Leitsatz (amtlich)

Zum Verfahren über die Beitragspflicht der Bundesanstalt für Arbeit sind neben den Trägern der Rentenversicherung auch die Versicherten beizuladen (Erweiterung von BSG vom 12.12.1984 - 10 RAr 7/83 = SozR 4100 § 141n Nr 10).

 

Normenkette

AFG § 141n Abs 1; SGG § 75 Abs 2

 

Verfahrensgang

Schleswig-Holsteinisches LSG (Entscheidung vom 02.12.1988; Aktenzeichen L 1 Ar 75/87)

SG Itzehoe (Entscheidung vom 06.08.1987; Aktenzeichen S 2 Ar 166/86)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte gemäß § 141n Abs 1 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) die Gesamtsozialversicherungsbeiträge für den Tag der Ablehnung der Eröffnung des Konkursverfahrens zu leisten hat.

Das Amtsgericht Itzehoe hat durch den Beschluß vom 30. September 1985 die Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen der Firma H             in B           mangels einer die Kosten des Verfahrens deckenden Masse abgelehnt.

Die Beklagte hat das Begehren der Klägerin, an sie die Beiträge für die - namentlich nicht bezeichneten - in dem insolventen Unternehmen versicherungspflichtig beschäftigt gewesenen Arbeitnehmer auch für den Tag des Insolvenzereignisses in Höhe von insgesamt 217,84 DM zu zahlen, durch den Bescheid vom 6. März 1986 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. November 1986 mit der Begründung abgelehnt, der Insolvenztag falle nicht in die letzten drei Monate des Arbeitsverhältnisses.

Auf die von der Klägerin am 18. November 1986 erhobene Klage hat das Sozialgericht (SG) Itzehoe durch Urteil vom 6. August 1987 dem Klageantrage entsprochen und die Berufung zugelassen. Das Landessozialgericht (LSG) hat nach Beiladung der Landesversicherungsanstalt Schleswig-Holstein das erstinstanzliche Urteil aufgehoben, die Klage abgewiesen und die Revision zugelassen: Da die Vorschriften über die Konkursausfallgeld-Versicherung (Kaug-Versicherung) keine Regelung über die Berechnung des Drei-MonatsZeitraumes iS des § 141n AFG enthielten, habe gemäß § 26 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB X) die Fristbestimmung des § 187 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) entsprechend zu gelten. Danach bleibe der Insolvenztag außer Betracht.

Die Klägerin beruft sich zur Begründung ihrer Revision auf Urteile des 7. und des 12. Senats des Bundessozialgerichts (BSG), aus denen sie folgert, daß auch bei einem Insolvenzereignis iS des § 141b Abs 3 AFG der Tag des Insolvenzereignisses zur Dreimonatsfrist iS der §§ 141b Abs 1, 141n Abs 1 AFG hinzutrete. Dieser rechtlichen Beurteilung hat sich die Beigeladene angeschlossen.

Die Klägerin und die Beigeladene beantragen,

das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 2. Dezember 1988 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG Itzehoe vom 6. August 1987 zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

 

Entscheidungsgründe

Der Senat hat mit dem Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).

Die Klage ist statthaft. Die Klägerin hätte zwar von der Erhebung des Widerspruches absehen können, weil sie als Versicherungsträger auch ohne Durchführung eines Vorverfahrens klagen durfte (§ 78 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGG). Es kann dahingestellt bleiben, ob in einem solchen Fall, in dem der Versicherungsträger gleichwohl Widerspruch erhebt, die Klagefrist bereits mit der Zustellung des ablehnenden Verwaltungsaktes beginnt. Denn die Beklagte hat die Klägerin in dem Bescheid vom 6. März 1986 fehlerhaft dahin belehrt, daß sie gegen diesen Bescheid ggf Widerspruch erheben müsse. Infolge dieser fehlerhaften Rechtsmittelbelehrung betrug die Klagefrist für die Klägerin ein Jahr (§ 66 Abs 2 SGG). Diese Frist ist gewahrt.

Die Revision der Klägerin ist im Sinne der Aufhebung des angefochtenen Urteils und der Zurückverweisung der Sache an das LSG begründet, weil das LSG auch die Arbeitnehmer, für die die Klägerin die Beiträge für den Insolvenztag verlangt, hätte beiladen müssen.

