Entscheidungsstichwort (Thema)

Beschwerde gegenüber ärztlichem Gutachter. Anhörung des Verletzten vor Entziehung der vorläufigen Rente und Ablehnung der Dauerrente

 

Leitsatz (redaktionell)

Eine Anhörung durch den Leistungsträger liegt nicht schon darin, daß der Beteiligte bei einer dem Verwaltungsakt vorausgehenden ärztlichen Untersuchung seine Beschwerden gegenüber dem das Gutachten erstattenden Arzt hat vortragen können.

 

Orientierungssatz

1. Einem Interesse der Versichertengemeinschaft, eine zu hohe Verletztenrente nicht gemäß RVO § 622 Abs 2 S 1 zur Dauerrente werden zu lassen, ist grundsätzlich nicht dadurch Rechnung zu tragen, daß dem Verletzten das Recht auf Gehör genommen wird, sondern die notwendigen Ermittlungen der Dauerrente sind so rechtzeitig einzuleiten, daß der Verletzte vor Erlaß des Verwaltungsaktes noch angehört werden kann.

2. Wird ein Verwaltungsakt unter Verletzung des rechtlichen Gehörs erlassen, leidet das Verwaltungsverfahren an einem wesentlichen Mangel; der Verwaltungsakt ist nicht nichtig, sondern rechtswidrig und anfechtbar.

3. Im Klageverfahren kann die gemäß SGB 1 § 34 Abs 1 ua für den Fall einer Rentenentziehung und Versagung der Dauerrente vorgeschriebene Gewährung des rechtlichen Gehörs nicht nachgeholt werden.

 

Normenkette

SGB 1 § 34 Abs. 1 Fassung: 1975-12-11; RVO § 622 Abs. 2 S. 1 Fassung: 1963-04-30

 

Verfahrensgang

LSG Berlin (Entscheidung vom 25.10.1977; Aktenzeichen L 3 U 33/77)

SG Berlin (Entscheidung vom 28.05.1977; Aktenzeichen S 69 U 362/76)

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 25. Oktober 1977 aufgehoben.

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 28. März 1977 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger auch die Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Beklagte zahlte dem Kläger wegen der Folgen seines Arbeitsunfalles vom 6. November 1974 eine vorläufige Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 20 vH. Durch Bescheid vom 27. August 1976 entzog die Beklagte, gestützt auf ein ärztliches Gutachten, die vorläufige Rente und lehnte die Gewährung einer Dauerrente ab. In diesem Bescheid änderte die Beklagte auch zum Teil die Feststellung der Unfallfolgen.

Der Kläger hat Klage erhoben.

Das Sozialgericht (SG) hat durch Urteil vom 28. März 1977 den Bescheid der Beklagten vom 27. August 1976 aufgehoben, da die Beklagte dem Kläger vor Erlaß des angefochtenen Bescheides nicht die Möglichkeit gegeben habe, sich zu den für ihre Entscheidung rechtserheblichen Tatsachen zu äußern.

Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) durch Urteil vom 25. Oktober 1977 das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Es hat ua ausgeführt: Der Kläger habe nach dem Arbeitsunfall keinen Anspruch auf Zahlung einer vorläufigen Rente gehabt. Der angefochtene Bescheid enthalte zwei Verfügungssätze. Einerseits entziehe er die vorläufige Entschädigung mit Ablauf des Monats September 1976, andererseits versage er die Gewährung einer Dauerrente. Vom Kläger sei nach seinem Klageantrag lediglich der zweite Verfügungssatz des Bescheides angegriffen worden, der die Versagung der Dauerrente betreffe. Die vom Kläger begehrte Dauerrente sei ihm von der Beklagten bisher noch nicht bewilligt gewesen. Der angefochtene Bescheid, der die Versagung der Rente enthalte, greife also nicht in die Rechte des Klägers ein. Im übrigen habe der Kläger sein Klagebegehren auch nicht auf die Verletzung der Anhörungspflicht gestützt. Er habe noch in der mündlichen Verhandlung vom 28. März 1977 vor dem SG einen Anfechtungs- und Leistungsantrag gestellt. Aber auch wenn wegen des zweiten Verfügungssatzes des angefochtenen Bescheides die Anhörung im Sinne des Art I § 34 Abs 1 des Sozialgesetzbuches - Erstes Buch, Allgemeiner Teil - (SGB I) vom 11. Dezember 1975 (BGBl I 3015) geboten gewesen wäre, sei dieser Bescheid zwar rechtsfehlerhaft, aber nicht rechtswidrig. Welche rechtlichen Folgen die unterbliebene Anhörung für das gerichtliche Verfahren habe, sei im SGB I nicht geregelt. Es sei demzufolge auf die allgemeinen Grundsätze des Verwaltungsrechts zurückzugreifen. Für das Verfahren vor den Versicherungsträgern werde davon ausgegangen, daß die in Art I § 34 SGB I vorgeschriebene Anhörung zwar noch im Widerspruchsverfahren, aber nicht mehr im gerichtlichen Verfahren nachgeholt werden könne; dies dürfe nicht zur Folge haben, daß ohne Prüfung des materiell-rechtlichen Leistungsanspruchs der Verwaltungsakt lediglich wegen der unterbliebenen Anhörung im Verwaltungsverfahren aufgehoben werde; denn wenn ein Beteiligter gegen den in seine Rechte eingreifenden Verwaltungsakt statt der ebenfalls zulässigen Klage Widerspruch einlege, dann werde dadurch der Anhörungspflicht Genüge getan, selbst wenn die Widerspruchsstelle dem Widerspruch nicht stattgebe. Verzichte aber ein Beteiligter auf die Einlegung des Widerspruchs und erhebe sofort Klage, weil er eine weitere Auseinandersetzung mit der Verwaltung für aussichtslos ansehe, dann entspreche es sicherlich nicht dem Willen des Beteiligten, daß der Verwaltungsakt als rechtswidrig aufgehoben werde, weil er nicht ordnungsgemäß angehört worden sei.

Das LSG hat die Revision zugelassen.

Der Kläger hat dieses Rechtsmittel eingelegt.

Er trägt vor: Das LSG habe unter Abweichung von der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts - BSG - (s Urteile vom 28. Juli 1977 - 2 RU 30/77 und 31/77) die Bedeutung des Art I § 34 SGB I verkannt.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des LSG vom 25. Oktober 1977 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG vom 28. März 1977 zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist begründet. Das LSG hat zu Unrecht der Berufung der Beklagten stattgegeben. Das SG hat den Rentenentziehungsbescheid zu Recht aufgehoben.

Bevor ein Verwaltungsakt erlassen wird, der in Rechte eines Beteiligten eingreift, ist diesem Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern (Art I § 34 Abs 1 SGB I). Der Bescheid der Beklagten vom 27. August 1976 hat in die Rechte des Klägers eingegriffen, da er die bis dahin gezahlte vorläufige Rente entzogen hat. Damit ist zugleich die Gewährung einer Dauerrente abgelehnt worden. Auch darin liegt, wie der Senat in seinem zur Veröffentlichung vorgesehenen Urteil ebenfalls vom 9. März 1978 (2 RU 99/77) näher dargelegt hat, ein Eingriff in das Recht des Klägers, die bisherige Rente entweder als vorläufige oder als Dauerrente weiter zu erhalten. Außerdem hat die Beklagte in dem Bescheid vom 27. August 1976 auch die Feststellung der Unfallfolgen gegenüber dem Bescheid vom 11. März 1975 geändert (vgl BSGE 5, 96).

Die Beklagte ist ihrer Verpflichtung zur Anhörung des Klägers vor Erlaß des Verwaltungsaktes - des in die Rechte des Klägers eingreifenden Bescheides über die Entziehung der vorläufigen Rente und der Ablehnung der Dauerrente - nicht nachgekommen. Eine Anhörung durch den Versicherungsträger liegt, wie der Senat in seinen zur Veröffentlichung bestimmten Urteilen vom 28. Juli 1977 - 2 RU 30/77 und 31/77 = Rundschreiben des Hauptverbandes der gewerblichen Berufsgenossenschaften VB 4/78 vom 19. Januar 1978 - bereits dargelegt hat, entgegen der Auffassung der Beklagten nicht darin, daß der Kläger bei der ärztlichen Untersuchung, die dem Rentenentzug und der Versagung der Dauerrente vorausging, dem das Gutachten erstattenden Arzt seine Beschwerden hat vortragen können. Nicht nur nach dem Wortlaut, sondern vor allem nach Sinn und Zweck des Art I § 34 Abs 1 SGB I ist das rechtliche Gehör von der Stelle zu gewähren, die über den Erlaß und den Inhalt des Verwaltungsaktes entscheidet. Die ärztliche Untersuchung aber schafft nur die Grundlage für die künftige, nicht dem Arzt zustehende Entscheidung und dient somit nur deren Vorbereitung. Darüber hinaus ergeben sich die "für die Entscheidung erheblichen Tatsachen" zu denen dem Beteiligten Gelegenheit zur Äußerung gegeben werden soll, in dem hier vorliegenden Fall einer Entziehung der vorläufigen Rente und Versagung der Dauerrente grundsätzlich erst aus dem auf der ärztlichen Untersuchung beruhenden Gutachten. Die Anhörung setzt demnach nicht, wie zum Teil angenommen wird (s Rundschreiben des Hauptverbandes der gewerblichen Berufsgenossenschaften aaO), voraus, daß die Entscheidung des Versicherungsträgers festliegen muß, sondern die Anhörung dient der unter Beachtung des Ergebnisses der Anhörung zu treffenden Entscheidung des Versicherungsträgers. Damit entfallen auch die in dem Rundschreiben des Hauptverbandes der gewerblichen Berufsgenossenschaften (aaO) geäußerten Bedenken hinsichtlich einer erforderlichen Wiederholung der Anhörung.

Die Voraussetzungen, unter denen gemäß Abs 2 des Art I § 34 SGB I von der Anhörung eines Beteiligten vor dem Erlaß eines belastenden Verwaltungsakts abgesehen werden kann, liegen hier nicht vor. Insbesondere wäre durch die Anhörung nicht die Einhaltung einer für die Entscheidung maßgeblichen Frist in Frage gestellt worden (Abs 2 Nr 2); ein anderer der in Abs 2 aufgeführten Tatbestände scheidet nach der Lage des Falles von vornherein aus. Die dem Kläger gewährte vorläufige Rente nach einer MdE um 20 vH wäre erst im November 1976 gemäß § 622 Abs 2 Satz 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) zur Dauerrente geworden, so daß die Beklagte nach Eingang des Gutachtens noch - wie der Gang des Verwaltungsverfahrens zeigt - ausreichend Zeit zur Anhörung des Klägers hatte. Ob die Zweijahresfrist des § 622 Abs 2 Satz 1 RVO eine maßgebliche Frist im Sinne des Art I § 34 Abs 2 Nr 2 SGB I ist, kann folglich weiterhin dahinstehen. Schon aus diesen Gründen konnte auch nicht - wie die Beklagte im Ergebnis wohl meint - gemäß Art I § 34 Abs 2 Nr 1 SGB I von der Anhörung abgesehen werden, weil es im öffentlichen Interesse notwendig erschien, um, wie die Beklagte in ihrer Revisionserwiderung ausführt, die Gemeinschaft der Versicherten vor einem erheblichen Schaden zu bewahren, der darin liege, daß nunmehr ggf Dauerrente in einer dem tatsächlichen Umfang der unfallbedingten MdE nicht entsprechenden Höhe gezahlt werden müsse (s auch Grünig SV 1978, 34, 35). Ob eine Anhörung gemäß Art I § 34 Abs 2 Nr 1 SGB I im öffentlichen Interesse nicht notwendig erscheint, richtet sich danach, welche öffentlichen Interessen im Zeitpunkt der Entscheidung über die Anhörung vor Erlaß des Verwaltungsaktes berührt werden. Im vorliegenden Fall drohte jedoch die von der Beklagten angeführte finanzielle Belastung für die Gemeinschaft der Versicherten nicht durch die zeitlich - wie dargelegt - vor Ablauf der Zweijahresfrist noch mögliche Anhörung, sondern er tritt möglicherweise nunmehr als Folge der unterbliebenen Anhörung ein. Insoweit unterscheidet sich die vorliegende Fallgestaltung, was auch Grünig (aaO) nicht ausreichend beachtet, nicht wesentlich von den Fällen, in denen die Zweijahresfrist aus anderen Gründen verstrichen ist, ohne daß eine Dauerrente rechtzeitig durch Bescheid festgesetzt wurde. Einem hier in Betracht kommenden Interesse der Versichertengemeinschaft, eine zu hohe Verletztenrente nicht gemäß § 622 Abs 2 Satz 1 RVO zur Dauerrente werden zu lassen, ist grundsätzlich nicht dadurch Rechnung zu tragen, daß dem Verletzten das Recht auf Gehör genommen wird, sondern die notwendigen Ermittlungen der Dauerrente sind so rechtzeitig einzuleiten, daß der Verletzte vor Erlaß des Verwaltungsaktes noch angehört werden kann.

