Entscheidungsstichwort (Thema)

Schädigung durch Unfall. unfallunabhängige Schädigung durch Krankheit. wehrdiensteigentümliche Verhältnisse. Hausstaubmilbe. allgemeine Verbreitung. Berufskrankheit

 

Leitsatz (amtlich)

Der versorgungsrechtlich geschützte Bereich nach dem SVG wird bet unfallunabhängigen Krankheiten nach dem Vorbild des Berufskrankheitenrechts bestimmt.

 

Normenkette

SVG § 81 Abs. 1

 

Verfahrensgang

Hessisches LSG (Urteil vom 05.11.1991; Aktenzeichen L/4/Vs/887/90)

SG Gießen (Urteil vom 18.06.1990; Aktenzeichen S/16/Vs/1214/88)

 

Tenor

Auf die Revision des Beklagten werden die Urteile des Hessischen Landessozialgerichts vom 5. November 1991 und des Sozialgerichts Gießen vom 18. Juni 1990 geändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind in allen Rechtszügen nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Die Beteiligten streiten über die Frage, ob der Kläger wegen eines allergischen Asthma bronchiale Anspruch auf Versorgung nach dem Soldatenversorgungsgesetz (SVG) hat.

Der 1963 geborene Kläger leistete vom 1. April 1985 bis zu seiner vorzeitigen Entlassung wegen Dienstunfähigkeit Ende August 1988 Wehrdienst. Erstmals am 9. April 1985 und dann wiederholt traten bei ihm Asthmaanfälle auf, die er auf Einwirkungen des Wehrdienstes zurückführte. Der Beklagte lehnte es ab, die Asthmaerkrankung als Wehrdienstbeschädigung anzuerkennen und die beantragte Versorgung zu gewähren (Bescheid vom 1. Juni 1987; Widerspruchsbescheid vom 8. Dezember 1987), weil die Erkrankung nicht auf wehrdiensteigentümliche Belastungen zurückzuführen, sondern anlagebedingt sei.

Das Sozialgericht (SG) hat den Beklagten verurteilt, ab 1. September 1985 Versorgungsrente wegen eines allergischen Asthma bronchiale nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 50 vH – unter Einschluß einer MdE um 10 vH wegen besonderen beruflichen Betroffenseins – zu gewähren. Es ist mit dem von ihm gehörten Sachverständigen davon ausgegangen, daß der Kläger im Gemeinschaftsschlafraum der Kaserne wehrdiensteigentümlich einer vermehrten Allergenexposition durch Hausstaubmilben ausgesetzt war und dadurch die Asthmaerkrankung zum Ausbruch gekommen ist (Urteil vom 18. Juni 1990). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Beklagten unter Herabsetzung der MdE von 50 vH auf 30 vH für die Zeit bis zum 31. Oktober 1989 zurückgewiesen (Urteil vom 5. November 1991). Die Asthmaerkrankung des Klägers sei mit Wahrscheinlichkeit durch wehrdiensteigentümliche Verhältnisse herbeigeführt worden. Wehrdiensteigentümlich sei die Unterbringung in einem Mehrbettzimmer, wie der Kläger es in der Kaserne bewohnt habe. Dort habe es, wie auch sonst in Räumen mit Publikumsverkehr oder den Schlafräumen mit Sicherheit Hausstaubmilben gegeben. Aus dem Gutachten des in der Berufungsinstanz erneut gehörten Sachverständigen ergebe sich, daß der Kläger auf deren Vorkommen – unabhängig von der tatsächlich herrschenden Milbenkonzentration – durch Entwicklung der Asthmaerkrankung allergisch reagiert habe.

Der Beklagte hat – die vom Senat zugelassene – Revision eingelegt. Nach seiner Auffassung ist die Belastung durch Hausstaubmilben nicht wehrdiensteigentümlich gewesen, weil dieses Allergen überall vorkommt. Es bestehe also nur ein zeitlicher Zusammenhang mit dem Wehrdienst, auf den die Asthmaerkrankung ursächlich nicht zurückzuführen sei. Beweiserleichterungen nach dem Vorbild des Berufskrankheitenrechts seien dem Kläger nicht einzuräumen, weil er durch den Wehrdienst mit diesem Allergen nicht verstärkt belastet worden sei.

Der Beklagte beantragt,

in Abänderung der Urteile des Hessischen Landessozialgerichts vom 5. November 1991 und des Sozialgerichts Gießen vom 18. Juni 1990 die Klage in vollem Umfang abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Die Beigeladene hat sich nicht geäußert.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision des Beklagten ist begründet.

