Verfahrensgang

LSG Berlin (Urteil vom 21.10.1999; Aktenzeichen L 3 U 12/99)

 

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 21. Oktober 1999 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Die Beteiligten streiten um die Höhe der von der Beklagten dem Kläger nach § 3 Abs 2 der Berufskrankheiten-Verordnung (BKVO) zu zahlenden Übergangsleistung.

Der im Jahre 1953 geborene Kläger war seit Mai 1986 bei einem in Berlin gelegenen Betrieb der Firma D. … als Maschinenführer einer Spritzgußmaschine in der Kunststoffverarbeitung beschäftigt. Als er ua an Asthma erkrankte und die untersuchenden Ärzte im Rahmen der von der Beklagten durchgeführten medizinischen Ermittlungen eine berufliche Verursachung dieser Erkrankung für wahrscheinlich hielten, wurde der Kläger auf Veranlassung des Werksarztes zum 1. Januar 1994 innerhalb des Betriebes auf einen anderen Arbeitsplatz mit der Folge eines geringeren Arbeitsentgelts umgesetzt. Da die Firma D. … ihren Betrieb in Berlin aus wirtschaftlichen Gründen komplett schloß, endete das Arbeitsverhältnis des Klägers durch betriebsbedingte Kündigung zum 30. Juni 1996. Wegen der Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses erhielt der Kläger nach Maßgabe des Sozialplanes eine Abfindung in Höhe von 17.800 DM, dem generell das Arbeitsentgelt des Jahres 1995 und mithin für den Kläger das von ihm seit dem 1. Januar 1994 erzielte niedrigere Arbeitsentgelt zugrunde gelegt war. Sein Antrag, die Abfindung nach einer Härteregelung des Sozialplans durch Zugrundelegung des bis Ende 1993 erzielten höheren Arbeitsentgelts anzuheben, wurde von der nach dem Sozialplan für die Klärung von Härtefällen zuständigen Schiedskommission abgelehnt. Seit dem 31. Juli 1996 bezog der Kläger Arbeitslosengeld.

Die Beklagte lehnte zwar die Anerkennung einer Berufskrankheit (BK) und die damit verbundene Entschädigung ab, stellte jedoch gleichzeitig einen Anspruch des Klägers auf Leistungen nach § 3 BKVO – Ausgleichszahlung bei Minderverdienst – fest und bewilligte mit Bescheid vom 10. Oktober 1996 eine Übergangsleistung, deren Berechnung sie den Unterschiedsbetrag zwischen dem Nettoverdienst aus der krankheitsbedingt aufgegebenen Tätigkeit und dem tatsächlich erzielten Nettoeinkommen zugrunde legte und der sich unter jährlichen Abstufungen dieses Unterschiedsbetrages von 5/5 für das Jahr 1994 bis zu 1/5 für das Jahr 1998 über eine Gesamtdauer von fünf Jahren erstreckte. Den Widerspruch des Klägers, mit dem dieser zusätzlich eine Übergangsleistung in Höhe des Unterschiedsbetrages zwischen der tatsächlich gezahlten und einer fingierten, nach seinem vor 1994 erzielten Arbeitsentgelt berechneten Abfindung verlangte, wies die Beklagte zurück. Klage und Berufung blieben ohne Erfolg. Insgesamt hat der Kläger nach den Feststellungen des Landessozialgerichts (LSG) für die Jahre 1994 bis 1998 aufgrund mehrerer Bescheide 33.576,68 DM an Übergangsleistungen erhalten (13.352,30 DM + 3.011,90 DM + 4.732,92 DM + 3.530,26 DM + 2.076,48 DM + 1.601,85 DM + 1.471,42 DM + 1.506,22 DM + 2.293,33 DM = 33.576,68 DM).

Mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision macht der Kläger in erster Linie die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend. Er hält die Frage für klärungsbedürftig, „ob ein entschädigungspflichtiger Minderverdienst oder ein sonstiger wirtschaftlicher Nachteil iS des § 3 Abs 2 BKVO vorliegt, wenn eine Sozialplanabfindung deswegen niedriger ausfällt, weil ein wegen der Gefahr des Entstehens, Wiederauflebens oder der Verschlimmerung einer BK vorgenommener Arbeitsplatzwechsel zu einem Minderverdienst geführt hat, oder nicht.” Für den Fall daß die Ausführungen des LSG auf Seite 9/10 im angefochtenen Urteil „Im übrigen … gegenüber gestellt.”) nicht als obiter dictum sondern als tragende Begründung aufzufassen seien, werde die Nichtzulassungsbeschwerde auch auf einen Verfahrensfehler gestützt. Ihm wäre nämlich insoweit kein rechtliches Gehör gewährt worden, als der in dem genannten Absatz angesprochene Gesichtspunkt einer anderweitigen möglichen Überzahlung erstmalig in der schriftlichen Urteilsbegründung aufgetaucht sei.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Beschwerde des Klägers ist unbegründet, weil die geltend gemachten Zulassungsgründe nicht vorliegen.

Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Nach § 160 Abs 2 Nr 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ist die Revision zuzulassen, wenn die Sache grundsätzliche Bedeutung hat. Sie ist gegeben, wenn zu erwarten ist, daß die Revisionsentscheidung die Rechtseinheit in ihrem Bestand erhalten oder die Weiterentwicklung des Rechts fördern wird. Dies ist dann anzunehmen, wenn eine vom Beschwerdeführer für grundsätzlich gehaltene Rechtsfrage für die Entscheidung des Rechtsstreits klärungsbedürftig, klärungsfähig, insbesondere entscheidungserheblich ist (BSG SozR 1500 § 160 Nrn 53 und 54; Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 2. Auflage, 1997, IX, RdNr 63 mwN). Die Klärungsbedürftigkeit ist zu verneinen, wenn die Rechtsfrage bereits höchstrichterlich beantwortet ist (BSG SozR 1500 § 160 Nr 51; BSG SozR 1500 § 160a Nrn 13 und 65) oder wenn die Antwort unmittelbar aus dem Gesetz zu ersehen ist (BSG SozR 1300 § 13 Nr 1), wenn sie so gut wie unbestritten ist (BSG SozR 1500 § 160 Nr 17), wenn sie praktisch außer Zweifel steht (BSG SozR 1500 § 160a Nr 4) oder wenn sich für die Antwort in anderen Entscheidungen bereits ausreichende Anhaltspunkte ergeben (Kummer, Die Nichtzulassungsbeschwerde, 1990, RdNr 117; Krasney/Udsching, aaO, IX, RdNr 66).

In seinen Urteilen vom 4. Mai 1999 (– B 2 U 9/98 R – HVBG-INFO 1999, 2387) und vom 30. Juni 1999 (– B 2 U 23/98 – HVBG-INFO 1999, 2671) hat der Senat über die Auslegung des § 3 Abs 2 BKVO entschieden. Danach ist es Sinn und Zweck dieser Vorschrift, alle wirtschaftlichen Nachteile auszugleichen, die der erzwungene Berufswechsel verursacht. Zur Ermittlung dieser Nachteile ist die gesamte wirtschaftliche Lage des Versicherten vor dem schadenbringenden Ereignis mit der danach bestehenden Situation zu vergleichen. Daher sind alle Umstände des konkreten Einzelfalles, die sich auf die wirtschaftliche Lage auswirken, bei diesem Vergleich zu berücksichtigen. Der Ausgleich der wirtschaftlichen Nachteile stellt einen echten Schadensersatz dar. Ist aber ein Schaden zu ersetzen, der durch ein bestimmtes Ereignis entstanden ist, so sind grundsätzlich bei der Ermittlung der konkreten Höhe dieses Schadens auch die Vorteile zu berücksichtigen, die durch dieses Ereignis eingetreten sind (stRspr des Bundessozialgerichts ≪BSG≫, s zB BSGE 19, 157, 159 = SozR Nr 2 zu § 5 3. BKVO; BSGE 30, 88, 89 = SozR Nr 3 zu § 5 BKVO-Saar; BSG SozR 3-5670 § 3 Nr 1).

Weiter ist in den zitierten Urteilen vom 4. Mai und vom 30. Juni 1999 entschieden, daß bei diesem Vorteilsausgleich im Rahmen des § 3 Abs 2 BKVO den auf der BK beruhenden Nachteilen nur solche Vorteile gegenübergestellt werden können, die ihrerseits in einem wesentlichen inneren Zusammenhang mit dem schädigenden Ereignis – dem berufskrankheitsbedingten Berufswechsel bzw der Tätigkeitsaufgabe – stehen. Die Berücksichtigung eines wirtschaftlichen Vorteils beschränkt sich nicht auf Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung, sondern erfaßt grundsätzlich alle Vorteile unabhängig von ihrem Zustandekommen; sie ist aber nur dann gerechtfertigt, wenn der Vorteil durch dieses Verhalten des Versicherten erlangt ist, also dieselbe Ursache hat. Dies ist der Fall, wenn der Vorteil iS der unfallversicherungsrechtlichen Kausalitätstheorie der wesentlichen Bedingung auf der BK beruht, derentwegen der Versicherte zur Aufgabe der gefährdenden Tätigkeit gezwungen worden ist (vgl auch BSG SozR 3-5670 § 3 Nr 3). Da in den Fällen, die den genannten Entscheidungen aus dem Jahre 1999 zugrunde liegen, das LSG jeweils bindend festgestellt hatte, daß die Abfindung wegen des betriebsbedingten Ausscheidens der betreffenden Versicherten aus dem Beschäftigungsverhältnis und nicht im Hinblick auf eine berufsbedingte Erkrankung gezahlt worden war, hat der Senat eine Anrechnung der Abfindung auf die Übergangsleistung mit der Begründung für rechtswidrig gehalten, es fehle an dem für die Berücksichtigung eines Vermögensvorteils erforderlichen wesentlichen inneren Zusammenhang mit dem schädigenden Ereignis, der berufskrankheitsbedingten Arbeitsaufgabe.

