Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 23.02.2018; Aktenzeichen L 14 R 758/16)

SG Detmold (Entscheidung vom 21.07.2016; Aktenzeichen S 17 R 653/14)

 

Gründe

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 23. Februar 2018 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine Kosten zu erstatten.

Mit Urteil vom 23.2.2018 hat das LSG Nordrhein-Westfalen einen Anspruch der Klägerin auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung verneint, weil sie die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen der sog 3/5-Belegung des § 43 Abs 1 S 1 Nr 2 bzw Abs 2 S 1 Nr 2 SGB VI nicht erfülle. Zur Erfüllung dieser Erfordernisse könnten insbesondere nicht die im Rahmen des Versorgungsausgleichs übertragenen Anwartschaften herangezogen werden.

Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat die Klägerin Beschwerde beim BSG eingelegt. Sie beruft sich auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache iS von § 160 Abs 2 Nr 1 SGG und Divergenz iS von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG.

Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig, weil sie nicht formgerecht begründet ist.

Die Revision ist nur zuzulassen, wenn

- die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG),

- das Urteil von einer Entscheidung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung beruht (aaO Nr 2) oder

- ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (aaO Nr 3).

1. Eine Rechtssache hat nur dann grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Ein Beschwerdeführer muss mithin, um seiner Darlegungspflicht zu genügen, eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (so genannte Breitenwirkung) darlegen (zum Ganzen vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN; Fichte in Breitkreuz/Fichte, SGG, 2. Aufl 2014, § 160a RdNr 32 ff).

Die Klägerin wird bereits dem ersten Erfordernis nicht gerecht. Sie hat keine abstrakt-generelle Rechtsfrage zum Inhalt oder Anwendungsbereich einer revisiblen Norm (vgl § 162 SGG) gestellt (vgl Senatsbeschluss vom 6.4.2010 - B 5 R 8/10 B - BeckRS 2010, 68786 RdNr 10; BSG Beschluss vom 5.11.2008 - B 6 KA 24/07 B - BeckRS 2009, 50073 RdNr 7). Die Formulierung einer abstrakten, aus sich heraus verständlichen Rechtsfrage ist jedoch unverzichtbar, damit das Beschwerdegericht an ihr die weiteren Voraussetzungen der Grundsatzrüge prüfen kann (Becker, SGb 2007, 261, 265; Krasney/Udsching/Groth, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 7. Aufl 2016, Kap IX RdNr 181). Es gehört nicht zu den Aufgaben des BSG, den Vortrag der Klägerin darauf zu analysieren, ob sich ihm eventuell eine entsprechende Rechtsfrage entnehmen ließe (vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 26 S 48).

2. Divergenz iS von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG liegt vor, wenn die tragenden abstrakten Rechtssätze, die zwei Entscheidungen zugrunde gelegt worden sind, nicht übereinstimmen. Sie kommt nur dann in Betracht, wenn das LSG einen tragenden abstrakten Rechtssatz in Abweichung von einem vorhandenen abstrakten Rechtssatz des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG aufgestellt hat. Eine Abweichung liegt folglich nicht schon dann vor, wenn die Entscheidung des LSG nicht den Kriterien entspricht, die das BSG aufgestellt hat, sondern erst, wenn das LSG diesen Kriterien widersprochen, also eigene rechtliche Maßstäbe entwickelt hat. Nicht die Unrichtigkeit der Entscheidung im Einzelfall, sondern die Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen begründet die Zulassung der Revision wegen Abweichung. Darüber hinaus verlangt der Zulassungsgrund der Divergenz, dass das angefochtene Urteil auf der Abweichung beruht. Bezogen auf die Darlegungspflicht bedeutet das vorstehend Gesagte, dass die Beschwerdebegründung erkennen lassen muss, welcher abstrakte Rechtssatz in der höchstrichterlichen Entscheidung enthalten ist und welcher im Urteil des LSG enthaltene Rechtssatz dazu im Widerspruch steht; ferner muss aufgezeigt werden, dass auch das Revisionsgericht die oberstgerichtliche Rechtsprechung in einem künftigen Revisionsverfahren seiner Entscheidung zugrunde zu legen haben wird (zum Ganzen vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 72 mwN). Diesen Darlegungserfordernissen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.

