Entscheidungsstichwort (Thema)

Entfallen des Anspruchs auf Kinderzuschuß

 

Leitsatz (amtlich)

1. Zur Anwendung leistungsrechtlicher "Wegfallbestimmungen".

2. Einem Versicherten (Berechtigten), der seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Jugoslawien genommen hat, wird beim Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen der Kinderzuschuß zur deutschen Rente wegen Art 26 Abs 2 S 1 des deutsch-jugoslawischen Sozialversicherungsabkommens nur dann nicht gewährt, wenn auf die entsprechende jugoslawische Leistung (hier: Kindergeld) ein realisierbarer Zahlungsanspruch besteht (Anschluß an und Ergänzung zu BSG 19.5.1983 1 RA 51/82 = BSGE 55, 131 = SozR 6555 Art 26 Nr 1).

 

Orientierungssatz

Abkommensrecht kann Bestimmungen enthalten, aufgrund derer der Anspruch auf Kinderzuschuß zur deutschen Rente iS von § 1262 Abs 7 RVO "entfällt".

 

Normenkette

RVO § 1262 Abs 7 Fassung: 1957-02-23; SozSichAbk YUG Art 26 Abs 2 S 1 Fassung: 1968-10-12

 

Verfahrensgang

Bayerisches LSG (Entscheidung vom 11.03.1985; Aktenzeichen L 5 Ar 45/84)

SG Landshut (Entscheidung vom 23.11.1983; Aktenzeichen S 4 Ar 135/80)

 

Tatbestand

Streitig ist die Zahlung von Kinderzuschüssen nach Jugoslawien.

Der Kläger, 1940 geborener Jugoslawe, war zunächst in seiner Heimat vom 27. Juni bis zum 16. Dezember 1960 sowie vom 16. Mai bis zum 30. Juli 1962 als Arbeitnehmer tätig und dann von Januar 1964 bis Oktober 1976 in der Bundesrepublik Deutschland als Bauhilfsarbeiter und Isolierer versicherungspflichtig beschäftigt.

Mit Bescheid vom 13. Februar 1978 gewährte die beklagte Landesversicherungsanstalt (LVA) dem Kläger für die Zeit ab August 1977 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit; in dem Zahlbetrag waren Kinderzuschüsse für I (geboren 1969), B (geboren 1970) und M (geboren 1974) enthalten. Nachdem der Kläger im Januar 1978 wieder seinen ständigen Aufenthalt in Jugoslawien genommen hatte, bewilligte die Beklagte die Weitergewährung der Rente ab 1. Februar 1978 ohne Kinderzuschüsse "bis zu einer Äußerung des jugoslawischen Versicherungsträgers über einen vorrangigen Anspruch auf jugoslawisches Kindergeld" (Bescheid vom 4. September 1978). Bei einer Neufeststellung der Rente (Bescheid vom 9. Dezember 1978) wurde die nach jugoslawischen Rechtsvorschriften anrechnungsfähige Versicherungszeit von weniger als zwölf Monaten (aufgerundet acht Monate) nach Art 25 Abs 2 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien über Soziale Sicherheit vom 12. Oktober 1968 - im folgenden: Abkommen - (BGBl II 1969, 1438) in die Berechnung der deutschen Rente einbezogen. Im Juni 1979 teilte der jugoslawische Versicherungsträger mit, dem Kläger stehe kein Anspruch auf Kindergeld zu, da ihm auch kein Anspruch auf Rente zuerkannt worden sei.

Daraufhin lehnte die Beklagte den Antrag auf Gewährung von Kinderzuschuß ab, da gegen den jugoslawischen Versicherungsträger "dem Grunde nach" ein vorrangiger Anspruch auf Kindergeld bestehe (Bescheid vom 16. Mai 1980, Widerspruchsbescheid vom 8. Juli 1980).

