Leitsatz (amtlich)

1. Ist ein Ruhestandsbeamter als Angestellter beschäftigt, so sind bei der Ermittlung des für die Versicherungspflicht maßgebenden "regelmäßigen Jahresarbeitsverdienstes" (AVG § 4 Abs 1 Nr 1) nur die Bezüge aus der Angestelltentätigkeit - nicht auch die als Ruhestandsbeamter - zu berücksichtigen (Ergänzung zu BSG 1963-12-18 3 RK 8/62 = BSGE 20, 133.

2. AVG § 113 verstößt auch insofern nicht gegen das Grundgesetz, als er sich auf Versicherte bezieht, die nach AVG § 7 Abs 1 von der Versicherungspflicht befreit sind.

3. Befreiungen von der Versicherungspflicht, die vor Inkrafttreten des AVG § 7 Abs 1 idF des AnVNG - 1957-03-01 - nach RVO § 173 Abs 1 mit Wirkung für die Angestelltenversicherung (AVG § 1 Abs 2 idF der Ersten VereinfVO) ausgesprochen worden sind, haben nach Inkrafttreten des AVG § 7 Abs 1 nF ihre befreiende Wirkung behalten.

AVG § 113 nF ist in solchen Fällen anwendbar.

4. Die Befreiung der dem G 131 unterliegenden Ruhestandsbeamten von der Versicherungspflicht richtet sich nach Sozialversicherungsrecht, nicht nach G131 §73 Abs 1.

Für die Befreiung von der Versicherungspflicht in der Angestelltenversicherung gilt daher auch in diesem Falle AVG § 7 Abs 1.

 

Orientierungssatz

Die einmal ausgesprochene Befreiung von der Versicherungspflicht hat mit dem Erlaß neuen Rechts in der Frage der Befreiung von der Versicherungspflicht nicht ihre Wirksamkeit verloren. Die auf Grund alten Rechts ausgesprochene Befreiung muß nach Inkrafttreten des AVG § 7 Abs 1 idF des AnVNG - 1957-03-01 (AnVNG Art 3 § 7 S 2 - als fortwirkend angesehen werden. Wenn das auch nicht ausdrücklich im AnVNG wie für die Fälle der Befreiung von der Versicherungspflicht nach AVG § 17 aF oder RVO § 174 idF der VO vom 1945-03-17 - RGBl 141 - vorgeschrieben worden ist (vgl AnVNG Art 3 § 3), so ergibt sich diese Rechtsfolge doch aus dem allgemeinen Rechtsgrundsatz, daß einmal erlassene Verwaltungsakte grundsätzlich von Änderungen ihrer ursprünglichen Rechtsgrundlage nicht berührt werden.

 

Normenkette

RVO § 173 Fassung: 1945-03-17, § 1386 Fassung: 1957-02-23, § 1230 Abs. 1 Fassung: 1957-02-23; AVG § 4 Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1957-02-23, § 7 Abs. 1 Fassung: 1957-02-23, § 113 Fassung: 1957-02-23; GG Art. 3 Abs. 1 Fassung: 1945-05-23; G131 § 73 Abs. 1 Fassung: 1957-09-11, Abs. 5; AnVNG Art. 3 § 7 S. 2 Fassung: 1957-02-23

 

Tenor

Das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 22. Juni 1961 wird aufgehoben. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Itzehoe vom 27. März 1961 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des zweiten und dritten Rechtszuges sind nicht zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

I

Die klagende Firma beschäftigt seit 1951 den Beigeladenen B M (M.) als Angestellten. Dieser erhielt seit April 1951 Ruhegehalt nach den Vorschriften des Gesetzes zur Regelung der Rechtsverhältnisse der unter Artikel 131 des Grundgesetzes fallenden Personen vom 11. Mai 1951 - G 131 - (BGBl I 307). Er wurde auf seinen Antrag vom 22. März 1954 von der beklagten Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK) "gemäß § 173 der Reichsversicherungsordnung (RVO) in Verbindung mit § 73 des Gesetzes zu Art. 131 GG" von der Versicherungspflicht befreit (Bescheid vom 2. September 1954). Die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) befreite ihn ferner "nach § 7 Abs. 1 Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) nF in Verbindung mit § 73 G 131 in der Fassung vom 11. September 1957" rückwirkend vom 1. April 1951 bis 21. März 1954 von der Versicherungspflicht zur Rentenversicherung der Angestellten - AV - (Bescheid vom 4. Juni 1958).