Die Fälle, in denen von der in Abs 1 des Art I § 34 SGB I vorgeschriebenen Anhörung eines Beteiligten vor dem Erlaß des Verwaltungsakts abgesehen werden kann, sind in Abs 2 abschließend aufgeführt (BSG aaO; Grünig aaO). Abs 1 gebietet nach seinem Wortlaut dem Sozialleistungsträger zwingend die Anhörung des Betroffenen, Abs 2 enthält die Ausnahmen von der Anhörungspflicht, ohne sie als Beispielsfälle ("insbesondere" oder ähnlich) zu bezeichnen. Daß die Aufzählung der Tatbestände in Abs 2 erschöpfend ist, ergibt sich auch aus der Entstehungsgeschichte sowie aus dem Sinn und Zweck des Art I § 34 SGB I. Die Gesetz gewordene Fassung ist auf Antrag des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung des Bundestages (BT-Drucks 7/3738 S. 17) abweichend von dem Entwurf eines SGB I zustande gekommen, nach dem von einer nach den Umständen des Falles nicht gebotenen Anhörung generell abgesehen werden konnte und der Katalog hierher gehörender Fälle nicht enumerativ war. Aus dem schriftlichen Bericht des Ausschusses (BT-Drucks 7/3786 S. 5) geht hervor, daß der Verstärkung des Anspruchs auf rechtliches Gehör gegenüber dem Regierungsentwurf Vorrang vor der weiteren Harmonisierung mit dem - damals erst im Entwurf vorliegenden - Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) zukommen sollte. Ferner wird in dem Bericht ausgeführt, die im Regierungsentwurf (§ 34 Abs 2 SGB I) enthaltene Generalklausel schränke den Anspruch auf rechtliches Gehör zu stark ein, das besondere Abhängigkeitsverhältnis im Sozialrecht mache aber eine Anhörung des Betroffenen grundsätzlich in seinem Interesse erforderlich. Mit der Gesetz gewordenen Fassung des Abs 2 des Art I § 34 SGB I ist der Gesetzgeber hiernach in dem Bestreben, den Anspruch auf rechtliches Gehör im Verfahren der Sozialverwaltung zu stärken, bewußt von dem Regierungsentwurf sowie von § 24 Abs 2 des Entwurfs eines VwVfG (BT-Drucks 7/910; s § 28 Abs 2 VwVfG) abgewichen, in denen eine Generalklausel für das Absehen von der Anhörungspflicht vorgesehen war. Nicht zu folgen ist deshalb der Ansicht des SG Dortmund (Urteil vom 11. Februar 1977 - S 23 (25) BU 213/76 - im Rundschreiben des Hauptverbandes der gewerblichen Berufsgenossenschaften VB 52/77 vom 28. April 1977), die Tatbestände, bei denen eine Anhörungspflicht nicht bestehe, seien in Abs 2 nur beispielhaft aufgeführt, von der Anhörung könne zB auch abgesehen werden, wenn es sich um eilbedürftige Verwaltungsakte oder um Massenverwaltungsakte handele. Die vom SG Dortmund angeführten Beispielsfälle werden überdies jedenfalls zum Teil bereits durch die Nummern 1, 2 und 4 des Absatzes 2 erfaßt. Die Auffassung, die Rechtsprechung des Senats führe zu einer "gewissen Schwerfälligkeit des Verwaltungsverfahrens bei Rentenherabsetzungen oder Rentenentziehungen" (Rundschreiben VB 4/78 des Hauptverbandes der gewerblichen Berufsgenossenschaften aaO), laufe auf einen unnötigen Formalismus hinaus und verzögere die zügige Durchführung des Verwaltungsverfahrens, rechtfertigt keine andere Entscheidung. Gegenüber dem Erfordernis einer möglichst zügigen Entscheidung des Sozialleistungsträgers hat der Gesetzgeber, wie auch das Rundschreiben des Hauptverbandes der gewerblichen Berufsgenossenschaften (aaO) nicht verkennt, im Interesse des Beteiligten, in dessen Rechte eingegriffen werden soll, dem Grundsatz des rechtlichen Gehörs den Vorrang eingeräumt. Verzögerungen in der Durchführung des Verfahrens der Sozialleistungsträger, die mit der Anhörung des Betroffenen zwangsläufig verbunden sind, und damit auch die ggf um den Anhörungszeitraum längere Zahlung der herabzusetzenden oder zu entziehenden Rente hat er damit bewußt in Kauf genommen. Einzelfällen, in denen eine Entscheidung nach der Auffassung des Gesetzgebers keinen Aufschub duldet, ist in Art I § 34 Abs 2 Nr 1 SGB I unter den dort angeführten Voraussetzungen Rechnung getragen worden.

Die Frage, ob die vor dem Erlaß eines Verwaltungsakts unterlassene Anhörung des Beteiligten in den von Art I § 34 Abs 1 SGB I erfaßten Fällen, in denen ein Ausnahmefall nach Abs 2 dieser Vorschrift nicht gegeben ist, noch im Widerspruchsverfahren nachgeholt werden kann, hat der erkennende Senat in seinem Urteil vom 28. Juli 1977 (2 RU 30/77) mit näherer Begründung, auf die insoweit Bezug genommen wird, bejaht. Anders als in jener Sache hat hier jedoch ein Widerspruchsverfahren nicht stattgefunden. Der Kläger hat vielmehr gegen den Bescheid der Beklagten unmittelbar Klage erhoben. Das LSG meint zu Unrecht (s BSG aaO 2 RU 31/77), der Kläger müsse sich deshalb so behandeln lassen, als ob ihm das rechtliche Gehör vor Erhebung der Kläger gewährt worden sei. Der Kläger hatte, wie ihm auch in der Rechtsbehelfsbelehrung des Rentenentziehungsbescheides eröffnet worden war, die Wahl, gegen den Rentenentziehungsbescheid Widerspruch einzulegen oder unmittelbar Klage zu erheben (§ 78 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -). Es lag daher im Risikobereich der Beklagten, ob der Kläger den Widerspruch als den Rechtsbehelf wählen würde, der es der Beklagten ermöglichte, die bisher versäumte Anhörung noch vor der Einleitung des gerichtlichen Verfahrens nachzuholen. Auch wenn man davon ausgeht, daß der betroffene Bürger dem Sinn und Zweck des Art I § 34 SGB I entsprechend seinerseits ebenfalls allgemein zur Stärkung des Vertrauensverhältnisses zur Sozialverwaltung beitragen muß, kann dem Kläger jedenfalls im vorliegenden Fall, in dem der Sozialleistungsträger seine Anhörungspflicht verletzt hat, nicht entgegengehalten werden, er hätte unter Verzicht auf die ihm verfahrensrechtlich eingeräumte Wahlmöglichkeit zunächst Widerspruch einlegen müssen, um der Beklagten Gelegenheit zur Heilung des Mangels zu geben.