Das Sozialgericht (SG) Landshut hat die Beklagte in Abänderung des Bescheides vom 4. September 1978 idF der Bescheide vom 9. Dezember 1978 und vom 16. Mai 1980 sowie des Widerspruchsbescheides vom 8. Juli 1980 verurteilt, dem Kläger über den 31. Januar 1978 hinaus Kinderzuschuß zu gewähren (Urteil vom 23. November 1983). Das Bayerische Landessozialgericht (LSG) hat mit dem angefochtenen Urteil vom 11. März 1985 die Berufung der Beklagten zurückgewiesen und ausgeführt: Die Erwerbsunfähigkeitsrente sei auch für die Zeit seit Februar 1978 um den Kinderzuschuß zu erhöhen. Dem stehe nicht Art 26 Abs 2 Satz 1 des deutsch-jugoslawischen Abkommens entgegen, weil in Jugoslawien nicht für dasselbe Kind entsprechende Leistungen "beansprucht werden können". Dies sei mit dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 19. Mai 1983 - 1 RA 51/82 - (BSGE 55, 131 = SozR 6555 Art 26 Nr 1) dahin auszulegen, daß ein Anspruch auf die Leistung als solche und auf deren Auszahlung an den Berechtigten bestehen müsse; einen derartigen Anspruch auf die Auszahlung des jugoslawischen Kindergeldes habe der Kläger unstreitig nicht. Dahingestellt bleiben könne, ob - wie die Beklagte meine - dem Kläger dem Grunde nach ein Anspruch auf eine jugoslawische Invalidenrente und deshalb auch auf jugoslawisches Kindergeld zustehe, weil dies unter Zugrundelegung der Auffassung des BSG nicht rechtserheblich sei.

Mit der - vom LSG zugelassenen - Revision rügt die Beklagte die Verletzung abkommensrechtlicher Vorschriften. Das angefochtene Urteil lasse Art 25 Abs 2 des Abkommens unberücksichtigt, wonach zwar hier wegen der in Jugoslawien zurückgelegten Versicherungszeit von weniger als zwölf Monaten nach jugoslawischen Rechtsvorschriften kein Rentenanspruch geltend gemacht werden könne; es sei aber auch dort bei Eintritt des Versicherungsfalles ein Rentenstammrecht entstanden, und nur die sich daraus ergebenden einzelnen Rentenzahlungen (Ansprüche) seien vom anderen Vertragsstaat zu erfüllen. Eine solche Erfüllungspflicht umfasse nicht die mit Rücksicht auf Kinder des Berechtigten gewährten Leistungen. Das entspreche dem Wohnlandprinzip, auf das der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung (BMA) in einem an das LSG gerichteten Schreiben vom 11. Dezember 1984 hingewiesen habe.

Die Beklagte beantragt, die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Dem Kläger sind zu seiner deutschen Abkommensrente wegen Erwerbsunfähigkeit auch für die Zeit seit Februar 1978 die Kinderzuschüsse zu zahlen.

Dahingestellt bleiben kann, ob - wovon anscheinend die Vorinstanzen ausgegangen sind - auch der Bescheid vom 4. September 1978 (mit dem die Auslandsrente zwar ohne Kinderzuschuß festgesetzt, aber gleichzeitig darauf hingewiesen wurde, daß dies "bis zu einer Äußerung des jugoslawischen Versicherungsträgers" geschehe) sowie der Bescheid vom 9. Dezember 1978 (mit dem die Auslandsrente unter Berücksichtigung der jugoslawischen "Minizeit" neu berechnet wurde) den Kläger hinsichtlich des Kinderzuschusses beschwert haben. Jedenfalls hat es die Beklagte mit Bescheid vom 16. Mai 1980 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Juli 1980 definitiv abgelehnt, den Kinderzuschuß auch für die Zeit seit Februar 1978 zu zahlen.

