Leitsatz (amtlich)

Ein Rentenbewerber wird auch dann nicht Mitglied einer unzuständigen Krankenkasse, wenn er bei ihr ordnungsgemäß angemeldet worden ist und die Kasse von ihm drei Monate ununterbrochen und unbeanstandet die Beiträge angenommen hat.

 

Normenkette

RVO § 213 Fassung: 1924-12-15, § 257a Abs 1 S 3 Fassung: 1969-07-27, § 315 Fassung: 1924-12-15, §§ 315a, 381 Abs 3 S 2 Nr 3 Fassung: 1969-07-27

 

Verfahrensgang

SG Speyer (Entscheidung vom 11.07.1979; Aktenzeichen S 9 K 74/78)

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Erstattung von Krankenpflegekosten.

Der beigeladene W O (O) beantragte am 21. Juli 1976 Rente wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit. Er war bis dahin in der Gaststätte seiner Ehefrau beschäftigt und als versicherungspflichtig bei der klagenden Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOk) gemeldet. Ab dem 22. Juli 1976 wurde er als Rentenbewerber bei der Klägerin angemeldet. Eine Mitversicherung als Familienangehöriger wurde auf der Anmeldung verneint. Die Klägerin nahm von O Beiträge zur Krankenversicherung der Rentner entgegen. Vom 24. Januar bis 16. Mai 1977 bezog O Arbeitslosengeld, vom 17. Mai bis 12. Juli 1977 Krankengeld und vom 18. Juli bis 10. September 1977 wiederum Arbeitslosengeld.

Vom 16. März 1976 bis 14. September 1976, vom 24. November 1976 bis 16. März 1977 und ab 19. Juni 1977 gewährte die Klägerin dem Sohn des O stationäre Krankenbehandlung.

Am 10. Oktober 1977 wurde der Klägerin bekannt, daß die Ehefrau des O bei der Beklagten seit 1975 freiwillig krankenversichert war. Sie überwies O deshalb zuständigkeitshalber an die Beklagte. Die Anzeige ging am 11. Oktober 1977 bei der Beklagten ein.

Die Klägerin forderte von der Beklagten die Erstattung der Heilbehandlungskosten vom 22. Juli 1976 bis 10. Oktober 1977 mit Ausnahme der Zeiten, in denen O Arbeitslosen- und Krankengeld bezogen hatte, in Höhe von insgesamt 11.704,45 DM. Die Beklagte übernahm die Krankenpflegekosten ab der Überweisung, lehnte jedoch die Erstattung der Krankenpflegekosten für die voraufgegangene Zeit ab, weil O gemäß § 315 der Reichsversicherungsordnung (RVO) Mitglied der Klägerin gewesen sei. Das Sozialgericht Speyer (SG) hat die Klage abgewiesen und die Revision zugelassen (Urteil vom 11. Juli 1979).

Die Klägerin hat mit Zustimmung der Beklagten Revision eingelegt. Sie rügt eine Verletzung der §§ 315, 257a Abs 1 Satz 3, 315a und 381 Abs 3 Satz 2 Nr 3 RVO in der damals geltenden Fassung.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Speyer vom 11. Juli 1979

aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an die

Klägerin 11.704,45 DM zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Die Beteiligten sind damit einverstanden, daß der Senat ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheidet (§ 124 Abs 2 SGG).

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin ist begründet. Das angefochtene Urteil ist aufzuheben und die Beklagte zur Zahlung von 11.704,45 DM Krankenpflegekosten an die Klägerin zu verurteilen.

Die Klägerin hat einen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch in dieser Höhe gegen die Beklagte, weil der Beigeladene O in der streitigen Zeit Mitglied der Beklagten war und die Klägerin die Krankenpflegekosten für den Sohn des O anstelle der leistungspflichtigen Beklagten getragen hat.

