Verfahrensgang

LSG Sachsen-Anhalt (Urteil vom 21.07.1993; Aktenzeichen L 2 Ar 6/93)

 

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 21. Juli 1993 insoweit aufgehoben, als es den Anspruch der Klägerin auf höheres Altersübergangsgeld ab 1. Januar 1991 betrifft. In diesem Umfang wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Tatbestand

I

Die am 14. Oktober 1935 geborene Klägerin begehrt von der Beklagten noch höheres Altersübergangsgeld (Alüg) ab 1. Januar 1991.

Sie war vom 4. Januar 1953 bis 30. Dezember 1990 bei der L. … -Werke AG beschäftigt, zuletzt als Forschungsingenieurin. Arbeitsentgelt erhielt die Klägerin, auf deren Lohnsteuerkarte für das Jahr 1991 die Lohnsteuerklasse V eingetragen war, jedoch bis 31. Dezember 1990. Nach den Feststellungen des Landessozialgerichts (LSG) bescheinigte ihr die Arbeitgeberin für die Zeit vom 1. September bis 30. November 1990 einen durchschnittlichen wöchentlichen Bruttoarbeitslohn von 324,25 DM und einen durchschnittlichen wöchentlichen Nettoarbeitslohn von 249,65 DM.

Die Beklagte bewilligte auf Antrag der Klägerin (vom 27. Dezember 1990) Alüg für die Zeit ab 1. Januar 1991 zunächst in Höhe von 139,80 DM unter Zugrundelegung eines Bemessungsentgeltes von 320,– DM und Leistungsgruppe D (Bescheid vom 22. Januar 1991). Hiergegen legte die Klägerin Widerspruch ein, mit dem sie höheres Alüg und Leistungen zusätzlich für den 31. Dezember 1990 begehrte. Die Beklagte gestand letztlich nach Erlaß mehrerer Bescheide für die Zeit vom 1. Januar bis 29. November 1991 Leistungen in Höhe von 174,84 DM wöchentlich iS einer Besitzstandswahrung zu, weil Alüg für den 31. Dezember 1990 in dieser Höhe zugestanden hätte, wenn für diesen Tag kein Arbeitsentgelt gezahlt worden wäre (Bescheid vom 3. Februar 1992; Widerspruchsbescheid vom 18. Februar 1992). Ab 30. November 1991 gewährte sie (mit dem Bescheid vom 3. Februar 1992) Leistungen in Höhe von 190,14 DM unter Zugrundelegung eines (dynamisierten) Bemessungsentgeltes von 460,– DM, nachdem zuvor mit Bescheid vom 3. Januar 1992 Alüg in Höhe von 162,30 DM wöchentlich ab 1. Januar 1992 bewilligt worden war. Nach Klageerhebung erhöhte die Beklagte dann die Leistungen ab 31. Mai 1992 – so die Feststellung des LSG – mittels Dynamisierung auf 195,60 DM wöchentlich (Bescheid vom 3. Juni 1992). Nachdem das Sozialgericht (SG) die Klage abgewiesen (Urteil vom 2. Juli 1992) und die Klägerin Berufung eingelegt hatte, wies die Beklagte einen Widerspruch der Klägerin gegen den Bescheid vom 3. Juni 1992 als unbegründet zurück (Widerspruchsbescheid vom 17. September 1992) und erließ zwei weitere Bewilligungsbescheide, mit denen (dynamisiertes) Alüg zunächst ab 30. November 1992 in Höhe von 216,60 DM wöchentlich (Bescheid vom 3. Dezember 1992) bzw ab 31. Mai 1993 in Höhe von 230,40 DM (Bescheid vom 3. Juni 1993) bewilligt wurde.

