Entscheidungsstichwort (Thema)

Berufungsausschluß bei Gesamtvergütung

 

Orientierungssatz

Zur grundsätzlichen Bedeutung der Rechtsfrage, ob die Berufung ausgeschlossen ist, die einen Anspruch auf Verletztenrente in einem Zeitraum betrifft, für den eine Gesamtvergütung gewährt worden ist.

 

Normenkette

SGG § 160 Abs 2 Nr 1, § 144 Abs 1 Nr 1, § 145 Nr 3; RVO §§ 603, 1585 Abs 1

 

Verfahrensgang

LSG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 21.12.1989; Aktenzeichen L 7 U 1779/88)

 

Gründe

Der Kläger ist mit seinem Begehren, ihm für die Zeit vom 23. Juni bis zum 30. September 1986 eine höhere Gesamtvergütung nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 30 vH und vom 1. Oktober 1986 ab Verletztenrente nach einer MdE um 30 vH zu gewähren, ohne Erfolg geblieben (Gesamtvergütungsbescheid vom 11. September 1986 und Widerspruchsbescheid vom 26. November 1986, Rentenablehnungsbescheid vom 22. Juni 1987). Das Sozialgericht (SG) Stuttgart hat die Klage in vollem Umfang abgewiesen, weil die medizinische Beweiserhebung ergeben habe, daß die unfallbedingte MdE nur bis zum 30. September 1986 20 vH betragen habe. Vom 1. Oktober 1986 ab sei sie mit 10 vH zu bewerten (Urteil vom 19. Mai 1988 - S 2 U 3919/86 -). Das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg hat die Berufung des Klägers insoweit als unzulässig verworfen, wie sie den Gesamtvergütungsbescheid betrifft; im übrigen hat es die Berufung zurückgewiesen, weil die medizinische Beweiserhebung im Berufungsverfahren ergeben habe, daß die unfallbedingte MdE ab 1. Oktober 1986 mit 10 vH zu bewerten sei und daß zwischen den in erster und zweiter Instanz eingeholten medizinischen Gutachten keine Differenzen beständen (Urteil vom 21. Dezember 1989 - L 7 U 1779/88 -).

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision ist unbegründet. Der geltend gemachte Zulassungsgrund einer grundsätzlichen Bedeutung iS des § 160 Abs 2 Nr 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) liegt nicht vor.

Der Kläger mißt der Frage grundsätzliche Bedeutung bei, ob die Berufung ausgeschlossen ist, die einen Anspruch auf Verletztenrente in einem Zeitraum betrifft, für den eine Gesamtvergütung gewährt worden ist.

Diese Frage ist jedoch, soweit sie in dem angestrebten Revisionsverfahren erheblich sein könnte, nicht mehr klärungsbedürftig. Ihr fehlt deshalb die grundsätzliche Bedeutung. Die Antwort steht praktisch außer Zweifel. Zwar hat das Bundessozialgericht (BSG) die Frage noch nicht ausdrücklich entschieden, aber zur Auslegung der vom LSG herangezogenen Berufungsausschließungsgründe des § 144 Abs 1 Nr 1 und § 145 Nr 3 SGG liegen bereits höchstrichterliche Entscheidungen vor, die ausreichende Anhaltspunkte zur Beurteilung der geltend gemachten Rechtsfrage ergeben. Auf der Grundlage der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung folgt die Antwort auf die geltend gemachte Rechtsfrage derart unmittelbar aus dem Gesetz, daß es keiner höchstrichterlichen Klärung mehr bedarf (s Kummer, Die Nichtzulassungsbeschwerde, 1990, S 59 Anm 116 und 117 mwN aus der höchstrichterlichen Rechtsprechung).

Nach § 603 Reichsversicherungsordnung (RVO), der rechtssystematisch dem Unterabschnitt über Abfindung für Verletztenrenten zugeordnet ist, kann der Träger der Unfallversicherung den Verletzten nach Abschluß der Heilbehandlung durch eine Gesamtvergütung in Höhe des voraussichtlichen Rentenaufwands abfinden, wenn nach allgemeinen Erfahrungen unter Berücksichtigung der besonderen Verhältnisse des Einzelfalles zu erwarten ist, daß nur eine vorläufige Rente (§ 1585 Abs 1 RVO) zu gewähren ist.