Bei einer Betriebsprüfung im November 1959 stellte die beklagte AOK fest, daß die klagende Firma keine Arbeitgeberanteile zur AV für den Beigeladenen M. entrichtet hatte, und verlangte von der Klägerin unter Hinweis auf § 113 AVG die Nachentrichtung für die Zeit vom 1. März 1957 bis zum 30. November 1959 in Höhe von rund 1575 DM (Bescheid vom 29. Dezember 1959). Deren Widerspruch blieb erfolglos (Bescheid der Widerspruchsstelle der beklagten AOK vom 10. März 1960). Die Klägerin ist der Auffassung, mit der Befreiung des Beigeladenen M. von der Versicherungspflicht sei sie ein für allemal ihrer Verpflichtung zur Entrichtung von Arbeitgeberanteilen ledig, zumal der Beigeladene M. niemals eine Rente aus der AV erhalten werde. Überdies sei der Beigeladene überhaupt nicht versicherungspflichtig, weil seine Bezüge als Angestellter und sein Ruhegehalt zusammengerechnet 15000 DM jährlich überstiegen, demnach über der für die Versicherungspflicht in der AV geltenden Jahresarbeitsverdienstgrenze (§ 4 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 5 Abs. 1 AVG) lägen.

Die Klägerin hat vor dem Sozialgericht (SG) beantragt,

den Bescheid der beklagten AOK vom 29. Dezember 1959 idF des Widerspruchsbescheids vom 10. März 1960 aufzuheben.

Der Beigeladene M. hat sich dem Antrag der Klägerin angeschlossen.

Die beklagte AOK und die beigeladene BfA haben um

Klageabweisung

gebeten. Sie weisen darauf hin, daß das Ruhegehalt bei der Ermittlung des maßgeblichen Jahresarbeitsverdienstes nicht zu berücksichtigen sei.

Das SG ist dieser Auffassung in seinem klagabweisenden Urteil vom 27. März 1961 beigetreten: Der Beigeladene M. wäre versicherungspflichtig gewesen, wenn er nicht antragsgemäß von der Versicherungspflicht befreit worden wäre. Demnach greife § 113 AVG Platz.

Das Landessozialgericht (LSG) hat auf die Berufung der Klägerin das Urteil des SG sowie die angefochtenen Bescheide der beklagten AOK aufgehoben; die Revision wurde zugelassen (Urteil vom 22. Juni 1961). Seiner Auffassung nach ist § 113 AVG im vorliegenden Streitfall nicht anwendbar, weil der Beigeladene M. nicht nach § 7 AVG, sondern nach § 73 Abs. 5 G 131 von der Versicherungspflicht befreit worden sei. Diese Vorschrift gehe als die engere Norm dem § 7 AVG vor. Es könne dahinstehen, ob Ruhestandsbeamte grundsätzlich von der Versicherungspflicht nach § 73 Abs. 5 G 131 - anstatt nach § 7 Abs. 1 AVG - befreit werden könnten. Im vorliegenden Falle sei der Beigeladene M. jedenfalls bindend nach § 73 G 131 von der Versicherungspflicht befreit worden, so daß § 113 AVG unanwendbar sei.

Gegen dieses Urteil hat die beigeladene BfA Revision eingelegt mit dem Antrag,

das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG zurückzuweisen.

Sie rügt Verletzung des § 113 AVG. Zu Unrecht habe das LSG die Befreiung des Beigeladenen M. von der Versicherungspflicht für die Zeit nach dem 28. Februar 1957 aus dem Bescheid der BfA vom 4. Juni 1958 abgeleitet. Dieser Bescheid habe sich nur auf die Zeit vom 1. April 1951 bis zum 21. März 1954 bezogen. Hingegen sei für die Freistellung des Beigeladenen M. von der Versicherungspflicht für die Zeit vom 1. März 1957 an der Bescheid der beklagten AOK vom 2. September 1954 maßgebend, der nach Inkrafttreten des § 7 AVG idF des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (AnVNG) wirksam geblieben sei. Er müsse wie ein für Zeiten nach dem 28. Februar 1957 erlassener Befreiungsbescheid beurteilt werden, der für die in § 73 Abs. 5 G 131 genannten Ruhestandsbeamten nur nach § 7 Abs. 1 AVG - nicht etwa § 73 G 131 - ergehen könne, wie es auch die Verwaltungsvorschriften zu § 73 G 131 (Nr. 5 Abs. 7) idF vom 8. Januar 1961 (Beilage zum Bundesanzeiger Nr. 9 vom 13. Januar 1961) bestimmten. Daher sei § 113 AVG bei Beschäftigung eines dem G 131 unterliegenden Ruhestandsbeamten, der sich von der Versicherungspflicht habe befreien lassen, voll anwendbar.

Die beklagte AOK ist den Ausführungen der beigeladenen BfA beigetreten.

Die klagende Firma hat beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für richtig: Die Befreiung des Beigeladenen M. von der Versicherungspflicht dürfe allein nach § 73 G 131 beurteilt werden. Diese Vorschrift sei gegenüber § 7 Abs. 1 AVG Sondernorm. Demnach sei für die Anwendung des § 113 AVG kein Raum. - Diese Vorschrift sei im vorliegenden Fall ferner deshalb unanwendbar, weil der Beigeladene M. auch ohne Befreiung von der Versicherungspflicht nicht versicherungspflichtig gewesen wäre. Sein Ruhegehalt und seine Angestelltenbezüge hätten zusammengerechnet die für die Versicherungspflicht maßgebliche Jahresarbeitsverdienstgrenze von 15000 DM überstiegen. - Außerdem sei § 113 AVG verfassungswidrig, weil Arbeitgeber hierdurch in unzulässiger Weise zu Steuern herangezogen würden.

Der Beigeladene M. ist dem Antrag und den Ausführungen der Klägerin beigetreten.

II

Die Revision der beigeladenen BfA ist begründet. Zu Recht hat die beklagte AOK von der klagenden Firma die Nachentrichtung der Arbeitgeberanteile zur AV für den Beigeladenen M. gefordert.

Nach § 113 AVG hat der Arbeitgeber für Arbeitnehmer, die nach § 7 Abs. 1 AVG von der Versicherungspflicht befreit sind, den Beitragsanteil zu entrichten, den er entrichten müßte, wenn der Arbeitnehmer versicherungspflichtig wäre. Zu Unrecht meint die Klägerin, diese Vorschrift sei schon deshalb im Streitfall unanwendbar, weil der Beigeladene M. auch ohne seine Freistellung von der Versicherungspflicht wegen Überschreitens der Jahresarbeitsverdienstgrenze (§ 4 Abs. 1 Nr. 1, § 5 Abs. 1 AVG) nicht versicherungspflichtig wäre. Dabei will sie die dem Beigeladenen M. nach dem G 131 gewährten Ruhegehaltsbezüge und dessen Angestelltenvergütung zusammengerechnet wissen. Das ist jedoch bei der Ermittlung des für die Versicherungspflicht maßgebenden Jahresarbeitsverdienstes unzulässig. Hierbei dürfen Bezüge aus versicherungspflichtiger und nicht versicherungspflichtiger Beschäftigung als Beamter nicht zusammengerechnet werden, wie der Senat es bereits für einen zugleich als Angestellten tätigen Beamten ausgesprochen hat (BSG 20, 133, 134). Erst recht hat dies zu gelten, wenn - wie im vorliegenden Fall - nur ein Beschäftigungsverhältnis als Angestellter vorliegt und der Angestellte aus früherer Tätigkeit im öffentlichen Dienst noch ein Ruhegehalt bezieht.

