Beteiligte

…, Klägerin und Revisionsklägerin

Bundesversicherungsanstalt für Angestellte, Berlin, Ruhrstraße 2, Beklagte und Revisionsbeklagte

 

Tatbestand

G r ü n d e :

I

Die Beteiligten streiten über die Rücknahme eines Bescheides, mit dem die Klägerin zur Nachzahlung von Rentenversicherungsbeiträgen zugelassen worden war.

Die 1931 geborene Klägerin ließ sich anläßlich ihrer Heirat die Hälfte der vom Juli 1953 bis April 1963 entrichteten Pflichtbeiträge von der Beklagten erstatten. Im Dezember 1972 entrichtete sie gemäß Art 2 § 49a Abs 2 des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (AnVNG) Beiträge für die Zeit von Januar 1956 bis Dezember 1972.

Am 30. Januar 1992 beantragte die Klägerin die Nachzahlung von freiwilligen Beiträgen wegen Heiratserstattung für die Zeit von Juli 1953 bis April 1963. Mit Bescheid vom 24. Februar 1992 ließ die Beklagte die Klägerin gemäß § 282 des Sozialgesetzbuchs - Gesetzliche Rentenversicherung (SGB VI) zur Nachzahlung für die genannte Zeit und in der begehrten Höhe zu. Den entsprechenden Betrag zahlte die Klägerin am 5. März 1992 ein. Mit Bescheid vom 9. April 1992 beanstandete die Beklagte jedoch die zuletzt für die Zeit Januar 1956 bis April 1963 nachgezahlten Beiträge, weil die Zeit ab Januar 1956 wegen der Nachentrichtung im Dezember 1972 schon mit Beiträgen belegt gewesen sei und dieses die Nachzahlung von Beiträgen nach § 282 Abs 1 Satz 1 SGB VI für dieselbe Zeit ausgeschlossen habe. Im Widerspruchsverfahren nahm die Beklagte den Bescheid vom 24. Februar 1992 insoweit zurück, als darin die Nachzahlung freiwilliger Beiträge für die Zeit vom Januar 1956 bis April 1963 zugelassen worden war (Bescheid vom 28. August 1992). Die Klägerin hielt ihren Widerspruch aufrecht. Die Beklagte wies nunmehr den Widerspruch gegen die Bescheide vom 9. April 1992 und 28. August 1992 zurück (Widerspruchsbescheid vom 28. Oktober 1992). Im Bescheid vom 24. Februar 1992 über die Zulassung der Nachzahlung wegen Heiratserstattung sei übersehen worden, daß die Klägerin für die Zeit ab Januar 1956 bereits früher Beiträge nachentrichtet habe, und daher der Nachzahlungszeitraum unrichtig benannt worden. Der Bescheid vom 24. Februar 1992 sei insoweit gemäß § 45 des Sozialgesetzbuches - Verwaltungsverfahren (SGB X) zurückzunehmen. Dies sei jederzeit zulässig, weil es sich um einen Bescheid ohne Dauerwirkung, dh ohne Leistungszusage, handele, so daß Vermögensdispositionen von der Klägerin noch nicht getroffen worden sein könnten.

Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 21. Juli 1993), das Landessozialgericht (LSG) die Berufung der Klägerin zurückgewiesen (Urteil vom 9. März 1994). Die Beklagte habe - jedenfalls mit Wirkung für die Zukunft -gemäß § 45 SGB X die Zulassung zur Nachzahlung für den Zeitraum von Januar 1956 bis April 1963 wirksam zurückgenommen. Der Bescheid vom 24. Februar 1992 sei hinsichtlich dieses Zeitraums rechtswidrig gewesen, weil § 282 Abs 1 Satz 1 SGB VI die Nachzahlung nur insoweit gestatte, als die Zeiten nicht bereits mit Beiträgen belegt seien. Mit Wirkung für die Vergangenheit, dh für die Zeit bis zum Zugang des Rücknahmebescheides vom 28. August 1992 sei die Beklagte hingegen nicht zur Rücknahme berechtigt. Die Voraussetzungen des § 45 Abs 4 SGB X lägen nicht vor. Der Vertrauensschutz der Klägerin sei nicht nach § 45 Abs 2 Satz 3 Nr 2 oder 3 SGB X ausgeschlossen. Dies ändere jedoch nichts daran, daß die Voraussetzungen einer Rücknahme mit Wirkung für die Zukunft vorlägen. Da die Klägerin aufgrund der Zulassung und der Nachzahlung am 5. März 1992 noch keinen Leistungsanspruch erworben habe, wirke sich die Beschränkung des Rücknahmerechts für die Vergangenheit nicht zu ihren Gunsten aus.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Klägerin. Sie rügt die Verletzung der §§ 24 und 45 SGB X. Der Zulassungsbescheid vom 24. Februar 1992 dürfe nicht zurückgenommen werden, weil sie auf den Bestand dieses Bescheides vertraut habe und ihr Vertrauen schutzwürdig sei.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 9. März 1994 sowie das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 21. Juli 1993 sowie die Bescheide der Beklagten vom 14. April 1992 und vom 28. August 1992 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Oktober 1992 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung des LSG für zutreffend. Das enttäuschte Vertrauen der Klägerin in eine Verdopplung ihrer Rentenanwartschaften sei nicht schutzwürdig. Deswegen sei nicht ersichtlich, daß der fehlerhafte und die Klägerin rechtsgrundlos privilegierende Nichtleistungsbescheid vom 24. Februar 1992 bestehenbleiben müsse.

