Entscheidungsstichwort (Thema)

Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde

 

Orientierungssatz

Bei der Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde nach SGG § 160a Abs 2 S 3 genügt es nicht, daß die Divergenzentscheidung benannt wird, sondern der Beschwerdeführer muß kenntlich machen, zu welcher konkreten Rechtsfrage eine das Berufungsurteil tragende Abweichung von einer Entscheidung des BSG in den rechtlichen Ausführungen enthalten ist (vgl BSG 1975-09-29 8 BU 64/75 = BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 21 und 29). In der Beschwerdebegründung sind somit die sich widersprechenden Rechtssätze gegenüberzustellen.

 

Normenkette

SGG § 160a Abs 2 S 3

 

Tatbestand

Das Bayerische Landessozialgericht (LSG) hat die Beklagte verurteilt, der Klägerin aus Anlaß des Todes ihres Ehemannes am 2. Januar 1978 Witwenrente zu gewähren (Urteil vom 5. März 1980). Der Ehemann der Klägerin hatte bei der Heimfahrt auf einem seiner Nebenerwerbslandwirtschaft zuzurechnenden Betriebsweg mit dem Kraftwagen die heruntergelassene Halbschranke eines Bahnübergangs umfahren und war auf den Gleisen stehen geblieben. Dort wurde er von der Lokomotive eines herannahenden Zuges erfaßt und tödlich verletzt. Das LSG hat zur Begründung seines Urteils u.a. ausgeführt, daß der nach verkehrsstrafrechtlichen Vorschriften verbotene Versuch, die Bahngleise zu passieren, den Versicherungsschutz nicht ausschließe. Ebenso schließe grundsätzlich auch ein leichtsinniges oder gar grob fahrlässiges Verhalten des Verunglückten den Versicherungsschutz nicht aus, wenn dieses Verhalten nach den äußeren Umständen der betrieblichen Sphäre zuzurechnen sei (BSG SozR 2200 § 548 Nr 35). Davon sei im vorliegenden Fall auszugehen, weil der Ehemann der Klägerin nach den Umständen die Bahngleise trotz heruntergelassenen Halbschranken nur deshalb zu überqueren versucht habe, um schneller nach Hause zu kommen. Schließlich sei der Versicherungsschutz des Ehemannes der Klägerin auch nicht unter dem Gesichtspunkt der sog. "selbstgeschaffenen Gefahr" entfallen. Dieses von der Rechtsprechung entwickelte Institut sei, wie das Bundessozialgericht (BSG) zuletzt in SozR 2200 § 548 Nr 35 ausgeführt habe, mit dem verbotswidrigen Handeln nicht wesensgleich oder identisch. Der Versicherungsschutz entfalle unter dem Gesichtspunkt der selbstgeschaffenen Gefahr nur dann, wenn das Verhalten des Verunglückten in so hohem Maße vernunftwidrig und gefährlich gewesen sei, daß er mit großer Wahrscheinlichkeit damit habe rechnen müssen zu verunglücken, so daß die dadurch geschaffene Gefahr als die rechtlich allein wesentliche Ursache zu werten sei. Im vorliegenden Fall seien keine betriebsfremden Anlässe für das grob fahrlässige Umfahren der Halbschranke des Bahnüberganges ersichtlich, so daß als alleinige Erklärung für das Verhalten des Ehemannes der Klägerin nur das Bestreben übrig bleibe, den Heimweg zu beschleunigen. Die objektiven Umstände am Unfallort ließen auch nicht den Schluß zu, der Ehemann der Klägerin habe mit großer Wahrscheinlichkeit mit dem Unfall rechnen müssen oder das Umfahren der ersten Halbschranke habe zwangsläufig zu dem Zusammenstoß geführt. Es sei nach den gegebenen Umständen wahrscheinlich, daß der Verunglückte infolge einer durch die Reflexion des Sonnenlichts durch Schnee verursachten Blendwirkung weder das rote Licht der Warnblinkanlage noch den sich nähernden Zug habe wahrnehmen können. Es lasse sich jedenfalls nicht feststellen, daß der Ehemann der Klägerin bereits beim Passieren der ersten Halbschranke habe damit rechnen müssen, er werde verunglücken. Die Absicht einer Selbsttötung scheide aus. Das LSG hat die Revision nicht zugelassen.

Dagegen wendet sich die Beklagte mit der Nichtzulassungsbeschwerde. Sie macht geltend, daß das Urteil des LSG von einer Entscheidung des BSG abweiche und auf dieser Abweichung beruhe.