Der Anwendbarkeit des § 113 AVG, soweit er sich auf Befreiungen von der Versicherungspflicht nach § 7 Abs. 1 AVG bezieht, stehen auch keine verfassungsmäßigen Bedenken entgegen. Zu Unrecht meint die Klägerin, der Beschluß des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 16. Oktober 1962 (BVerfG 14, 312) könne nicht sinngemäß auf die hier in Rede stehenden Fälle der Befreiung von der Versicherungspflicht nach § 7 Abs. 1 AVG angewandt werden. Diese Entscheidung beschränkt sich zwar auf § 113 AVG in seiner Verbindung mit § 6 Abs. 1 Nr. 1 AVG . Mit Recht weist aber der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung (BMA in seinem im Einvernehmen mit den Bundesministern des Innern und der Justiz erlassenen Bescheid vom 29. März 1963 - IV b 2 - 1481/63 (Rinks Gesetzestexte zur Sozialversicherung und Kriegsopferversorgung 1963 I, 29. März 1963 Nr. 4) darauf hin, daß hieraus nicht im Wege eines Umkehrschlusses gefolgert werden könne, § 113 AVG sei im übrigen, d. h. soweit er auf § 7 Abs. 1 AVG Bezug nehme, verfassungswidrig. Aus den Gründen des Beschlusses des BVerfG geht klar hervor, daß die Einschränkung ihren Grund allein darin hat, daß die Verfassungsmäßigkeit des § 113 AVG nur insoweit, als er auf § 6 Abs. 1 Nr. 1 AVG verweist, im Ausgangsverfahren entscheidungserheblich war und daher nur mit dieser Begrenzung im Normenkontrollverfahren geprüft werden konnte.

Die Gründe, die für die Verfassungsmäßigkeit des § 113 AVG in seiner Verbindung mit § 6 Abs. 1 Nr. 1 AVG sprechen, gelten auch für den auf § 7 Abs. 1 AVG bezogenen Anwendungsbereich des § 113 AVG. Das Hauptbedenken gegen die Vereinbarkeit des § 113 AVG mit dem Grundgesetz (GG), das im Verfahren vor dem BVerfG und auch von der Klägerin in diesem Verfahren geltend gemacht worden war, wurde darin gesehen, daß § 113 AVG den betroffenen Arbeitgebern keinen Beitrag, sondern eine Steuer auferlege. Bei richtiger Würdigung des Wesens der Sozialversicherung mit ihrer Betonung des sozialen Ausgleichs innerhalb des Kreises der Versicherten, aber auch zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, erweist sich dieses Bedenken als nicht stichhaltig. Mit Recht hat das BVerfG (aaO S. 318) die Auffassung, die Verpflichtung der Arbeitgeber, Sozialversicherungsbeiträge zu leisten, lasse sich auf das einzelne Arbeitsverhältnis und eine ihm entspringende Vertragspflicht gegenüber dem Arbeitnehmer zurückführen, als mit dem System des Sozialversicherungsrechts nicht vereinbar erklärt. Vielmehr sind die Leistungen der Arbeitgeber nach § 113 AVG dadurch als Beiträge in dem besonderen Sinne des Sozialversicherungsrechts charakterisiert, daß sie auf Grund gesetzlicher Vorschrift zur Deckung des Finanzbedarfs der Versicherungsträger aufgebracht werden, wenn auch vornehmlich wirtschafts- und sozialpolitische Gründe für die Einführung des § 113 AVG bestimmend waren. Da diese Erwägung uneingeschränkt auch für Arbeitgeber gilt, die nach § 7 Abs. 1 AVG von der Versicherungspflicht befreite Arbeitnehmer beschäftigen, unterliegt es auch bei ihnen keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, die ihnen nach § 113 AVG auferlegte Leistung als Beitrag im spezifischen Sinne der Sozialversicherung anzusehen.