Das LSG hat die Beklagte unter Abänderung des SG-Urteils verurteilt, der Klägerin auch für den 31. Dezember 1990 Alüg in gesetzlicher Höhe zu gewähren, die Klage im übrigen jedoch abgewiesen, soweit sie den Anspruch auf höheres Alüg ab 1. Januar 1991 betrifft (Urteil vom 21. Juli 1993). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ausgeführt, die Klägerin erfülle alle Voraussetzungen für einen Anspruch auf Alüg schon ab 31. Dezember 1990, da sie am 30. Dezember 1990 aus dem Beschäftigungsverhältnis ausgeschieden sei. Daß sie für den 31. Dezember Arbeitsentgelt erhalten habe, stehe dem nicht entgegen; insoweit habe der Anspruch nicht nach § 117 Abs 1 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) geruht. Die Klägerin habe allerdings keinen Anspruch auf höheres Alüg ab 1. Januar 1991 unter Berücksichtigung einer anderen Leistungsgruppe. Die Beklagte habe zu Recht bis 31. Dezember 1991 Alüg nach einem Prozentsatz von 70 bewilligt und dabei zunächst einen Betrag von 174,84 DM iS einer Besitzstandswahrung ausgezahlt. Ein Anspruch der Klägerin auf Alüg nach der Leistungsgruppe A wegen fehlender oder falscher Beratung durch die Beklagte über die Möglichkeit eines Steuerklassenwechsels sei nicht gerechtfertigt.

Mit der Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des Rechtsinstituts des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs wegen unterlassener bzw unzulänglicher Beratung (§§ 13 ff Sozialgesetzbuch – Allgemeiner Teil) zu Steuerklassenwahl und -wechsel sowie deren Auswirkung auf die Höhe des Alüg-Anspruchs. Sie ist der Ansicht, ihr stehe Alüg nach der Leistungsgruppe A (Steuerklasse I oder IV), ggf sogar nach der Leistungsgruppe C (Steuerklasse III) zu; die Steuerklasse V entspreche offensichtlich nicht ihrem und dem monatlichen Arbeitslohn ihres Ehegatten.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des LSG insoweit aufzuheben und zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen, als es ihren Anspruch auf höheres Alüg ab 1. Januar 1991 betrifft.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie ist der Ansicht, nach § 249b Abs 2 Satz 4 AFG, der über § 249e Abs 3 AFG auf den Alüg-Anspruch anwendbar sei, bestimme sich die Höhe des der Klägerin zu gewährenden Alüg ab 1. Januar 1991 nach der zu Beginn des Jahres 1991 auf der Lohnsteuerkarte eingetragenen Lohnsteuerklasse. Für die Klägerin gelte somit bei Lohnsteuerklasse V die Leistungsgruppe D (§ 111 Abs 2 Satz 2 Nr 1 Buchst d AFG). Eine Beratungspflicht zur Wahl einer anderen Steuerklasse habe nicht bestanden, da dem Arbeitsamt bei Antragsbearbeitung die Motive der Klägerin und ihres Ehegatten zur Wahl der Steuerklassenkombination III/V nicht bekannt gewesen seien. Zudem habe die Klägerin auch in der Folgezeit in Kenntnis der Möglichkeit eines Steuerklassenwechsels einen solchen nicht vorgenommen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫).

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision ist iS der Zurückverweisung an das LSG begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG); es fehlt an ausreichenden tatsächlichen Feststellungen dazu, ob der Klägerin höheres Alüg zusteht.

Mangels Revision der Beklagten gegen das Berufungsurteil ist in der Revisionsinstanz nur über die Höhe des ab 1. Januar 1991 zu zahlenden Alüg zu befinden. Dabei wendet sich die Klägerin mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 und 4 SGG) gegen die ergangenen und noch wirksamen (§ 39 Abs 2 Sozialgesetzbuch – Verwaltungsverfahren) Bescheide, soweit mit ihnen höheres Alüg abgelehnt worden ist.