Zwar hat der 12. Senat des BSG in dem Urteil vom 3. Januar 1978 - 12 RAr 49/77 - (SozR 4100 § 141n Nr 1) entschieden, daß in Verfahren über die Zahlung von Beiträgen aus der Kaug-Versicherung ua die betroffenen Arbeitnehmer nicht beizuladen seien; das BSG habe die notwendige Beiladung bisher nur einerseits für die Fälle anerkannt, in denen sich aus der Entscheidung über die Beitragsentrichtungspflicht Rechtsfolgen für die Beitragszahlungspflichtigen ergäben und andererseits für die Fälle bejaht, in denen zugleich die Versicherungspflicht des Arbeitnehmers streitig ist. Einen solchen Fall betreffe dieser Streit nicht, weil die Einzugsstelle nur solche Beiträge fordern könne, über die sie zuvor bereits mit bindender Wirkung für die Bundesanstalt für Arbeit (BA) entschieden habe. In den Verfahren zwischen der Krankenkasse und der BA als Träger der Kaug-Versicherung sei daher nur zu entscheiden, ob die BA anstelle des Arbeitgebers oder des Konkursverwalters zur Beitragsentrichtung verpflichtet sei. Durch einen Streit zwischen Krankenkasse und BA über die Leistungspflicht der BA sei der Arbeitnehmer daher nur mittelbar betroffen, so daß allein seine einfache Beiladung in Betracht komme, deren Unterlassung keinen Verfahrensmangel darstelle.

Diese Rechtsprechung hat der erkennende Senat bereits in dem Urteil vom 1. Dezember 1984 - 10 RAr 7/83 - (SozR 4100 § 141n Nr 10) teilweise aufgegeben und - unabhängig davon, daß dieser Rechtsstreit die Rechtmäßigkeit der Rücknahme eines Beitragsbewilligungsbescheides der BA betraf - entschieden, daß die BA über ihre Zahlungspflicht nach § 141n AFG durch einen eigenen Verwaltungsakt entscheide und daß zu einem Verfahren über ihre Beitragsentrichtungspflicht die Rentenversicherungsträger beizuladen seien, weil die Rentenversicherungsträger durch die Leistung iS des § 141n AFG endgültig befriedigt würden.

Diese rechtliche Abgrenzung, an der der Senat für die Rentenversicherungsträger festhält und der auch das LSG mit der Beiladung der LVA Schleswig-Holstein gefolgt ist, bedarf der Erweiterung. Die Entscheidung der BA über den Umfang ihrer Eintrittspflicht läßt zwar die Entscheidung der Einzugsstelle über die Versicherungspflicht sowie über die Beitragspflicht des Arbeitgebers unberührt (erkennender Senat aa0). Denn die BA entscheidet nur über den Umfang ihrer im Konkursfalle vorrangigen Eintrittspflicht (erkennender Senat aa0). Die Entscheidung der BA, ob rückständige Beiträge zu entrichten sind, trifft aber nicht nur, wie der erkennende Senat (aa0) entschieden hat, die Rentenversicherungsträger, sondern auch die Versicherten, so daß nicht nur der Rentenversicherungsträger, sondern auch der Versicherte notwendig beizuladen ist. Das muß im Bereich der Kaug-Versicherung umso mehr gelten, als die BA im Falle des Konkurses vorrangig beitragsleistungspflichtig ist und jedenfalls bei den Insolvenzereignissen iS des § 141b Abs 3 AFG in der Regel auch der alleinige Beitragszahler bleibt. Deshalb wirkt sowohl die positive als auch die negative Entscheidung der BA über ihre Beitragspflicht nicht nur für oder gegen die Beitragsgläubiger (so erkennender Senat aa0), sondern auch für oder gegen die Versicherten, auf deren Beitragskonten die Beitragsleistungen der BA fließen. Die Rechtsfolge einer Entscheidung der BA wirkt sich mithin nicht nur mittelbar für den Arbeitnehmer aus, sondern unmittelbar; der Arbeitnehmer ist im Falle einer rechtswidrigen Ablehnung ihrer Eintrittspflicht durch die BA - und darum geht es auch in diesem Rechtsstreit allein - nicht auf einen Schadensersatzanspruch gegen die BA angewiesen, sondern zur Anfechtung dieser Entscheidung befugt; dementsprechend ist er im Falle der Erhebung der Anfechtungsklage durch die Einzugsstelle am Verfahren notwendig beteiligt.

Das LSG wird daher auch die Arbeitnehmer, für die die Klägerin Beiträge für den Insolvenztag fordert, beizuladen und dann erneut in der Sache selbst zu entscheiden haben. Hinsichtlich der materiellen Rechtslage verweist der Senat auf das in der Sache 10 RAr 8/89 am heutigen Tage ergangene Urteil (zur Veröffentlichung bestimmt).

Das LSG wird auch über die Erstattung der Kosten für das Revisionsverfahren zu entscheiden haben.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1660615

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