Leitsatz (amtlich)

Die Abfindung einer Witwe nach § 1302 Abs 1 RVO berechnet sich auch dann nach der von ihr bezogenen erhöhten Witwenrente iS des § 1268 Abs 2 RVO, wenn sie im letzten Bezugsmonat erst nach der Vollendung des 18. Lebensjahres des von ihr erzogenen Kindes wieder heiratet.

 

Normenkette

RVO § 1302 Abs 1 Fassung: 1957-02-23, § 1268 Abs 2 Fassung: 1957-02-23

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 06.05.1983; Aktenzeichen L 3 J 238/82)

SG Köln (Entscheidung vom 11.11.1982; Aktenzeichen S 11 J 290/81)

 

Tatbestand

Streitig ist zwischen den Beteiligten die Höhe der der Klägerin gemäß § 1302 Abs 1 Reichsversicherungsordnung (RVO) zustehenden Witwenrentenabfindung.

Die Klägerin bezog bis einschließlich Januar 1981 die ihr von der Beklagten mit Bescheid vom 1. Juni 1977 gewährte erhöhte Witwenrente gemäß § 1268 Abs 2 RVO. Damals erzog die Klägerin ein waisenrentenberechtigtes Kind, die am 13. Januar 1963 geborene Tochter Beatrix. Drei Tage nachdem diese das 18. Lebensjahr vollendet hatte heiratete die Klägerin am 16. Januar 1981 erneut. Mit Bescheid vom 30. Januar 1981 gewährte die Beklagte der Klägerin ab 1. Februar 1981 die niedrigere Witwenrente nach § 1268 Abs 1 RVO. Nachdem die Klägerin am 10. Februar 1981 die Rentenabfindung beantragt hatte, wurde die Rentenzahlung von der Beklagten mit Ablauf des Monats April 1981 eingestellt. In einem Bescheidentwurf vom 11. Mai 1981 errechnete sie anhand der erhöhten Witwenrente (916,20 DM für Januar 1981) eine Abfindung in Höhe von 54.972,-- DM. Nach Abzug der bis Ende April 1981 gezahlten Beträge verblieben 53.362,-- DM, die an die Klägerin ausgezahlt wurden. Der Entwurf des Bescheides vom 11. Mai 1981 wurde ihr jedoch nicht bekanntgegeben. Inzwischen war die Beklagte der Ansicht, die Abfindung hätte nach der niedrigen Witwenrente des § 1268 Abs 1 RVO berechnet werden müssen, weil vor der Heirat der Klägerin ihre Tochter bereits 18 Jahre alt geworden war. Mit Bescheid vom 25. Mai 1981 forderte die Beklagte von der Klägerin 53.362,-- DM zurück, da der Betrag ohne einen entsprechenden Bewilligungsbescheid gezahlt worden sei. In einem weiteren Bescheid vom 26. Mai 1981 wurde die Abfindung der Witwenrente in Höhe von 20.814,-- DM und nach Abzug der über den Monat der Wiederheirat hinaus geleisteten Zahlungen mit 19.204,-- DM festgestellt. Gleichzeitig verrechnete die Beklagte mit diesem Betrag die bereits gezahlten 53.362,-- DM und forderte von der Klägerin nun noch 34.158,-- DM zurück.

