Verfahrensgang

LSG Bremen (Urteil vom 21.10.1998)

 

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Landessozialgerichts Bremen vom 21. Oktober 1998 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Der Kläger begehrt höhere Arbeitslosenhilfe (Alhi).

Die Beklagte bewilligte dem Kläger ab 1. April 1994 Alhi nach einem von ihm erzielbaren ortsüblichen Arbeitsentgelt in Höhe von 2.700,00 DM monatlich. Die vor dem Sozialgericht (SG) erhobene Klage blieb ohne Erfolg (Urteil des SG vom 24. Oktober 1997). Die Berufung des Klägers war lediglich hinsichtlich des Zeitraums vom 1. April 1994 bis 31. März 1995 in Höhe eines Teilbetrags erfolgreich (Urteil des Landessozialgerichts ≪LSG≫ vom 21. Oktober 1998). Zur Ablehnung einer höheren Leistung hat das LSG ausgeführt, das von der Beklagten gemäß § 136 Abs 2b iVm § 112 Abs 7 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) ab 1. April 1994 zugrunde gelegte Bemessungsentgelt sei nicht zu beanstanden. Wegen der seit dem Jahre 1979 bestehenden Arbeitslosigkeit könne der Kläger unter Berücksichtigung seiner fragmentarischen Ausbildung zum Programmierer, der viele Jahre zurückliegenden Ausbildung zum Pharmaberater und der noch länger zurückliegenden Tätigkeit als Programmierer kein Arbeitsentgelt erzielen, das einen höheren Leistungssatz als den von der Beklagten zugrunde gelegten begründe. Für das vom Kläger beanspruchte Bemessungsentgelt von 4.831,62 DM bzw 4.874,95 DM lägen keinerlei Anhaltspunkte vor. Als Operator im Bankgewerbe komme der Kläger ebensowenig in Betracht wie für eine Tätigkeit als Pharmaberater. Solchen Einsatzmöglichkeiten stünden seine lange Arbeitslosigkeit und die Veränderungen der Anforderungen auf dem Arbeitsmarkt entgegen. Eine Tätigkeit als Bürokraft stelle für den Kläger durchaus eine positive und günstige Einsatzmöglichkeit dar. Die vor vielen Jahren erworbenen und beruflich angewandten Kenntnisse reichten jedenfalls für eine Beschäftigung als Programmierer nicht mehr aus, da es allgemein bekannt sei, daß in diesem Bereich die Entwicklung in den letzten Jahren rasant gewesen sei. Die Programmierkenntnisse des Klägers könnten allenfalls insoweit berücksichtigt werden, als für ihn eine Tätigkeit als Bürokraft mit Programmierkenntnissen in Frage käme. Auch eine Tätigkeit im Bankbereich komme nicht in Betracht. Die Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Feststellung des durch den Kläger im Zeitpunkt der Neufeststellung erzielbaren Entgelts sei nicht erforderlich.

Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde. Er macht den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫) und des Vorliegens eines Verfahrensmangels, auf dem die Entscheidung beruhen kann (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG), geltend. Die Sache sei grundsätzlich klärungsbedürftig. Das LSG argumentiere – wenn auch unausgesprochen – damit, daß die letzte von ihm ausgeübte qualitativ hochwertige Beschäftigung lediglich eine solche einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme (ABM) gewesen sei. Damit stelle sich die Frage, ob es zulässig sei, erzielte Einkünfte des Arbeitslosen deshalb als bedeutungslos zu erklären, weil sie im Rahmen von ABM erzielt worden seien. Die Frage, wie die Entlohnung von ABM-Stellen bei der Neueinstufung von Arbeitslosen zu berücksichtigen sei, sei von allgemeiner, über den konkreten Einzelfall weit hinausgehender Bedeutung. Das angefochtene Urteil habe auch keinerlei Konsequenzen aus dem Umstand gezogen, daß er seit 1979 ununterbrochen arbeitslos gewesen sei und auch nach seiner erfolgreichen Ausbildung zum Pharmareferenten in der Zeit von Oktober 1981 bis März 1982 niemals von der Beklagten irgendwelche Stellenangebote, sei es als Programmierer, sei es als Pharmareferent, sei es als Bürokraft, erhalten habe. Deshalb erhebe sich die Frage, ob im Rahmen der Herabstufung damit argumentiert werden könne, der Arbeitslose könne wegen langjähriger Arbeitslosigkeit bestimmte Tätigkeiten nicht mehr verrichten, obwohl diese langjährige Arbeitslosigkeit ihre Ursache in einer Untätigkeit der Arbeitsverwaltung in bezug auf Vermittlungsbemühungen habe. Die Beklagte habe wegen der nicht erfolgten Unterbreitung von Arbeitsangeboten ihre Obliegenheiten verletzt. Es sei unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben dann nicht zulässig, die Alhi herabzustufen.

