Verfahrensgang

LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 27.10.1993)

 

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 27. Oktober 1993 wird als unzulässig verworfen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Der Rechtsstreit wird darum geführt, ob der Kläger für die Zeit vom 20. Mai 1982 bis 30. Juni 1987 Anspruch auf Arbeitslosenhilfe (Alhi) hat.

Der Kläger war Gesellschafter und Geschäftsführer einer GmbH. 1981 meldete er sich bei der Beklagten arbeitslos und beantragte Arbeitslosengeld (Alg) – Alhi. Dies lehnte die Beklagte vor allem mit der Begründung ab, der Kläger habe nicht die für derartige Ansprüche erforderlichen Zeiten in entlohnter Beschäftigung gestanden und auch keinen Ersatztatbestand erfüllt. Im anschließenden Klagverfahren erklärte der Kläger in der mündlichen Verhandlung des Rechtsstreits vor dem Sozialgericht (SG) am 8. Juli 1982 ua, daß er seit etwa 20. Mai 1982 zu der Firma I. … in Düsseldorf in einem Geschäftsbesorgungsvertrag stehe. Für die Tätigkeit erhalte er lediglich Provision … Der zeitliche Aufwand für diese Tätigkeit liege zur Zeit wohl noch unter 20 Stunden wöchentlich. „Ich würde aber schon jetzt erklären, daß ich für die Zeit ab 20. Mai 1982 keine Ansprüche mehr auf Alhi stelle.” Entsprechend beantragte der Kläger nur die Verurteilung der Beklagten, ihm für die Zeit vom 31. August 1981 bis 19. Mai 1982 Alhi zu gewähren. Das Verfahren endete durch Vergleich. Die Beklagte verpflichtete sich, den Kläger erneut zu bescheiden, wenn in dem inzwischen durch die beigeladene Ortskrankenkasse eingeleiteten Verfahren über die Feststellung der Versicherungspflicht des Klägers die Erfüllung der Anwartschaft festgestellt werden sollte. Jenes Verfahren, in dem die Ortskrankenkasse nur eine beitragspflichtige Beschäftigung des Klägers vom 20. Mai bis 18. September 1980 anerkannt hatte, endete damit, daß sich die Beteiligten nach Zurückverweisung des Rechtsstreits durch Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 5. Mai 1988 – 12 RK 43/86 – an das Landessozialgericht (LSG) dahingehend verglichen, daß der Kläger auch vom 19. September 1980 bis zum 31. März 1981 in einem beitragspflichtigen Beschäftigungsverhältnis gestanden habe.

Daraufhin bewilligte die Beklagte dem Kläger Alg und im Anschluß daran Alhi ab 18. Januar 1982. Mit Bescheid vom 26. Juni 1990 hob das zuständige Arbeitsamt (ArbA) den Bewilligungsbescheid ab 20. Mai 1982 auf, weil nach den Erklärungen des Klägers am 8. Juli 1982 vor dem SG dessen Verfügbarkeit entfallen sei. Der Widerspruch des Klägers, mit dem dieser seine Erklärung vom 8. Juli 1982 „rein vorsorglich wegen Irrtums und arglistiger Täuschung” angefochten hatte, Klage und Berufung blieben erfolglos. Das LSG hat die Auffassung des SG bestätigt, daß im Hinblick auf die Erklärungen des Klägers am 8. Juli 1982 vor dem SG dessen Arbeitslosigkeit iS des § 101 Abs 1 Satz 2 Nr 1 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) durch Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit entfallen sei und er sich durch die eindeutige Willenserklärung aus dem Leistungsbezug abgemeldet habe. Damit sei seine Verfügbarkeit und die Wirkung der Arbeitslosmeldung ab dem 20. Mai 1982 bis zu einer etwaigen gegenteiligen Erklärung, an der es fehle, entfallen. Weil der Kläger bis 1984 seine selbständige Tätigkeit weiterbetrieben habe, habe er zur Abgabe einer derartigen Erklärung auch keinen Anlaß gehabt. Die rückwirkende Anfechtung seiner Abmeldung sei nicht möglich – hier sei überdies auch kein Anfechtungsgrund ersichtlich – und außerdem könne sie auch nicht im Wege eines Herstellungsanspruchs fingiert werden. Die Revision hat das LSG nicht zugelassen.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Beschwerde ist unzulässig. Ihre Begründung entspricht nicht den gesetzlichen Anforderungen. Entgegen § 160a Abs 2 Satz 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist weder die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) dargelegt noch sind eine Entscheidung, von der das Urteil des LSG abweicht (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG), oder ein Verfahrensmangel, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG), bezeichnet worden.