Als O am 21. Juli 1976 Rente wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit beantragte, wurde er formales Mitglied der Krankenversicherung der Rentner (§ 315a RVO). Er hatte mit dem Antrag eine Meldung für die zuständige Krankenkasse einzureichen, die von dem Rentenversicherungsträger an die zuständige Kasse weiterzuleiten war (§ 317 Abs 4 RVO). Zuständig für die Krankenversicherung des O war die beklagte Ersatzkasse, deren Mitglied die Ehefrau O war. Nach § 257a Abs 1 Satz 3 RVO ist nämlich bis zum Ablauf des Monats, in dem der die Rente gewährende Bescheid zugestellt wird, die Kasse zuständig, der der Versicherte angehört, dem der Anspruch auf Familienkrankenpflege zustünde, wenn ohne die Rentnerkrankenversicherung Anspruch auf Familienkrankenpflege bestünde. Das gilt auch bei Ersatzkassenmitgliedern (§ 514 Abs 2 RVO). Zuständig ist diese Kasse für die nach § 315a RVO als Mitglieder geltenden Versicherten während des Rentenverfahrens, in dem geklärt wird, ob sie einen Rentenanspruch haben oder nicht. Die Übergangszuständigkeit gilt für alle Rentenbewerber, deren Versicherungsschutz nach § 315a RVO sichergestellt sein soll (Urteil des erkennenden Senats vom 19. Dezember 1979 - 8b/3 RK 25/77; Peters, Handbuch der Krankenversicherung, Teil II 17. Aufl, Stand September 1979, § 257a Anm 2). § 257a Abs 1 Satz 3 RVO trifft nur eine die Zeit vom Rentenantrag bis zur Entscheidung über diesen Antrag umfassende Zuständigkeitsregelung. Die Zuständigkeit der "Familienhilfekasse" ist ausnahmsweise für den Fall vorgesehen, daß ein eigener Anspruch des Rentenbewerbers auf Krankenpflege zur Zeit der Rentenantragstellung nicht oder nicht mehr besteht. Jeder eigene Krankenpflegeanspruch geht mithin dem Anspruch auf Familienkrankenpflege vor und schließt die Zuständigkeit der "Familienhilfekasse" für die Rentnerkrankenversicherung aus (Urteil vom 19. Dezember 1979, aaO).

Einen solchen eigenen Krankenpflegeanspruch gegen die Klägerin hatte O weder als nachgehenden Anspruch aus eigener voraufgegangener Versicherung (§§ 183 Abs 1 Satz 2, 311 RVO) noch als Mitglied der Klägerin. Obwohl er irrtümlich bei der Klägerin angemeldet worden war und sie von ihm für mehr als drei Monate ununterbrochen und unbeanstandet Beiträge entgegengenommen hatte, war er nicht ihr Mitglied geworden. § 315 RVO bestimmt in seiner seit dem Inkrafttreten der RVO unveränderten Fassung: "Hat eine Kasse für einen Versicherungspflichtigen nach vorschriftsmäßiger Anmeldung drei Monate ununterbrochen und unbeanstandet die Beiträge angenommen, so hat sie ihn, solange sich sein Beschäftigungsverhältnis nicht ändert, als Mitglied mindestens bis zu dem Tag anzuerkennen, wo der Kassenvorstand ihn oder seinen Arbeitgeber schriftlich an die andere Kasse verweist". Schon die Fassung dieser Vorschrift zeigt, daß § 315 RVO nicht alle Personen erfaßt, die krankenversichert sind - so etwa nicht Versicherungsberechtigte - und von denen eine unzuständige Krankenkasse Beiträge entgegengenommen hat. Seitdem Rentner und Rentenbewerber durch das Gesetz über Krankenversicherung der Rentner - KVdR - vom 12. Juni 1956 (BGBl I 500) in die gesetzliche Krankenversicherung einbezogen sind, sind Rentenbewerber zwar ebenso wie versicherungspflichtige Beschäftigte und Rentner bei der zuständigen Krankenkasse anzumelden (§ 317 Abs 5, jetzt Abs 4 RVO). Auch in diesen Fällen sind daher Anmeldungen bei einer unzuständigen Krankenkasse möglich. Der Gesetzgeber hat aber, insbesondere im Zusammenhang mit der Einführung des § 315a RVO den § 315 RVO nicht geändert, ihn insbesondere nicht auf Rentenbewerber ausgedehnt. Rentenbewerber sind aber nicht Versicherungspflichtige, sie "gelten" vielmehr nur als Mitglieder. Ihre Mitgliedschaft beginnt zwar mit der Stellung des Rentenantrages (§ 306 Abs 2 RVO), sie sind aber während des Schwebezustandes von der Rentenantragstellung bis zur Entscheidung über den Rentenantrag nicht versicherungspflichtige Mitglieder im Sinne von § 165 Abs 1 Nr 3 RVO. Die Formalmitgliedschaft des § 315a RVO deckt nur den Schwebezustand zwischen der Antragstellung und der Entscheidung über den Rentenantrag ab, während geklärt wird, ob die Voraussetzungen für den Rentenbezug (§ 165 Abs 1 Nr 3 RVO) erfüllt sind oder nicht. Während dieses Zeitraums soll ein Rentenantragsteller bereits den Schutz der gesetzlichen Krankenversicherung genießen, ohne jedoch Mitglied der Krankenkasse zu werden.

