Leitsatz (amtlich)

Als Unterhaltsverpflichtung iS von AVG § 42 S 2 Nr 1 (= RVO § 1265 S 2 Nr 1) kommt auch eine solche nach EheG § 61 Abs 2 S 1 in Betracht (Anschluß an BSG 1976-05-25 5 RJ 343/74).

 

Leitsatz (redaktionell)

Das Scheitern der Unterhaltsverpflichtung des Versicherten nach EheG § 61 Abs 2 wegen eigener Vermögens- oder Erwerbsverhältnisse oder den Erträgnissen der früheren Ehefrau aus einer Erwerbstätigkeit ist als Anspruchsgrundlage für die Gewährung einer auf AVG § 42 S 2 (RVO § 1265 S 2) gestützten Hinterbliebenenrente ausreichend.

 

Normenkette

AVG § 42 S. 2 Nr. 1 Fassung: 1972-10-16; RVO § 1265 S. 2 Nr. 1 Fassung: 1972-10-16; EheG § 61 Abs. 2 S. 1 Fassung: 1946-02-20

 

Tenor

Auf die Sprungrevision der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 16. Juli 1975 aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zur neuer Verhandlung und Entscheidung an das Sozialgericht zurückverwiesen.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der im Jahre 1901 geborenen Klägerin gemäß § 42 Satz 2 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) Hinterbliebenenrente aus der Versicherung ihres früheren, am 2. Februar 1974 verstorbenen Ehemannes zusteht.

Die Ehe der Klägerin mit dem Versicherten Anton S wurde auf Verlangen des Versicherten durch Urteil des Landgerichts Weiden vom 23. Juni 1961 nach § 48 des Ehegesetzes (EheG) ohne Schuldausspruch geschieden. Aus der Ehe sind keine Kinder hervorgegangen. Der Versicherte bezog seit Juli 1959 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, die monatlich zunächst 91,- DM und zuletzt 246,- DM betrug. Er war seit 31. Juli 1959 im Fürsorgeheim T und seit 1. November 1970 im Bezirkskrankenhaus T untergebracht. Zur teilweisen Deckung der Unterbringungskosten wurde die Rente an den Kostenträger Bezirk M, Sozialhilfeverwaltung überwiesen.

Den von der Klägerin im März 1974 gestellten Antrag auf Gewährung der Hinterbliebenenrente lehnte die Beklagte ab, weil die Klägerin aufgrund der festgestellten Einkommensverhältnisse keinen Anspruch auf Unterhalt gemäß § 61 Abs. 2 EheG gehabt habe und § 42 Satz 2 AVG in der Fassung des Rentenreformgesetzes (RRG) bei Ehescheidungen aus § 48 EheG nicht anwendbar sei (Bescheid vom 15. Juli 1974).

Die hiergegen erhobene Klage wies das Sozialgericht (SG) ab. Zur Begründung führte es im wesentlichen aus: Die hier allein in Betracht kommende Unterhaltsverpflichtung nach § 61 Abs. 2 EheG richte sich nicht nur - wie dies der Hinterbliebenenrentenanspruch nach § 42 Satz 2 AVG erfordere - nach den Vermögens- und Einkommensverhältnissen der geschiedenen Ehegatten, sondern auch nach den wirtschaftlichen Verhältnissen der nach § 63 EheG unterhaltspflichtigen Verwandten, wobei eine nach Billigkeit vorzunehmende Abwägung all diese Gegebenheiten zu berücksichtigen habe. Damit könne die in § 42 Satz 2 AVG vorgeschriebene Außerachtlassung der wirtschaftlichen Verhältnisse der früheren Eheleute nicht dazu führen, eine abstrakte Unterhaltsverpflichtung im Sinne dieser Vorschrift zu begründen (Urteil vom 16. Juli 1975).

Die Klägerin hat mit schriftlicher Zustimmung der Beklagten die vom SG zugelassene Sprungrevision eingelegt. Sie rügt Verletzungen des materiellen Rechts durch das Berufungsgericht.

Die Klägerin beantragt sinngemäß, das angefochtene Urteil sowie den Bescheid der Beklagten vom 15. Juli 1974 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, Hinterbliebenenrente gemäß § 42 Satz 2 AVG zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -) einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision ist begründet.

Das SG ist ohne Rechtsfehler davon ausgegangen, daß der Klägerin gemäß § 42 Satz 1 AVG keine Hinterbliebenenrente zusteht. Der Versicherte hatte der Klägerin zur Zeit seines Todes weder nach den Vorschriften des EheG oder aus sonstigen Gründen Unterhalt zu leisten noch hat er im letzten Jahr vor seinem Tode Unterhalt geleistet. Da die Ehe der Klägerin mit dem Versicherten auf dessen Verlangen ohne Schuldausspruch geschieden worden war, wäre der Versicherte gegenüber der Klägerin gemäß § 61 Abs. 2 EheG nur unterhaltspflichtig gewesen, wenn und soweit dies mit Rücksicht auf die Bedürfnisse und die Vermögens- und Einkommensverhältnisse der geschiedenen Ehegatten und der nach § 63 EheG unterhaltspflichtigen Verwandten des Berechtigten der Billigkeit entsprochen hätte. Im Hinblick auf die vom Versicherten zuletzt vor seinem Tode bezogene Monatsrente von 246,- DM, die nicht einmal zum Bestreiten seines eigenen angemessenen Lebensunterhalts ausreichte, ist es offensichtlich, daß hiernach der Versicherte der Klägerin schon aus diesem Grund keinen Unterhalt zu gewähren hatte.