Ebensowenig verstößt § 113 AVG in seiner Verbindung mit Art. 7 Abs. 1 AVG gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG). Insbesondere trifft die gelegentlich aufgestellte Behauptung nicht zu, ein von der Versicherungspflicht nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 AVG befreiter Arbeitnehmer werde durch die Heranziehung seines Arbeitgebers zu den Arbeitgeberanteilen der Beiträge zur Angestelltenversicherung auf dem Arbeitsmarkt benachteiligt. Hätte dieser Arbeitnehmer den Befreiungsantrag nicht gestellt, so wäre die beitragsrechtliche Situation der Arbeitgebers die gleiche: Er müßte für den in diesem Falle versicherungspflichtigen Arbeitnehmer denselben Arbeitgeberanteil wie für den von der Versicherungspflicht befreiten Arbeitnehmer entrichten. Demnach kann allenfalls davon gesprochen werden, daß dem von der Versicherungspflicht befreiten Arbeitnehmer der nach früherem Recht damit verbundene Vorteil der Freistellung seines Arbeitgebers von Sozialversicherungsbeiträgen nicht mehr gewährt wird und damit der besondere Anreiz weggefallen ist, solche "billigeren" Arbeitskräfte zu beschäftigen. Was das BVerfG in diesem Zusammenhang für die Altersruhegeldempfänger nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 AVG ausgeführt hat (BVerfG 14, 312, 319 f), gilt auch für die nach § 7 Abs. 1 AVG von der Versicherungspflicht befreiten Versorgungsempfänger. Daß Arbeitnehmer, die wegen ihrer anderweitigen Sicherung von der Versicherungspflicht frei oder befreit sind, nicht um eines mit der Beitragspflicht verbundenen Kostenvorteils willen bevorzugt beschäftigt werden sollen, erscheint unter zwei Gesichtspunkten sachlich gerechtfertigt: Arbeitgeber solcher Arbeitskräfte sollen gegenüber ihren Konkurrenten keinen ungerechtfertigten Kostenvorteil genießen. Zum anderen kann es sozial- und wirtschaftspolitisch - im besonderen in Zeiten stärkerer Arbeitslosigkeit - unerwünscht sein, daß der mit der Beitragsfreiheit verbundene Anreiz zur Beschäftigung solcher Arbeitnehmer, die einen solchen Vorteil für ihren Arbeitgeber in ihr Beschäftigungsverhältnis einbringen würden, sich nachteilig für solche Arbeitsuchenden auswirkt, die mit Aufnahme der Beschäftigung versicherungspflichtig wären, andererseits aber im allgemeinen stärker auf ihre Existenzsicherung durch Arbeitslohn als Altersruhegeld- und Versorgungsempfänger angewiesen sind.

Demnach ist § 113 AVG auch insoweit mit dem GG vereinbar, als die Vorschrift dem Arbeitgeber die Verpflichtung auferlegt, für Arbeitnehmer, die nach § 7 Abs. 1 AVG von der Versicherungspflicht befreit sind, den Beitrag zu entrichten, den er entrichten müßte, wenn der Arbeitnehmer versicherungspflichtig wäre.