SG und LSG haben den Beklagten zu Unrecht verurteilt, dem Kläger Versorgung wegen der Folgen einer Allergenexposition während des Wehrdienstes zu gewähren.

Der Kläger kann keine Versorgung entsprechend dem Bundesversorgungsgesetz beanspruchen, weil er durch die Allergenexposition keine Wehrdienstbeschädigung erlitten hat (§ 80 Abs 1 SVG). Er ist weder durch eine Wehrdienstverrichtung noch durch einen Unfall während der Ausübung des Dienstes noch durch die dem Wehrdienst eigentümlichen Verhältnisse geschädigt worden.

Zu Recht hat das LSG von diesen drei Möglichkeiten nur die letzte geprüft. Nach dem festgestellten Sachverhalt liegen keine Anhaltspunkte für eine Wehrdienstbeschädigung durch einen während der Dienstausübung erlittenen Unfall oder durch eine Wehrdienstverrichtung vor. Dem LSG ist aber nicht zu folgen, soweit es angenommen hat, das Asthma bronchiale sie durch wehrdiensteigentümliche Verhältnisse herbeigeführt worden. Das LSG hat den versorgungsrechtlich geschützten Bereich zu weit gezogen, weil es zwischen Schädigungen durch Unfall und Krankheit nicht unterschieden hat.

Wird ein Unfall als Schädigungsursache angenommen, so sind nach ständiger Rechtsprechung (BSG SozR 3200 § 81 Nrn 20, 30, 31) wehrdiensteigentümliche Verhältnisse solche, die der Eigenart des Dienstes entsprechen und eng mit ihm verbunden sind, also alle nicht näher bestimmbaren Einflüsse des Wehrdienstes, die sich aus der besonderen Rechtsnatur dieses Verhältnisses mit ihrer weitgehenden Beschränkung der persönlichen Freiheit des Soldaten ergeben. Nicht erforderlich ist dagegen, daß diese Besonderheiten des Wehrdienstes auch mit einer besonderen Gefährdung verbunden sind, die im Zivilleben nicht vorkommt. Die dem Wehrdienst eigentümlichen Verhältnisse müssen im konkreten Fall wesentliche Ursache einer gesundheitlichen Störung sein, sie jedoch nicht durch eine besondere Gefahrenlage herbeigeführt haben.

Handelt es sich dagegen – wie hier – um unfallunabhängige Krankheiten, so bedarf es anderer Abgrenzungskriterien, weil Krankheiten regelmäßig nicht auf ein äußeres Geschehen im Zusammenhang mit dem Wehrdienst zurückgeführt werden können, sondern sich aufgrund vielfältiger Einflüsse entwickeln, denen der Einzelne im Laufe seines Lebens ausgesetzt ist. Als Mitursachen kommen zB die persönliche Lebensweise, Erbanlagen und mannigfache Umwelteinwirkungen in Betracht. Der Wehrdienst kann auf dieses Geschahen ebenso (mit)ursächlich einwirken, wie auch für sich allein Schäden herbeiführen. Verläßliche Kriterien zur sicheren Abgrenzung wehrdienstbedingter Faktoren von anderen kann die medizinische Wissenschaft weithin nicht ausreichend liefern.

Vor denselben Schwierigkeiten steht die gesetzliche Unfallversicherung. Auch dort sind die Grenzen des versicherungsrechtlich geschützten Bereichs bei einem äußerlich im allgemeinen leicht erkennbaren Unfallgeschehen anders zu ziehen als bei einer (Berufs)Krankheit. Die Rechtsprechung zum SVG hat deshalb schon früh an das Recht der Berufskrankheiten angeknüpft, um schicksalhafte Erkrankungen aus dem versorgungsrechtlich geschützten Bereich auszugrenzen (vgl BSGE 37, 282, 283 = SozR 3200 § 81 Nr 1 zur Wehrdiensteigentümlichkeit nervlicher Belastungen für einen Herzinfarkt). Anders als bei Unfällen hat sie eine besondere Gefährdung verlangt. Wehrdiensteigentümlich sind bei Erkrankungen außergewöhnliche Verhältnisse nur, wenn sie den Eigenarten des Wehrdienstes entsprechen und über durchschnittliche Belastungen im Zivilleben hinaus gehen (BSG SozR 3200 § 81 Nr 31 S 125). Auch wegen einer Berufskrankheit wird nur entschädigt, wer “berufseigentümlich” einer erhöhten Gesundheitsgefährdung ausgesetzt gewesen ist. Als Berufskrankheit sind grundsätzlich nur solche Krankheiten anzuerkennen, die durch besondere Einwirkungen verursacht werden, denen bestimmte Personengruppen in erheblich höherem Grade ausgesetzt sind als die übrige Bevölkerung (§ 551 Abs 1 Satz 3 Reichsversicherungsordnung ≪RVO≫).