II

Die Revision der Klägerin ist begründet. Ihre Klage ist zu Unrecht abgewiesen, ihre Berufung zu Unrecht zurückgewiesen worden. Die Bescheide der Beklagten vom 9. April 1992 und 28. August 1992 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Oktober 1992 sind entgegen der Ansicht der Vorinstanzen rechtswidrig.

Die Beanstandung im Bescheid vom 9. April 1992, die sich auf die am 5. März 1992 gezahlten freiwilligen Beiträge für die Zeit von Januar 1956 bis April 1963 bezog, war bei ihrem Ausspruch schon deshalb rechtswidrig, weil diese Beiträge aufgrund des bis dahin nicht zurückgenommenen Zulassungsbescheides vom 24. Februar 1992 gezahlt worden waren. Ein Bescheid über die Zulassung zur Nachzahlung von Beiträgen wird in der Sache nach § 77 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) bindend (vgl schon BSGE 50, 227, 229 = SozR 5070 § 10 Nr 14 mwN). Er ist im Umfang der Zulassung Rechtsgrund dafür, daß Beiträge nachgezahlt werden dürfen, und bewirkt, daß sie rechtmäßig gezahlt sind. Die Beanstandung von Beiträgen wird im Gesetz als Rechtsinstitut nur im Zusammenhang mit Pflichtbeiträgen erwähnt (vgl § 26 Abs 1 des Sozialgesetzbuchs - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung [SGB IV] und § 202 SGB VI). Sie ist das Mittel, um Klarheit über die Rechtmäßigkeit von gezahlten Pflichtbeiträgen zu gewinnen, denn diese werden regelmäßig nicht aufgrund eines Bescheides gezahlt, in welchem über Versicherungs- und Beitragspflicht entschieden worden ist. Mit der Beanstandung entscheidet der Versicherungsträger in diesen Fällen erstmals, daß die Pflichtbeiträge zu Unrecht entrichtet sind, die der Arbeitgeber oder der Versicherte gezahlt hat. Bei freiwilligen Beiträgen, die aufgrund eines Zulassungsbescheides entrichtet worden sind, mag ein Beanstandungsbescheid Bedeutung haben, wenn Beiträge über den im Zulassungsbescheid ausgesprochenen Umfang hinaus gezahlt worden sind. Über die Rechtmäßigkeit der im Umfang des Zulassungsbescheides gezahlten Beiträge ist jedoch bereits durch diesen entschieden. Für eine Beanstandung, dh die erstmalige Entscheidung über die Rechtmäßigkeit von Beiträgen, ist dann kein Raum mehr. Die Rechtmäßigkeit ihrer Entrichtung kann nur noch beseitigt werden, indem der Zulassungsbescheid seinerseits durch einen Bescheid zurückgenommen, widerrufen oder anderweitig aufgehoben wird (vgl § 39 Abs 2 SGB X). Ob ein Beanstandungsbescheid in einen solchen Bescheid umgedeutet werden kann, ist hier nicht zu entscheiden. Denn die Beklagte hat selbst verfahrensmäßig zutreffend den Zulassungsbescheid vom 24. Februar 1992 mit dem Bescheid vom 28. August 1992 gesondert teilweise zurückgenommen, um der Beitragszahlung in dem beanstandeten Ausmaß die Rechtsgrundlage zu entziehen. Der Bescheid vom 28. August 1992 ist aber ebenfalls rechtswidrig. Die Beklagte durfte den Bescheid vom 24. Februar 1992 hier nicht mehr zurücknehmen, nachdem die Klägerin die Beiträge am 5. März 1992 gezahlt hatte.