Entgegen der Auffassung des LSG im angefochtenen Urteil ist auch die weitere Voraussetzung des § 113 AVG gegeben, daß der Beigeladene M. nach § 7 Abs. 1 AVG von der Versicherungspflicht befreit ist. Dieser ist durch Bescheid der beklagten AOK vom 2. September 1954, demnach bereits zu einer Zeit von der Versicherungspflicht befreit worden, als § 7 Abs. 1 AVG - in der hier maßgeblichen Fassung des AnVNG - noch nicht galt. Der späterhin von der Beigeladenen BfA erteilte Befreiungsbescheid vom 4. Juni 1958 bezieht sich nur auf den - vom Bescheid der beklagten AOK nicht erfaßten - Zeitraum vom 1. April 1951 bis zum 21. März 1954. Er hatte nur Bedeutung für die Erstattung der auf den gleichen Zeitraum entfallenden Beiträge, die nach der Umgestaltung des § 73 G 131 durch Nr. 70 des Zweiten Gesetzes zur Änderung des G 131 vom 11. September 1957 - Zweiten ÄndG zu G 131 - (BGBl I 1275) möglich geworden war. Mit Recht hatte die BfA in diesem nur für die Jahre 1951 bis 1954 wirksamen Befreiungsbescheid den im Bescheidformular "für die Zeit ab 1.3.1957" vorgesehenen Hinweis auf die Arbeitgeberpflichten nach § 113 AVG gestrichen. Dieser Hinweis wäre in dem Bescheid nach Lage der Umstände fehl am Platze gewesen; der Bescheid erschöpft sich in der Regelung eines mit dem 21. März 1954 abgeschlossenen Sachverhalts. Deshalb sind die vom LSG an die Streichung des formularmäßig vorgesehenen Hinweises auf § 113 AVG geknüpften Folgerungen unzutreffend.

Bedeutsam für die Freistellung des Beigeladenen M. von der Versicherungspflicht für die Zeit nach dem 21. März 1954 ist somit nur der Bescheid der beklagten AOK vom 2. September 1954. Dieser Bescheid ist zum mindesten ungenau insofern, als er die Befreiung des Beigeladenen M. von der Versicherungspflicht "gemäß § 173 RVO in Verbindung mit § 73 des Gesetzes zu Art. 131 GG" ausspricht. Die Ruhestandsbeamten waren vor Inkrafttreten des Zweiten ÄndG zu G 131 in die Regelung des § 73 G 131 nicht einbezogen gewesen. Sie konnten nur nach § 173 RVO - idF der Ersten Verordnung (VO) zur Vereinfachung des Leistungs- und Beitragsrechts in der Sozialversicherung vom 17. März 1945 (RGBl I 41) - unter den dort genannten Voraussetzungen von der Versicherungspflicht in der Krankenversicherung - und damit auch in der AV (§ 1 Abs. 2 AVG aF) - befreit werden. So hätte auch die Befreiung des Beigeladenen M. allein gestützt auf § 173 RVO ausgesprochen werden können. Es mag sein, daß die beklagte AOK mit dem Zusatz im Befreiungsbescheid "in Verbindung mit § 73 des Gesetzes zu Art. 131 GG" nur zum Ausdruck bringen wollte, daß der Beigeladene M. zu dem vom G 131 erfaßten Personenkreis gehört.

Selbst wenn man aber den Bescheid der beklagten AOK so versteht, daß § 73 G 131 als Grundlage der Befreiung von der Versicherungspflicht - in diesem Falle rechtsirrtümlich - von der beklagten AOK herangezogen worden ist, entfaltet er keine andere Bindungswirkung, als er sie beim Fehlen der Verweisung auf § 73 G 131 hätte. Nach Abs. 1 dieser Vorschrift in der bei Erlaß des Befreiungsbescheides der beklagten AOK maßgeblichen Fassung fand § 173 RVO Anwendung, wenn ein Beamter zur Wiederverwendung eine versicherungspflichtige Tätigkeit außerhalb des öffentlichen Dienstes ausübte. Damit wurde - nur auf einem Umweg - die sozialversicherungsrechtliche Sachvorschrift für die Freistellung von der Versicherungspflicht herangezogen, die nach richtiger Auffassung bei Ruhestandsbeamten unmittelbar zum Zuge kam. Schon deshalb ist der möglicherweise vorhandene Irrtum der beklagten AOK über die Rechtsgrundlage ihrer Befreiungskompetenz für die Bindungswirkung ihres Befreiungsbescheides unschädlich.