Die gegen diese Bescheide gerichteten Widersprüche der Klägerin sind dem Sozialgericht (SG) gemäß § 85 Abs 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) als Klage zugeleitet worden. Entsprechend dem Antrag der Klägerin hat das SG die Bescheide vom 25. und 26. Mai 1981 aufgehoben (Urteil vom 11. November 1982). Die Beklagte hat diese Entscheidung mit der Berufung angefochten. Vor dem Landessozialgericht (LSG) haben die Beteiligten am 6. Mai 1983 einen Teilvergleich geschlossen. Darin verzichtet die Beklagte auf die Rückforderung des ausgezahlten Betrages, sofern rechtskräftig entschieden wird, daß die Abfindung nach der erhöhten Witwenrente zu berechnen ist. Sollte rechtskräftig bestätigt werden, daß die Abfindung nach der kleineren Witwenrente zu berechnen ist, so hat sich die Klägerin verpflichtet, an die Beklagte 34.158,-- DM zu zahlen. Das LSG hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen und auf die Anschlußberufung der Klägerin das Urteil des SG dahingehend abgeändert, daß die Beklagte verurteilt wird, die Witwenrentenabfindung nach einer nach § 1268 Abs 2 RVO berechneten Witwenrente zu berechnen (Urteil vom 6. Mai 1983). Das LSG hat die Berufung als zulässig angesehen, denn die Entscheidung des SG beruhe auf einem von der Beklagten gerügten Verfahrensmangel. Die reine Anfechtungsklage hätte abgewiesen werden müssen, weil die Klägerin ihr Prozeßziel nur durch eine kombinierte Anfechtungs- und Leistungs- bzw Verpflichtungsklage hätte erreichen können. In der Sache sei die Berufung der Beklagten nicht, wohl aber die Anschlußberufung der Klägerin begründet. Die Abfindung sei auf der Grundlage der erhöhten Witwenrente zu berechnen, die der Klägerin für den Monat Januar 1981 zugestanden habe.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 1302 RVO. Außerdem macht sie geltend, der Klägerin sei nach der Klageänderung in der Berufungsinstanz nicht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt worden, so daß die geänderte Klage verspätet und unzulässig sei. Das habe das LSG nicht beachtet.

Die Beklagte beantragt, das Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung des LSG für zutreffend.

Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung des Rechtsstreits ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 SGG).

 

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision der Beklagten ist nicht begründet. Der Klägerin steht gemäß § 1302 RVO in der bis einschließlich 31. Dezember 1983 gültigen Fassung eine Abfindung in Höhe des fünffachen Jahresbetrages der für den Monat Januar 1981 bezogenen erhöhten Witwenrente (§ 1268 Abs 2 RVO) zu.

Die angefochtene Entscheidung des LSG beruht nicht auf dem von der Beklagten gerügten Verfahrensmangel. Es kann hier unentschieden bleiben, ob durch die Anschlußberufung der Klägerin eine Klageänderung erfolgt ist. Als solche ist es nach § 99 Abs 3 Nr 2 SGG nicht anzusehen, wenn ohne Änderung des Klagegrundes der Antrag in der Hauptsache erweitert wird. Streitgegenstand war seit Beginn des Rechtsstreits die Höhe der Witwenrentenabfindung und der davon abhängige Rückforderungsanspruch der Beklagten nach § 50 Abs 2 Sozialgesetzbuch - Verwaltungsverfahren - (SGB X). Zwar hat die Klägerin vor dem SG nur beantragt, die Bescheide vom 25. und 26. Mai 1981 aufzuheben. Das Gericht hat aber nach § 123 SGG über die erhobenen Ansprüche zu entscheiden, ohne an die Fassung der Anträge gebunden zu sein. Erkennbar hat die Klägerin keine reine Anfechtungsklage erhoben, sondern damit eine Leistungs- oder Verpflichtungsklage verbunden. Zumindest hätte das SG insoweit gemäß § 106 Abs 1 SGG auf sachdienliche Anträge hinwirken müssen.

