Entscheidungsstichwort (Thema)

Nichtzulassungsbeschwerde. Darlegung der Divergenz. Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung. unzureichende Begründung. Aufrechnung

 

Orientierungssatz

1. Eine Divergenz im Sinne des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG liegt nicht schon dann vor, wenn das Urteil des LSG nicht den Kriterien entspricht, die das BSG aufgestellt hat, sondern erst, wenn das LSG diesen Kriterien widersprochen, also andere rechtliche Maßstäbe entwickelt hat. Nicht die Unrichtigkeit der Entscheidung im Einzelfall, sondern die Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen begründet die Zulassung der Revision wegen Abweichung.

2. Für die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtsfrage iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG ist es nicht ausreichend, in der Beschwerdebegründung lediglich zu behaupten, dass sich keine Entscheidung des BSG mit dieser Frage befasse und sich im Übrigen lediglich auf eine Entscheidung des LSG zu beziehen.

 

Normenkette

SGG § 160 Abs. 2 Nrn. 2, 1, § 160a Abs. 2 S. 3; SGB 1 § 52; SGB 10 § 50 Abs. 4, §§ 52, 87 Abs. 1

 

Verfahrensgang

Bayerisches LSG (Urteil vom 29.03.2012; Aktenzeichen L 14 R 864/09)

SG Regensburg (Entscheidung vom 26.03.2009; Aktenzeichen S 3 R 462/06)

 

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 29. März 2012 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

 

Gründe

Mit Urteil vom 29.3.2012 hat das Bayerische LSG den angefochtenen Bescheid der Beklagten aufgehoben, soweit sie den Betrag von 1689,49 Euro zur Befriedigung eines Erstattungsanspruchs zu Gunsten der Bundesanstalt für Arbeit einbehalten hatte, und hat den Anspruch des Klägers auf Auszahlung des vorgenannten Betrags auf Grund eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs verneint. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen und die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.

Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat der Kläger beim BSG Beschwerde eingelegt. Er beruft sich auf eine Rechtsprechungsabweichung und auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache.

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig. Die Begründung vom 29.8.2012 genügt den gesetzlichen Anforderungen nicht, weil die geltend gemachten Zulassungsgründe der Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) und der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) nicht ordnungsgemäß dargetan worden sind (§ 160a Abs 2 S 3 SGG).

1. Divergenz liegt vor, wenn die tragenden abstrakten Rechtssätze, die zwei Entscheidungen zu Grunde gelegt worden sind, nicht übereinstimmen. Dies ist der Fall, wenn das LSG einen tragenden abstrakten Rechtssatz aufgestellt hat, der von einem vorhandenen abstrakten Rechtssatz des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG abweicht. Eine Abweichung liegt folglich nicht schon dann vor, wenn das Urteil des LSG nicht den Kriterien entspricht, die das BSG aufgestellt hat, sondern erst, wenn das LSG diesen Kriterien widersprochen, also andere rechtliche Maßstäbe entwickelt hat. Nicht die Unrichtigkeit der Entscheidung im Einzelfall, sondern die Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen begründet die Zulassung der Revision wegen Abweichung. Darüber hinaus verlangt der Zulassungsgrund der Divergenz, dass das angefochtene Urteil auf der Abweichung beruht.

Zur formgerechten Rüge des Zulassungsgrundes der Divergenz gehört es, in der Beschwerdebegründung nicht nur eine Entscheidung genau zu bezeichnen, von der die Entscheidung des LSG abgewichen sein soll; es ist auch deutlich zu machen, worin genau die Abweichung zu erachten sein soll. Der Beschwerdeführer muss daher darlegen, zu welcher konkreten Rechtsfrage eine die Berufungsentscheidung tragende Abweichung in den rechtlichen Ausführungen enthalten sein soll. Er muss mithin einen abstrakten Rechtssatz der vorinstanzlichen Entscheidung und einen abstrakten Rechtssatz aus dem höchstrichterlichen Urteil so bezeichnen, dass die Divergenz erkennbar wird. Nicht hingegen reicht es aus, auf eine bestimmte höchstrichterliche Entscheidung mit der Behauptung hinzuweisen, das angegriffene Urteil weiche hiervon ab. Schließlich muss aufgezeigt werden, dass das Revisionsgericht die oberstgerichtliche Rechtsprechung in einem künftigen Revisionsverfahren seiner Entscheidung zu Grunde zu legen haben wird (zum Ganzen vgl BSG vom 25.9.2002 - SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 73 f mwN). Diesen Darlegungserfordernissen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.

Der Kläger leitet aus dem Urteil des BSG vom 24.7.2003 - B 4 RA 60/02 R - (SozR 4-1200 § 52 Nr 1) den Rechtssatz ab:

"Wenn eine Rechtsgrundlage für einen Einbehalt bzw eine Verrechnung nicht besteht, sind Leistungen aus Nachzahlungen auszuzahlen".

