Verfahrensgang

LSG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 09.03.2000; Aktenzeichen L 5 P 49/98)

 

Tenor

Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 9. März 2000 wird als unzulässig verworfen.

Die Beklagte hat der Klägerin und der Beigeladenen zu 2) deren außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens zu erstatten. Im übrigen sind außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Die Mutter der Klägerin ist bei dem beklagten Krankenversicherungsunternehmen pflegeversichert und erhält von diesem Leistungen nach der Pflegestufe I. Die Klägerin pflegt ihre Mutter. Die Beklagte entrichtete wegen dieser Pflegetätigkeit zunächst für die Klägerin Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung an die Landesversicherungsanstalt Rheinland-Pfalz (Beigeladene zu 1). Nach einer Überprüfung kam sie zu dem Ergebnis, die Klägerin pflege ihre Mutter nicht wenigstens 14 Stunden wöchentlich in ihrer häuslichen Umgebung und die Voraussetzungen für die Versicherungspflicht wegen der Pflegetätigkeit lägen deshalb nicht mehr vor. Sie stellte zum 5. Januar 1998 die Entrichtung von Rentenversicherungsbeiträgen für die Klägerin ein. Im Klageverfahren hat die Klägerin eine Bescheinigung des Arztes Dr. Sch.… vorgelegt, in der der Umfang der Pflegetätigkeit beschrieben wird. Das Sozialgericht (SG) hat der Klage auf Weiterentrichtung der Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung stattgegeben. Die Klägerin pflege ihre Mutter (Beigeladene zu 2) mindestens 14 Stunden wöchentlich. Für den zeitlichen Umfang der Pflege sei der behinderungs- und krankheitsbedingte Pflegebedarf im Bereich Grundpflege, hauswirtschaftlicher Versorgung und notwendiger familiärer Betreuung maßgebend. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Es hat in den Entscheidungsgründen ausgeführt, die Klägerin pflege ihre Mutter nach wie vor wenigstens 14 Stunden wöchentlich in ihrer häuslichen Umgebung. Deren Hilfebedarf betrage allein in den Bereichen Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung mindestens 14 Stunden wöchentlich.

Mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision macht die Beklagte von den in § 160 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) genannten Zulassungsgründen Verfahrensmängel und die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend. Als Verfahrensmängel rügt sie die Verletzung des § 106 Abs 1 SGG und des § 62 SGG. Sowohl dem erstinstanzlichen Verfahren als auch den Schriftsätzen der Beteiligten im zweitinstanzlichen Verfahren sei zu entnehmen, daß die Klägerin und die Beklagte davon ausgegangen seien, es komme für die Entscheidung darauf an, ob für die Rentenversicherungspflicht der Pflegeperson die Mindeststundenzahl von 14 Stunden pro Woche ausschließlich bei der Pflege in den Bereichen Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung erreicht sein müsse oder ob die weitere familiäre Betreuung mit zu berücksichtigen sei, die krankheits- oder behinderungsbedingt anfalle. Das LSG habe überraschend erstmals im Termin zur mündlichen Verhandlung die Ansicht geäußert, es gehe davon aus, die Mindeststundenzahl von 14 Stunden pro Woche sei bereits in den Bereichen Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung erfüllt. Auf diese Überlegung sei vorher kein Hinweis gegeben worden. Die Beklagte hätte bei rechtzeitigem Hinweis des Vorsitzenden auf entscheidende Punkte hinweisen und ggf Beweis anbieten können. Wegen der Komplexität des Falles sei das in der mündlichen Verhandlung nicht möglich gewesen. Auf den Verfahrensmängeln könne das Urteil beruhen. Als grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache macht die Beschwerde geltend, klärungsbedürftig sei die Rechtsfrage, ob die Voraussetzung der wöchentlichen Pflege von wenigstens 14 Stunden iS des § 19 Satz 2 des Sozialgesetzbuchs-Gesetzliche Pflegeversicherung (SGB XI) nur erfüllt ist, wenn der erforderliche Pflegeaufwand in den Bereichen der Grundpflege und der hauswirtschaftlichen Versorgung iS des §§ 14, 15 SGB XI erfolgt oder ob bei der Voraussetzung des wöchentlichen Pflegebedarfs von mindestens 14 Stunden auch die Pflegezeit berücksichtigt wird, die für die krankheits- oder behinderungsbedingte weitere familiäre Betreuung anfällt und ob dies auch für die private Pflegeversicherung gilt.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Beschwerde ist unzulässig.