Selbst wenn man aber vom Wortlaut des Klageantrages in erster Instanz ausgeht und eine Klageänderung annimmt, so ist hinsichtlich des geänderten Teils die Klagefrist gewahrt. Zu Unrecht beruft sich die Beklagte in diesem Zusammenhang auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) in BSGE 8, 3, 11. Damals hat der erkennende Senat sowohl in der Nachholung eines erforderlichen Vorverfahrens als auch im Übergang von einer kombinierten Anfechtungs- und Vornahmeklage zu einer zusammengefaßten Anfechtungs- und Leistungsklage eine Klageänderung gesehen, die in der Revisionsinstanz unzulässig wäre. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der versäumten Rechtsbehelfsfrist hat der Senat in jenem Verfahren nur für den Fall erörtert, daß die unzulässige Klage abgewiesen worden und der Versicherte erneut gezwungen gewesen wäre, Klage zu erheben. Um einen solchen neuen Rechtsstreit zu vermeiden, wurde die Sache an die Vorinstanz zurückverwiesen. Anders als damals handelte es sich im Falle der Klägerin um den Übergang von einer reinen Anfechtungsklage zu einer zusammengefaßten Anfechtungs- und Verpflichtungs- oder Leistungsklage. Hier genügt zur Wahrung der Klagefrist die rechtzeitige Anfechtung der Verwaltungsakte vom 25. und 26. Mai 1981, denn nach § 87 Abs 1 Satz 1 SGG kommt es insoweit auf die Zustellung oder Bekanntgabe des Verwaltungsaktes an. Wegen des geänderten Klagebegehrens bedurfte es somit keiner Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, und das Verfahren des LSG beruhte nicht auf dem von der Beklagten gerügten Mangel.

In der Sache selbst kann die Revision keinen Erfolg haben. Nach § 1302 Abs 1 RVO ist maßgebend für die Höhe der Abfindung die bisher bezogene Rente. Der Abfindungsbetrag kann nicht unabhängig von der bisher gezahlten Witwenrente geprüft und festgestellt werden, denn die Bindung des Bescheides über die Witwenrente wirkt auch für den Abfindungsanspruch fort (so BSGE 41, 294, 295; 53, 235, 239 f = SozR 2200 § 1268 Nr 20). Der Bescheid der Beklagten vom 1. Juni 1977 über die Gewährung der erhöhten Witwenrente an die Klägerin hatte bis einschließlich 31. Januar 1981 Bestand.

Die Beklagte kann sich für ihre Ansicht nicht auf die Entscheidung des BSG in BSGE 27, 139 (= SozR Nr 9 zu § 1268 RVO) berufen, wonach die Erhöhung der Witwenrente wegen der Erziehung eines waisenrentenberechtigten Kindes entfällt, wenn dieses volljährig wird. Auch in einem solchen Fall ist die erhöhte Witwenrente jedenfalls bis zum Schluß des Monats zu gewähren, in dem die Erziehung endet (vgl BSGE 32, 117, 119 = SozR Nr 18 zu § 1268 RVO). "Bezogene Rente" iS des § 1302 Abs 1 RVO ist daher der der Klägerin für den Monat Januar 1981 rechtmäßig ausgezahlte Rentenbetrag.

Ebensowenig führt die von der Revision angeführte Entscheidung des BSG in SozR Nr 11 zu § 1302 RVO zu einem anderen Ergebnis. Dort ist ausgeführt worden, die Voraussetzung des Rentenbezugs iS des § 1302 Abs 1 RVO bis zur Wiederheirat sei nur dann erfüllt, wenn die Eheschließung kausal sei für den Wegfall der weiteren Rentenzahlung. Das sei bei einem zuvor eingetretenen Ruhen der Rente zu verneinen (vgl auch BSG in SozR Nr 1 zu § 83 Reichsknappschaftsgesetz -RKG-). Im Falle der Klägerin handelt es sich dagegen nicht um ein Zusammentreffen mehrerer Wegfalltatbestände. Ursächlich für das Ende ihrer Witwenrente ist allein die Heirat am 16. Januar 1981. Auch wenn ihr ohne diese Eheschließung ab 1. Februar 1981 eine niedrigere Rente zugestanden hätte, so kommt es darauf hier nicht an, denn das Gesetz knüpft die Abfindung eindeutig an die bereits bezogene Rente.

Die demnach unbegründete Revision der Beklagten mußte somit zurückgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1663067

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt SGB Office Professional . Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge