Orientierungssatz

1. Zum Ausschluß des Unfallversicherungsschutzes wegen alkoholbedingter Fahruntüchtigkeit.

2. Die Verfassungsbeschwerde gegen den Beschluß wurde nicht zur Entscheidung angenommen (vgl BVerfG 1. Senat 2. Kammer vom 19.7.1993 - 1 BvR 990/93).

 

Normenkette

RVO § 548 Abs 1 S 1, § 550 Abs 1

 

Verfahrensgang

LSG Niedersachsen (Entscheidung vom 27.10.1992; Aktenzeichen L 3 U 43/90)

 

Gründe

Der Kläger ist mit seinem Begehren auf Entschädigungsleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung wegen der Folgen eines am 7. November 1987 erlittenen Verkehrsunfalls ohne Erfolg geblieben (Bescheid vom 12. August 1988 und Widerspruchsbescheid vom 27. Januar 1989; Urteile des Sozialgerichts vom 16. Januar 1990 und des Landessozialgerichts (LSG) vom 27. Oktober 1992). Das LSG ist zu dem Ergebnis gelangt, der Kläger habe sich bei seiner Heimfahrt von der Einweihung einer Fliesen-Ausstellungshalle zwar auf einem versicherungsrechtlich geschützten Weg befunden. Diesen Versicherungsschutz habe er jedoch dadurch verloren, daß er in alkoholbedingt fahruntüchtigem Zustand ein Kraftfahrzeug geführt habe und die alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit (auf den Unfallzeitpunkt bezogener Blutalkoholgehalt (BAK) von 1, 29 Promille) die allein wesentliche Ursache für den Verkehrsunfall darstelle.

Mit der hiergegen gerichteten Nichtzulassungsbeschwerde macht der Kläger die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG)) geltend. Außerdem rügt er eine Abweichung von der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) iS des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG.

Die Beschwerde ist unzulässig. Die dazu gegebene Begründung entspricht nicht der in § 160 Abs 2 und § 160a Abs 2 Satz 3 SGG festgelegten Form. Nach der ständigen Rechtsprechung erfordern diese Vorschriften, daß die Zulassungsgründe schlüssig dargetan werden (BSG SozR 1500 § 160a Nrn 34, 47 und 58; vgl auch Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 1991, IX RdNrn 177 und 179 mwN). Daran fehlt es der Beschwerde.

1. Zur Frage der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache meint der Kläger, es sei kein vernünftiger Gesichtspunkt erkennbar, dem vorsätzlich oder in höchstem Maße leichtsinnig handelnden Versicherten, der beispielsweise bei starkem Nebel vorsätzlich mit überhöhter Geschwindigkeit einen Unfall verursache, den Versicherungsschutz zu gewähren, während man einem relativ fahruntüchtig Versicherten und lediglich fahrlässig Handelnden den Versicherungsschutz im Rahmen eines Arbeitsunfalles versage, wenn er den Nachweis nicht führen könne, daß auch andere Ursachen für den Unfall kausal gewesen sein könnten. Das BSG sei daher aufgerufen, die bisherige "dem Vorwurf der Willkür ausgesetzte Rechtsprechung zur Trunkenheit bei Arbeitsunfällen aufzugeben," zumal sogar in den Fällen der sogenannten selbstgeschaffenen erhöhten Gefahr Versicherungsschutz gewährt werde. Diese Ausführungen sind nicht geeignet, die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zu erreichen.

Nach § 160 Abs 2 Nr 1 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. In der Beschwerdebegründung muß nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt werden. Grundsätzliche Bedeutung hat das angestrebte Revisionsverfahren nur, wenn der Rechtsstreit sich in seiner Bedeutung nicht in diesem Einzelfall erschöpft, sondern dazu dienen kann, die Rechtseinheit zu wahren oder die Entwicklung des Rechts zu fördern. Das ist dann der Fall, wenn die für grundsätzlich gehaltene Rechtsfrage klärungsbedürftig ist (Krasney/Udsching aaO IX RdNr 63 mwN). Eine vom Revisionsgericht bereits geklärte Rechtsfrage ist im Regelfall nicht mehr klärungsbedürftig, es sei denn, die Beantwortung der Frage ist trotzdem klärungsbedürftig geblieben oder erneut klärungsbedürftig geworden (Krasney/Udsching aaO IX RdNr 65). Letzteres muß substantiiert vorgetragen werden. Will der Beschwerdeführer dementsprechend die grundsätzliche Bedeutung einer vom BSG bereits beantworteten Rechtsfrage geltend machen, so hat er zur Darlegung der Klärungsbedürftigkeit der Rechtssache vorzutragen, ob und von welcher Seite der Rechtsprechung in nicht geringfügigem Umfange widersprochen worden ist und welche Einwendungen gegen sie vorgebracht worden sind (BSG SozR 1500 § 160a Nr 13). Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.