Die Klägerin trägt vor, die angefochtene Berufungsentscheidung weiche von dem Beschluss des BVerfG vom 8.4.1987 (1 BvR 564/84 ua - BVerfGE 75, 78, 103 = SozR 2200 § 1246 Nr 142 S 466) ab, der folgende Aussage enthalte:

"Hätte der Gesetzgeber die angegriffenen Regelungen getroffen, ohne den Betroffenen die Gelegenheit zu geben, ihre Anwartschaften durch die Leistung monatlicher Mindestbeträge aufrechtzuerhalten, hätten diese, auch wenn sie zur Erreichung des gesetzgeberischen Ziels als geeignet und erforderlich erscheinen, den Anforderungen des Art. 14 GG an eine zulässige Inhalts- und Schrankenbestimmung nach Art. 14 Abs. 1 S 2 GG nicht entsprochen."

Hieraus schlussfolgert die Klägerin, dass das BVerfG die 3/5-Belegung des § 43 SGB VI "und den daraus folgenden Totalentzug des Anspruchs auf Versorgungsausgleich" unter dem Gesichtspunkt des Art 14 GG nur deswegen für verfassungsgemäß halte, weil die dadurch Betroffenen ihre bisherigen Anwartschaften durch freiwillige Zahlungen monatlicher Mindestbeiträge aufrechterhalten konnten. Das LSG NRW verkenne, dass diese Möglichkeit der Klägerin nicht eröffnet gewesen sei. Dabei habe das Berufungsgericht ua festgestellt, dass die Klägerin durch eine (Nach)Entrichtung freiwilliger Beiträge die erforderliche 3/5-Belegung des § 43 SGB VI nicht erfüllen könne.

Mit diesem Vorbringen ist eine Divergenz iS von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG nicht schlüssig aufgezeigt.

Eine Divergenz kommt nur in Betracht, wenn der angefochtenen und der herangezogenen höchstrichterlichen Entscheidung zumindest vergleichbare Sachverhalte zugrunde liegen.

Der Entscheidung des BVerfG vom 8.4.1987 (BVerfGE 75, 78, 83; in SozR insoweit nicht abgedruckt) lagen Verfassungsbeschwerden von sieben Beschwerdeführern zugrunde, die Versicherte in der gesetzlichen Rentenversicherung, teils in der Arbeiterrentenversicherung und teils in der Angestelltenversicherung, waren; alle hatten die Wartezeit von 60 Kalendermonaten erfüllt, sodass sie nach der vor Inkrafttreten des Haushaltsbegleitgesetzes 1984 geltenden Rechtslage bei Eintreten des Versicherungsfalls der Berufs- und Erwerbsunfähigkeit mit der Bewilligung einer Rente rechnen konnten. Die von ihnen angegriffenen Regelungen, die Einführung der sog 3/5-Belegung, nahmen ihnen diese Möglichkeiten oder konnten es tun. Aufgrund von Übergangsregelungen, die das Haushaltsbegleitgesetz 1984 im Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetz und im Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetz vorgesehen hatte, konnten sämtliche Beschwerdeführer durch weitere Beitragsleistungen ihre bisherige Rechtsposition aufrechterhalten. Die von der Klägerin zitierten Ausführungen im Urteil des BVerfG vom 8.4.1987 beziehen sich auf die versicherungsrechtlichen Verhältnisse dieser Beschwerdeführer. Diesbezüglich ist in der Entscheidung (BVerfGE 75, 78, 103 = SozR 2200 § 1246 Nr 142 S 466) hervorgehoben worden, dass der Entzug der durch eigene, oft erhebliche Beitragsleistungen erworbenen Invaliditätssicherung für die in typischen Fällen auf diesen Versicherungsschutz angewiesenen Versicherten nicht mehr zumutbar gewesen wäre.

Dass auch die Klägerin vor dem 1.1.1984 bereits eine Wartezeit von 60 Kalendermonaten in der gesetzlichen Rentenversicherung erfüllt hat und damit den Beschwerdeführern des genannten verfassungsgerichtlichen Verfahrens hinsichtlich der durch eigene Beitragsleistungen erworbenen Invaliditätssicherung vergleichbar ist, gibt die Beschwerdebegründung nicht an.

Mit ihrem weiteren Vorbringen macht die Klägerin die sachliche Unrichtigkeit der angefochtenen Entscheidung geltend. Auf die vermeintliche inhaltliche Fehlerhaftigkeit der LSG-Entscheidung kann die Nichtzulassungsbeschwerde jedoch ausweislich § 160 Abs 2 Nr 1 bis 3 SGG nicht gestützt werden.

Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (vgl § 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 und 4 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI11903150

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