Demgegenüber gehe das LSG davon aus,

"dass mangels einer Entscheidung über die Verrechnung kein Auszahlungsanspruch des Klägers bestehe".

Eine weitere Divergenz ergebe sich zu der zitierten Entscheidung des BSG, weil die Beklagte zwar im Fall der Unwirksamkeit der Verrechnung diese grundsätzlich wiederholen oder eine erneute Verrechnungserklärung abgeben könne. Dabei sei jedoch zu beachten, dass die Auszahlungsansprüche zeitlich nicht unbegrenzt "vorläufig einbehalten" werden dürften, weil es sich um Leistungen zur Existenzsicherung handele.

Demgegenüber habe das LSG angenommen, in die Interessenabwägung bei einer neuen Verrechnungsentscheidung sei lediglich die Frage der Sozialhilfebedürftigkeit einzubeziehen und nicht, ob ein lang zurückliegendes Verrechnungsersuchen überhaupt noch zu befriedigen sei (S 5 Beschwerdebegründung).

Mit diesem Vortrag hat der Kläger eine entscheidungserhebliche Divergenz zwischen einander widersprechenden abstrakten Rechtssätzen nicht hinreichend aufgezeigt. Denn nach dem Vortrag des Klägers befasst sich das BSG-Urteil vom 24.7.2003 mit den Folgen einer fehlerhaft, da in Form eines Verwaltungsakts erklärten Verrechnung, während nach dem Urteil des LSG über eine Verrechnung gar nicht entschieden worden sei. Überdies ist der vom Kläger behauptete Satz des LSG kein abstrakter Rechtssatz, sondern bezieht sich lediglich auf den konkreten Einzelfall des Klägers. Ebenso wenig reicht es für das Aufzeigen abstrakter Rechtssätze aus, umfängliche Rechtsausführungen aus dem og Urteil des BSG wiederzugeben und demgegenüber Rechtsansichten und Feststellungen des LSG zum Fall des Klägers zu stellen. Denn es ist nicht Aufgabe des BSG, sich aus dem Vortrag des Klägers einen generell abstrakten Rechtssatz herauszusuchen. Vielmehr ist dieser in der Beschwerdebegründung hinreichend genau zu bezeichnen.

Soweit der Kläger im Übrigen die inhaltliche Unrichtigkeit der angefochtenen Entscheidung vorträgt, so genügt die Unrichtigkeit einer Entscheidung im Einzelfall - zB auf Grund der Nichtbeachtung von höchstrichterlicher Rechtsprechung oder fehlerhafter Anwendung dortiger Maßstäbe - nicht für die Zulassung der Revision wegen Divergenz (vgl BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 26 S 44 f; BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 72 f).

2. Der Kläger hat auch die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht hinreichend dargelegt.

Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung aufzeigen, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine solche Klärung erwarten lässt (vgl BSG SozR 1500 § 160 Nr 17 und § 160a Nr 7, 11, 13, 31, 39, 59, 65).

Um seiner Darlegungspflicht zu genügen, muss ein Beschwerdeführer mithin eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) darlegen (vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN). Diesen Anforderungen wird die vorliegende Beschwerdebegründung nicht gerecht.

Der Kläger hält für grundsätzlich bedeutsam die Frage,

"wie lange ein Verrechnungsersuchen befriedigt werden darf".

Es mag dahingestellt bleiben, ob es sich hierbei um eine abstrakte Rechtsfrage handelt. Jedenfalls fehlt es an hinreichender Darlegung der Klärungsbedürftigkeit der aufgeworfenen Frage. Hierfür ist es nicht ausreichend, in der Beschwerdebegründung lediglich zu behaupten, dass sich keine Entscheidung des BSG mit dieser Frage befasse und sich im Übrigen lediglich auf die Entscheidung des LSG Nordrhein-Westfalen vom 24.7.2009 - L 13 R 137/08 - zu beziehen, wonach es eine zeitliche Beschränkung der Befugnis des Leistungsträgers, eine Verrechnung zu erklären, nicht gebe (nach § 87 Abs 1 SGB X). Damit ist der Bedarf an höchstrichterlicher Klärung nicht hinreichend aufgezeigt. Denn der Kläger hat nicht geprüft, ob sich die Antwort bereits aus dem Gesetz ergibt, insbesondere aus den Bestimmungen über die Verjährung bestandskräftig festgestellter Erstattungsansprüche (§ 50 Abs 4, § 52 SGB X).

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).

Die Verwerfung der danach nicht formgerecht begründeten und somit unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß § 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 SGG iVm § 169 S 2 und 3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.

Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI3553360

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