Für diesen verhältnismäßig kurzen vorübergehenden und absehbaren Zeitraum der formalen Mitgliedschaft besteht auch nach der Zielsetzung des § 315 RVO kein Anlaß, eine Mitgliedschaft bei einer unzuständigen Krankenkasse entstehen zu lassen. § 315 RVO will einerseits gegenüber dem Versicherungspflichtigen Klarheit schaffen, welche Krankenkasse ihm gegenüber leistungspflichtig ist und andererseits Rückabwicklungen zwischen der an sich zuständigen Krankenkasse und derjenigen, die die Beiträge entgegengenommen hat, ausschließen. Sind die Voraussetzungen des § 315 erfüllt, hat die unzuständige Krankenkasse Anspruch auf die Beiträge und ist leistungspflichtig, solange die Mitgliedschaft nicht richtiggestellt ist. Bei versicherungspflichtigen Beschäftigten kann dieser Zustand unter Umständen sehr lange andauern, bei einer Formalmitgliedschaft nach § 315a dagegen wird nach Abschluß des Rentenverfahrens die Mitgliedschaft neu geregelt. Es besteht daher keine Notwendigkeit, während dieses vorübergehenden Zeitraums die Mitgliedschaft endgültig zu regeln. Es ist vielmehr sowohl dem Formalmitglied als auch den Krankenkassen zuzumuten, das Versicherungsverhältnis jederzeit auch rückwirkend richtigzustellen. Hinzu kommt, daß die Rentnerkrankenversicherung in den Fällen des § 257a Abs 1 Satz 3 RVO für das Mitglied beitragsfrei ist (§ 381 Abs 3 Satz 2 Nr 3 RVO). Es würde jedoch der Systematik widersprechen, auch in solchen Fällen die Mitgliedschaft an die ordnungsgemäße Anmeldung und die Entgegennahme von Beiträgen für eine Zeit von mindestens drei Monaten zu knüpfen, mit der Folge, daß die unzuständige Krankenkasse den Anspruch auf die Beiträge behält, während andererseits bei richtiger Anmeldung der Versicherte beitragsfrei wäre. Die Dreimonatsfrist des § 315 RVO hat ihren Grund darin, daß die Krankenkasse ihre Zuständigkeit zu überprüfen hat, und zwar ohne Rücksicht auf die Anmeldung bei ihr. Stellt sie in dieser Zeit nicht fest, daß eine andere Krankenkasse zuständig ist, kommt sie damit ihrer Verpflichtung gegenüber dem Versicherten nicht nach. Es wäre dann nicht gerechtfertigt, den Versicherten mit Beiträgen zu belasten, auf die die zuständige Krankenkasse keinen Anspruch hat. Andererseits wäre es in diesen Fällen aber auch nicht gerechtfertigt, die unzuständige Krankenkasse mit den Leistungsverpflichtungen zu belasten, ohne daß sie, wie das § 315 RVO vorsieht, den Anspruch auf die Beiträge behält.

§ 213 RVO, der ebenfalls Rechtsfolgen daran knüpft, daß eine Krankenkasse nach unrichtiger Anmeldung drei Monate ununterbrochen und unbeanstandet Beiträge annimmt, greift hier nicht ein. Er erfaßt anders als § 315 RVO Personen, die nicht Mitglieder einer Krankenkasse werden können und läßt deshalb keine Mitgliedschaft, sondern nur einen Leistungsanspruch entstehen. Die Frage der Mitgliedschaft Versicherungspflichtiger bei einer unzuständigen Krankenkasse regelt allein § 315 RVO.

Ein Rentenbewerber wird daher auch dann nicht Mitglied einer unzuständigen Krankenkasse, wenn er bei ihr ordnungsgemäß angemeldet worden ist und die Kasse von ihm drei Monate ununterbrochen und unbeanstandet die Beiträge angenommen hat.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 104

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