Bei diesem Sachverhalt kommt indes entgegen der Ansicht des SG als Rechtsgrundlage für einen Hinterbliebenenrentenanspruch der Klägerin § 42 Satz 2 AVG in der am 1. Januar 1973 in Kraft getretenen Fassung des RRG in Betracht. Da die Klägerin zur Zeit des Todes des Versicherten (2.2.1974) bereits 72 Jahre alt war und im Zeitpunkt der Scheidung (1961) auch schon das 45. Lebensjahr vollendet hatte, hängt ihr Rentenanspruch nach dieser Vorschrift davon ab, ob als Unterhaltsverpflichtung im Sinne des § 42 Satz 2 Nr. 1 AVG auch eine solche nach § 61 Abs. 2 EheG zu verstehen ist. Dies ist bereits im Urteil des 5. Senats des Bundessozialgerichts (BSG) vom 25. Mai 1976 - 5 RJ 343/74 - zur inhaltsgleichen Vorschrift des § 1265 Satz 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) bejaht worden, nachdem der 11. Senat des BSG seine im Urteil vom 26. September 1972 - 11 RA 56/72 - vertretene gegenteilige Rechtsauffassung aufgegeben hat. Auch der erkennende Senat hält die Unterhaltsverpflichtung nach § 61 Abs. 2 EheG als Anspruchsgrundlage für die Hinterbliebenenrenten nach § 42 Satz 2 AVG in all den Fällen für ausreichend, in denen diese Unterhaltsverpflichtung nur an den Vermögens- oder Erwerbsverhältnissen des Versicherten oder den Erträgnissen der früheren Ehefrau aus einer Erwerbstätigkeit gescheitert ist. Für den Senat war hierbei maßgeblich, daß § 61 Abs. 2 EheG - ebenso wie die §§ 58, 59 EheG - eine echte Unterhaltsverpflichtung beinhaltet ("... hat ... zu gewähren ...", vgl. hierzu Palandt/Diederichsen, Komm. zum BGB, 35. Aufl., Anm. 3 zu § 61 EheG mit weiteren Nachweisen), wobei der Verpflichtete nach § 63 Satz 1 EheG vor den Verwandten der Berechtigten haftet. Der Ausnahmefall des § 63 Satz 2 EheG, daß die Verwandten vor dem geschiedenen Ehegatten haften, kann im Rahmen des § 42 Satz 2 AVG nicht rechtserheblich sein, weil dieser Fall nur wegen der Vermögens- und Erwerbsverhältnisse des Versicherten eintreten könnte und diese Verhältnisse den Hinterbliebenenrentenanspruch gerade nicht ausschließen sollen.

Hat demnach die Unterhaltsverpflichtung nach § 61 Abs. 2 EheG wegen der Vermögens- oder Erwerbsverhältnisse des Versicherten oder wegen der Erträgnisse der Klägerin aus einer Erwerbstätigkeit, zu denen auch die von der Klägerin aus eigener Versicherung bezogene Rente gehört (vgl. BSG in SozR 2200 § 1265 Nr. 9), nicht bestanden, so ist ihr Hinterbliebenenrente nach § 42 Satz 2 AVG zu gewähren. Wie bereits im Urteil des BSG vom 25. Mai 1976 aaO betont wird, führt dies praktisch zu dem Ergebnis, daß ein Rentenanspruch nach § 42 Satz 2 AVG bzw. § 1265 Satz 2 RVO nur ausgeschlossen ist, wenn festgestellt werden kann, daß die Unterhaltsverpflichtung nach § 61 Abs. 2 EheG zur Zeit des Todes des Versicherten allein wegen der Vermögensverhältnisse der geschiedenen Frau nicht gegeben war.

Da das SG Feststellungen über die Vermögensverhältnisse der Klägerin zur Zeit des Todes des Versicherten nicht getroffen hat und solche auch nicht dem angefochtenen Bescheid zu entnehmen sind (die Beklagte bezieht sich dort nur pauschal auf die "Einkommensverhältnisse"), vermag der erkennende Senat den Rechtsstreit nicht abschließend zu entscheiden. Das angefochtene Urteil ist deshalb aufzuheben und die Sache an das SG zurückzuverweisen (§ 170 Abs. 2 Satz 2 SGG), damit die für die Entscheidung noch erforderlichen Feststellungen nachgeholt werden können.

Der Kostenausspruch bleibt der das Verfahren abschließenden Entscheidung vorbehalten.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1647695

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