Offenbleiben kann für die vom Senat zu treffende Entscheidung auch, ob sich die Beklagte auf § 48 Abs 1 Satz 1 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB 10) stützen muß (wonach ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlaß vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben ist) oder wenigstens den dieser Vorschrift zugrundeliegenden Rechtsgedanken anzuwenden hat. Letzteres hat bei einem vergleichbaren Sachverhalt der 1. Senat des BSG in dem erwähnten Urteil (aaO 132) angenommen und mit dem Hinweis auf die Übergangsvorschrift des Art II § 40 Abs 2 SGB 10 ausgeführt, der (aufhebende) Bescheid sei vor dem 1. Januar 1981 erlassen worden (zur unmittelbaren Anwendung neuen Rechts, wenn sich das anschließende sozialgerichtliche Verfahren über den 31. Dezember 1980 hinaus erstreckt vgl SozR 1300 Art II § 40 Nr 8 S 10). Bedenken gegen die Anwendung der Grundsätze über die Entziehung einer Rente wegen einer seit Bewilligung eingetretenen Änderung der Verhältnisse ("clausula rebus sic stantibus") bestehen deshalb, weil der Kinderzuschuß nach § 1262 Abs 7 Reichsversicherungsordnung (RVO) nur bis zum Ende des Monats gewährt wird, in dem die Voraussetzungen des Anspruchs entfallen, also der Anspruch auf den Zuschuß kraft Gesetzes - ohne Entziehungsbescheid - entfällt (vgl Urteile des Senats vom 3. April 1986 - 4a RJ 81/84 -, S 6, zum Kinderzuschuß, und zwar zur rückwirkenden Aufhebung nach § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 4 SGB 10 und zur Rückforderung nach § 50 aaO, sowie vom 20. Februar 1986 - 4a RJ 93/84 - zum Beitragszuschuß zur privaten Krankenversicherung; ferner Zweng/Scheerer/Buschmann, Handbuch der Rentenversicherung, 2. Aufl, § 1262 RVO Anm IV 2; VDR-Komm; Stand: 1.1.1983, § 1262 RVO Anm 25 mwN). Deshalb betreffen die Vorgänger - Vorschriften des § 48 Abs 1 Satz 1 SGB 10 - nämlich §§ 622, 1286 RVO (nebst entsprechenden Bestimmungen in der Angestellten- und der Knappschaftsversicherung), § 151 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) und § 62 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) - andere Regelungsinhalte als § 1262 Abs 7 RVO und als weitere "Wegfallbestimmungen" wie beispielsweise §§ 1291 Abs 1, 1292, 1293 RVO, die anläßlich des Inkrafttretens des SGB 10 nicht gestrichen worden sind. In Übereinstimmung damit sind auch die Vorinstanzen nicht von einer bloßen Anfechtungsklage (wie beim Entziehungsbescheid), sondern von der verbundenen Anfechtungs- und (unechten) Leistungsklage (§ 54 Abs 1 und 4 SGG) auf Weiterzahlung des Kinderzuschusses ausgegangen. Hiernach ist entscheidend, ob auch seit dem 1. Februar 1978 noch die gesetzlichen Voraussetzungen für die Gewährung des Kinderzuschusses vorliegen.

Nun müssen zwar unter den Anspruchsvoraussetzungen des § 1262 Abs 7 RVO zunächst diejenigen verstanden werden, die in der Vorschrift selbst normiert sind. Enthält aber - wie hier - anzuwendendes Abkommensrecht Regelungen über die Gewährung des deutschen Kinderzuschusses, so ist dies als ergänzendes Sonderrecht vorrangig zu berücksichtigen (vgl von Maydell, Internationales Sozialversicherungsrecht, Festschrift zum 25jährigen Bestehen des Bundessozialgerichts, 943, 961 f). Dies bedeutet, daß Abkommensrecht Bestimmungen enthalten kann, aufgrund derer der Anspruch auf Kinderzuschuß zur deutschen Rente iS von § 1262 Abs 7 RVO "entfällt".

Zutreffend hat jedoch die Vorinstanz entschieden, daß die An- spruchsvoraussetzungen für den Kinderzuschuß auch unter Berücksichtigung des deutsch-jugoslawischen Abkommens nicht entfallen und dem Kläger deshalb die Zuschüsse über Januar 1978 hinaus zu zahlen sind.

Nach Art 26 Abs 2 Satz 1 des Abkommens kann, wenn Anspruch auf Leistungen besteht, die mit Rücksicht auf die Kinder des Berechtigten gewährt werden, der Anspruch nicht geltend gemacht werden, solange der Berechtigte sich im Gebiet des anderen Vertragsstaates gewöhnlich aufhält und nach den in Art 2 genannten Rechtsvorschriften dieses Vertragsstaates für dasselbe Kind entsprechende Leistungen beansprucht werden können. An letzterem fehlt es. Der Kläger kann derartige Leistungen in Jugoslawien, zu denen auch das dortige Kindergeld gehört (vgl Nr 9 des Schlußprotokolls zum Abkommen iVm Art 2 Abs 1 Nr 2 Buchst d des Abkommens), nicht beanspruchen; ihm steht darum weiterhin der Anspruch auf Kinderzuschuß zur deutschen Rente zu.