Der 2. Senat des BSG habe im Urteil vom 31. Mai 1967 - 2 RU 75/64 (SozR Nr 77 zu § 542 RVO aF) entschieden, daß der innere Zusammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit bei einem Unfall auf einem. Betriebsweg nicht gegeben sei, wenn sich ein Beschäftigter derart sorglos und vernunftwidrig verhalte, daß für einen hierbei auftretenden Unfall nicht mehr die betriebliche Tätigkeit, sondern die selbstgeschaffene Gefahr als die rechtlich wesentliche Ursache anzusehen sei. Als entscheidend sei dabei herausgestellt worden, daß eine solche vom Versicherten durch sein in hohem Grade unvernünftiges Verhalten herbeigeführte Gefährdung seiner persönlichen Sphäre zuzurechnen sei und deshalb den Versicherungsschutz entfallen lasse. Von diesem Grundsatz sei das LSG unter Berufung auf die Entscheidung des BSG vom 26. Juli 1977 - 8 RU 8/77 (SozR 2200 § 548 Nr 35) abgewichen. In jener Entscheidung habe es sich jedoch um einen anders gelagerten Sachverhalt gehandelt. Dort sei der Verunglückte als Gleiswerker mit der Verlegung eines Kabels neben dem Gleiskörper der Eisenbahn beschäftigt gewesen. Zur Zeit des Unfalls hätten sich die anderen Arbeiter zu einem jenseits des Gleiskörpers vor einem Bahnübergang abgestellten Bus begeben, um mit diesem zu den Unterkünften zu fahren. Der Verunglückte, der zunächst noch seine Notdurft verrichtete, habe nach Überspringen der an der Baustelle geschlossenen Bahnschranke die Gleise zu überqueren versucht und sei dabei von einer Lokomotive erfaßt worden. Da der Verunglückte bereits durch seine Tätigkeit beim Verlegen des Kabels mit der Gefahr seines Arbeitsplatzes vertraut und um den Bus zu erreichen, Eile geboten gewesen sei, hätten betriebsbedingte Umstände und Gefahren zum Unfall beigetragen. Bei dem vom LSG im angefochtenen Urteil entschiedenen Fall treffe dies aber nicht zu. Daß der Ehemann der Klägerin um die geschlossene Halbschranke herumgefahren sei, weil er schneller nach Hause kommen wollte, sei lediglich eine Vermutung. Eine betriebliche Notwendigkeit, sich während der Heimfahrt einen Zeitgewinn zu verschaffen, habe nicht bestanden, zumal vom Schließen der Schranken bis zur Durchfahrt des Zuges lediglich 8 bis 40 Sekunden vergingen. Auch entspreche die Annahme des LSG, der Ehemann der Klägerin habe weder das Blinklicht noch den herannahenden Zug gesehen, nicht der Logik. Bei einer Blendwirkung wäre er sonst gegen die Schranke gefahren. In seiner Blickrichtung habe er die Bahnstrecke auf einige hundert Meter übersehen können. Zudem sei er in nördlicher Richtung gefahren, so daß er nicht geblendet worden sein könne. Der Ehemann der Klägerin habe bei der knappen Entfernung zwischen dem herannahenden Zug und dem von ihm befahrenen Bahnübergang mit hoher Wahrscheinlichkeit damit rechnen müssen, daß er verunglücken werde. Das BSG habe bei einem solchen besondere Gefahren heraufbeschwörenden Verhalten auf Betriebswegen bzw. Wegen nach und von der Arbeitsstätte den Standpunkt vertreten, daß der selbstgeschaffene Gefahrenbereich nur dann wesentlich der versicherten Tätigkeit zuzurechnen sei, wenn ein solches grob fahrlässiges Verhalten dem grundsätzlich unter Versicherungsschutz stehenden Bestreben entspringt, das Ziel des Weges rascher zu erreichen (Urteile vom 25. Mai 1965 - 2 RU 122/64 - SGb 1967, 177 und vom 14. Dezember 1965 - 2 RU 8/64 - Breith. 1966, 834). Ein solcher Zeitgewinn könne aber hier nicht angenommen werden. Das LSG habe die Rechtsauffassung des BSG zur selbstgeschaffenen Gefahr in unzulässiger Weise ausgeweitet und den Begriff der selbstgeschaffenen Gefahr ad absurdum geführt.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist unzulässig.

Nach § 160 Abs 2 Nr 2 SGG ist die Revision u.a. nur zuzulassen, wenn das Urteil des LSG von einer Entscheidung des BSG abweicht und auf dieser Abweichung beruht. In der Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde muß nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG die Entscheidung, von der das Urteil des LSG abweicht, bezeichnet werden.