Zwar hat die Klägerin die Revision damit begründet, Alüg sei ab 1. Januar 1991 unter Zugrundelegung einer anderen Leistungsgruppe zu gewähren; hiermit ist jedoch keine Beschränkung der Revision verbunden. Da mit der Klage eine höhere Leistung begehrt wird, ist der geltend gemachte Anspruch unter jeglichen rechtlichen und tatsächlichen Gesichtspunkten zu prüfen; dabei ist das Gericht weder an das tatsächliche und rechtliche Vorbringen der Klägerin gebunden, noch darf es seine Prüfung hierauf beschränken, wenn weitere Anspruchsmerkmale von Bedeutung sind (BSGE 67, 20, 21 = SozR 3-4100 § 138 Nr 3; BSG SozR 4100 § 136 Nr 5; SozR 4100 § 138 Nrn 14 und 24; BSG, Urteil vom 10. März 1994 – 7 RAr 56/93 –, zur Veröffentlichung vorgesehen). Die Klägerin besitzt mithin kein Dispositionsrecht darüber, welche Rechtsvorschriften das Gericht bei der Prüfung der richtigen oder gewollten Anspruchshöhe anzuwenden hat. Der Vortrag der Klägerin ist andererseits nicht dahin zu verstehen, daß sie den geltend gemachten Alüg-Anspruch (zulässigerweise) höhenmäßig auf den bestimmbaren Betrag beschränken wollte, der sich unter Berücksichtigung des von der Beklagten errechneten Bemessungsentgeltes nach einer anderen (günstigeren) Leistungsgruppe ergibt. Revisionsantrag und -begründung lassen eine derartige Auslegung iS eines Rechtsmittelverzichts nicht zu. Davon könnte nämlich nur dann ausgegangen werden, wenn sich aus den Gesamtumständen völlig klar und eindeutig der Wille des Erklärenden ergibt, sein Recht auf Anfechtung der Entscheidung aufzugeben (BSG SozR Nr 1 zu § 514 Zivilprozeßordnung ≪ZPO≫ mwN; BSG Breithaupt 1964, 531, 532 ff mwN; BSG, Urteil vom 10. März 1994 – 7 RAr 38/93). Dies kann vorliegend nicht angenommen werden.

Einer Sachentscheidung stehen Verfahrenshindernisse, die bei zulässiger Revision von Amts wegen zu beachten sind, nicht entgegen. Insbesondere war nach dem hier noch maßgeblichen, bis 28. Februar 1993 geltenden Verfahrensrecht (vgl Art 14 Abs 1 des Gesetzes zur Entlastung der Rechtspflege vom 1. Januar 1993 – BGBl I 50) die Berufung statthaft, weil wiederkehrende Leistungen für mehr als ein Jahr streitig waren (vgl Art 8 des Vertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands – Einigungsvertrag ≪EinigVtr≫ – vom 31. August 1990 – BGBl II 889 – iVm Anl I Kap VIII Sachgebiet D Abschn III Nr 4 und dem Einigungsvertragsgesetz vom 23. September 1990 – BGBl II 885).

In der Sache selbst kann der Senat mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen nicht abschließend darüber befinden, ob der Klägerin ab 1. Januar 1991 höheres Alüg zusteht. Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch ist die Vorschrift des § 249e AFG idF des EinigVtr. Änderungen ab 1. Juli 1991 betreffen die Klägerin nicht mehr, da der Anspruch vor dem 1. Juli 1991 entstanden ist (§ 249e Abs 11 AFG idF des Gesetzes zur Änderung arbeitsförderungsrechtlicher und anderer sozialrechtlicher Vorschriften vom 21. Juni 1991 – BGBl I 1306). Dies gilt bereits deshalb, weil die Beklagte der Klägerin mit Bindungswirkung (§ 77 SGG) Leistungen ab 1. Januar 1991 zugestanden, das LSG sie sogar darüber hinaus rechtskräftig verurteilt hat, Leistungen für den 31. Dezember 1990 zu erbringen.