Die Beschwerde verkennt den Zulassungsgrund des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG, wenn sie der Rechtssache wegen der Frage, ob die am 8. Juli 1982 vor dem SG abgegebenen Erklärungen (einschließlich des Klagantrags) des Klägers „als eindeutige Willenserklärung in Richtung auf eine Abmeldung aus dem Leistungsbezug darstellt”, grundsätzliche Bedeutung beimißt. Denn wegen grundsätzlicher Bedeutung ist die Revision nicht schon zuzulassen, um eine zutreffende Würdigung einer in einem Einzelfall abgegebenen Erklärung durch das Revisionsgericht zu ermöglichen, sondern nur dann, wenn zu erwarten ist, daß im erstrebten Revisionsverfahren Rechtsfragen allgemeiner Art geklärt werden, die – über den Einzelfall hinaus – aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht fähig und bedürftig sind (BSG SozR 1500 § 160a Nr 60). Da zur Auslegung von rechtsgeschäftlichen und prozessualen Erklärungen nach den auch für den Bereich des öffentlichen Rechts anwendbaren §§ 133, 157 und 142 Bürgerliches Gesetzbuch jedoch zahlreiche höchstrichterliche Entscheidungen ergangen sind, hätte sich der Kläger mit dieser Rechtsprechung auseinandersetzen und darlegen müssen, welche allgemeine, noch nicht geklärte Rechtsfrage der Fall in diesem Zusammenhang aufwirft. Der Kläger hat aber nicht dargelegt, daß sich bei der Würdigung der abgegebenen Erklärungen, deren Auslegung durch das LSG die zeitliche Einschränkung des damals gestellten Klagantrags unterstreichen dürfte, ungeklärte Rechtsfragen allgemeiner Art stellen.

Ebensowenig ist der Zulassungsgrund des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG dargetan. Eine Entscheidung des BSG, von der das LSG abgewichen ist, hat die Beschwerde mit den genannten Urteilen BSGE 60, 43 und 66, 258 nicht bezeichnet. Abweichung meint Widerspruch im abstrakten Rechtssatz. Sie kommt nur dann in Betracht, wenn das LSG einen tragenden abstrakten Rechtssatz in Abweichung von einem vorhandenen Rechtssatz des BSG oder des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes aufgestellt hat (BSG SozR 1500 § 160a Nr 67 mwN). Die Beschwerde behauptet indes nicht, daß in BSGE 60, 43 der Rechtssatz aufgestellt sei, der Arbeitslose könne sich aus dem Leistungsbezug nur persönlich beim ArbA abmelden, sondern macht geltend, für die Abmeldung müsse das gleiche gelten was dort – aufgrund der Vorschrift des § 105 AFG – für die Arbeitslosmeldung entwickelt worden sei. Auch in Bezug auf BSGE 66, 258 hat die Beschwerde nicht dargetan, daß das LSG im Widerspruch zum BSG abstrakte Rechtssätze aufgestellt hat, sondern dem LSG – trotz der Einschränkung des Klagantrags – vorgeworfen, eine Hinweispflicht des ArbA bezüglich der Folgen der Erklärung vom 8. Juli 1982 nicht geprüft zu haben, die sich aus der genannten Entscheidung ergebe. Hat das LSG aber einen Gesichtspunkt übersehen und hierzu keine Entscheidung getroffen, kann keine Abweichung vorliegen; denn diese setzt begrifflich voraus, daß das LSG einen entsprechenden abstrakten Rechtssatz gebildet hat. Eine Abweichung liegt nicht schon dann vor, wenn das Urteil des LSG nicht den Kriterien entspricht, die das BSG aufgestellt hat, sondern erst, wenn das LSG diesen Kriterien widersprochen hat. Denn nicht die Unrichtigkeit der Entscheidung im Einzelfalle, sondern die Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen begründet die Zulassung der Revision wegen Abweichung (BSG aaO).

Schließlich hat die Beschwerde keinen Verfahrensmangel, auf dem das Urteil des LSG beruhen kann (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG), bezeichnet, dh einen solchen Mangel in den ihn begründenden Tatsachen schlüssig und substantiiert dargetan (BSG SozR 4100 § 160a Nr 14). Es kann dahingestellt bleiben, ob die Verletzung des § 106 SGG, die die Beschwerde dem LSG vorwirft, angesichts der Beschränkung der Revisionszulassung bei Verletzung der Sachaufklärung (§ 103 SGG) überhaupt zur Revisionszulassung führen kann (vgl BSG SozR 1500 § 160 Nr 13). Ebenso kann dahingestellt bleiben, ob die Beschwerde die Verletzung des § 106 SGG und des Grundsatzes des rechtlichen Gehörs (§ 62 SGG) schlüssig und substantiiert dargetan hat. Denn diese Verfahrensfehler wären nur dann iS von § 160a Abs 2 Satz 3 SGG ausreichend bezeichnet, wenn die Beschwerde auch angegeben hätte, was der Kläger vorgetragen hätte, wenn ihm die fehlenden Hinweise gegeben worden wären bzw das begehrte Rechtsgespräch geführt worden wäre und inwieweit die angefochtene Entscheidung auf dem verhinderten Vortrag beruhen kann (BSG SozR 1500 § 160a Nr 36). Daran fehlt es. Die Beschwerde hat weder angegeben, was der Kläger vorgetragen hätte, noch aufgezeigt, inwiefern das Berufungsurteil hätte anders ausfallen können, wenn der Vorsitzende in der mündlichen Verhandlung die begehrten Hinweise gegeben bzw mit ihm das Rechtsgespräch geführt hätte. Allgemeine Hinweise, wie sie die Beschwerde vorgetragen hat, daß die Entscheidung des LSG für den Kläger überraschend gekommen sei, genügen insoweit nicht.

Die Nichtzulassungsbeschwerde war nach alledem in entsprechender Anwendung des § 169 SGG als unzulässig zu verwerfen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1172749

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