Leitsatz (redaktionell)

Ein Rentenänderungsbescheid ist nur dann rechtmäßig, wenn eine wesentliche Änderung der Verhältnisse nachzuweisen ist.

Daher muß geprüft werden, ob sich das als Schädigungsfolge anerkannte Leiden wesentlich gebessert hat und ein Vergleich der Befunde und Krankheitsäußerungen, die für den 1. Bescheid maßgebend waren, mit denen, die dem Rentenänderungsbescheid (2. Bescheid) zugrunde liegen, erfolgen; dabei ist es ohne Bedeutung, ob das Leiden im 1. Bescheid medizinisch richtig beurteilt worden war oder nicht, dh ob die damals vorgelegenen Befunde die aus ihnen gestellte Diagnose rechtfertigen oder nicht.

2* Ein Rentenänderungsbescheid ist nicht schon deshalb rechtmäßig, weil sich die Leidensbezeichnung des 1. Bescheides nach den späteren Befunden als unzutreffend erwiesen hat.

 

Normenkette

BVG § 62 Abs. 1 Fassung: 1950-12-20

 

Tenor

Das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 24. September 1959 wird aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

I

Der ... 1901 geborene Kläger beantragte im November 1949 Versorgung wegen beiderseitigen Leistenbruchs und wegen eines Herzleidens. Er wurde im Juni 1951 von dem Facharzt für innere Medizin Dr. M und von dem Versorgungsarzt Dr. H untersucht und begutachtet. Das Versorgungsamt M erkannte darauf mit Bescheid vom 22. September 1951 bei dem Kläger "1. doppelseitiger Leistenbruch im Sinne der Verschlimmerung, 2. Herzmuskelschwäche und Stauungsbronchitis im Sinne der Entstehung" als Schädigungsfolgen an, es gewährte dem Kläger eine Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE.) von 50 v.H.

Der Kläger wurde im Oktober 1954 von Ärzten der Universitäts-Poliklinik bzw. des Universitäts-Röntgeninstituts in M nachuntersucht. Diese Ärzte stellten bei dem Kläger fest: "1. Altersveränderung am Herzen und an der Aorta, 2. ein Lungenemphysem, 3. Leistenbruch beiderseits, 4. Zahnschäden"; sie bezeichneten die Veränderungen am Herzen und an der Aorta als altersbedingt und das Lungenemphysem als anlagebedingt; sie fügten hinzu, der Zustand habe sich gegenüber den Untersuchungen im Jahre 1951 gebessert, deshalb sei die MdE. auf 30 v.H. herabzusetzen. Das Versorgungsamt erließ am 9.Februar 1955 einen "Neufeststellungsbescheid nach § 62 Abs. 1 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG)"; darin heißt es: "In den als Schädigungsfolge anerkannten Körperschäden ist inzwischen eine wesentliche Änderung (Besserung) insofern eingetreten, als nach dem erhobenen Befund die Herzmuskelschwäche und die Stauungsbronchitis abgeheilt sind." Das Versorgungsamt führte als Schädigungsfolgen nur noch "doppelseitiger Leistenbruch" an, es gewährte dem Kläger ab 1. April 1955 nur noch eine Rente nach einer MdE. von 30 v.H. Das Landesversorgungsamt wies den Widerspruch des Klägers am 15. März 1955 zurück. Mit der Klage legte der Kläger ein Gutachten des Facharztes für innere Medizin Dr. St in W vor. Dr. St hielt nach den vorliegenden Befunden für wahrscheinlich, daß sich die Anerkennung der Herzmuskelschwäche in dem Bescheid vom 22. September 1951 auf ein "durch Arteriosklerose oder Hypotonie (anlagebedingt) vorgeschädigtes Herz" bezogen habe; er fügte hinzu, gegenüber den Untersuchungen vom Jahre 1951 sei "unter Beachtung der früheren Anerkennung" keine wesentliche Besserung der Herzmuskelschwäche und der Stauungsbronchitis eingetreten. Der ärztliche Sachverständige des Sozialgerichts (SG.) Dr. L vertrat die Auffassung, die Herzmuskelschwäche des Klägers bestehe unverändert fort.