Das angefochtene Urteil verstoße gegen § 103 SGG, da er (Kläger) ausweislich des Sitzungsprotokolls die Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Höhe des von ihm erzielbaren Arbeitsentgelts beantragt habe. Das LSG habe sich mit diesem Beweisantrag nicht auseinandergesetzt. Vielmehr habe das LSG seine eigene besondere Sachkunde walten lassen, ohne daß sich aus dem angefochtenen Urteil ergebe, weshalb das Gericht über diese eigene Sachkunde verfüge. Insbesondere hätte das LSG nicht auf die Sachkunde des „sachverständigen Vermittlers” abstellen dürfen, da dieser auf seiten der Beklagten stehe. Es könne nicht ausgeschlossen werden, daß ein gerichtlich bestellter Sachverständiger wegen seiner (des Klägers) Ausbildung als Pharmareferent oder wegen seiner Ausbildung als Programmierer/Operator oder schließlich wegen der falschen Einschätzung des ortsüblichen Arbeitsentgelts von Bürokräften zu einem höheren erzielbaren Arbeitseinkommen als monatlich 2.700,00 DM gelangt wäre. In diesem Falle hätte der Klage ganz oder teilweise stattgegeben werden müssen.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist nicht begründet. Der vom Kläger in noch zulässiger Weise geltend gemachte Verfahrensmangel gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 SGG liegt nicht vor. Der geltend gemachte Verfahrensmangel kann auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Das setzt ua voraus, daß ein Beweisantritt im Sinne der einschlägigen Vorschriften der Zivilprozeßordnung (ZPO) vorliegt. Wie der Senat bereits entschieden hat, hätte der Beweisantrag hier den Erfordernissen des § 403 ZPO iVm § 118 Abs 1 SGG genügen müssen (Senatsbeschluß vom 13. Juli 1999 – B 7 AL 242/98 B; BSG SozR 1500 § 160 Nr 45 S 45; BSG, Beschluß vom 18. September 1995 – 2 BU 7/95). Der Kläger hätte insbesondere das genaue Beweisthema, das Gegenstand des Beweisantrags war, unter Trennung der Rechts- von den Tatfragen benennen müssen. Aus dem Vortrag, es sei erforderlich gewesen festzustellen, welches Arbeitsentgelt der Kläger auf dem Arbeitsmarkt noch erzielen könne, wobei zugleich drei Alternativen benannt wurden: Programmierer, Pharmareferent und Bürokraft, war für das LSG noch nicht einmal nachvollziehbar, welcher Fachrichtung der Gutachter (oder die Gutachter?) hätte angehören sollen. Unsubstantiierten Beweisanträgen, die das Beweisthema nicht ausreichend konkretisieren, braucht das Gericht nicht zu folgen. Der Beschluß des LSG Bremen beruht mithin nicht auf einem Verstoß gegen § 103 SGG.

Soweit der Kläger die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend macht (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) ist dieser Zulassungsgrund nicht in der gebotenen Weise dargelegt.

Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die – über den Einzelfall hinaus – aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Die Beschwerdeführer müssen daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung, gegebenenfalls sogar des Schrifttums, angeben, welche Fragen sich stellen, daß diese Rechtsfragen noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und daß das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten läßt (BSG SozR 1500 § 160 Nr 17 und § 160a Nrn 7, 11, 13, 31, 39, 59 und 65). Ein Beschwerdeführer muß mithin, um seiner Darlegungspflicht zu genügen, aufzeigen: (1) eine konkrete Rechtsfrage, (2) ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, (3) ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit sowie (4) die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung). Diesen Anforderungen wird die vorliegende Beschwerdebegründung nicht gerecht.

Der Kläger hat zwar Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung hinreichend deutlich formuliert; keinesfalls hat er aber deren abstrakte Klärungsbedürftigkeit aufgezeigt. Hierfür hätte er unter Auswertung der höchstrichterlichen Rechtsprechung vortragen müssen, daß das Bundessozialgericht (BSG) zu der bezeichneten Rechtsfrage noch keine einschlägigen Entscheidungen gefällt hat bzw daß durch schon vorliegende Urteile die aufgeworfenen Fragen noch nicht oder nicht umfassend beantwortet sind (BSG SozR 1500 § 160a Nr 65). An entsprechenden Ausführungen fehlt es indes gänzlich. Der Beschwerdeführer behauptet noch nicht einmal, einschlägige höchstrichterliche Rechtsprechung sei nicht vorhanden, wobei hier insbesondere eine Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung des BSG zu § 112 Abs 7 AFG erforderlich gewesen wäre.

Des weiteren genügt die Beschwerdebegründung des Klägers den Anforderungen schon deshalb nicht, weil er den der Entscheidung des LSG zugrundeliegenden Sachverhalt nicht ausreichend schildert. Dem Senat ist es nicht möglich, sich ohne Studium der Gerichts- und Verwaltungsakten allein aufgrund des Vortrags des Klägers ein vollständiges Bild über den Streitgegenstand und über die rechtlichen wie tatsächlichen Streitpunkte zu machen. Aufgabe der Revisionsinstanz ist es indes nicht, sich den für die Entscheidung über die Nichtzulassungsbeschwerde erforderlichen Sachverhalt selbst aus dem Urteil des LSG bzw den Leistungsakten herauszusuchen. Die Wiedergabe des der Entscheidung des LSG zugrundeliegenden Sachverhalts ist deshalb Mindestvoraussetzung für eine Entscheidung des Senats über die eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde.

Im Hinblick hierauf kann auch dahinstehen, ob der Kläger hier zusätzlich verpflichtet gewesen wäre darzulegen, wieso die von ihm aufgeworfenen Rechtsfragen weiterhin grundsätzliche Bedeutung haben können, weil § 136 Abs 2b AFG durch das AlhiRG vom 24. Juni 1996 (BGBl I 878) grundsätzlich neu gefaßt wurde. Nach dem seit 1. Juli 1996 geltenden Recht wird jeweils nach Ablauf eines Jahres seit dem Entstehen des Anspruchs auf Alhi das für die Bemessung der Alhi maßgebende Arbeitsentgelt mit einem um 0,03 verminderten Anpassungsfaktor (§ 112a Abs 2 AFG) angepaßt. Insoweit betrafen die vom Kläger zu § 136 Abs 2b AFG aufgeworfenen Rechtsfragen den bis zum 30. Juni 1996 gültigen Rechtszustand und haben für die neue Rechtslage nur noch mittelbare Bedeutung. Insoweit wäre der Kläger auch gehalten gewesen darzulegen, wieso die von ihm zu ausgelaufenem Recht erhobenen Rechtsfragen auch unter Geltung der neuen Rechtslage weiterhin klärungsbedürftig geblieben sind (hierzu Kummer, Die Nichtzulassungsbeschwerde, RdNrn 141 ff).

Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1175846

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