Im übrigen wäre insoweit auch ein gröberer Begründungsfehler unerheblich. Der unanfechtbar gewordene Verwaltungsakt wird für die Beteiligten grundsätzlich "in der Sache" bindend (§ 77 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -). Darin kommt eine Wesensverwandtschaft zwischen bindendem Verwaltungsakt und rechtskräftigem Urteil zum Ausdruck (vgl. BSG 15, 118, 121 f), die es jedenfalls erlaubt, Irrtümer in der rechtlichen Begründung als für die Bindungswirkung des Verwaltungsakts ebensowenig erheblich wie für die Rechtskraft des Urteils anzusehen. Gebunden sind die Beteiligten i. S. des § 77 SGG nur "in der Sache", d. h. im vorliegenden Fall an die Freistellung des Beigeladenen M. von der Versicherungspflicht.

Die einmal ausgesprochene Befreiung von der Versicherungspflicht hat mit dem Erlaß neuen Rechts in der Frage der Befreiung von der Versicherungspflicht nicht ihre Wirksamkeit verloren. Die auf Grund alten Rechts ausgesprochene Befreiung muß nach Inkrafttreten des § 7 Abs. 1 AVG idF des AnVNG - 1. März 1957 (Art. 3 § 7 Satz 2 AnVNG - als fortwirkend angesehen werden. Wenn das auch nicht ausdrücklich im AnVNG wie für die Fälle der Befreiung von der Versicherungspflicht nach § 17 AVG aF oder § 174 RVO idF der Verordnung vom 17. März 1945 (RGBl I 41) vorgeschrieben worden ist (vgl. Art. 3 § 3 AnVNG), so ergibt sich diese Rechtsfolge doch aus dem allgemeinen Rechtsgrundsatz, daß einmal erlassene Verwaltungsakte grundsätzlich von Änderungen ihrer ursprünglichen Rechtsgrundlage nicht berührt werden (vgl. Jantz/Zweng, Das neue Recht der Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten, RVO § 1230 Anm. VI). Mit Recht hat der BMA in seinem Bescheid vom 6. Juni 1957 - IV a 1-4511-1898/57 (veröffentlicht in Rinks Gesetzestexte zur Sozialversicherung und Kriegsopferversorgung, Bd. 1957 Mai-Juli, 6.6.1957 Nr. 1) - hieraus den Schluß gezogen, daß die weiterhin wirksamen Befreiungen von der Versicherungspflicht fortan nach neuem Recht zu beurteilen sind und insoweit auch § 113 AVG anzuwenden ist. Entgegen der Auffassung des LSG kann dabei nicht offenbleiben, ob dem G 131 unterliegende Ruhestandsbeamte nach § 73 G 131 idF des Zweiten ÄndG zum G 131 oder nach § 7 Abs. 1 AVG idF des AnVNG von der Versicherungspflicht befreit werden; denn diese - nach dem Rechtsstandpunkt des LSG nicht entscheidungserhebliche - Frage bedarf dann der Klärung, wenn es sich um verschiedene Arten der Befreiung von der Versicherungspflicht mit unterschiedlichen Rechtsfolgen handelt. Das ist aber der Fall. Die in § 73 Abs. 1 bis 3 G 131 nF behandelte Befreiung von der Versicherungspflicht ist eine eigenständige Regelung des G 131 mit einer Reihe Besonderheiten gegenüber der sozialversicherungsrechtlichen Regelung, die sich aus der besonderen Rechtsstellung der Beamten zur Wiederverwendung ergeben. Sie ist Sonderregelung. Als solche ist sie weder in § 113 AVG genannt, noch kann sie der dort aufgeführten Art der Befreiung von der Versicherungspflicht nach § 7 Abs. 1 AVG gleichgestellt werden. § 113 AVG ist daher bei Befreiung von der Versicherungspflicht nach § 73 Abs. 1 G 131 nF unanwendbar (so auch Anders/Jungkunz/Käppner G 131, 4. Aufl. § 73 Anm. 2 Fußnote 7 a; ebenso die mit Zustimmung des Bundesrats erlassenen Verwaltungsvorschriften des Bundes zu §§ 72 bis 74 G 131 - Beilage zum Bundesanzeiger Nr. 9 vom 13. Januar 1961 - "zu § 73" Nr. 5 Abs. 6 Satz 2).

