Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende. Bedarfsgemeinschaft. Einstehensgemeinschaft. Zusammenleben. Vermutungsregelung. Betreuung gemeinsamer Kinder. Zulässigkeit der Observation der Hilfebedürftigen. Berücksichtigung von Einkommen zugunsten der nicht leiblichen Partnerkinder. verfassungskonforme Auslegung

 

Orientierungssatz

1. Entsprechend der Rechtsprechung des BVerfG zur eheähnlichen Gemeinschaft gemäß dem Recht der Arbeitslosenhilfe (vgl BVerfG vom 17.11.1992 - 1 BvL 8/87 = BVerfGE 87, 234) macht § 7 Abs 3 Nr 3 Buchst c SGB 2 die Einstandspflicht des nichtehelichen Partners vom wechselseitigen Willen abhängig, füreinander einstehen zu wollen. Das Gesetz knüpft die Rechtsfolge damit an das Vorliegen eines subjektiven Tatbestandes, der nur mit Hilfe von (mittelbaren) Hinweistatsachen ermittelt werden kann. Der Gesetzgeber hat in verfassungskonformer Weise mit § 7 Abs 3a SGB 2 eine Regelung eingeführt, nach der unter bestimmten Voraussetzungen der genannte subjektive Tatbestand widerleglich vermutet wird. Das "Zusammenleben in einem gemeinsamen Haushalt" wird nicht von der Vermutung des § 7 Abs 3a SGB 2 umfasst, sondern verkörpert eine Voraussetzung, damit die Vermutungswirkung überhaupt eintreten kann.

2. Zum Vorliegen ausreichender Anhaltspunkte für ein Zusammenleben in einem gemeinsamen Haushalt und eine Einstehensgemeinschaft bzw eheähnliche Gemeinschaft iS von § 7 Abs 3 Nr 3 Buchst c, Abs 3a SGB 2 idF vom 20.7.2006.

3. Auch wenn eine Befugnisnorm im SGB 2 oder SGB 10 für einen Eingriff in das Recht der informationellen Selbstbestimmung (Art 2 GG) durch die Observation der Hilfebedürftigen fehlt, ist eine solche Beweiserhebung unter verfassungskonformer Auslegung nicht rechtswidrig und für eine Übergangszeit zulässig, wenn die längerfristige Observation zielgerichtet und punktgenau erfolgte, die Privatsphäre der Hilfebedürftigen zeitlich, räumlich und gegenständlich nur äußerst begrenzt ausgeforscht, Bildaufnahmen nicht erstellt und andere spezielle Grundrechte nicht berührt wurden.

4. Die Regelung des § 9 Abs 2 S 2 SGB 2 idF vom 20.7.2006, nach der auch das Einkommen des in Bedarfsgemeinschaft lebenden Partners zugunsten der nicht leiblichen Kinder - ohne die Widerlegungsoption des § 9 Abs 5 SGB 2 - zu berücksichtigen ist, begegnet verfassungsrechtlichen Bedenken.

 

Tenor

I.

Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 2. Februar 2007 wird zurückgewiesen.

II.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Das Berufungsverfahren betrifft Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Streitig ist, ob ein Leistungsanspruch für die Zeit August bis Dezember 2006 bestand. Das vorrangige Problem besteht darin, ob M, welcher der Lebensgefährte der Klägerin zu 1 ist, zur Bedarfsgemeinschaft gehörte und inwieweit er sein Einkommen "einzusetzen" hatte.

Die Klägerin zu 1 ist die leibliche Mutter der Kläger zu 2 bis 6. Die Kläger zu 2 bis 4 stammen aus der Ehe der Klägerin zu 1, die 1997 geschieden wurde. Leiblicher Vater der Kläger zu 5 und 6 ist M. Die Klägerin zu 1 und M sind nicht miteinander verheiratet, jedoch seit etwa 1996 befreundet bzw. ein Paar. M arbeitet als Lagerist in abhängiger Beschäftigung - auch schon im streitgegenständlichen Zeitraum -, die Klägerin zu 1 ist nicht berufstätig. Der Gesundheitszustand der Klägerinnen zu 1 und 2 lässt es zu, dass sie unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig sind.

Die von den Klägern bewohnte Wohnung, B.straße, N. (Bezugsfertigkeit 1980), ist ca. 130 qm groß und besteht aus sechs Räumen zzgl. Küche, Bad, Gästetoilette und Abstellkammer. Die monatliche Grundmiete betrug 568,- Euro, die monatlichen Heizkosten 100,33 Euro und die monatlichen "kalten" Nebenkosten 60,- Euro.

Während des streitigen Zeitraums hatte M zusammen mit seiner Schwester eine Wohnung im Dachgeschoss des Hauses seines Vaters, M.-Straße, N. (5 km von der Wohnung der Kläger entfernt). Von klägerischer Seite wird angegeben, M sei dort von seiner Stiefmutter versorgt worden. Für Wohnung und Versorgung habe er monatlich 250,- Euro in bar gezahlt. In dieser Wohnung war M nur unter der Nummer seines Vaters telefonisch zu erreichen.

Während des fraglichen Zeitraums sind für die Kläger zu 2 bis 5 jeweils 160,25 Euro monatlich Kindergeld angefallen, für den Kläger zu 6 179,- Euro. Die Klägerin zu 4 erhielt monatlich 257 Euro Einkommen aus Unterhaltsleistungen. Die Kläger zu 5 und 6 erhielten monatlich jeweils 199,- Euro an Unterhaltsvorschussleistungen vom Landratsamt N., das wiederum Rückgriff bei M nahm. Das Netto-Erwerbseinkommen des M betrug im September 2006 1.536,48 Euro (brutto 2.525,28 Euro), im Oktober 2006 1.535,96 Euro (brutto 2.525,28 Euro), im November 2006 2.054,12 Euro (brutto 3.737,28 Euro) und im Dezember 2006 1.596,08 Euro (brutto 2.621,28 Euro). Die Beklagte setzte vom Nettoeinkommen des M unter anderem jeweils 398,- Euro für ...

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