Die Beklagte hat die von ihr behauptete Abweichung des Urteils des LSG von einer Entscheidung des BSG nicht in einer den gesetzlichen Formerfordernissen entsprechenden Weise bezeichnet. Hierzu genügt es nicht, daß die Divergenzentscheidung benannt wird, sondern der Beschwerdeführer muß kenntlich machen, zu welcher konkreter Rechtsfrage eine das Berufungsurteil tragende Abweichung von einer Entscheidung des BSG in den rechtlichen Ausführungen enthalten ist (BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 21 und 29). In der Beschwerdebegründung sind somit die sich widersprechenden Rechtssätze gegenüberzustellen (BVerwG Buchholz 238.3 A § 83 BPersVG Nr 1).

Die Beschwerdebegründung der Beklagten beginnt mit dem Rechtssatz, daß der innere Zusammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit bei einem Unfall auf einem Betriebsweg nicht mehr gegeben ist, wenn sich ein Beschäftigter derart sorglos und vernunftwidrig verhält, daß für einen hierbei eingetretenen Unfall nicht mehr die betriebliche Tätigkeit, sondern die selbstgeschaffene Gefahr als rechtlich wesentliche Ursache anzusehen ist. Die Beklagte hat diesen Rechtssatz dem Urteil des BSG vom 31. Mai 1967 - 2 RU 75/64 (SozR Nr 77 zu § 542 RVO aF) entnommen, ihn jedoch nur verkürzt wiedergegeben. Wörtlich hat das BSG in jenem Urteil ausgeführt, daß "der erforderliche innere Zusammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit... nicht mehr gegeben (ist), wenn ein Beschäftigter sich bei einer während einer Betriebsfahrt unternommenen p r i v a t e n  B e s o r g u n g  derart sorglos und vernunftwidrig verhält, daß für einen  i m  L a u f e  d i e s e r  B e s o r g u n g eingetretenen Unfall nicht mehr die betriebliche Tätigkeit, sondern die selbstgeschaffene Gefahr als rechtlich wesentliche Ursache anzusehen ist. "Dieser Rechtssatz des BSG betrifft sonach die Auswirkungen auf den ursächlichen Zusammenhang zwischen einer während der Zurücklegung eines Betriebsweges unternommenen privaten Besorgung mit der versicherten Tätigkeit. Hiervon sei nach Meinung der Beklagten das LSG in dem angefochtenen Urteil unter Berufung auf die Entscheidung des BSG vom 26. Juli 1977 - 8 RU 8/77 (SozR 2200 § 548 Nr 35) abgewichen.

Welchen Rechtssatz das LSG dem angefochtenen Urteil zugrunde gelegt hat und inwiefern es von den rechtlichen Darlegungen des BSG im Urteil vom 31. Mai 1967 - 2 RU 75/64 (aaO) abgewichen ist, läßt sich der Beschwerdebegründung der Beklagten nicht entnehmen. Sie befaßt sich vielmehr im wesentlichen damit, Unterschiede im Sachverhalt einerseits des Urteils des LSG und andererseits des Urteils des BSG vom 26. Juli 1977 - 8 RU 8/77 (aao) aufzuzeigen. Mit diesen Ausführungen hat die Beklagte dem Erfordernis der Darlegung der Abweichung, die in die Bezeichnungslast eingeschlossen ist (Weyreuther, Revisionszulassung und Nichtzulassungsbeschwerde in der Rechtsprechung der obersten Bundesgerichte, Rdnr 220) nicht genügt. Dasselbe gilt auch in bezug auf die von der Beklagten am Ende ihrer Beschwerdebegründung genannten Urteile des BSG vom 25. Mai 1965 - 2 RU 122/64 (SGb 1967, 117) und vom 14. Dezember 1965 (Breith. 1966, 834). Insoweit läßt die Beschwerdebegründung nicht einmal erkennen, ob das LSG nach Meinung der Beklagten auch von diesen Urteilen abgewichen sein soll.

Das sonstige Beschwerdevorbringen der Beklagten, es sei lediglich eine Vermutung des LSG, daß der Ehemann der Klägerin durch das Umfahren der Schranken den Heimweg habe beschleunigen wollen, es habe auch keine betriebliche Notwendigkeit bestanden, sich während der Heimfahrt eine Zeitersparnis zu verschaffen und es widerspräche der Logik, daß der Ehemann der Klägerin weder das Blinklicht noch das Herannahen des Zuges gesehen habe, enthält im Beschwerdeverfahren unzulässige Rügen der Beweiswürdigung des LSG. Nach § 128 Abs 1 Satz 1 SGG entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Aus einem Verstoß gegen diese Vorschrift kann jedoch gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 SGG kein Grund für die Zulassung der Revision hergeleitet werden; eine dennoch erhobene Rüge ist unzulässig.

Da die Beschwerde der Beklagten nicht den gesetzlichen Formerfordernissen des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG entspricht, mußte sie als unzulässig verworfen werden.

Die Kostenentscheidung ergeht in entsprechender Anwendung des § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1659768

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