Dieser Rechtsprechung kann mit hinreichender Deutlichkeit entnommen werden, daß Abfindungen, die – wie hier – aus Anlaß des betriebsbedingten Ausscheidens aus einem Beschäftigungsverhältnis gezahlt werden, unabhängig von ihrer Höhe bei der Berechnung des Übergangsgeldes nach § 3 Abs 2 BKVO unberücksichtigt bleiben. Insbesondere dürfen danach nicht Nachteile aus niedrigeren Abfindungen durch höheres Übergangsgeld ausgeglichen werden, während Vorteile aus höheren Abfindungen darauf nicht anrechenbar sind. Solches verbietet sich deshalb, weil bei der Bemessung des Übergangsgeldes Vorteile und Nachteile im Zusammenhang mit Abfindungen nur mit einem einheitlichen Maßstab bewertet werden können. Dies wird deutlich, wenn man unterstellt, dem Kläger stünde die von ihm geforderte Erhöhung des Übergangsgeldes in Höhe des Differenzbetrages zwischen einer nach dem höheren Arbeitsentgelt berechneten Abfindung und einer Abfindung zu, die nach dem durch die Einstellung der gefährdenden Tätigkeit bedingten niedrigerem Arbeitsentgelt berechnet worden ist. Dann müßte bei der gebotenen am allgemeinen Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 des Grundgesetzes (GG) ausgerichteten Auslegung des § 3 Abs 2 BKVO bei demjenigen Versicherten, der eine Abfindung nach dem höheren Arbeitsentgelt erhalten hat und bei dem im übrigen alle sonstigen Sachverhalte wie beim Kläger vorliegen, die Abfindung teilweise auf das Übergangsgeld angerechnet werden. Letzteres wäre aber mit der genannten Rechtsprechung jedenfalls dann nicht zu vereinbaren, wenn der höhere Betrag der Abfindung nicht gezielt wegen der Aufgabe des gefährdeten Arbeitsplatzes und des dadurch verursachten Minderverdienstes, sondern unabhängig davon geleistet wird, etwa weil bei der Berechnung der Höhe der Abfindung – wie hier – generell auf das Arbeitsentgelt in einem bestimmten Jahre abgestellt wird. Muß aber im letzteren Falle nach der genannten Rechtsprechung die höhere Abfindung bei der Berechnung des Übergangsgeldes unberücksichtigt bleiben, gilt dies auch für die niedrigere.

Ein Verfahrensfehler iS des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG liegt nicht vor. Nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann. Auf eine Verletzung des § 103 SGG (Aufklärung des Sachverhalts von Amts wegen) kann der geltend gemachte Verfahrensmangel nach § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG nur dann gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Ob das LSG – wie vom Kläger vorsorglich vorgetragen – gegen das Recht auf rechtliches Gehör (§§ 62, 128 Abs 2 SGG, Art 103 Abs 1 GG) dadurch verstoßen hat, das es dem angefochtenen Urteil einen Absatz mit vorher nicht erörtertem Inhalt angefügt hat, kann offenbleiben. Jedenfalls kann dieses Urteil nicht auf dem geltend gemachten Verfahrensmangel beruhen.

Da ein Verstoß gegen das Recht auf rechtliches Gehör im sozialgerichtlichen Verfahren kein absoluter Revisionsgrund iS des § 202 SGG iVm § 551 der Zivilprozeßordnung ist (BSG SozR 1500 § 160 Nr 31; BSGE 53, 83, 84 = SozR 1500 § 124 Nr 7; BSG Beschluß vom 5. Dezember 1988 – 7 BAr 90/88 –), muß mindestens die Möglichkeit bestehen, daß das LSG ohne den – unterstellten – Verfahrensverstoß zu einem dem Kläger sachlich günstigeren Ergebnis hätte gelangen können (vgl BSG SozR 1500 § 160 Nr 31; Kummer, aaO, RdNr 203). Dies kann aber deshalb nicht der Fall sein, weil der beanstandete Absatz im angefochtenen Urteil neben dem die Entscheidung tragenden, mit dem fehlenden inneren Zusammenhang argumentierenden Hauptteil der Entscheidungsgründe allenfalls eine zweite tragende Begründung darstellt. Erfaßt aber ein Verfahrensverstoß nur eine von zwei tragenden Begründungen, kann dies nicht zur Zulassung der Revision führen (vgl Krasney/Udsching, aaO, IX, RdNr 137 mwN).

Die Beschwerde war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1175399

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