Wird ein Verwaltungsakt - wie hier - unter Verletzung des rechtlichen Gehörs erlassen, leidet das Verwaltungsverfahren an einem wesentlichen Mangel; der Verwaltungsakt ist nicht nichtig, sondern rechtswidrig und anfechtbar (s ua BSG aaO; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 1.-8. Aufl, S.79z I; Bley, SGB Sozialversicherung, Gesamtkommentar, § 34 Anm 8; Schellhorn in Burdenski/von Maydell/Schellhorn, SGB-AT 1976, § 34 Rdn 49; Dembowski/Schroeder-Printzen/Dähne ua, SGB, Bd 1 Allg Teil, § 34 Anm 4; Hauck/Haines, SGB I, Kommentar, § 36 Rdn 19; Jahn, Sozialgesetzbuch für die Praxis, § 34 Anm 1; Peters/Hommel, SGB Allgemeiner Teil, § 34 Anm 2; Schmeling, SGB I, 1977, S. 19; Wolber, SV 1976, 87; s auch BVerwGE 27, 295, 299; Eyermann/Fröhler, Verwaltungsgerichtsordnung, Kommentar, 7. Aufl, § 108 Rdn 13). Wie auch in den anderen Fällen der Rechtswidrigkeit eines Bescheides kommt es entgegen der Auffassung des LSG grundsätzlich nicht darauf an, daß der Kläger sein Klagebegehren auch darauf stützt, der Bescheid sei wegen der Verletzung der Pflicht zur Anhörung rechtswidrig. Hinzu kommt, daß der Kläger auch diesen Anfechtungsgrund in seinem Schriftsatz vom 15. Februar 1977 an das SG und im Berufungsverfahren vorgetragen hat. Dem steht nicht entgegen, daß der Kläger vor dem SG den Antrag für eine kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage gestellt hat, obgleich er unter Berücksichtigung des § 622 Abs 2 Satz 1 RVO das gleiche Klageziel auch nur mit der Anfechtungsklage hätte erreichen können (vgl Brackmann aaO S. 238 u II).

Im Klageverfahren kann die gemäß Art I § 34 Abs 1 SGB I ua für den hier vorliegenden Fall einer Rentenentziehung und Versagung der Dauerrente vorgeschriebene Gewährung des rechtlichen Gehörs nicht nachgeholt werden.

Ein Verstoß gegen den in Art 103 Abs 1 des Grundgesetzes (GG) zum Grundrecht erhobenen Grundsatz des rechtlichen Gehörs wird zwar geheilt, wenn das rechtliche Gehör im Rechtsmittelverfahren gewährt wird und das Rechtsmittelgericht die Möglichkeit hat, das Verbringen zu berücksichtigen (vgl BVerfGE 5, 10, 24; Leibholz/Rinck, Grundgesetz, Kommentar, 5. Aufl, Rdn 15 zu Art 103). Art 103 Abs 1 GG gilt jedoch nur für das gerichtliche Verfahren (BVerfGE 27, 103; s auch BVerfGE 36, 330). Da das verfassungsmäßige Recht auf Gehör dem Betroffenen Gelegenheit geben soll, auf eine gerichtliche Entscheidung Einfluß zu nehmen, kann ein Verstoß im weiteren gerichtlichen Verfahren noch geheilt werden. Von der Heilung eines Verstoßes gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs durch eine nachgeholte Anhörung im weiteren gerichtlichen Verfahren ist jedoch der hier zu beurteilende Fall zu unterscheiden, in dem es bei einer Verletzung des auch im Verfahren des Sozialleistungsträgers gewährleisteten Gehörs um die - vom erkennenden Senat verneinte - Frage geht, ob die im Verwaltungsverfahren rechtswidrig unterbliebene Anhörung durch die Einleitung eines anderen - des gerichtlichen - Verfahrens geheilt werden kann.

