Leitsatz (amtlich)

Der gesetzliche Ausschluß einer auf § 128 Abs 1 S 1 SGG gestützten Verfahrensrüge als Begründung einer Nichtzulassungsbeschwerde hindert das BSG nicht an der von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG für Sachaufklärungsrügen (§ 103 SGG) vorgeschriebenen Prüfung, ob das LSG einem Beweisantrag ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist (teilweise Aufgabe von BSG 1975-07-31 5 BJ 28/75 = SozR 1500 § 160 Nr 5, dort Leitsatz 3).

 

Orientierungssatz

Hält ein Gericht die Durchführung eines Beweisantrages (Zeugenvernehmung) für nicht erforderlich, weil es aufgrund eigener Mutmaßungen anderen Angaben Vorrang vor den Bekundungen des Zeugen einräumt, so handelt es sich um eine unzulässige vorweggenommene Beweiswürdigung, die zugleich eine Verletzung der Pflicht zur Erforschung des Sachverhalts (§ 103 SGG) beinhaltet (vgl BSG 1956-03-21 1 RA 73/55 = SozR Nr 5 zu § 128 SGG).

 

Normenkette

SGG § 103 Fassung: 1974-07-30, § 128 Abs 1 S 1 Fassung: 1953-09-03, § 160 Abs 2 Nr 3 Fassung: 1974-07-30, § 160a Abs 2 S 3 Fassung: 1974-07-30

 

Verfahrensgang

LSG Berlin (Entscheidung vom 29.09.1982; Aktenzeichen L 6 J 18/81)

SG Berlin (Entscheidung vom 13.11.1980; Aktenzeichen S 26 J 1947/77)

 

Gründe

Zutreffend macht der Kläger geltend, das Landessozialgericht (LSG) habe die ihm nach § 103 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) obliegende Sachaufklärungspflicht verletzt, weil es dem Beweisantrag, die Zeugin Felgendreher zum Zusammenleben des Klägers und seiner Mutter mit dem Versicherten in dessen Wohnung in der Zeit vor dem 15. September 1976 zu vernehmen ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt sei. Das LSG hat hierzu auf die Angaben der Mutter des Klägers verwiesen, sie habe vor dem 15. September 1976 noch eine eigene Wohnung gehabt und sich in dieser Zeit mit dem Kläger überwiegend in der Wohnung des Versicherten aufgehalten; erst seit dem 15. September hätten sie und der Kläger mit dem Versicherten in einem Haushalt zusammen gelebt. Eine hinreichende Begründung für die Ablehnung des Beweisantrages hat es damit nicht gegeben. Die Vernehmung der Zeugin Felgendreher erschien ihm nämlich offenbar deshalb nicht erforderlich, weil es in jedem Fall entschlossen war, den Angaben der Mutter des Klägers Vorrang vor den Bekundungen der Zeugin einzuräumen. Das aber war eine unzulässige vorweggenommene Beweiswürdigung, die auch eine Verletzung der Pflicht zur Erforschung des Sachverhalts (§ 103 SGG) beinhaltet (vgl BSG in SozR Nrn 3 und 5 zu § 128 SGG). Damit hat das LSG keine hinreichende Begründung im Sinne des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG für die Ablehnung des Beweisantrages gegeben.

Dem steht zwar Leitsatz 3 im Beschluß des Senats vom 31. Juli 1975 (SozR 1500 § 160 Nr 5) entgegen. Der Senat hält an dieser Rechtsauffassung jedoch insoweit nicht mehr fest, als es um die Prüfung der im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde zu entscheidenden Frage geht, ob das LSG einem Beweisantrag ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Diese dem Bundessozialgericht gesetzlich vorgeschriebene Prüfung der Rüge einer Verletzung des § 103 SGG entfällt nämlich nicht deshalb, weil ein Verfahrensmangel im Verfahren wegen der Nichtzulassungsbeschwerde auf eine Verletzung des § 128 Abs 1 Satz 1 SGG nicht gestützt werden kann. Denn aus dem Ausschluß einer Verfahrensrüge als Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde folgt nicht das Verbot einer aus anderen Gründen notwendigen gerichtlichen Überprüfung des betreffenden Verfahrensabschnitts.

Auf dem gerügten Verfahrensverstoß kann die Entscheidung des LSG beruhen, weil es den Anspruch auf Waisenrente für die Zeit vor dem 15. September 1976 allein mangels der erforderlichen Wohn- und Lebensgemeinschaft, nicht aber auch aus den für die Zeit nach dem 15. September 1976 angegebenen Gründen (vgl hierzu BSG in SozR 1500 § 160a Nr 38) verneint hat.

Die Kostenentscheidung folgt der Entscheidung über die Kosten in der Hauptsache.

 

Fundstellen

Breith. 1983, 939

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