Das gilt jedoch nicht für die Befreiung der dem G 131 unterliegenden Ruhestands beamten von der Versicherungspflicht. Zwar gelten nach § 73 Abs. 5 Satz 1 G 131 aF die Absätze 1 bis 4 "entsprechend" für Ruhestandsbeamte. Diese entsprechende Anwendung hat aber unter Beachtung des Ziels zu geschehen, das mit dem Einbeziehen der Ruhestandsbeamten in die Regelung des § 73 G 131 verfolgt wurde. Die Ruhestandsbeamten sollten an der rückwirkenden Kraft der Befreiung von der Versicherungspflicht teilhaben, die das Sozialversicherungsrecht nicht kennt, die aber § 73 G 131 den Beamten z. W. zuerkennt. Das ist der Kern der Neuregelung in Abs. 5 des § 73 G 131, während sich im übrigen für die Ruhestandsbeamten, was die Befreiung von der Versicherungspflicht betrifft, gegenüber dem bisherigen Rechtszustand nichts Wesentliches geändert hat (vgl. Anders/Jungkunz/Käppner aaO Anm. 6 S. 380). Deshalb ist für diesen Personenkreis die Rechtsgrundlage der Befreiung von der Versicherungspflicht nach wie vor das Sozialversicherungsrecht - bei Angestellten demnach § 7 Abs. 1 AVG -, wie die schon genannten Verwaltungsvorschriften des Bundes (aaO "zu § 73" Nr. 5 Abs. 7) es auch zutreffend zum Ausdruck bringen.

Demnach ist die vor Inkrafttreten des § 7 Abs. 1 AVG nF ausgesprochene, auf § 173 RVO i. V. m. § 1 Abs. 2 AVG aF beruhende Befreiung eines dem G 131 unterliegenden Ruhestandsbeamten von der Versicherungspflicht in der AV nach dem Inkrafttreten des § 7 Abs. 1 AVG nF als eine auf dieser Vorschrift beruhende Befreiung von der Versicherungspflicht zu beurteilen. Sie löst damit für den Arbeitgeber eines solchen Ruhestandsbeamten die in § 113 AVG bestimmte Rechtsfolge aus.

Diese Schlußfolgerung entspricht auch dem mit § 113 AVG verfolgten Zweck. Ziel dieser Vorschrift ist, zu verhindern, daß Arbeitgeber Arbeitskräfte, die bereits anderweitig den mit dem Versicherungsverhältnis bezweckten Schutz der Rentenversicherung genießen und deswegen versicherungsfrei oder von der Versicherungspflicht befreit sind, wegen des mit der Beitragsfreiheit verbundenen Kostenvorteils beschäftigen und insbesondere dadurch ihren Konkurrenten gegenüber einen ungerechtfertigten Kostenvorsprung erlangen (BVerfG 14, 312, 319 f). Für diese Zwecksetzung ist es unerheblich, ob die Ruhestandsbeamten ihr Ruhegehalt nach allgemeinen dienstrechtlichen Vorschriften oder auf Grund des § 131 erhalten. Nach dem das Sozialversicherungsrecht beherrschenden Gleichbehandlungsgrundsatz müßte es sogar als sachlich unbegründet und deshalb bedenklich angesehen werden, wenn die Arbeitgeber solcher Angestellten, die als dem G 131 unterliegende Ruhestandsbeamte von der Versicherungspflicht in der AV befreit sind, nicht von § 113 AVG erfaßt würden.

Demnach mußte das angefochtene Urteil aufgehoben und das klagabweisende Urteil erster Instanz wiederhergestellt werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 und 4 SGG.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2379962

BSGE, 288

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