Der 1. Senat des BSG hat in dem zitierten Urteil untersucht, wie in Art 26 Abs 2 Satz 1 des Abkommens die Begriffe "Anspruch" (auf Leistungen, die mit Rücksicht auf Kinder des Berechtigten gewährt werden - hier: Anspruch auf den Kinderzuschuß zur deutschen Rente -) und "beansprucht werden können" (bezogen auf entsprechende Leistungen im Aufenthaltsland des Berechtigten - hier: jugoslawisches Kindergeld -) auszulegen sind. Er hat überzeugend dargelegt, daß im Falle der Inanspruchnahme einer Geldleistung aus der Sozialversicherung unter "Anspruch" regelmäßig auch die Auszahlung des Betrages zu verstehen ist (aaO 134 f). Da nach dem Abkommenswortlaut bereits ein "Beanspruchen-Können" der entsprechenden Leistungen - hier des jugoslawischen Kindergeldes - den Anspruch auf den Kinderzuschuß zur deutschen Rente ausschließt, wird diese Rechtsfolge allerdings bereits ausgelöst, wenn ein realisierbarer Zahlungsanspruch auf jugoslawisches Kindergeld besteht; sofern also jugoslawisches Kindergeld nur auf Antrag gewährt werden sollte, könnte durch das Unterlassen eines solchen Antrages nicht die Gewährung des Kinderzuschusses zur deutschen Rente bewirkt werden.

Der demgegenüber von der Beklagten - offenbar im Anschluß an das Schreiben des BMA vom 11. Dezember 1984 - eingenommene Standpunkt, für das "Beanspruchen-Können" einer entsprechenden jugoslawischen Leistung reiche es aus, wenn der Anspruch "dem Grunde nach" bestehe, überzeugt nicht. Ergänzend zu den Ausführungen des 1. Senats des BSG ist dabei das Augenmerk darauf zu richten, daß Art 26 Abs 2 Satz 1 des Abkommens den "Anspruch auf Leistungen" betrifft. Dieser Begriff kennzeichnet im deutschen Rentenversicherungsrecht die einzelnen zahlbaren monatlichen Rentenleistungen, nicht den Anspruch auf Versicherungsleistungen schlechthin, also nicht das "Recht auf Rente" (BSG, Großer Senat, Beschluß vom 21. Dezember 1971 - GS 4/71 = BSGE 34, 1, 4), auch nicht das sogenannte Rentenstammrecht. Zutreffend geht daher auch die Beklagte in ihrer Revisionsschrift davon aus, daß die Leistung für Kinder des Berechtigten kein Ausfluß des Rentenstammrechts ist. Sie ist aber auch nicht, wie die Beklagte meint, im deutschen Recht "nur ein Zuschuß", sondern - worauf es im Zusammenhang mit der hier vorzunehmenden Auslegung ankommt - Bestandteil der Rente im Sinne der monatlichen Einzelleistung (vgl auch BSG, Urteil vom 27. Februar 1986 - 1 RA 5/85 - und die dort S 10 zitierte Rechtsprechung). Deshalb gehen auch diejenigen Überlegungen der Beklagten am Kern der zu treffenden Entscheidung vorbei, die sich damit befassen, daß vorliegend ein an sich auch gegen den jugoslawischen Träger bestehender Rentenanspruch nach jugoslawischem Recht nicht geltend gemacht werden kann, weil nach jugoslawischem Recht eine Versicherungszeit von weniger als zwölf Monaten (acht Monate) anzurechnen ist, und daß deshalb der deutsche Träger diese Zeit berücksichtigt (Art 25 Abs 2 des Abkommens). Sollte die Auffassung der Beklagten zutreffen, daß hinsichtlich dieser sog Minizeit eine Art Rentenstammrecht in Jugoslawien entstanden und verblieben ist, so folgt auch unter Zugrundelegung der Ansicht der Beklagten daraus nicht, daß in Jugoslawien ein realisierbarer Anspruch auf Zahlung von Kindergeld besteht.