§ 249e AFG normiert zunächst in Abs 1 – modifiziert in Abs 9 – bestimmte „versicherungsrechtliche” Bedingungen für die Entstehung des Alüg-Anspruchs (Ausscheiden des Arbeitnehmers aus einem Beschäftigungsverhältnis nach Beendigung eines bestimmten Lebensalters und innerhalb eines bestimmten Zeitraums; Vorbeschäftigung von mindestens 90 Kalendertagen in den neuen Bundesländern; Wohnsitz oder gewöhnlicher Aufenthalt in den letzten 90 Kalendertagen in den neuen Bundesländern). Abs 2 enthält sodann weitere, an die Vorschriften des Alg-Anspruchs angelehnte Anspruchsvoraussetzungen (Arbeitslosigkeit; Arbeitslosmeldung; Antragstellung; gewisse Verfügbarkeit; „Grund”-Anspruch auf Alg für 832 Tage); außerdem darf der besondere Ausschlußgrund der Mangelbeschäftigung (§ 249 Abs 7 AFG) nicht vorliegen. Schließlich sind über die in § 249e Abs 3 AFG enthaltene Generalverweisung (vgl BSG, Urteile vom 10. November 1993 – 11 RAr 35/93 und 11 RAr 47/93 –, zur Veröffentlichung vorgesehen; Urteil vom 10. November 1993 – 11 RAr 53/92 – und vom 10. März 1994 – 7 RAr 20/93 –, unveröffentlicht) auch die allgemein für den Alg-Anspruch maßgeblichen Ausschlußgründe (etwa § 119 AFG) zu beachten. Selbst wenn der Rechtsstreit nur über die Höhe des Alüg-Anspruchs geführt wird, müssen doch alle Anspruchsvoraussetzungen bejaht und Ausschlußgründe verneint werden, wenn nicht hieran schon ein Anspruch auf höheres Alüg scheitern soll (vgl BSGE 66, 168, 173 ff = SozR 3-2400 § 7 Nr 1; BSGE 72, 169, 176 = SozR 3-4100 § 56 Nr 9; BSG SozR 4100 § 115 Nr 1). Das LSG hat nicht alle Tatsachen ausdrücklich festgestellt, die diese Bedingung überprüfen ließen; ausgehend von seiner Rechtsansicht, der Klägerin stehe ohnehin kein höheres Alüg zu, mußte es sich hierzu auch nicht gezwungen sehen. Im Bedarfsfall wird es indes nach der ohnedies erforderlichen Zurückverweisung die bezeichneten Gesichtspunkte zu beachten haben.

Die Höhe des Alüg-Anspruchs errechnet sich wegen der Generalverweisung in § 249e Abs 3 AFG grundsätzlich nach den Vorschriften über das Alg, allerdings mit besonderen Maßgaben. Danach wird Alüg entgegen § 111 Abs 1 AFG – unabhängig vom Familienstand – in Höhe von 65 vH des um die gesetzlichen Abzüge, die bei Arbeitnehmern gewöhnlich anfallen, verminderten Arbeitsentgelts iS des § 112 AFG gezahlt. Für Ansprüche, die vor dem 1. April 1991, wie die der Klägerin, entstanden sind, erhöht sich zudem das Alüg (nur) für die ersten 312 Tage um nicht dynamisierungsfähige 5 Prozentpunkte (vgl zur Errechnung dieses Zuschlags BSG, Urteile vom 10. November 1993 – 11 RAr 35/93 und 11 RAr 53/92). Ansonsten richtet sich die Höhe des Alüg-Anspruchs ausgehend vom maßgeblichen Arbeitsentgelt nach §§ 111 Abs 2, 113 AFG und den nach § 111 Abs 2 AFG ergangenen Leistungsverordnungen. Soweit es den Leistungssatz von 65 vH betrifft, ist für die Jahre 1991 und 1992 auf die Leistungssätze für das Unterhaltsgeld nach § 44 Abs 2 Nr 2 AFG zurückzugreifen (vgl die oa Urteile vom 10. Dezember 1993). Die Höhe des der Klägerin zustehenden Alüg ist folglich einerseits von der Höhe des Arbeitsentgeltes, andererseits von der Steuerklasse abhängig.

Zur Bestimmung des Arbeitsentgeltes gilt vorliegend abweichend von § 112 AFG – wiederum aufgrund der in § 249e Abs 3 AFG enthaltenen Generalverweisung -die Vorschrift des § 249c Abs 11 Satz 2 AFG idF des EinigVtr (vgl die Urteile vom 10. November 1993 – 11 RAr 35/93 und 11 RAr 53/92). Danach sind für Zeiten einer die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung, die – wie bei der Klägerin – vor dem 1. Januar 1991 in den neuen Bundesländern zurückgelegt worden sind, § 112 AFG vom 22. Juni 1990 – GBl I 403 – (AFG-DDR) und die in dieser Bestimmung genannten Vorschriften weiterhin anzuwenden. Nach § 112 Abs 1 AFG-DDR ist Arbeitsentgelt der auf die Woche entfallende im Bemessungszeitraum erzielte Bruttodurchschnittslohn nach der Verordnung (VO) vom 21. Dezember 1961 über die Berechnung des Durchschnittsverdienstes und über die Lohnzahlung (GBl II 551) idF im einzelnen genannter Änderungen. Der Bemessungszeitraum umfaßt den letzten für die Berechnung des Bruttodurchschnittslohnes maßgebenden Abrechnungszeitraum vor Entstehung des Anspruchs.