Anders als im Recht der Berufskrankheiten mit § 551 Abs 1 RVO iVm der jeweiligen Berufskrankheiten-Verordnung (BKVO) fehlen im Soldatenversorgungsrecht für Wehrpflichtige normative Vorgaben dafür, unter welchen Voraussetzungen eine wehrdiensttypische Gefahrenerhöhung anzuerkennen ist. Deshalb ist im Einzelfall zu prüfen, ob “wehrdiensteigentümliche Verhältnisse” als Ursache in einem Maße vorliegen, daß andere Ursachen in den Hintergrund treten. Auch hierbei ist das Berufskrankheitenrecht Vorbild (BSG SozR 3-3200 § 81 Nr 3 und Urteil vom 24. September 1992 – 9a RV 31/90 –). Eine Anerkennung als Berufskrankheit ist grundsätzlich nur möglich, wenn sie sich typischerweise durch berufliche Einwirkung entwickelt hat. Ob bestimmte Einwirkungen typischerweise eine bestimmte Krankheit herbeiführen, wird in der Unfallversicherung nicht aufgrund von Ermittlungen durch Verwaltung und Gerichte im Einzelfall festgestellt, sondern nach umfassenden Ermittlungen vom Gesetzgeber allgemein durch Verordnung entschieden. War ein Soldat im Dienst Einwirkungen ausgesetzt, die im Unfallversicherungsrecht zu der Erkenntnis geführt haben, daß sie das Krankheitsrisiko in auffallender Weise erhöhen und ist die Krankheit deshalb in die BKVO aufgenommen worden, so werden diese Einwirkungen auch wehrdiensteigentümlich sein. Nach dem Rechtsgedanken des § 551 Abs 2 RVO wird eine Krankheit ferner dann als Wehrdienstbeschädigung anzuerkennen sein, wenn sie nicht in die BKVO aufgenommen worden ist, der Dienstherr aber wegen Gefährdung der Soldaten handeln müßte. Zum Handeln wäre er aufgerufen, wenn bestimmte Einwirkungen zur Entwicklung bestimmter Krankheiten beitragen können, die Soldaten im Dienst solchen Einwirkungen in höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind und medizinstatistisch nachgewiesen ist, daß die Zahl der Erkrankungen von Soldaten signifikant höher als in der Allgemeinbevölkerung ist.

Die Asthmaerkrankung des Klägers ist nach diesen Grundsätzen nicht durch wehrdiensteigentümliche Verhältnisse herbeigeführt worden. In der Anlage 1 zur BKVO ist unter Nr 4301 zwar die durch allergisierende Stoffe verursachte obstruktive Atemwegserkrankung aufgeführt. Darunter fällt das Asthma bronchiale des Klägers. Das bedeutet aber nur, daß diese Krankheit generell geeignet ist, Berufskrankheit – oder übertragen auf das Soldatenversorgungsrecht, “Wehrdienstkrankheit” – zu sein. Die Gefährdung des Soldaten durch schädigende Einwirkungen muß ursächlich auf dem Dienst beruhen. Daran fehlt es hier. Für den Ausbruch der Krankheit kam es nach den auf das Sachverständigengutachten gestützten Feststellungen des LSG nur darauf an, daß das Allergen “Milbe” vorhanden war. Auf die Konzentration kam es nicht an. Wenn die Bedingungen, die die Krankheit auslösen können, derart unbestimmt sind, gelingt es nicht, einen typischen Zusammenhang zwischen dem Wehrdienst und der Erkrankung herzustellen. Soldaten sind im Dienst und im Zivilleben demselben Gefährdungspotential ausgesetzt: Die Hausstaubmilbe ist ubiquitär, sie kommt mit Sicherheit nicht nur in den Gemeinschaftsunterkünften von Kasernen, sondern auch sonst in Räumen mit Publikumsverkehr oder privaten Schlafräumen vor, wie sich ebenfalls aus den Feststellungen des LSG ergibt. Wenn sich bei Erkrankungen schon aufgrund der Typik keine Aussage zum Ursachenzusammenhang machen läßt, erübrigt sich eine Beweiserhebung im Einzelfall. Die Asthmaerkrankung des Klägers hat sich danach nur zufällig zeitlich und örtlich im Zusammenhang mit dem Wehrdienst entwickelt und den Kläger schicksalhaft getroffen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.

 

Fundstellen

Breith. 1994, 146

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