Mit der gesetzlichen Festlegung des Anspruchs auf rechtliches Gehör auch im Verfahren der Sozialverwaltung ist der in der Rechtsprechung und in der Rechtslehre vertretenen Auffassung Rechnung getragen worden, daß es aufgrund des Rechtsstaatsprinzips (Art 20 Abs 3 GG) jedenfalls dann geboten ist, auch im Verwaltungsverfahren das rechtliche Gehör zu gewähren, wenn in die Rechte eines Beteiligten eingegriffen werden soll (BVerfGE 9, 89; 27, 88, 103; Brackmann aaO, S. 79z mit weiteren Nachweisen). Da der Grundsatz des rechtlichen Gehörs im Verwaltungsverfahren - auch bei grundsätzlicher Bejahung des Anspruchs - nach Voraussetzungen und Umfang umstritten war (s Brackmann aaO), dient die gesetzliche Regelung insbesondere der Abgrenzung, aber auch der Betonung des Grundsatzes (s. auch Hauck/Haines aaO, Rdn 1). Schon dem Wortlaut des Art I § 34 Abs 1 SGB I ist zu entnehmen, daß die Anhörung im Bereich der Sozialverwaltung gewährleistet sein soll; die Vorschrift will rechtsstaatlichen Grundsätzen entsprechend sicherstellen, daß dem Betroffenen Gelegenheit gegeben wird, auf das Verfahren der Sozialverwaltung und auf deren Entscheidung Einfluß zu nehmen (Hauck/Haines aaO). Neben der auch im gerichtlichen Verfahren dem Betroffenen offenstehenden Möglichkeit, alle ihm günstigen Umstände vorzubringen, hat der Gesetzgeber allgemein das Vertrauensverhältnis zwischen dem Bürger und der Sozialverwaltung stärken und die Stellung des Bürgers insbesondere durch den Schutz vor "Überraschungsentscheidungen" verbessern wollen (s BT-Drucks 7/868 S. 45; Schellhorn aaO, Rdn 8). Wie der Senat in seinem Urteil vom 28. Juli 1977 (2 RU 30/77) ausgeführt hat, kann das Vertrauensverhältnis zwar insoweit gewahrt werden, als der Sozialleistungsträger das rechtliche Gehör noch auf den Widerspruch des Betroffenen gewährt. Da das zum Organisationsbereich des Sozialleistungsträgers gehörende Widerspruchsverfahren eine umfassende, auch die Zweckmäßigkeit des Verwaltungsakts einbeziehende und zum Teil auch in Einzelfragen über die Nachprüfung durch die Gerichte hinausgehende Überprüfung ermöglicht, erscheint es mit dem Sinn und Zweck des Art I § 34 SGB I vereinbar, das Nachholen der Anhörung für zulässig zu erachten, solange das Verfahren noch im Verantwortungsbereich des Sozialleistungsträgers anhängig ist. Der mit der gesetzlichen Festlegung des Anspruchs auf rechtliches Gehör im Verfahren der Sozialverwaltung verfolgte Zweck, das Vertrauensverhältnis zwischen Bürger und Verwaltung zu stärken, kann aber nicht mehr verwirklicht werden, wenn das Verwaltungsverfahren - durch Einleitung des gerichtlichen Verfahrens - bereits abgeschlossen ist. Es entspricht darüber hinaus dem Sinn einer vor Erlaß des belastenden Verwaltungsaktes gebotenen Anhörung, daß die Verwaltung auch bei nicht in ihr Ermessen gestellten Entscheidungen nicht nur die Voraussetzungen für den Erlaß des belastenden Verwaltungsaktes, sondern dabei im Rahmen des geltenden Rechts auch prüft, ob sie den Verwaltungsakt unter Berücksichtigung aller Umstände überhaupt oder ggf erst in einem späteren Zeitpunkt erlassen will. Es gibt vornehmlich im Sozialleistungsbereich zahlreiche mögliche Fallgestaltungen, bei denen der Verwaltung ein weiterer Entscheidungsspielraum zusteht als dem die Entscheidung überprüfenden Gericht (s zB BSGE 41, 99). Auch vom Ergebnis her erscheint die Ansicht des Berufungsgerichts nicht gerechtfertigt, daß die Verletzung der Anhörungspflicht durch den Sozialleistungsträger generell ohne rechtliche Auswirkungen bleiben sollte, sobald der Betroffene den Klageweg beschreitet und damit zwangsläufig die Möglichkeit erhält, sich Gehör zu verschaffen. Es ist nicht ersichtlich, daß der Gesetzgeber mit der nach Wortlaut und Entstehungsgeschichte zwingenden Regelung in Art I § 34 SGB I über die Anhörung des Betroffenen keine - wie die Revision meint - "schematische" Anwendung der Vorschrift bezweckt, sondern hingenommen haben soll, daß gegen die Anhörungspflicht ohne Rechtsfolge verstoßen werden kann. Die nach der vom Senat vertretenen Auffassung erforderliche Aufhebung des Verwaltungsakts aus formellen Gründen kann der Sozialleistungsträger demgegenüber schon allein durch die Beachtung der zwingend vorgeschriebenen Anhörung vermeiden.

Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) hat in einem Urteil vom 13. Juli 1967 (BVerwGE 27, 295) zu § 23 Abs 2 des Wehrpflichtgesetzes entschieden, die Unterlassung der vor der Entscheidung über die Einberufung gebotenen Anhörung (und Untersuchung) des Wehrpflichtigen führe nicht notwendig zu einem im Widerspruchsverfahren oder anschließenden verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht mehr korrigierbaren Einfluß auf den Einberufungsbescheid. Der mit der Anhörung und ärztlichen Untersuchung verfolgte Zweck könne - jedenfalls grundsätzlich - im Widerspruchsverfahren und im verwaltungsgerichtlichen Verfahren auch dann noch erreicht werden, wenn die qualifizierte Verfügbarkeitsprüfung vor Erlaß des Einberufungsbescheides unterblieben sei. Es sei daher daran festzuhalten, daß ein insoweit unterlaufener Mangel des Verwaltungsverfahrens heilbar sei und nicht notwendig zur Rechtswidrigkeit (Vernichtbarkeit) des Einberufungsbescheides führe (BVerwG aaO S. 301). Das BVerwG hat die rechtliche Bedeutung eines Verstoßes gegen Vorschriften über das Verwaltungsverfahren und damit auch die Bedeutung, die ihm für die rechtliche Beurteilung des auf ihm beruhenden Verwaltungsakts beizumessen ist, aus dem der Verfahrensvorschrift zugedachten Zweck, insbesondere aus ihrer Schutzfunktion für den Betroffenen hergeleitet (BVerwGE aaO S. 301; s auch BVerwGE 44, 17, 21 - Urteil vom 25. Juli 1973). Den Zweck der in § 23 Abs 1 Satz 2 des Wehrpflichtgesetzes angeordneten Anhörung hat es darin gesehen, dem Wehrpflichtigen die Möglichkeit zu geben, im Rahmen der Verfügbarkeitsprüfung von sich aus auf Umstände hinzuweisen, die seiner Heranziehung derzeit oder auf die Dauer entgegenstehen könnten. Es hat dementsprechend angenommen, der Mangel könne geheilt werden, wenn die Anhörung vor dem Einberufungszeitpunkt nachgeholt werde, der Bescheid sei jedoch aus Verfahrensgründen rechtswidrig und damit vernichtbar, wenn der Mangel bis zu diesem Zeitpunkt nicht abgestellt sei. Das BVerwG stellt somit darauf ab, ob der vom Gesetzgeber jeweils bezweckte Sinn der Anhörung sich in dem späteren Verfahrensstadium noch uneingeschränkt auszuwirken vermag (s auch BVerwGE 17, 279; 44, 17, 21). Die hier vertretene Auffassung des erkennenden Senats stimmt demnach insoweit mit dem BVerwG überein. Die Anhörung nach Art 1 § 34 SGB I dient, wie ihrer Entstehungsgeschichte zu entnehmen ist, nicht nur dazu, in Erfüllung des schon aus dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitenden Anspruchs auf rechtliches Gehör dem Betroffenen zu ermöglichen, alle Umstände vorzutragen, die seiner Ansicht nach dem Erlaß des belastenden Verwaltungsaktes entgegenstehen. Diese Vorschrift will die Anhörung des Betroffenen, wie vor allem die abschließende Regelung der Ausnahmetatbestände in Abs 2 zeigt, im Verwaltungsverfahren selbst sichern, um neben der vom BVerwG betonten Möglichkeit für den Betroffenen, alle ihm günstigen Umstände vorzubringen, allgemein das Vertrauen des Bürgers in die Sozialverwaltung zu stärken. Dieser Gesetzeszweck wird jedoch durch eine Nachholung der Anhörung erst im Klageverfahren nicht mehr verwirklicht. Eine Abweichung von der Rechtsprechung des BVerwG im Sinne des Gesetzes zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 19. Juni 1968 (BGBl I 661) liegt im übrigen schon deshalb nicht vor, weil diese Rechtsprechung noch auf dem Recht vor der Kodifizierung der Pflicht zur Anhörung im Verwaltungsverfahren beruht und für die Zeit danach unterschiedliche Regelungen für das Verfahren nach dem VwVfG und für das Verfahren der Sozialleistungsträger bestehen.

