Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Krankengeldanspruch nach dem bis 10.5.2019 geltenden Recht. kurzfristige Terminvereinbarung des Versicherten. keine krankengeldschädliche Obliegenheitsverletzung. Verschiebung des rechtzeitigen Arzttermins durch den Vertragsarzt aus Praxisgründen. Verletzung der vertragsärztlichen Pflicht zur Ausstellung von Arbeitsunfähigkeits-Bescheinigungen

 

Orientierungssatz

1. Zur Verschiebung eines rechtzeitigen Arzttermins durch den Vertragsarzt bzw seines von ihm angeleiteten Praxispersonals in der Vorstellung, ein späterer Termin sei für den Versicherten leistungsrechtlich unschädlich, weil nach der Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie (AU-RL, juris: AURL) auch die begrenzte rückwirkende ärztliche AU-Feststellung statthaft sei (BSG vom 26.3.2020 - B 3 KR 9/19 R = BSGE 130, 85 = SozR 4-2500 § 46 Nr 10).

2. Versicherte dürfen darauf vertrauen, dass zu üblichen Praxiszeiten die zentrale gesetzliche Pflicht zur Ausstellung von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen von jedem Vertragsarzt erfüllt wird und dass dieser alles tut, damit dieser Pflicht genüge getan wird. Insbesondere müssen Versicherte nicht damit rechnen, dass Vertragsärzte aus Praxisgründen ihre gesetzlichen Pflichten nicht oder nicht entsprechend der gesetzlichen Fristen erfüllen.

 

Leitsatz (amtlich)

Kurzfristige Terminvereinbarungen stellen keine krankengeldschädliche Obliegenheitsverletzung dar.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 21.09.2023; Aktenzeichen B 3 KR 11/22 R)

 

Tenor

I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 19.12.2018 wird zurückgewiesen.

 II. Die Beklagte erstattet der Klägerin deren außergerichtliche Kosten auch in der Berufung.

 III. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

 Streitig ist die Weitergewährung von Krankengeld über den 17.06.2018 hinaus bis 11.09.2018.

 1. Die 1966 geborene Klägerin war vom 01.05.2016 bis 30.04.2018 aufgrund Beschäftigung gesetzlich krankenversichertes Mitglied der Beklagten. Am 21.09.2017 erkrankte die Klägerin arbeitsunfähig wegen einer Schulteroperation und bezog deshalb nach Ende der Entgeltfortzahlung des Arbeitgebers Krankengeld der Beklagten wegen fortbestehender Arbeitsunfähigkeit (AU) infolge nicht weiter gebesserter Schulterbeschwerden. Mit Erklärung vom 09.11.2017 bestätigte sie der Beklagten die Pflicht zum lückenlosen Nachweis der Arbeitsunfähigkeit, um ihren Anspruch auf Krankgengeld aufrecht zu erhalten. Aufgrund fortbestehender medizinisch begründeter AU (Arztbrief der Chirurgen W und Koll./B vom 02.05.2018: Schulterbedingte AU bis mind. Suppt . 2018) sowie entsprechender Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen (AUB) bezog die Klägerin Krankengeld, zuletzt bis 17.06.2018 aufgrund AUB des behandelnden Arztes S/A vom 17.05.2018. Die darauffolgende AUB des S datiert vom Mittwoch, 20.06.2018 mit Arbeitsunfähigkeit bis 18.07.2018.

 Die Beklagte stellte mit Bescheid vom 21.06.2018 gegenüber der Klägerin fest, dass seit 18.06.2018 kein Versicherungsschutz mehr mit Anspruch auf Krankengeld bestehe. Die fortbestehende Mitgliedschaft wegen Krankengeldbezugs bestehe seit dem 18.06.2018 nicht mehr, das Beschäftigungsverhältnis sei seit 30.04.2018 beendet. Die Klägerin sei daher nicht mehr mit Anspruch auf Krankengeld versichert.

 Die Klägerin legte ein ärztliches Attest des S vom 22.06.2018 vor, wonach die Klägerin am 18.06.2018 in seiner hausärztlichen Praxis gewesen sei. Wegen des sehr hohen Patientenaufkommens sei jedoch fälschlicherweise ein Termin erst für den 20.06.2018 vergeben und die AUB erst am Mittwoch, 20.06.2018 verlängert worden. Zudem erhob die Klägerin Widerspruch gegen den Bescheid vom 21.06.2018 und begehrte Feststellung der fortbestehenden Mitgliedschaft sowie Weitergewährung von Krankengeld ab dem 18.06.2018. Die praxisbedingte Abweisung am 18.06.2018 sowie die AUB-Erstellung erst am 20.06.2018 seien der Klägerin nicht anzulasten. AU bestehe unstrittig und auch nachgewiesen wegen Schultererkrankung weiterhin fort. Die Klägerin habe im Sinne der Rechtsprechung des BSG vom 11.05.2017 alles getan, um eine rechtzeitige Feststellung der Arbeitsunfähigkeit vornehmen zu lassen. Ein Fehler des Arztes dürfe nicht zu Lasten von ihr als Patientin gehen, bei ihr liege kein Verschulden vor. Außerdem dürfe eine rückwirkende AUB erstellt werden. Mit Widerspruchsbescheid vom 25.07.2018 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Am 18.06.2018 habe kein Arzt-Patienten-Kontakt stattgefunden. Die AUB vom 20.06.2018 begründe eine Lücke im Krankengeldbezug, welche die fortbestehende Mitgliedschaft unterbrochen und zu einer Versicherung ohne Krankengeld geführt habe.

 2. Im anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht Augsburg (SG) hat die Klägerin ihr Begehren weiterverfolgt, iW mit der Begründung, sie sei ärztlich attestiert durchgehend wegen ihrer Schultererkrankung arbeitsunfähig gewesen und habe auch rechtzeitig in der Praxis des behandelnden Arztes wegen einer lückenlosen AUB vorgesprochen. Dass sie am 18.06.2018 auf den 20.06.2018 verwiesen wo...

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