Verfahrensgang

SG Konstanz (Entscheidung vom 19.12.2018; Aktenzeichen S 6 U 1422/15)

LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 03.09.2021; Aktenzeichen L 12 U 4390/18)

 

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 3. September 2021 wird als unzulässig verworfen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Die Beteiligten streiten in dem der Beschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit über Ansprüche der Klägerin aus drei Unfallereignissen.

Die Klägerin erlitt am 2.2.2001 einen Autounfall, für den sie die Anerkennung als Arbeitsunfall (Wegeunfall) begehrte. Die Beklagte lehnte dies ab, weil ua mit Blick auf die Fahrstrecke der zeitliche Abstand zwischen dem angegebenen Arbeitsende und dem angegebenen Unfallzeitpunkt nicht nachvollziehbar sei (Bescheid vom 6.10.2014, Widerspruchsbescheid vom 27.5.2015). Die Klage, die die Klägerin insbesondere auf eine Verletzung der Ermittlungspflicht der Beklagten stützte, hat das SG abgewiesen (Urteil vom 19.12.2018 - S 6 U 1704/15).

Am 26.2.2002 rutschte die Klägerin während der Arbeitszeit auf der Toilette des Dienstgebäudes auf nassem Boden aus. Die Beklagte erkannte das Ereignis als Arbeitsunfall an, der zu einer Verletzung des linken Beins/Fußes, nicht aber zu einer Verletzung der Wirbelsäule geführt habe (Bescheid vom 6.10.2014, Widerspruchsbescheid vom 27.5.2015). Die auf die Gewährung einer Verletztenrente gerichtete Klage hat das SG nach Einholung eines Sachverständigengutachtens über die Unfallfolgen abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 13.11.2018 - S 6 U 1422/15).

Nach einem Auffahrunfall vom 5.9.2003 und den anschließenden ärztlichen Diagnosen einer HWS-Distorsion sowie einer Prellung der Nasenwurzel begehrte die Klägerin schließlich auch im Wege eines ersten Überprüfungsverfahrens erfolglos Verletztenrente (Bescheid vom 27.7.2005, Widerspruchsbescheid vom 8.3.2006, Gerichtsbescheid vom 13.1.2010 - S 6 U 1000/06; Bescheid vom 3.1.2011, Widerspruchsbescheid vom 24.8.2011, Gerichtsbescheid vom 4.4.2012 - S 11 U 2418/11). Der weitere Überprüfungsantrag hatte ebenfalls keinen Erfolg (Bescheid vom 23.3.2015, Widerspruchsbescheid vom 23.6.2015). Das SG hat die auf die Berücksichtigung auch psychischer Gesundheitsstörungen gerichtete Klage nach Einholung eines Sachverständigengutachtens abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 14.11.2018 - S 6 U 1871/15).

Die gegen alle drei Entscheidungen des SG eingelegten Berufungen (L 12 U 4390/18, L 12 U 4391/18, L 12 U 621/19) hat das LSG nach Verbindung zurückgewiesen (Urteil vom 3.9.2021).

Mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG rügt die Klägerin bezogen auf das Ereignis vom 2.2.2001 eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache und im Übrigen das Vorliegen von Verfahrensmängeln.

II

Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, weil die geltend gemachten Zulassungsgründe nicht ordnungsgemäß dargelegt bzw bezeichnet worden sind (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG).

1. Eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache bezüglich des Unfallereignisses vom 2.2.2001 hat die Klägerin nicht hinreichend dargelegt.

Grundsätzliche Bedeutung iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Ein Beschwerdeführer muss mithin, um seiner Darlegungspflicht zu genügen, eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit, also Entscheidungserheblichkeit, sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung, sog Breitenwirkung, darlegen (stRspr; zB Senatsbeschluss vom 7.3.2017 - B 2 U 140/16 B - SozR 4-1920 § 52 Nr 18 RdNr 5 mwN; BSG Beschluss vom 4.1.2022 - B 9 V 22/21 B - juris RdNr 5 mwN).

Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht. Sie versäumt es bereits, eine über den Einzelfall hinausgehende Rechtsfrage anzugeben. Die Klägerin gibt als Rechtsfrage an:

"Wie umfangreich hat die Beklagte die ihr obliegende Amtsermittlung durchzuführen, wenn ihr ein Arbeitsunfall gemeldet wird."

Auch unter Bezug auf ihre telefonische Meldung eines Arbeitsunfalls und die ergangene Aktennotiz der Beklagten vom 25.2.2005 hat die Klägerin damit keine hinreichend bestimmte abstraktgenerelle Rechtsfrage zur Auslegung, Anwendbarkeit oder zur Vereinbarkeit einer konkreten revisiblen Norm des Bundesrechts (§ 162 SGG) mit höherrangigem Recht (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) dargelegt. Nicht ausreichend sind Fragestellungen, deren Beantwortung - wie vorliegend - von den konkreten Umständen des Einzelfalls abhängt; denn im Kern zielen Rechtsfragen iS von § 160 Abs 2 Nr 1 SGG auf die Entwicklung abstrakter Rechtssätze durch das BSG ab (Karmanski in Roos/Wahrendorf/Müller, SGG, 2. Aufl 2022, § 160 RdNr 28; Voelzke in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, § 160 RdNr 86, Stand 4.3.2022). Erforderlich ist es daher grundsätzlich, dass der Senat die Rechtsfrage mit "ja" oder "nein" beantworten könnte (vgl zuletzt nur BSG Beschlüsse vom 27.5.2020 - B 1 KR 8/19 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 40 RdNr 5; vom 27.1.2020 - B 8 SO 67/19 B - juris RdNr 10; vom 19.6.2018 - B 1 KR 87/17 B - BeckRS 2018, 17001 RdNr 6; vom 21.7.2010 - B 5 R 154/10 B - BeckRS 2010, 72088 RdNr 10; vom 5.11.2008 - B 6 KA 24/07 B - BeckRS 2009, 50073 RdNr 7; auch BFH Beschluss vom 25.9.2018 - III B 160/17 - BeckRS 2018, 29960 RdNr 23; BAG Beschluss vom 23.1.2007 - 9 AZN 792/06 - BAGE 121, 52 RdNr 5 f).

Die Beschwerdebegründung zielt dagegen im Wesentlichen auf die durch die Vorinstanzen vorgenommene Beweiswürdigung iS von § 128 Abs 1 Satz 1 SGG ab. Auf letztere kann eine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision jedoch nicht gestützt werden (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG). Die Beschränkung von Verfahrensrügen kann nicht durch eine Rüge in anderer Gestalt umgangen werden (zB BSG Beschluss vom 22.12.2021 - B 9 SB 42/21 B - juris RdNr 12 mwN).

Unabhängig davon hat die Klägerin auch die Klärungsbedürftigkeit nicht hinreichend dargelegt. Klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage, wenn sie höchstrichterlich weder tragend entschieden noch präjudiziert ist und die Antwort nicht von vornherein praktisch außer Zweifel steht, so gut wie unbestritten ist oder sich unmittelbar aus dem Gesetz ergibt. Um die Klärungsbedürftigkeit ordnungsgemäß darzulegen, muss sich der Beschwerdeführer daher ua mit der einschlägigen Rechtsprechung auseinandersetzen (stRspr; zB BSG Beschluss vom 21.8.2017 - B 9 SB 11/17 B - juris RdNr 8 mwN). Dem wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht. Sie enthält keinerlei Vortrag zur maßgeblichen Rechtsprechung, die sich mit den Grenzen der Amtsermittlung im Sozialverwaltungsverfahren sowie den Maßstäben der Beweiswürdigung im gerichtlichen Verfahren befasst.

2. Die Klägerin hat auch keinen Verfahrensmangel hinreichend bezeichnet.

a) Der bezogen auf die Unfälle vom 2.2.2001 und 5.9.2003 sinngemäß gerügte Verstoß gegen die Sachaufklärungspflicht (§ 103 SGG) ist durch die jeweiligen Hinweise auf schriftsätzliche Beweisanträge nicht substantiiert bezeichnet.

Diese Rüge erfordert, dass die Beschwerdebegründung (1.) einen für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren, bis zuletzt aufrechterhaltenen oder im Urteil wiedergegebenen Beweisantrag bezeichnet, dem das LSG nicht gefolgt ist, (2.) die Rechtsauffassung des LSG wiedergibt, auf deren Grundlage bestimmte Tatfragen klärungsbedürftig hätten erscheinen müssen, (3.) die von dem Beweisantrag betroffenen tatsächlichen Umstände aufzeigt, die zur weiteren Sachaufklärung Anlass gegeben hätten, (4.) das voraussichtliche Ergebnis der unterbliebenen Beweisaufnahme angibt und (5.) erläutert, weshalb die Entscheidung des LSG auf der unterlassenen Beweiserhebung beruhen kann (stRspr; zB BSG Beschluss vom 11.3.2021 - B 9 SB 51/20 B - juris RdNr 9 und vom 22.7.2010 - B 13 R 585/09 B - juris RdNr 10).

Die vor dem LSG anwaltlich vertretene Klägerin bezeichnet bereits keinen prozessordnungsgemäßen Beweisantrag, den sie im Verfahren vor dem LSG bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung aufrechterhalten hat. Der förmliche Beweisantrag hat Warnfunktion und soll der Tatsacheninstanz unmittelbar vor der Entscheidung signalisieren, dass ein Beteiligter die gerichtliche Aufklärungspflicht noch für defizitär hält (vgl dazu BSG Beschluss vom 14.7.2021 - B 6 KA 42/20 B - juris RdNr 7 mwN). Diese Warnfunktion des Beweisantrags verfehlen "Beweisantritte" und Beweisgesuche, die lediglich in der Berufungsschrift oder sonstigen Schriftsätzen enthalten sind. Sie sind nur als Hinweise oder bloße Anregungen zu verstehen (dazu BSG Beschluss vom 14.7.2021 - B 6 KA 42/20 B - juris RdNr 7 mwN). So verhält es sich hier, wenn die Begründung allein auf Anträge im Schriftsatz vom 7.6.2019 und vom 16.7.2021 sowie vom 26.7.2019 und damit in allen Fällen auf Anträge vor der mündlichen Verhandlung am 3.9.2021 abstellt.

b) Soweit die Klägerin bezogen auf die Unfälle vom 2.2.2001 und 26.2.2002 eine verfahrensfehlerhafte Beweiswürdigung (§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG) rügt, ist diese Rüge einer Nichtzulassungsbeschwerde nach § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG - wie bereits ausgeführt - ausdrücklich entzogen. Dass die Klägerin die Entscheidung der Vorinstanz für falsch hält, geht über eine im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren unbeachtliche Rüge eines bloßen Rechtsanwendungsfehlers nicht hinaus (vgl BSG Beschluss vom 25.5.2020 - B 9 V 3/20 B - juris RdNr 6).

c) Schließlich hat die Klägerin auch die gerügte Verletzung rechtlichen Gehörs (vgl Art 103 Abs 1 GG, § 62 SGG) bezogen auf den Unfall vom 5.9.2003 nicht ausreichend aufgezeigt. Der Grundsatz rechtlichen Gehörs gebietet allerdings, dass eine gerichtliche Entscheidung nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden darf, zu denen sich die Beteiligten äußern konnten (§ 128 Abs 2 SGG). Dem Gebot ist indes Genüge getan, wenn die Beteiligten die maßgeblichen Tatsachen erfahren und ausreichend Gelegenheit haben, sachgemäße Erklärungen innerhalb einer angemessenen Frist vorzubringen (stRspr; zB BSG Beschluss vom 7.6.2016 - B 13 R 40/16 B - juris RdNr 9; BVerfG Beschluss vom 29.5.1991 - 1 BvR 1383/90 - juris RdNr 7). Hierzu verhält sich die Beschwerdebegründung nicht. Stattdessen verweist sie auf übergangene Beweise und Beweismittel im Klage- und (wohl auch) Berufungsverfahren, ohne sich allerdings - wie ausgeführt - mit den vorgegebenen prozessualen Grenzen einer solchen Rüge auseinanderzusetzen. Der Rügeausschluss in Bezug auf Mängel in der Beweiswürdigung (§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG) kann nicht durch eine Gehörsrüge umgangen werden (BSG Beschluss vom 7.5.2020 - B 9 SB 8/20 B - juris RdNr 6 mwN).

3. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).

4. Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung ehrenamtlicher Richter zu verwerfen (§§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2, 169 Satz 2 und 3 SGG).

5. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung der §§ 183, 193 SGG.

Roos                                        Othmer                                         Karl

 

Fundstellen

Dokument-Index HI15148931

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