die Beklagte beantragt,

die Urteile des LSG Bremen vom 15. November 1961 und des SG Bremen vom 19. Januar 1961 aufzuheben und die Klage abzuweisen,

hilfsweise,

den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

Die Klägerin ist im Revisionsverfahren nicht vertreten gewesen.

Die nach § 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG statthafte Revision ist zulässig, konnte aber im Ergebnis keinen Erfolg haben.

Bei einer zugelassenen Revision hat das Bundessozialgericht (BSG) von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung zulässig war (BSG 2 S. 225). Dies war nicht der Fall. Wie der Große Senat des BSG in seinem Beschluß vom 19. Februar 1963 - GS 1/61 - ausgesprochen hat, betrifft die Klage gegen die Verhängung einer Sperrfrist nach den §§ 78 ff AVAVG nF nur einen Anspruch auf eine wiederkehrende Leistung für einen Zeitraum bis zu 13 Wochen im Sinne des § 144 Abs. 1 Nr. 2 SGG. Dieser Ansicht schließt sich der erkennende Senat an. Die Berufung war daher nach der genannten Vorschrift ausgeschlossen.

Die Berufung war auch nicht nach § 150 SGG statthaft, da das SG sie nicht zugelassen hatte (§ 150 Nr. 1 SGG). Denn die Rechtsmittelbelehrung, die Berufung sei zulässig, stellt keine Zulassung des Rechtsmittels dar (BSG 2, 121). Einen Verfahrensmangel des SG hat die Beklagte im Berufungsverfahren nicht gerügt; er lag auch nicht vor. Denn wie der Senat in seinem Urteil vom gleichen Tage - 7 RAr 15/61 - mit näherer Begründung ausgesprochen hat, ist in der unterlassenen Entscheidung über die Zulassung der Berufung kein fehlerhaftes prozessuales Verfahren, sondern eine sachlich unrichtige Entscheidung zu erblicken.

Die Beklagte konnte sich zwar nicht auf den Inhalt der Rechtsmittelbelehrung verlassen; einen allgemeinen Vertrauensschutz dieser Art kennt das Gesetz nicht. Die Rechtsprechung hat einen solchen lediglich bei unrichtiger Belehrung bezüglich der Sprungrevision bejaht, also in Fällen, in denen ohnedies ein Rechtsmittel gegeben war, der Beteiligte aber infolge der fehlerhaften Unterrichtung ein falsches Rechtsmittel eingelegt hatte (BSG 2 S. 139, 5 S. 143).

Das LSG war schließlich nicht befugt, die Zulassung der Berufung selbst nachzuholen. Dies war nur seinerzeit in den Fällen möglich, in denen das SG eine Zulassung überhaupt nicht vornehmen konnte, nämlich in der Übergangszeit, als bei Inkrafttreten des SGG (1.1.1954) Verfahren unmittelbar auf das LSG übergegangen waren, ohne daß vorher Urteile der Sozialgerichte vorgelegen hatten (vgl. BSG-Urteil vom 28.9.1961 SozR SGG § 150 Nr. 31 und Urteil vom 16.6.1955 SozR § 215 Nr. 4). Hier aber hatte das SG die Möglichkeit, über die Zulassung zu entscheiden.

Da somit die Berufung auch nicht nach § 150 SGG statthaft ist, muß das Urteil des LSG dahin abgeändert werden, daß die Berufung statt als unbegründet zurückgewiesen als unzulässig verworfen wird.

Die Kostenentscheidung ergeht nach § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2291056

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