Ein Vergleich mit dem VwVfG rechtfertigt keine andere Entscheidung. Nach § 46 VwVfG kann die Aufhebung eines Verwaltungsaktes, der nicht nach § 44 VwVfG nichtig ist, nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren, die Form oder die örtliche Zuständigkeit zustande gekommen ist, wenn keine andere Entscheidung in der Sache hätte getroffen werden können. Wie diese Vorschrift insbesondere in ihrem letzten Halbsatz auszulegen ist, bedarf keiner Erörterung. Eine entsprechende Vorschrift ist im SGB I nicht enthalten. Daraus ist nicht zu schließen, daß eine Gesetzeslücke besteht, die durch eine Gesetzesanalogie zu schließen ist. Gegen eine Gesetzesanalogie spricht schon, daß das VwVfG ausdrücklich nicht für das Verwaltungsverfahren der Sozialleistungsträger anzuwenden ist (§ 2 Abs 2 Nr 4 VwVfG). Zudem enthält § 28 VwVfG, als dessen Ergänzung § 46 VwVfG vor allem insoweit anzusehen ist, eine in das SGB I nicht aufgenommene Generalklausel, nach der von der Anhörung abgesehen werden kann. Der Gesetzgeber hat, wie bereits dargelegt, im SGB I dem Grundsatz des rechtlichen Gehörs im Verwaltungsverfahren der Sozialleistungsträger eine aus dem Gesetzeswortlaut ersichtliche und durch die Entstehungsgeschichte bestätigte stärkere Bedeutung und weitergehende Sinngebung beigemessen. Hat er sich hinsichtlich der Begrenzung des Gebots der Anhörung des Betroffenen zu dessen Gunsten der - damals - für das Verwaltungsverfahren vorgesehenen Lösung nicht vollständig angeschlossen, so ist für eine Gesetzesanalogie nicht ausreichend sicher, daß er inhaltlich die Regelung des § 46 VwVfG übernommen hätte. Zwar enthält der Referentenentwurf eines Zehnten Buches des SGB - Verwaltungsverfahren - eine dem § 46 VwVfG entsprechende Vorschrift. Bereits der Regierungsentwurf des SGB I wurde jedoch hinsichtlich der Anhörungspflicht vom Gesetzgeber wesentlich verstärkt. Es sind bisher jedenfalls keine Anhaltspunkte ersichtlich, daß der Gesetzgeber dem Referentenentwurf insoweit zumindest mit einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit folgen wird.

Die Meinungen über die Nachholbarkeit der Anhörung gemäß Art I § 34 SGB I im Klageverfahren sind geteilt. (Gegen eine Heilung haben sich im wesentlichen übereinstimmend mit der hier vom Senat vertretenen Auffassung geäußert: SG Augsburg, SV 1976, 268, 269; Peters/Hommel aaO, Anm 2; Hauck/Haines aaO, Rdn 12; Schmeling aaO; Wolber, SV 1976, 87, 88; Finger, ZfF 1976, 123, 124; anderer Ansicht: Bley aaO, § 34 Anm 8a; Jahn aaO, § 34 Anm 1; LVA Rheinprovinz in Mitt 1976, 232, 233 sowie - trotz erheblicher Bedenken - Schellhorn aaO, Rdn 50). Es bedarf aus Anlaß dieses Falles keiner Entscheidung, ob eine auf Art I § 34 Abs 1 SGB I gestützte Klage außerdem voraussetzt, daß in dem für die Anhörung maßgebenden Zeitpunkt vor Erlaß des Verwaltungsaktes zumindest die Möglichkeit einer anderen Entscheidung bei einer vorherigen Anhörung des Betroffenen besteht, da diese Möglichkeit hier jedenfalls nicht auszuschließen war. Es kann ebenfalls offenbleiben, ob die Aufhebung eines Bescheides wegen Verstoßes gegen Art I § 34 Abs 1 SGB I, wie das SG meint, auf die Fälle - der hier vorliegenden Art - beschränkt ist, in denen das Klagebegehren auch durch eine reine Anfechtungsklage erreicht werden kann. Da die Anhörung, wie dargelegt, nur im Verwaltungsverfahren nachgeholt werden kann, ist der angefochtene Bescheid schon wegen des schwerwiegenden Verfahrensmangels aufzuheben. Mit Recht hat das SG darin keine nach der Rechtsprechung des BSG (vgl ua BSGE 36, 181, 184 mit Nachweisen) grundsätzlich unzulässige "Zurückverweisung" an den Versicherungsträger gesehen. Für den hier vorliegenden Fall eines besonders schweren Mangels hat im übrigen der 4. Senat des BSG (aaO S. 185) offengelassen, ob ein Bescheid allein wegen des Verfahrensmangels als rechtswidrig aufgehoben werden kann.

Eine andere Beurteilung ist entgegen der Auffassung der Beklagten hier auch nicht deshalb begründet, weil die Urteile des Senats vom 28. Juli 1977 (aaO) erst nach Erlaß des Bescheides vom 27. August 1976 ergangen sind. Die Anhörungspflicht vor dem Erlaß eines Verwaltungsaktes, der wie die Rentenherabsetzung oder -entziehung in die Rechte eines Beteiligten eingreift, ergibt sich zweifelsfrei aus Art I § 34 Abs 1 SGB I (ebenso Grünig aaO). Durch eine Anhörung des Klägers vor Erlaß des angefochtenen Bescheides wäre auch schon tatsächlich keine Frist in Frage gestellt gewesen, wie oben bereits dargelegt wurde. Die Beklagte handelte vielmehr in der Annahme, daß eine Nichtbeachtung der Anhörungspflicht nach Art I § 34 SGB I für sie rechtlich ohne Folgen bleibe. Diese Auffassung ist jedoch auch für die Zeit vor einer anderen Entscheidung des Revisionsgerichts nicht schutzwürdig.

Auf die Revision des Klägers war hiernach das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1655907

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