Im übrigen ist unklar, was unter dem von der Beklagten als erheblich angesehenen Kriterium des Anspruches (auf Leistungen) "dem Grunde nach" verstanden werden soll. Es bleibt offen, wie eine wiederkehrende Leistung in bezug auf Zeiträume verlangt werden könnte, für die der "Verpflichtete" nichts zu leisten hat (vgl auch § 130 SGG und § 304 Abs 1 der Zivilprozeßordnung). In § 42 Abs 1 SGB 1 wird beispielsweise ein bestehender Anspruch auf Geldleistungen "dem Grunde nach" in bezug darauf, daß "zur Feststellung seiner Höhe voraussichtlich längere Zeit erforderlich" sei, für die Zahlung von Vorschüssen vorausgesetzt; es wird also vom Anspruch auf Zahlung der Leistung ausgegangen. Darüber hinaus hat der jugoslawische Träger auf die Anfrage der Beklagten erklärt, daß (selbst) dem Grunde nach kein Anspruch auf jugoslawisches Kindergeld bestehe. Ob dies zutrifft und ob sowie unter welchen Voraussetzungen die Beklagte einen gegenteiligen Standpunkt einnehmen darf, brauchte indessen im Hinblick auf die Rechtsauffassung des erkennenden Senats nicht geklärt zu werden.

Nach alledem kann, zumal bei der Auslegung zwischenstaatlicher Abkommen dem Vertragstext im allgemeinen noch größere Bedeutung beizumessen ist als bei der Auslegung innerstaatlichen Rechts dem Gesetzeswortlaut (BSGE 36, 123, 126), mit dem "Beanspruchen-Können" entsprechender Leistungen nur gemeint sein, daß ein realisierbarer Zahlungsanspruch besteht. Dafür spricht auch die Konzeption des Abkommens. Zwar mag der Einwand der Beklagten gegen das Urteil des 1. Senats, das den in Art 4 Abs 1 Satz 1 des Abkommens verankerten Grundsatz des Leistungsexports betont hat (aaO 138), nicht ganz von der Hand zu weisen sein; denn Art 26 Abs 2 des Abkommens geht vom Wohnlandprinzip insofern aus, als die Kinderleistung - wenn darauf in beiden Staaten ein Anspruch besteht - der Staat zu erfüllen hat, in dessen Gebiet sich der Berechtigte "gewöhnlich aufhält". Dies gilt aber gerade dann nicht, wenn der Anspruch auf die Kinderleistung nur nach den Rechtsvorschriften eines der beiden Vertragsstaaten gegeben ist; dann wird nur dieser Staat zur Leistung verpflichtet. Das ergibt sich nicht nur aus Art 26 Abs 2 Satz 1 des Abkommens, sondern auch aus dem damit korrespondierenden Satz 4, wonach in einem solchen Fall die Leistung nur zur Hälfte gewährt wird, wenn die Voraussetzungen für den Anspruch nur unter Berücksichtigung des Art 25 Abs 1 des Abkommens erfüllt sind, also wenn zum Leistungserwerb Versicherungszeiten herangezogen werden müssen, die nach den Rechtsvorschriften des anderen Staates anrechnungsfähig sind. Dies zeigt, daß die Vertragsstaaten selbst für den Fall, daß der Berechtigte nach den Vorschriften des ersten Staates allein keinen Rentenanspruch hat, von einer Gewährung der Leistung zur Hälfte durch diesen Staat ausgegangen sind, wenn sich der Berechtigte im zweiten Staat ständig aufhält und dort keine Kinderleistung beansprucht werden kann. Da nach dem Sinnzusammenhang unter "Gewährung" eine Zahlung zu verstehen ist, bedeutet dies, daß mit der Abkommensregelung zwar einerseits die gleichzeitige Zahlung sowohl des deutschen Kinderzuschusses wie auch des jugoslawischen Kindergeldes ausgeschlossen, andererseits aber auch verhindert werden sollte, daß - beim Bestehen eines innerstaatlichen Leistungsanspruches - kraft Abkommens für ein Kind überhaupt keine Leistung gewährt wird.

Entspräche die von der Beklagten vertretene Rechtsauffassung dem Willen des deutschen Vertragspartners, so hätte sie im Abkommen zum Ausdruck gebracht werden müssen. Die Gerichte können an dem innerstaatliches Recht gewordenen Vertragsinhalt (vgl Art 59 Abs 2 des Grundgesetzes) eine Korrektur in diesem Sinne nicht im Wege der Auslegung herbeiführen.

Der innerstaatliche Anspruch des Klägers auf Zahlung der Kinderzuschüsse ist somit durch die Übersiedlung nach Jugoslawien nicht weggefallen. Die Revision war deshalb zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1664232

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