Damit ist die Gesamtvergütung ihrer Rechtsnatur nach eine Abfindung besonderer Art, auf welche die Vorschriften der RVO über Kapitalabfindung anzuwenden sind (s Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 11. Aufl, S 594b). Abgefunden wird die vorläufige Rente iS des § 1585 Abs 1 RVO (s Brackmann aaO S 594c), der begrifflich voraussetzt, daß die Rente eines Verletzten ihrer Höhe nach noch nicht als Dauerrente festgestellt werden kann. Abweichend von der Regelung über die sonstigen Kapitalabfindungen enthält die Gesamtvergütung das rentenrechtliche Merkmal, daß damit nicht alle zukünftigen Ansprüche, sondern nur solche für einen begrenzten Zeitraum abgegolten sind, den der Versicherungsträger genau bezeichnen muß. Nach Ablauf des Zeitraums, für den die Abfindung bestimmt war, ist auf Antrag Verletztenrente zu 210ähren, wenn die Voraussetzungen des § 581 RVO vorliegen (§ 603 Satz 2 RVO).

Die Ermessensentscheidung des Trägers der Unfallversicherung für eine Gesamtvergütung verlangt danach lediglich, die Anspruchsvoraussetzungen einer Verletztenrente als vorläufige Rente zu bejahen, weil sie ihrer Höhe nach noch nicht auf Dauer festgestellt werden kann (§ 1585 Abs 1 RVO). Die Dauerrente muß insofern nicht festgestellt werden können, weil zwar nicht sicher, aber doch schätzungsweise nach allgemeinen Erfahrungen unter Berücksichtigung der besonderen Verhältnisse des Einzelfalls zu erwarten ist, daß der Rentenanspruch nicht über einen bestimmten Zeitpunkt hinaus andauern wird. Entschließt sich der Versicherungsträger, eine Gesamtvergütung zu gewähren, dann enthält er sich gerade aus den genannten gesetzlichen Gründen einer Entscheidung über die Dauerrente. Insoweit vermag der Senat der gegenteiligen Ansicht von Brackmann (aaO S 594c) ebensowenig zu folgen wie schon das LSG Rheinland-Pfalz (Breithaupt 1976, 200, 202) und ihm folgend Lauterbach/Watermann (Gesetzliche Unfallversicherung, 3. Aufl, Anm 4 zu § 603). Nach einem Bescheid über eine Gesamtvergütung setzt § 603 Satz 2 RVO den Antrag auf Verletztenrente voraus, um den Versicherungsträger zu verpflichten, über die Dauerrente zu entscheiden.

Nicht zu folgen ist der Meinung des LSG, die Berufung sei hinsichtlich der Gesamtvergütung nach § 144 Abs 1 Nr 1 SGG ausgeschlossen, weil sie einen Anspruch auf eine einmalige Leistung betreffe. Das greift der Beschwerdeführer im Ergebnis zutreffend an. Bei Klagen gegen Abfindungsbescheide ist nach der Rechtsprechung des BSG differenzierend auf das Klagebegehren abzustellen. Der Kläger macht nur dann einen Anspruch auf eine einmalige Leistung geltend, wenn er nicht das Ende der Rentengewährung, nicht den Abfindungszeitraum, sondern nur die Höhe der Kapitalabfindung angreift. Wer aber den Abfindungszeitraum bestreitet und verlangt, die Rente weiterzugewähren, begehrt nicht eine einmalige Leistung, sondern wiederkehrende Leistungen (BSGE 9, 101, 102).

Solche Ansprüche auf wiederkehrende Leistungen betrifft die Berufung des Klägers. Soweit sie sich gegen den Gesamtvergütungsbescheid richtet, betrifft sie eine vorläufige Rente, denn - wie oben ausgeführt - ist mit dem Gesamtvergütungsbescheid nur über eine vorläufige Rente entschieden worden. Erst mit dem Rentenablehnungsbescheid vom 22. Juni 1987 hat die Beklagte über den Anspruch auf Dauerrente negativ entschieden.

Die Berufung des Klägers hinsichtlich des Gesamtvergütungsbescheides ist dementsprechend nach § 145 Nr 3 SGG ausgeschlossen. Das hat das LSG mit seiner Hilfsbegründung zutreffend erkannt. Wenn die Berufung sowohl einen Anspruch auf eine vorläufige Rente als auch einen solchen auf Dauerrente betrifft, handelt es sich nach der Rechtsprechung des Senats um selbständige prozessuale Ansprüche, für die jeweils gesondert die Statthaftigkeit des Rechtsmittels zu prüfen ist. Dabei ist nach § 145 Nr 3 SGG hinzunehmen, daß die Entscheidung des SG über die vorläufige Rente im Rechtsmittelwege nicht mehr überprüft werden kann (Urteil vom 29. April 1970 - 2 RU 204/68 - Breithaupt 1970, 893 mwN).

Dementsprechend kann auch im vorliegenden Fall entgegen der Meinung des Beschwerdeführers der prozessuale Anspruch auf Dauerrente nicht die Statthaftigkeit der Berufung hinsichtlich des Anspruchs auf vorläufige Rente nach sich ziehen, über den allein mit dem Gesamtvergütungsbescheid entschieden worden ist.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1650478

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