Zur Berechnung des auf die Woche entfallenden Bruttodurchschnittslohns erforderliche Feststellungen im bezeichneten Sinne fehlen. Insoweit hat das LSG lediglich ausgeführt, die Arbeitgeberin der Klägerin habe für den Zeitraum vom 1. September bis 30. November 1990 einen durchschnittlichen wöchentlichen Bruttoarbeitslohn von 324,25 DM und einen durchschnittlichen wöchentlichen Nettoarbeitslohn von 249,65 DM bescheinigt. Hierin ist keine eigene Feststellung tatsächlicher Art durch das LSG zu sehen. Denn die Errechnung des durchschnittlichen wöchentlichen Arbeitslohnes nach der bezeichneten VO umfaßt mehrere rechtliche Schritte, deren Überprüfung nicht dadurch entbehrlich wird, daß das rechnerische Ergebnis als solches übernommen wird. Dies gilt vor allem vor dem Hintergrund, daß es grundsätzlich auf den Durchschnittsverdienst des letzten Kalenderjahres, nicht des laufenden Kalenderjahres, ankommt. Allerdings ist nach § 7 Abs 2 der VO auf den abgerechneten Durchschnittsverdienst in einem kürzeren Zeitraum abzustellen, wenn ua die Lohn- oder Gehaltsgruppe verändert oder eine Lohnänderung beschlossen worden ist. Es ist folglich schon im Ansatz nicht nachvollziehbar, weshalb vom durchschnittlichen wöchentlichen Arbeitslohn der Klägerin im Zeitraum vom 1. September bis 30. November 1990 auszugehen ist. Erst wenn das LSG das Arbeitsentgelt korrekt nach § 112 Abs 1 und 2 AFG-DDR ermittelt hat, kann unter Anwendung der Leistungsverordnungen (§ 111 Abs 2 AFG) und Dynamisierungen (§§ 112a, 249c Abs 13 AFG) die Höhe des Alüg für den gesamten Zeitraum ermittelt werden.

Der Anspruch der Klägerin bemißt sich im Rahmen der Leistungsverordnungen, wie das LSG allerdings zu Recht entschieden hat, nach der Leistungsgruppe D, da zu Beginn des Jahres 1991 auf ihrer Lohnsteuerkarte die Lohnsteuerklasse V eingetragen war (§ 249b Abs 2 Satz 4 AFG idF des EinigVtr). Der Anspruch ist nämlich aufgrund des insoweit rechtskräftigen Urteils des LSG vor dem 1. Januar 1991 entstanden; nach Art 9 EinigVtr iVm Anl II Kap VIII Sachgebiet E Abschn III Nr 1 Buchst a ee gelten somit vor dem 1. Januar 1991 anstelle des § 111 AFG die §§ 111, 112 AFG-DDR (vgl BSG, Urteile vom 10. November 1993 – 11 RAr 35/93 und 11 RAr 53/92). Für die Zeit ab 1. Januar 1991 ist indes die Höhe des Alüg in entsprechender Anwendung von § 249b Abs 2 Satz 3 AFG auf der Grundlage des Arbeitsentgelts neu festzusetzen, das für die Bemessung der Leistung – wie ausgeführt – maßgebend ist. Abweichend von § 113 Abs 1 Satz 1 AFG ist dann die auf der Lohnsteuerkarte zu Beginn des Jahres 1991 eingetragene Lohnsteuerklasse maßgebend (§ 249b Abs 2 Satz 4 AFG). Die unmittelbar ua den Alg-Anspruch betreffenden Vorschriften sind für den Alüg-Anspruch der Klägerin über die in § 249e Abs 3 AFG enthaltene Generalverweisung einschlägig (vgl die oa Urteile vom 10. November 1993).