Die Frage des Versicherungsschutzes bei Trunkenheitsfahrten im Straßenverkehr ist nach der ständigen Rechtsprechung des BSG (s zuletzt Urteil des Senats vom 25. November 1992 - 2 RU 40/91 - sowie die zahlreichen Nachweise bei Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 11. Aufl S 487n/o) unter allen rechtlichen Gesichtspunkten geklärt. Danach scheidet ein Arbeitsunfall iS des § 548 Abs 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) aus, wenn eine alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit des Versicherten die rechtliche allein wesentliche Ursache des auf diesem Weg erlittenen Unfalls gewesen wäre (BSGE 12, 242, 245; 48, 228, 229). Zu dieser vom BSG beantworteten Rechtsfrage (s insbesondere BSGE 38, 127, 129; Brackmann aaO S 487p) hat der Kläger nichts vorgetragen, ob und von welcher Seite dieser ständigen Rechtsprechung in nicht geringfügigem Umfange widersprochen worden ist und welche Einwendungen gegen sie vorgebracht worden sind.

2. Eine Abweichung iS des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG ist nur dann ausreichend begründet, wenn erklärt wird, mit welchen genau bestimmten entscheidungserheblichen Rechtssatz das angegriffenen Urteil des LSG von welcher genau bestimmten rechtlichen Aussage des BSG oder des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes abweicht (BSG SozR 1500 § 160a Nrn 21, 29 und 54). Dazu reicht es nicht aus, daß die Unrichtigkeit der Entscheidung betreffend den Einzelfall dargetan wird. Entscheidend ist vielmehr die Darlegung der Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen, in der abstrakten Aussage (Krasney/Udsching aaO IX RdNr 196). Soweit der Kläger eine Abweichung von der Entscheidung des Senats vom 30. Juni 1960 (BSGE 12, 242 = NJW 1960, 1636) rügt, hat er diese Voraussetzungen schon deshalb nicht dargetan iS des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG, weil er keinen konkreten - von einer bestimmten rechtlichen Aussage des BSG abweichenden - Rechtssatz im Urteil des Berufungsgerichts bezeichnet hat. Hierzu trägt der Kläger vielmehr vor, das LSG habe die vom BSG in dieser Entscheidung geforderten vergleichenden Feststellungen zwischen einem nichtalkoholisierten Fahrer und einem angetrunkenen Fahrer "unterlassen". Bei Beachtung der Grundsätze des BSG hätte das LSG zu dem Ergebnis kommen müssen, daß auch ein nichtalkoholisierter Fahrer in der gleichen Situation nicht anders reagiert hätte. Ob mit diesen Ausführungen das LSG - wie der Kläger offenbar meint - die vom BSG entwickelten Grundsätze zum Ausschluß des Versicherungsschutzes wegen alkoholbedingter Fahruntüchtigkeit unzutreffend und damit den Rechtsstreit falsch entschieden hat, eröffnet nicht die Zulassung der Revision (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 7; Krasney/Udsching aaO IX RdNr 196).

Das gleiche gilt für die gerügte Abweichung von der Entscheidung des BSG vom 2. Februar 1978 (BSGE 45, 285 = SozR 2200 § 548 Nr 38). Auch hierzu hat der Kläger keinen konkreten abweichenden Rechtssatz im Urteil des LSG bezeichnet. Er rügt lediglich, das LSG habe keine konkreten Feststellungen zur Fahruntüchtigkeit getroffen (s dazu ua BGHSt 31, 42, 44, Brackmann aaO S 488c). Es habe ausdrücklich offengelassen, ob von absoluter Fahruntüchtigkeit oder nur von relativer Fahruntüchtigkeit auszugehen sei. Darin weiche das LSG nach Meinung des Klägers von dieser Entscheidung des BSG ab; es hätte vielmehr einer klaren Feststellung bedurft.

Alle übrigen Ausführungen des Klägers betreffen eine nach seiner Ansicht unzutreffende Verwertung und Würdigung der vorhandenen Beweise (§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG). Auf diese Rüge kann die Beschwerde nicht gestützt werden (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG).

Die Beschwerde war daher als unzulässig zu verwerfen (§ 169 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1656130

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