In der Begründung ist ein Verfahrensmangel nicht bezeichnet iS des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG. Die Beschwerde macht geltend, § 106 Abs 1 SGG sei verletzt, weil der Vorsitzende die ihm nach dieser Vorschrift obliegende Aufklärungspflicht vor der mündlichen Verhandlung verletzt habe. Nach § 106 Abs 1 SGG hat der Vorsitzende darauf hinzuwirken, daß Formfehler beseitigt, unklare Anträge erläutert, sachdienliche Anträge gestellt, ungenügende Angaben tatsächlicher Art ergänzt sowie alle für die Feststellung und Beurteilung des Sachverhalts wesentlichen Erklärungen abgegeben werden. Eine Pflicht des Vorsitzenden, vor der mündlichen Verhandlung die Beteiligten über die Beweiswürdigung des Gerichts zu unterrichten, läßt sich dieser Regelung nicht entnehmen. In der Sache rügt die Beschwerde, das Gericht habe zu spät, nämlich erst in der mündlichen Verhandlung, darauf hingewiesen, daß es zu einer anderen Beweiswürdigung komme als sie bisher vom SG und den Beteiligten zugrunde gelegt worden sei. Damit sei es der Beklagten nicht möglich gewesen, sachgerechte Beweisanträge zu stellen. Das ist die Rüge einer unzulässigen Überraschungsentscheidung durch das Gericht und damit die Rüge, das Gericht habe gegen das Gebot des § 62 SGG verstoßen, den Beteiligten vor der Entscheidung rechtliches Gehör zu gewähren. Dieser Verfahrensfehler ist mit dem Beschwerdevorbringen nicht schlüssig dargelegt worden. Aus der Verpflichtung, den Beteiligten rechtliches Gehör zu gewähren, folgt eine Hinweispflicht des Gerichts bei einer für die Beteiligten überraschenden neuen Tatsachenwürdigung (BSG SozR 1500 § 62 Nr 20). Dieser Hinweis ist jedoch auch dann, wenn die Angaben der Beschwerdebegründung zum Prozeßverlauf als richtig unterstellt werden, hier erfolgt. Danach hat das LSG die Beteiligten in der mündlichen Verhandlung auf die Beweiswürdigung hingewiesen, die es seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat. Eine Stellungnahme der Beklagten dazu war im Rechtsstreit demnach möglich. Wenn die Beklagte der Ansicht gewesen sein sollte, zu dieser Beweiswürdigung sachlich nicht Stellung nehmen zu können, hätte sie einen Vertagungsantrag stellen müssen, dem das Gericht im Falle seiner Begründetheit hätte stattgeben müssen. Grundsätzlich ist allerdings die mündliche Verhandlung dazu vorgesehen, daß das Gericht bisher nicht erörterte Gesichtspunkte aufzeigt und den Beteiligten Gelegenheit gibt, in der Verhandlung dazu Stellung zu nehmen. Solange keine entsprechenden Anträge gestellt und begründet werden, ist das Gericht nicht gehalten, die mündliche Verhandlung zu vertagen, wenn es die Streitsache für entscheidungsreif hält.

Da die Verfahrensrüge nicht zur Zulassung der Revision führt, ist die Beschwerde auch unzulässig, soweit die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend wird. Die insoweit aufgeworfene Rechtsfrage wäre im angestrebten Revisionsverfahren nicht entscheidungserheblich. Die Feststellung des LSG, daß hier die Pflege auch ohne die weitere familiäre Betreuung mindestens 14 Stunden in der Woche beträgt, ist dafür als zutreffend zugrunde zu legen.

Die unzulässige Beschwerde hat der Senat in entsprechender Anwendung des § 169 Satz 3 SGG verworfen.

Die Kostenentscheidung folgt aus der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI780390

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