Die klare und eindeutige gesetzliche Regelung des § 249b Abs 2 Satz 4 AFG kann nicht dadurch umgangen werden, daß in Analogie zu § 113 Abs 2 Satz 2 AFG (idF des Steuerentlastungsgesetzes 1981 vom 16. August 1980 – BGBl I 1381) wie bei einem Steuerklassenwechsel geprüft wird, ob die eingetragenen Lohnsteuerklassen offensichtlich nicht dem Verhältnis der monatlichen Arbeitslöhne beider Ehegatten entsprachen. In diesem Sinne hat das Bundessozialgericht (BSG) bereits entschieden, daß § 113 Abs 2 Satz 2 AFG nicht anzuwenden ist, wenn die Eheleute vor Entstehung des Alg-Anspruchs zur Jahreswende auf den neuen Lohnsteuerkarten andere Steuerklassen eintragen lassen (BSG SozR 4100 § 113 Nrn 6 und 10). Anders ausgedrückt: Die Vorschrift des § 113 Abs 2 Satz 2 AFG greift nur bei einem Steuerklassenwechsel nach dem Zeitpunkt ein, der im Normalfall für die Leistungsgruppe bestimmend ist. Dies bedeutet, daß die von der Klägerin gewünschte Prüfung auf „steuerrechtliche Richtigkeit” der Steuerklassenwahl nur bei einem Steuerklassenwechsel nach dem 1. Januar 1991 erfolgen dürfte.

Entgegen der Ansicht der Klägerin kann die in die Lohnsteuerkarte eingetragene Lohnsteuerklasse auch nicht mit Hilfe des Herstellungsanspruchs durch eine andere (günstigere) ersetzt werden, wie der Senat bereits entschieden hat (Urteil vom 10. Dezember 1980 – 7 RAr 14/78 –, DBlR Nr 2689a zu § 113 AFG). Im übrigen ist es zweifelhaft, ob eine fehlende oder fehlerhafte Beratung der Klägerin durch Bedienstete des Arbeitsamtes überhaupt kausal dafür war, daß die Steuerklasse V zu Beginn des Jahres 1991 auf die Lohnsteuerkarte eingetragen wurde bzw eine spätere Änderung nicht erfolgt ist. Offensichtlich hat die Klägerin bis zum heutigen Tag einen Steuerklassenwechsel nicht vorgenommen, weil die Steuerklassenkombination III/V ab 1. Januar 1991 wohl für die Ehegatten die günstigere war (vgl in diesem Sinne BSG SozR 4100 § 113 Nr 10).

Hat das LSG unter Berücksichtigung der vorbezeichneten Kriterien die korrekte Leistungshöhe ermittelt, darf gleichwohl gemäß Art 9 EinigVtr iVm Anl II Kap VIII Sachgebiet E Abschn III Nr 3 Buchst a ee und § 249b Abs 2 Satz 5 AFG die für den 31. Dezember 1990 zugestandene Leistungshöhe nicht unterschritten werden. Prozessual wird das LSG im übrigen sorgfältig – uU im Wege der Auslegung – festzustellen haben, welche Bescheide mit welchem Inhalt Gegenstand des Verfahrens geworden sind. Nach Aktenlage wurden einzelne Bescheide übersehen, die gemäß § 86 Abs 1 SGG bereits Gegenstand des Widerspruchsverfahrens waren. Darüber hinaus wurde der Inhalt anderer Bescheide falsch bzw überhaupt nicht wiedergegeben. Schließlich wird das LSG zu prüfen haben, ob der von ihm bezeichnete Bescheid vom 22. Juli 1991 tatsächlich existiert; der Inhalt der Leistungsakte läßt hieran Zweifel aufkommen. Das Berufungsgericht wird schließlich zwischenzeitlich ergangene Bescheide nach der Zurückverweisung der Sache zu beachten (BSGE 9, 78 f; BSG, Urteil vom 10. März 1994 – 7 RAr 56/93 –, zur Veröffentlichung vorgesehen) und über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1174570

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