Entscheidungsstichwort (Thema)

Nichtzulassungsbeschwerde. Zahlbarmachung von Ghettorenten. rentenversicherungspflichtiges Arbeits-/Beschäftigungsverhältnis. grundsätzliche Bedeutung. höchstrichterliche Rechtsprechung

 

Orientierungssatz

Nach § 1 Abs 1 S 1 Nr 1 Buchst b ZRBG reicht es nicht aus, dass die Beschäftigung in einem Ghetto aus eigenem Willensentschluss bzw freiwillig zustande gekommen ist. Zusätzlich muss diese auch noch gegen Entgelt ausgeübt worden sein.

 

Normenkette

ZRBG § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Buchst. b; SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1, § 160a

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 24.08.2005; Aktenzeichen L 8 RJ 49/03)

SG Düsseldorf (Urteil vom 11.02.2003; Aktenzeichen S 11 (12) RJ 227/98)

 

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 24. August 2005 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine Kosten zu erstatten.

 

Gründe

Mit Urteil vom 24. August 2005 hat das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (LSG) einen Anspruch der Klägerin auf höhere Altersrente (AlR) im Wesentlichen mit folgender Begründung verneint: Der Berufungssenat sehe es nicht als glaubhaft gemacht an, dass die Klägerin während ihres Aufenthalts im Ghetto Lask ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis ausgeübt habe. Schon die Entgeltlichkeit der Tätigkeit der Klägerin im Ghetto Lask sei nicht glaubhaft gemacht. Die Anerkennung einer rentenrechtlichen Beitragszeit beruhe auch bei Beschäftigungen in einem Ghetto im Kern nicht auf entschädigungsrechtlichen Gründen, sondern auf der Ausübung einer "normalen" rentenversicherungspflichtigen Beschäftigung, wenn auch unter den besonderen Bedingungen eines Ghettos. Eine Beschäftigung, die aus eigenem Willensentschluss zu Stande gekommen und gegen Entgelt ausgeübt worden sei, fordere auch § 1 Abs 1 Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG).

Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat die Klägerin beim Bundessozialgericht (BSG) Beschwerde eingelegt. Sie beruft sich ausschließlich auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache.

Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, weil keiner der in § 160 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) abschließend aufgeführten Zulassungsgründe ordnungsgemäß dargetan worden ist (vgl § 160a Abs 2 Satz 3 SGG ).

Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung, ggf sogar des Schrifttums, angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese Rechtsfragen noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Um seiner Darlegungspflicht zu genügen, muss ein Beschwerdeführer mithin eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) darlegen (zum Ganzen vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 mwN). Diesen Anforderungen wird die vorliegende Beschwerdebegründung nicht gerecht.

Die Klägerin hat zunächst folgende Rechtsfrage formuliert, der sie grundsätzliche Bedeutung beimisst: "Liegt eine Beschäftigung nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 ZRBG 'gegen Entgelt' nur dann vor, wenn es sich im Sinne der Ghettorechtsprechung - u.a. Urteil vom 23.08.2001 - B 13 RJ 59/00 R - um ein rentenversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis gegen Entgelt gehandelt hat oder entfällt das Merkmal der Versicherungspflicht?"

Die Klägerin hat jedoch unterlassen, die Klärungsbedürftigkeit dieser Rechtsfrage in der erforderlichen Weise darzutun. Klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage nicht, wenn die Antwort praktisch außer Zweifel steht, sich zB unmittelbar aus dem Gesetz ergibt oder bereits höchstrichterlich geklärt ist. Als höchstrichterlich geklärt muss eine Rechtsfrage auch dann angesehen werden, wenn das Revisionsgericht bzw das Bundesverfassungsgericht sie zwar noch nicht ausdrücklich entschieden hat, zur Auslegung des anzuwendenden gesetzlichen Begriffs aber schon eine oder mehrere höchstrichterliche Entscheidungen ergangen sind, die ausreichende Anhaltspunkte zur Beurteilung der von der Beschwerde als grundsätzlich herausgestellten Rechtsfrage geben (vgl BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 8; s hierzu auch Kummer, Die Nichtzulassungsbeschwerde, 1990, RdNr 117 mwN). Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht.

Trotz der umfangreichen rechtlichen Ausführungen der Klägerin wird nicht deutlich, weshalb die aufgeworfene Rechtsfrage noch einer Klärung bedarf. Die Klägerin ist im Zuge ihrer Ausführungen wiederholt insbesondere auf die Entscheidung des 13. Senats des BSG vom 7. Oktober 2004 (SozR 4-5050 § 15 Nr 1) und auch auf dessen frühere Entscheidung vom 23. August 2001 (SozR 3-2200 § 1248 Nr 17) eingegangen, wonach für die Anerkennung von Tätigkeiten in einem Ghetto das Vorliegen von Versicherungspflicht verlangt werde. Damit ist der Beschwerdebegründung selbst zu entnehmen, dass die aufgeworfene Rechtsfrage letztlich beantwortet ist. Die Klägerin hätte näher darlegen müssen, weshalb die Rechtsfrage weiterhin klärungsbedürftig sei. Zwar kann eine Rechtsfrage, obwohl über sie höchstrichterlich bereits geurteilt worden ist, trotzdem klärungsbedürftig geblieben oder wieder klärungsbedürftig geworden sein, zB wenn der höchstrichterlichen Entscheidung in nicht geringem Umfang widersprochen wird oder nun Einwendungen erhoben werden, die nicht von vornherein abwegig sind (vgl Kummer, Die Nichtzulassungsbeschwerde, 1990, RdNr 119 mwN). Aber auch zur Darlegung der Tatsache, dass die Rechtsfrage klärungsbedürftig geblieben oder wieder klärungsbedürftig geworden ist, bedarf es einer Auseinandersetzung mit dieser Rechtsprechung (vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34). Entsprechende Darlegungen enthält die Beschwerdebegründung nicht. Im Wesentlichen wendet sich die Klägerin unter Berufung auf ihre eigene Rechtsauffassung gegen die Rechtsprechung des 13. Senats und wirft diesem im Ergebnis vor, das gesetzgeberische Ziel nicht umgesetzt bzw das ZRBG unverständlich restriktiv ausgelegt zu haben. Dabei bringt die Beschwerde nicht zum Ausdruck, die bisherige Rechtsprechung habe wesentliche Gesichtspunkte außer Acht gelassen, sondern beschränkt sich auf die Darlegung ihrer eigenen, mit der Rechtsprechung des BSG unvereinbaren Interpretation des Gesetzes und seiner Motive, sodass sich die Rüge letztlich darin erschöpft, das LSG habe im Anschluss an das einschlägige höchstrichterliche Urteil unrichtig entschieden. Dies reicht zur Darlegung der erneuten Klärungsbedürftigkeit der aufgeworfenen Rechtsfrage nicht aus.

Im Übrigen genügen auch die Ausführungen zur Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) der aufgeworfenen Rechtsfrage nicht den Anforderungen. Klärungsfähig ist eine Rechtsfrage nur, wenn sie für den zu entscheidenden Fall rechtserheblich ist. Über die bezeichnete Rechtsfrage muss das Revisionsgericht also konkret-individuell sachlich entscheiden können. Auch dies ist in der Beschwerdebegründung des Näheren darzulegen (BSG SozR 1500 § 160 Nr 53 und § 160a Nr 31; vgl hierzu auch Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 4. Aufl, IX. Kap, RdNr 189). Ein Beschwerdeführer muss somit den nach seiner Auffassung vom Revisionsgericht einzuschlagenden Weg der Nachprüfung des angefochtenen Urteils und insbesondere den Schritt darstellen, der es notwendig macht, über die als rechtsgrundsätzlich bezeichnete Rechtsfrage zu entscheiden (Kummer, aaO, RdNr 138 mwN).

Die Klägerin beschränkt sich auf den Hinweis, die formulierte Rechtsfrage sei entscheidungserheblich, "da bei einer Verneinung der Notwendigkeit eines 'versicherungspflichtigen' Beschäftigungsverhältnisses die Klägerin die Voraussetzungen einer 'Beschäftigung gegen Entgelt' auch bei geringer Entgeltzahlung erfüllen würde mit der Folge, dass die behaupteten Beitragszeiten anrechnungsfähig wären und dies eine Erhöhung der Altersrente der Klägerin zur Folge hätte". Wie die Klägerin aber selbst in der Beschwerdebegründung ausführt, hat das LSG seine Entscheidung darauf gestützt, dass eine Beschäftigung der Klägerin gegen Entgelt nicht glaubhaft gemacht worden sei. Angesichts dieser berufungsgerichtlichen Feststellung hätte die Klägerin dartun müssen, weshalb bei ihr trotz Verneinung eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses dann doch die Voraussetzungen einer "Beschäftigung gegen Entgelt" erfüllt werden könnten. Mit der von ihr formulierten Rechtsfrage geht die Klägerin selbst davon aus, dass ein Beschäftigungsverhältnis gegen Entgelt vorgelegen haben müsse, sodass jedenfalls eine geringe Entgeltzahlung erfolgt sein müsste, um ihren Anspruch auf Anrechnung der behaupteten Beitragszeiten zu begründen. Da - wie erwähnt - das LSG aber eine Entgeltlichkeit der Tätigkeit und somit auch ein geringes Entgelt nicht als glaubhaft gemacht angesehen hat, hätte die Klägerin den Weg aufzeigen müssen, den das Revisionsgericht beschreiten müsste, um gleichwohl zur Beantwortung der gestellten Rechtsfrage zu kommen. Insbesondere hätte die Klägerin aufzeigen müssen, inwieweit es trotz der fehlenden, in § 1 Abs. 1 Nr 1 Buchst b ZRBG aber geforderten Entgeltlichkeit dieser Beschäftigung auf das "Merkmal der Versicherungspflicht" ankommen kann.

Die Klägerin misst folgender weiteren Frage grundsätzliche Bedeutung bei: "Gilt auch im Rahmen eines Ghettobeschäftigungsverhältnisses im Sinne von § 1 Abs. 1 b ZRBG (Beschäftigung gegen Entgelt) die Rechtsanspruchstheorie mit der Folge, dass bei der Existenz von tarifrechtlichen Regelungen von einem versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis auch dann auszugehen ist, wenn eine Entgeltzahlung unter Missachtung der tarifrechtlichen Ansprüche/lohnrechtlichen Regelungen an den Ghettoinsassen nicht erfolgt ist und der Ghettoinsasse subjektiv davon ausgehen konnte, ein unentgeltliches Beschäftigungsverhältnis ausgeführt zu haben?"

Hinsichtlich dieser zweiten von der Klägerin herausgestellten Rechtsfrage ist die grundsätzliche Bedeutung ebenfalls nicht dargetan, weil die Klägerin auf die Klärungsbedürftigkeit dieser Frage letztlich nicht eingegangen ist. Werden mit einer Beschwerde mehrere Rechtsfragen aufgeworfen, denen grundsätzliche Bedeutung beigemessen wird, so müssen hinsichtlich jeder einzelnen Rechtsfrage die Begründungsanforderungen erfüllt sein. Auf die Rechtsprechung des BSG, unter welchen Voraussetzungen Beschäftigungszeiten in einem Ghetto als Beitragszeiten anerkannt werden können, ist die Klägerin in diesem Zusammenhang nicht eingegangen, sodass jegliche Darlegung fehlt, weshalb die gestellte Rechtsfrage nicht bereits unter Berücksichtigung der bislang ergangenen Rechtsprechung beantwortet werden kann. Auch in diesem Zusammenhang beschränkt sich die Klägerin letztlich auf die Darlegung ihrer eigenen Rechtsauffassung, die sie derjenigen des LSG entgegensetzt. Soweit die Klägerin damit zum Ausdruck bringt, der Rechtsauffassung des LSG könne "aus Rechtsgründen nicht gefolgt werden", so reicht dies zur Darlegung der Klärungsbedürftigkeit einer Rechtsfrage nicht aus.

Im Übrigen ist auch die Klärungsfähigkeit dieser Frage nicht ausreichend dargelegt. Die Klägerin beschränkt sich hierzu auf die Behauptung, dass eine höhere AlR zu zahlen sei, wenn die Rechtsfrage im Sinne der Klägerin unter Zugrundelegung ihrer eigenen Rechtsauffassung entschieden würde. Sie hat aber nicht den Weg beschrieben, den das Revisionsgericht beschreiten müsste, um im vorliegenden Fall zur Beantwortung der gestellten Frage zu kommen. Dies wäre geboten gewesen, weil auch in diesem Zusammenhang nach Auffassung der Klägerin von der Voraussetzung, dass die Beschäftigung jedenfalls dem Grunde nach entgeltlich gewesen sein müsse, nicht abgesehen werden kann; die Entgeltlichkeit ihrer Beschäftigung im Ghetto ist aber, wie von der Klägerin selbst eingeräumt, vom LSG als nicht glaubhaft angesehen worden.

Die nicht formgerecht begründete Beschwerde ist gemäß § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 iVm § 169 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen.

Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 Abs 1 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2391712

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