Mit dem Zulassungsbescheid vom 24. Februar 1992 war der Klägerin das Recht bestätigt worden, freiwillige Beiträge für die Zeit von Juli 1953 bis April 1963 nachzuzahlen. Dieser Bescheid ist rechtswidrig, soweit er unter Verletzung des § 282 Abs 1 Satz 1 SGB VI die Nachzahlung für die Zeit ab Januar 1956 zugelassen hat. Von diesem Zeitpunkt an hatte die Klägerin schon im Dezember 1972 aufgrund des Art 2 § 49a Abs 2 AnVNG Beiträge nachentrichtet, was eine spätere weitere Nachzahlung für denselben Zeitraum ausschloß.

Nach § 45 Abs 1 SGB X darf ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat, soweit er rechtswidrig ist, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Abs 2 bis 4 ganz oder teilweise zurückgenommen werden. Für die Vergangenheit darf ein Bescheid nur unter den in § 45 Abs 4 Satz 1 SGB X genannten Voraussetzungen zurückgenommen werden.

Die Rücknahme des Zulassungsbescheides war jedenfalls nach Zahlung der Beiträge durch die Klägerin nicht mehr eine Rücknahme mit Wirkung für die Zukunft, sondern nur noch eine Rücknahme mit Wirkung für die Vergangenheit, dh für die Zeit des Erlasses des Zulassungsbescheides und den Zeitpunkt der Nachzahlung. Sie unterlag demnach den Anforderungen an eine Rücknahme für die Vergangenheit iS des § 45 Abs 4 Satz 1 SGB X. Allein mit Wirkung für die Zukunft wird ein Verwaltungsakt nur zurückgenommen, wenn die Wirkung des Rücknahmebescheides frühestens mit dem Tage seiner Bekanntgabe einsetzt (vgl BSG SozR 3-1300 § 45 Nr 24 zur Aufhebung eines Verwaltungsaktes nach § 48 Abs 1 Satz 1 und 2 SGB X mwN).

Ein Zulassungsbescheid kann nach dem Zeitpunkt, in dem die Beiträge gezahlt sind, in seinen Rechtswirkungen nicht in der Weise aufgespalten werden, daß er eine Wirkung für die Vergangenheit und eine Wirkung für die Zukunft hat und er demgemäß mit Wirkung für die Vergangenheit bestehenbleiben, mit Wirkung für die Zukunft hingegen zurückgenommen werden kann. Dies ergibt sich aus der unterschiedlichen Bedeutung, die der Zulassungsbescheid vor und nach der Zahlung der Beiträge hat.

Vom Erlaß eines antragsgemäßen Zulassungsbescheides an bis zu dem Zeitpunkt, in dem der Begünstigte von seinem Nachzahlungsrecht Gebrauch macht, hat dieser Bescheid die Wirkung, daß der Begünstigte berechtigt ist, Beiträge in dem ausgesprochenen Umfang nachzuzahlen. Bis zum Zeitpunkt der Zahlung mag der Zulassungsbescheid nur Wirkung für die Zukunft haben und nach den insofern geltenden Regeln zurückgenommen werden können. Der Rücknahmebescheid beseitigt dann das Recht, die Beiträge nachzuzahlen. Vom Zeitpunkt der tatsächlichen Nachzahlung an erschöpft sich der Regelungsgehalt des Zulassungsbescheides dagegen in der Feststellung des Nachzahlungsrechts (vgl BSGE 45, 247, 249 = SozR 5750 Art 2 § 51a Nr 17; BSGE 50, 16, 19 = SozR 5750 Art 2 § 51a Nr 36). Er ist dann Rechtsgrund für die Beitragszahlung und bewirkt, daß die Beiträge rechtmäßig gezahlt sind. Die Rechtmäßigkeit der Beitragszahlung richtet sich dabei nach der Rechtslage, die im Zeitpunkt der Zulassung und der Beitragszahlung besteht. Spätere Änderungen der Rechtslage beeinflussen die Rechtmäßigkeit der Beitragszahlung nur, wenn die Rückwirkung vorgesehen ist.