Das SG. Speyer änderte mit Urteil vom 12. Oktober 1956 die Bescheide vom 9. Februar 1955 und 15. März 1955 und verurteilte den Beklagten, weiterhin "Herzmuskelschwäche" anzuerkennen; im übrigen wies es die Klage ab.

Der Beklagte legte Berufung beim Landessozialgericht (LSG.) Rheinland-Pfalz ein. Er begehrte, die Klage im vollen Umfange abzuweisen, weil die Herzerscheinungen, die beim Kläger im Jahre 1954 festgestellt worden seien, altersbedingt seien.

Der Kläger legte Anschlußberufung ein. Er begehrte, auch die "Stauungsbronchitis" wieder anzuerkennen und ihm wie früher eine Rente nach einer MdE. von 50 v.H. zu gewähren. Er machte geltend, sein Zustand habe sich seit 1951 nicht gebessert.

Das LSG. holte ein Aktengutachten des Dr. M ein. Dr. M führte aus, eine Herzmuskelschwäche und eine Stauungsbronchitis hätten schon im Jahre 1951 sehr wahrscheinlich nicht bestanden; die Folgerungen, die damals aus den Befunden gezogen worden seien, träfen nach seiner Auffassung nicht zu; sie seien aber immerhin möglich gewesen; die Befunde vom Jahre 1954 ließen mit Sicherheit die Diagnose "Herzmuskelschwäche und Stauungsbronchitis" nicht zu.

Das LSG. entschied mit Urteil vom 24. September 1959:

"Auf die Berufung des beklagten Landes wird das Urteil des Sozialgerichts Speyer, Zweigstelle Mainz, vom 12. Oktober 1956 abgeändert und die Klage gegen den Bescheid des Versorgungsamts M vom 9. Februar 1955 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. März 1955 in vollem Umfange abgewiesen.

Die Anschlußberufung des Klägers wird zurückgewiesen."

Das LSG. führte aus, es sei zweifelhaft, ob die Anerkennung der Herzmuskelschwäche und der Stauungsbronchitis in dem Bescheid vom 22. September 1951 von den ihr zugrunde liegenden medizinischen Befunden getragen werde; zur Annahme veränderter Verhältnisse im Sinne des § 62 BVG genüge es aber, daß die Diagnose Herzmuskelschwäche und Stauungsbronchitis, die in dem Bescheid vom 22. September 1951 anerkannt worden sei, nach den damals erhobenen Befunden möglich gewesen sei, während diese Diagnose nach den Befunden des Jahres 1954 mit Sicherheit nicht zutreffe; nach der Äußerung des Versorgungsarztes Dr. F lägen auch Befundänderungen vor. Das LSG. ließ die Revision zu.

Das Urteil wurde dem Kläger am 29. Oktober 1959 zugestellt. Der Kläger legte am 17. November 1959 Revision ein und beantragte,

1. unter Aufhebung des Urteils des LSG. Rheinland-Pfalz vom 24. September 1959 die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des SG. Speyer, Zweigstelle Mainz, vom 12. Oktober 1956 zurückzuweisen und in Abänderung dieses Urteils den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger zusätzlich "Stauungsbronchitis" als Schädigungsfolge wieder anzuerkennen und über den 31. März 1955 hinaus Rente nach einer MdE. um 50 v.H. zu gewähren;

2. hilfsweise, die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG. Rheinland-Pfalz zurückzuverweisen.

Er begründete die Revision am selben Tage: Das LSG. habe den § 62 BVG verletzt; es habe bei der Anwendung dieser Vorschrift die Befunde von 1951 und 1954 vergleichen müssen; auf die Diagnose, d.h. auf die Leidensbezeichnung in dem Bescheid vom 22. September 1951, sei es nicht angekommen; das Leiden des Klägers habe sich nicht verändert, es sei lediglich im Jahre 1954 ärztlich anders beurteilt worden.

Der Beklagte beantragte,

die Revision zurückzuweisen.

II

Die Revision ist nach § 162 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthaft. Der Kläger hat die Revision auch form- und fristgerecht eingelegt und begründet. Die Revision ist sonach zulässig. Sie ist auch begründet.

Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid des Beklagten vom 9. Februar 1955; in diesem Bescheid hat der Beklagte die Versorgungsbezüge des Klägers nach § 62 Abs. 1 BVG "neu festgestellt", er hat damit den Bescheid vom 22. September 1951 insoweit zurückgenommen, als er darin dem Kläger eine höhere Rente als nach einer MdE. von 30 v.H. bewilligt hat. Er hat in dem Bescheid vom 9. Februar 1955 auch die bisher anerkannten Schädigungsfolgen "Herzmuskelschwäche und Stauungsbronchitis" nicht mehr angeführt, weil diese Gesundheitsstörungen "abgeheilt" seien. Der Beklagte ist davon ausgegangen, daß sich die Sach- und Rechtslage nach dem Erlaß des Bescheids vom 22. September 1951 geändert habe, daß damit der Bescheid vom 22. September 1951 teilweise fehlerhaft geworden sei und daß er diesen Bescheid insoweit nach § 62 Abs. 1 BVG habe zurücknehmen dürfen (vgl. BSG. 7 S. 8 (12)).

Das LSG. hat den Bescheid vom 9. Februar 1955 nach § 62 Abs. 1 BVG als rechtmäßig angesehen; es hat angenommen, die Verhältnisse hätten sich wesentlich geändert. Die Darlegungen des LSG. rechtfertigen diese Feststellung jedoch nicht. Das LSG. hat ausgeführt, nach den Befunden aus dem Jahre 1954 sei "völlig gesichert", daß die Diagnose "Herzmuskelschwäche und Stauungsbronchitis" nicht stimme, während diese Diagnose nach den Befunden des Jahres 1951 "nur möglicherweise" unrichtig gewesen sei. Diese Erwägungen vermögen die Annahme, es habe eine wesentliche Änderung der Verhältnisse im Sinne des § 62 Abs. 1 BVG vorgelegen, nicht zu stützen. Das LSG. hat insoweit prüfen müssen, ob sich das Leiden des Klägers, wie es der Beklagte in dem Bescheid vom 22. September 1951 als Schädigungsfolge festgestellt hat, wesentlich geändert hat; es hat die Befunde und Krankheitsäußerungen, die bei dem Kläger im Jahre 1951 vorgelegen haben und die für die Feststellung der Versorgungsbezüge in dem Bescheid vom 22. September 1951 maßgebend gewesen sind, mit den klinischen, röntgenologischen und elektrokardiographischen Befunden und den Krankheitsäußerungen, von denen in dem Bescheid vom 9.Februar 1955 ausgegangen ist, vergleichen müssen. Es ist dabei ohne Bedeutung, ob dieser Leidenszustand damals medizinisch richtig beurteilt worden ist, d.h. ob die Befunde, die damals erhoben worden sind, die Diagnose "Herzmuskelschwäche und Stauungsbronchitis" gerechtfertigt haben oder nicht. Der Beklagte hat nicht eine ärztliche Diagnose oder eine Leidensbezeichnung anerkannt, sondern einen Leidenszustand (vgl. auch Urteil des BSG. vom 11.11.1959 - 11 RV 660/58 -). Dieser Leidenszustand ist durch die Einzelbefunde und Krankheitsäußerungen gekennzeichnet, die sich bei den ärztlichen Untersuchungen im Jahre 1951 ergeben haben; dabei ist es unerheblich, ob es medizinisch richtig gewesen ist, diese Befunde überhaupt als "krankhaft" zu werten und sie als - wehrdienstbedingte - "Herzmuskelschwäche und Stauungsbronchitis" zu beurteilen. Das LSG. hat zwar einige "Befundänderungen" erwähnt, es hat insoweit Äußerungen des Versorgungsarztes Dr. F wiedergegeben, wonach im Jahre 1951 eine Stauungsbronchitis bestanden habe, röntgenologisch ein schlaffes Herz festgestellt worden sei und das EKG den Verdacht einer diffusen Myocardschädigung ergeben habe, - Befunde, wie sie bei den Untersuchungen im Jahre 1954 nicht beschrieben worden seien. Das LSG. hat aber insoweit keine eindeutigen und ausreichenden Feststellungen