Für die Beitragszahlung aufgrund eines Zulassungsbescheides gilt demnach nichts anderes als für die Zahlung von Beiträgen ohne Zulassungsbescheid unmittelbar aufgrund eines Gesetzes. Beiträge, die aufgrund einer gesetzlichen Vorschrift rechtmäßig gezahlt sind, sind nicht zu Unrecht entrichtet, wenn die entsprechende Vorschrift später nur mit Wirkung für die Zukunft aufgehoben wird. Diese Folge kann vielmehr nur eintreten, wenn das Gesetz auch Wirkung für die Vergangenheit hat. Der Bescheid über die Zulassung zur Nachzahlung von Beiträgen konkretisiert im Einzelfall das Gesetz und bildet die Rechtsgrundlage für die Beitragszahlung. Er tritt für den Versicherten an die Stelle des Gesetzes. Wie bei der unmittelbar aufgrund eines Gesetzes erfolgten Beitragszahlung wird deshalb die Rechtmäßigkeit der Beitragszahlung aufgrund eines Zulassungsbescheides nur beseitigt, wenn er mit Wirkung für die Vergangenheit wirksam zurückgenommen wird.

Unerheblich ist, daß der Zulassungsbescheid auch in die Zukunft gerichtete Auswirkungen hat, weil die aufgrund des Zulassungsbescheides nachgezahlten Beiträge bei einer künftigen Leistungsbewilligung als wirksame Beiträge zu berücksichtigen sein werden. Die Anrechnung und Bewertung der Beiträge ist jedoch nicht Gegenstand der im Zulassungsbescheid getroffenen Regelung. Wie die insgesamt für die Zeit von 1956 bis 1963 nachentrichteten und nachgezahlten Beiträge bei einer zukünftigen Leistungsbewilligung zu behandeln sind, wird erst im Leistungsfall entschieden (§ 149 Abs 5 Satz 2 SGB VI).

Die hohe Bestandskraft, welche demnach die in einem Zulassungsbescheid getroffene Entscheidung nach Zahlung der Beiträge in der Regel hat, ist Folge der in § 45 SGB X konkretisierten Abwägung zwischen dem Vertrauensschutz des durch einen rechtswidrigen Verwaltungsakt Begünstigten und dem öffentlichen Interesse daran, rechtswidrige Entscheidungen der Verwaltung rückgängig zu machen. Über § 45 Abs 4 Satz 2 SGB X haben alle Entscheidungen einen erhöhten Bestandsschutz, die mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen werden sollen und wirksam auch nur mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen werden können. Eine Rücknahme mit Wirkung auch für die Vergangenheit gegen Ersatz des Vertrauensschadens, wie sie etwa in § 48 Abs 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes des Bundes (VwVfG) vorgesehen ist, kennt § 45 SGB X nicht.

Die Voraussetzungen, unter denen der Zulassungsbescheid mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen werden konnte, lagen hier nach den Feststellungen des LSG nicht vor. Mit Wirkung für die Vergangenheit kann ein Verwaltungsakt nur in den Fällen des § 45 Abs 2 Satz 3 und Abs 3 Satz 2 SGB X zurückgenommen werden. Das LSG hat dazu festgestellt, daß der Verwaltungsakt weder auf Angaben beruhte, die die Klägerin vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hatte (§ 45 Abs 2 Satz 3 Nr 2 SGB X) und daß die Klägerin auch nicht die Rechtswidrigkeit des Bescheides vom 24. Februar 1992 kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte (§ 45 Abs 2 Satz 3 Nr 3 SGB X). Die Feststellungen des LSG hierzu sind nicht mit zulässigen und begründeten Verfahrensrügen angegriffen worden. Seine Ausführungen dazu, daß die Tatbestandsmerkmale des § 45 Abs 2 Satz 3 Nrn 2 und 3 SGB X nicht vorliegen, lassen einen Rechtsfehler nicht erkennen.

Hiernach erwies sich die Revision der Klägerin als begründet. Deshalb waren die Urteile der Vorinstanzen und die angefochtenen Bescheide aufzuheben.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.BUNDESSOZIALGERICHT

 

Fundstellen

BSGE, 31

Breith. 1996, 303

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