getroffen, weil es der Auffassung gewesen ist, es habe die Befunde nicht "losgelöst" von der Diagnose betrachten dürfen; es hat offenbar selbst bezweifelt, ob echte Befundänderungen vorgelegen haben. Es hat indes prüfen müssen, ob es sich bei den von Dr. F erwähnten "Befundänderungen" nicht lediglich darum gehandelt hat, daß einige ärztliche Untersuchungsergebnisse in den Gutachten vom Jahre 1954 nur etwas anders beschrieben worden sind als in den Gutachten vom Jahre 1951, ohne daß die Ärzte etwas anderes festgestellt haben und auch etwas anderes haben sagen wollen. Hierfür spricht, daß Dr. M dem das LSG. jedenfalls insoweit gefolgt ist, als er die Richtigkeit der ursprünglichen Diagnose bezweifelt hat, keine Befundänderungen angegeben hat und daß auch die Ärzte Dr. St und Dr. L solche Änderungen nicht bestätigt haben. Läßt sich auf Grund der medizinischen Unterlagen, die noch entsprechend ausgewertet und notfalls ergänzt werden müssen, nicht feststellen, ob und welche "Zustandsänderungen" zwischenzeitlich eingetreten sind, so hat der Beklagte den Bescheid vom 9. Februar 1955 zu Unrecht auf § 62 Abs. 1 BVG gestützt, der Bescheid ist nur rechtmäßig, wenn der Nachweis der wesentlichen Änderung der Verhältnisse erbracht ist (vgl. auch BSG. 7 S. 295). Wenn es aber so gewesen ist, daß die im wesentlichen unverändert gebliebenen Befunde im Jahre 1951 von den Ärzten als - wehrdienstbedingte - Herzmuskelschwäche und Stauungsbronchitis beurteilt worden sind, während sie von anderen Ärzten im Jahre 1954 als "anlage- bzw. altersbedingte Veränderungen am Herzen, Lungenemphysem mit reduzierender Vitalkapazität" gewertet worden sind, so hat eine Änderung der Verhältnisse im Sinne des § 62 BVG nicht vorgelegen; die Verhältnisse sind dann später nur anders ärztlich beurteilt worden. Der Beklagte hat dann den Bescheid vom 22. September 1951 auch insoweit nicht nach § 62 Abs. 1 BVG zurücknehmen dürfen, als darin Herzmuskelschwäche und Stauungsbronchitis als Schädigungsfolgen anerkannt worden sind; denn der anerkannte Leidenszustand - für den es nicht entscheidend auf die Diagnose oder Leidensbezeichnung angekommen ist - hat nach wie vor fortbestanden, er mag nur zu Unrecht als Schädigungsfolge anerkannt worden sein (vgl. auch Urteile des BSG. vom 11.11.1959 - 11 RV 660/58 - und vom 26.2.1960 - 11 RV 1132/57). Ist dies der Fall, so kann der Bescheid vom 22. September 1951 nur nach den Vorschriften über die Rücknahme von Anfang an rechtswidriger Verwaltungsakte zurückgenommen werden (vgl. auch BSG. 7 S. 8 (S.12)); insoweit fehlen Erörterungen des LSG.

Das LSG. hat danach § 62 BVG nicht richtig angewandt, wenn es die Rechtmäßigkeit des Bescheids vom 9. Februar 1955 im Ergebnis schon deshalb bejaht hat, weil sich die Leidensbezeichnung des ersten Bescheids nach den späteren Befunden als unzutreffend erwiesen habe. Die Revision ist danach begründet. Das Urteil des LSG. ist aufzuheben. Für die Entscheidung darüber, ob der angefochtene Bescheid vom 9. Februar 1955 rechtmäßig ist, weil eine Änderung der Verhältnisse im Sinne des § 62 BVG vorgelegen hat, reichen die Tatsachen, die das LSG. festgestellt hat, nicht aus. Die Sache ist deshalb zur neuen Entscheidung an das LSG. zurückzuverweisen (§ 170 Abs. 2 SGG).

Die Entscheidung über die Kosten bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2172882

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